Kaum sind wir wieder zuhause angekommen, verschwindet Julia in ihr Zimmer und ich in meines. Meine Eltern stellen sich in die Küche für das Abendessen und Jo folgt mir. Er schliesst hinter sich meine Tür und meint: „Hey, das mit unserer Abmachung geht klar? Ich brauche es so schnell wie möglich. Denk dran, es ist in einer kleinen Schatulle. Ganz leicht, sieh einfach bitte nicht hinein!"

Etwas verunsichert nicke ich. Genauere Angaben kann er mir nicht geben, vor allem wenn er mir nicht verraten will, was sich darin befindet.

Vielleicht bin ich zu naiv, aber kurz nachdem Jo wieder weg ist, schleiche ich mich in das Zimmer meiner Eltern. Ich fühle ich schon fast Kriminell. Zum Glück habe ich mir den Aufwand erspart, schwarze Kleider anzuziehen und die richtige Hintergrundmusik auszusuchen. Ich möchte nur kurz diese Schatulle schnappen, sie Jo übergeben und wieder verschwinden, als ob ich nie hier gewesen wäre.

Doch es entpuppt sich als recht schwierig diese Schatulle zu finden. Wo würde sie mein Vater denn nur verstecken? Ich versuche mich, in meinen Dad hineinzuversetzen. Ich schliesse meine Augen, fasse mit meinen Zeigefinger an die Schläfe und...

Nein. Es klappt nicht.

Wer hätte das gedacht.

Muss ich wohl auf die altmodische Weise weiter suchen. So old-School mässig.

Wenn ich überhaupt wüsste wonach ich suche.

Ich öffne jede Schublade und jede Schranktür, durchwühle sie und räume sie wieder auf, nicht, dass jemand herauskriegt, dass ich hier war.

Ich bekomme langsam ein schlechtes Gewissen, da ich ihre Privatsphäre so verletze, aber ich habe Jo versprochen, ich würde sie finden. Und wenn ich das nicht tun würde, hätte ich ein schlechtes Gewissen wegen ihm.
Ich kann nur verlieren.

Doch irgendwann, nach langer Suche finde ich die Schachtel im Kleiderschrank auf dem obersten Regal ganz hinten versteckt unter paar T-Shirts. Ich musste um nach ihr zu greifen auf ein Stuhl klettern. Und als ich sie endlich in meinen Händen hielt, wollte ich nur noch so schnell es geht verschwinden und bin dabei fast vom Stuhl gefallen. Und auch gerade in diesem Moment ruft Mam zum Essen und die Tür geht auf...

Ich, ohne eigentlichen Grund, stehe nun mitten im Zimmer meiner Eltern und halte eine kleine Schatulle zwischen meinen Händen die mein Dad versteckt gehalten hat. Wie soll ich das denn nur erklären?

Doch ich spüre richtig, wie mir ein Stein vom Herzen fällt, als ich sehe, dass es Jo ist, der die Tür öffnet: „Hast du sie?"

Erleichtert atme ich aus: „Musst du mich so erschrechen? Das nächste mal vereinbaren wir ein Klopfzeichen oder so was. Also ernsthaft."

„Dein ernst?", flüstert er zurück: „Was hättest du denn getan, wenn ich dein Vater gewesen wäre und er dich hier mit meiner Schatulle aufgefunden hätte?"

„Das mein ich ja! Lass uns bitte einfach dafür sorgen, dass es kein nächstes mal geben wird.", ich drücke im die kleine Schachtel in die Hände und dränge mich an ihm vorbei.

Ich will schon den Gang runter zur Küche, fragt er noch: „Hast du hinein geguckt?"

Zögernd schüttle ich den Kopf: „Nein, ist mir leider jemand hineingeplatzt. Jetzt aber los, das Essen wird kalt."

Er bringt die Schachtel noch kurz in sein Zimmer und folgt mir dann. Julia und meine Eltern haben schon auf uns gewartet. Schnell husche ich auf meinen Platz und lasse meinen Dad mir die Spaghetti auf meinen Teller häufen: „Guten Appetit!"

🎈

Nachdem Essen, als ich noch kurz in meinem Zimmer eine Runde gechillt habe, gehe ich wieder Richtung Wohnzimmer zu und mache es mir bei meinen Eltern auf der Couch bequem. Wir sind gerade dabei durch das Programm zu swipen, als die Wohnungstür ins Schloss fällt: „Was war das?", schockiert springe ich auf, doch Mam beruhigt mich schnell wieder: „Keine Angst. Das war nur Jo, er hat uns vorher mitgeteilt, dass er noch kurz draussen joggen geht."

Joggen? So spät in der Nacht? Das glaub ich nicht. Der hat doch was vor! „Ach ja, da fällt mir ein, dass ich eigentlich noch kurz bei Layla vorbei wollte. Wir müssen noch etwas klären was leider nicht übers Telefon geht. Ich komme aber bald wieder.", rede ich mich hinaus und will das Haus verlassen, doch mein Dad durchschaut mich: „Du willst aber nicht Jo verfolgen oder erwa doch?"

Ich werde nervös. Was sage ich denn jetzt?

„Ach Schatz.", hilft mir meine Mam: „Lass die Mädchen doch, wenn es so wichtig ist."

„Danke, Mami!", ich gebe ihr einen kleinen Kuss auf die Wange, sowie meinem Dad auch und verschwinde so schnell es geht um Jo bloss nicht zu verlieren. Zum Glück hat er kein Auto, denn ich habe ja auch keines. Also renne ich die Strasse hinunter der dunkel angezogener Person hinterher.

Wo will der hin?

Er hat ein exrem zügiges Tempo drauf, bei welchem ich Mühe habe mitzuhalten. Und wieder macht sich meine schlechte Kondition erkennbar. Was ich jetzt bräuchte ist ein Held der mich mit dem Auto mitnehmen würde und keine Frage stellen würde.

Als hätte ich geheime Superkräfte die ich gerade angewandt habe kommt ein Auto von hinten auf mich zu und beleuchtet mich mit dem Scheinwerfer.

„Ben?"

„Überrascht?"

„Schon ein bisschen ja. Was tust du hier?"

„Das selbe wollte ich dich fragen."

Ich drehe mich wieder zurück in Jos Richtung und kann gerade noch sehen wie er viele Meter vor uns rechts abbiegt. Hoffentlich hat er uns nicht gesehen, aber mir läuft fast die Zeit weg. Ich habe keine andere Wahl als mich bei Ben hineinzusetzen und ihm Befehle zu erteilen, die er nicht hinterfragen darf: „Bitte folge diesem Typ da vorn unauffällig!"

„Bemerkenswert wie du so einen befehlerischen Ton drauf haben kannst und trotzdem noch ‚Bitte' sagen kannst.", lacht Ben, fährt aber langsam los. Hätte auch nichts anderes von ihm erwartet.

Jetzt bräuchte diese Mission hier nur noch einen Namen. Wie zum Beispiel Operation Jo's Geheimnis. Nur etwas origineller. Aber diese Kreativität habe ich nicht.

Leider.

Aber jetzt will ich wissen, was er vor hat. Ich kann mir später darüber Gedanken machen.