Kapitel 31
Milos POV
Ich riss die Autotür auf und stürmte aus dem Auto, als wir endlich am letzten Lager ankamen. Gleich würde ich sie sehen. Mein Leben hatte endlich wieder einen Sinn.
Ich stürmte in das Haus rein und lief direkt zu der Treppe, die im Flur nach unten in den Keller führte.
Ethan hatte mir das gesagt, nachdem er den Anruf erhalten hatte.
Ich hastete die Treppe runter und stand nun in einem langen Gang mit mehreren Türen. Es war eisig kalt.
Kurz horchte ich und als ich Stimmen hörte, rief ich: „Hallo, ist hier jemand?"
„Bist du Milo?" Hinter mir öffnete sich die Tür und ich drehte mich blitzschnell um. Ich nickte nur und der Mann trat von der Tür weg. Sofort stürmte ich in das Zimmer.
Und da lag sie. Mein Mädchen. Voller Blut, dreckig und abgemagert und trotzdem war sie noch immer wunderschön.
Schnell hastete ich zu ihr hin und kniete mich neben sie. Sie hatte ihre Augen geschlossen und auch ihr Atem ging sehr langsam. Sie lebte also noch, auch wenn es wohl wirklich knapp war. Ihre Haut war blass und sie hatte tiefe Schatten unter ihren Augen. Bei ihrem Anblick kamen mir die Tränen, vorallem als ich die blauen Flecken, mit denen ihr Körper und Gesicht bedeckt war, erblickte. Unter ihrer Brust klaffte eine riesige Wunde, auf der ein verblutetes Handtuch lag. Anscheinend wurde die Blutung gestoppt, was ja grundsätzlich schon mal ein gutes Zeichen war. Hoffte ich zumindest.
„Ist sie das?" Ethan war mittlerweile reingekommen und stand nun neben mir. Ich kniete noch immer und schaute ihn nicht an. Nicht einmal würde ich sie je wieder aus dem Blick lassen. Niemals.
„Ja, das ist sie.", sagte ich leise unter Tränen. Noch nie hatte ich um einen Menschen geweint. Immer wurde mir gesagt, dass es unmännlich und eine Schwäche sei. Doch jetzt konnte ich nicht anders. Der Mensch, den ich mehr als alles andere liebte, lag hier und stand kurz vor seinem Ende.
Doch jetzt durfte sie nicht aufgeben. Wir durften nicht aufgeben. Sie musste das überstehen. Zitternd nahm ich ihre kalte Hand und drückte sie an meine Brust.
„Was ist mit einem Krankenwa-"
„Schon unterwegs.", unterbrach mich Ethan und legte seine Hand auf meine Schulter. Ich war ihm so dankbar. Für immer würde ich in seiner Schuld stehen.
Nach gefühlter Ewigkeit, in der ich einfach nur neben Tia kniete, ihre Hand hielt und auf ein Wunder hoffte, ertönte die Sirene des Krankenwagens. Kurz darauf stürmten auch schon zwei Sanitäter rein.
„Schafft ihn hier weg, wir können hier niemanden gebrauchen.", sagte einer der Typen und deutete auf mich. Auf der Stelle wollte ich ihm eine reinschlagen.
„Nein, ich bleibe. Das können Sie nicht verlangen, ich bleibe auf jeden Fall."
Plötzlich wurde ich am Arm gegriffen und es wurde versucht, mich hochzuziehen.
Doch ich ließ mich nicht davon abbringen, weiterhin ihre Hand zu halten und auch nicht davon, jetzt wegzugehen.
„Hey, komm hoch. Die werden ihr bestes tun für dein Mädchen. Es wird alles gut.", ertönte Ethans Stimme und kurz darauf wurde wieder versucht, mich am Arm hochzuziehen.
„Nein, ich..ich darf nicht. Ich kann nicht. Ich kann sie nicht nochmal alleine lassen. Nein, nein, nein." Unkontrolliert liefen mir die Tränen über die Wangen und auch meine Stimme klang brüchig. Doch es war mir scheißegal. Ich würde bei Tiara bleiben.
„Lass die arbeiten, sie wird es ansonsten nicht schaffen. Halt es jetzt nicht unnötig auf."
Kurz überkam mich Schwäche und den Moment ergriffen die beiden und zerrten mich hoch.
In Sekundenschnelle waren die Sanitäter bei Tiara und fingen an, sie zu verarzten.
Ich wurde von Ethan und einem anderen Typ an den Armen weggezogen. Ich sträubte mich und versuchte, mich loszureißen.
Ich durfte sie nicht alleine lassen, ich durfte nicht. Wieder und wieder wiederholten sich diese Wörter in meinem Kopf und in diesem Moment gab es sowas wie Vernunft für mich nicht mehr.
Ich schlug um mich und traf dabei auch jemanden, der kurz darauf fluchte. Doch egal. Ich musste nur zu Tiara. Aber ich wurde nicht losgelassen, die Typen ließen einfach nicht locker.
Mit dem Gesicht zu Tiara wurde ich halb stehend, halb fallend aus dem Zimmer gezogen und die Tür wurde zugemacht, sodass ich sie nicht mal mehr sehen konnte.
Endlich lockerten die Griffe um meine Arme sich und ich stürmte wieder zur Tür.
Doch Ethan war schneller, rammte mich von der Seite und schmiss sich dann mit mir auf den Boden.
„Man, komm zur Vernunft!", schrie er, „Sie wird es nur überleben, wenn du den Sanitätern jetzt Platz zum Arbeiten gibst. Sobald die Blutung wieder halbwegs unter Kontrolle ist und sie auch etwas stabiler ist, kommt sie ins Krankenhaus."
Ich setzte mich nun auf und sackte kurz darauf müde an die Wand, an die ich mich nun lehnte. Und heulte nur noch. Und heulte und heulte. Ethan hatte mich kurz beobachtet und ließ sich nun neben mich fallen.
„Bro, es tut mir echt leid. Ich weiß wie das ist, man.", sagte er.
Vier seiner Männer standen an der Wand gegenüber von uns und schweigten nur. Eigentlich waren solche Typen harte Kerle, auch ich war eigentlich immer einer davon gewesen. Doch jetzt stand jedem von ihnen auch Traurigkeit im Gesicht. Jeder hoffte anscheinend, dass sie überlebte.
Und ich natürlich am allermeisten. Wenn sie nicht überlebte, würde ich ebenfalls sterben. Ich konnte nicht mehr ohne sie, nie mehr.
Lange blieb es still auf dem Flur bis Ethan irgendwann anfing zu reden: „Weißt du, ich hab auch schonmal so wie du da gehangen. Tränenüberströmt und völlig am Ende. Meine Verlobte wurde damals in einer Schießerei mit zwei Streifschüssen verletzt und auch ich wurde rausgeschickt und wusste nicht, wohin mit mir. Ich war genauso wie du. Völlig aufgelöst und auch ich wollte damals nicht von ihr weg. Ich saß da und hatte Mitleid mit mir selbst. Doch genau das darf man nicht. Mach nicht den selben Fehler wie ich. Ich war damals nicht in der Position mir selbst leid zu tun und du bist es auch nicht. Nicht wir sterben, sondern die Menschen die wir lieben. Und für genau diesen Menschen musst du jetzt stark sein, okay? Mach es besser als ich und sei stark für sie. Kämpf für sie. Kämpf mit ihr. Selbst wenn du nicht bei ihr sein kannst."
Ethans Worte trafen mich hart, doch ich wusste genau, dass er recht hatte.
„Sie..sie hat nicht überlebt, oder?" Ich bereute kurz darauf meine Frage, als ich in Ethans bestürztes Gesicht schaute. Doch wenige Sekunden später hatte er sich wieder gefasst und antwortete: „Nein, Lyra hat es nicht überlebt. Und bis heute geb ich mir die Schuld. Noch immer seh ich sie nachts vor mir, als sie gerade von den Schüssen getroffen wird. Ich wünschte, ich hätte sie wenigstens noch einmal lachen sehen können. Nie mehr hab ich sie danach gesehen. Ihre aufgerissenen Augen und die kurze Starre haben sich in mein Gehirn gebrannt. Das einzige was mir bleibt, ist die unendliche Liebe zu ihr." Er räusperte sich kurz und fuhr dann fort: „Sorg dafür, dass das nicht letzte Mal war, dass du sie gesehen hast. Nicht so. Nicht voller Leid und Unglück. Wenn ihr aus dieser Scheiße raus seid, dann bring sie zum Lachen. Und präg es dir gut ein. Denn du weißt nie, wann es das letzte Mal sein könnte. Mach es besser als ich."
Ich wusste nicht so wirklich was ich sagen sollte. Ethan hatte mich mit seiner Vergangenheit echt ein wenig geschockt.
Ich kam nicht mehr dazu, zu antworten, denn plötzlich wurde die Tür, von dem Raum wo Tiara drin lag aufgerissen. Einer der Männer von Ethan, der drin bei Tiara geblieben war, sagte nur: „Sie ist stabil, sie kann jetzt ins Krankenhaus gebracht werden."
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