[02]
Jisung PoV
Es kam zu meiner Überraschung kein einziger Kommentar mehr dazu, was ich geschrieben hatte. Auch nicht als ich wie immer als letztes den Klassenraum verließ und in die Pause ging. Niemand fragte nach, wie auch auf diesen, wie mein Lehrer ihn genannt hatte, melancholischen und traurigen Gedankengang gekommen war. Vermutlich hatten sie sich einfach nicht weiter für mich interessiert, denn wer tat das schon? Es war wie verhext. Ich wollte nicht, dass mich jemand ansprach und sich für mich interessierte und gleichzeitig wollte ich nicht mehr alleine sein. Ich wollte nicht jede Pause alleine hier sitzen und den anderen Schülern zusehen, wie sie glücklich lachten. Ich wollte auch jemanden, mit dem ich gemeinsam lachen konnte.
Die 20 Minuten, die ich hier alleine an einen Baum gelehnt sitzend verbrachte, zogen sich bis ins Unendliche. So war das halt, wenn man niemanden hatte.
Ein Fußball rollte zu mir und einer der Fünftklässler kam zu mir, um ihn zu holen. Erst sah er mich ein wenig eingeschüchtert ein, auch wenn ich nicht wusste, woran das lag. Ich war nun wirklich die letzte Person, vor der man sich fürchten musste.
"Suchst du den hier, Kleiner?", fragte ich freundlich und kickte ihm den Ball zu.
"Ja, danke."
Ein anderer Junge tauchte hinter ihm auf.
"Magst du vielleicht mitspielen? Du sitzt hier immer so alleine rum und machst eigentlich nichts.", fragte mich der zweite Junge.
Wenn du mitspielst, ziehen die dich locker ab. Weißt du überhaupt wie man vernünftig schießt? Das wird die Blamage des Jahres und die ganze Schule sieht zu.
Dann hört man von allen Seiten nur noch, dass Han Jisung von einem Haufen Fünftklässler besiegt wurde.
"Vielleicht wann anders. Ich hab mich letztens verletzt und darf noch nicht wieder Sport machen. Aber ich seh euch zu.", log ich einfach gerade heraus. Wow, jetzt könnte ich nicht einmal vernünftig gegen ein paar Kinder Fußball spielen. Wie tief war ich denn eigentlich gesunken?
"Okay, aber wenn du wieder gesund bist, musst du mit uns mitspielen.", meinte der Junge, der als zweites gekommen war.
"Mach ich. Und jetzt erstmal viel Spaß bei eurem Spiel. Die anderen warten bestimmt schon auf euch."
"Danke!"
Ich gab beiden noch ein High-five und dann verschwanden sie wieder auf dem kleinen Platz und spielten die ganze Pause über. Irgendwie beneidete ich diese Kinder. Ich hatte nie gehabt, was sie hatten. Ich war immer alleine gewesen oder wurde nach spätestens einem dreiviertel Jahr zurückgelassen, weil meine 'Freunde' nicht mit meiner Art zurecht gekommen waren. Das lag meistens daran, dass sie nicht verstanden, dass ich nach den Treffen immer erst ein paar Tage für mich alleine brauchte und deshalb immer sagte, dass ich mich nicht mit ihnen treffen konnte. Irgendwann wurden dann jedoch aus Tagen Wochen und die Freundschaften zerbrachen vollständig.
Es klingelte und ich machte mich wieder auf den Weg in meinen Klassenraum, wobei ich mir in Gedanken gut zu redete. Es brachte eigentlich überhaupt nichts, aber ich machte es trotzdem jedes Mal, einfach weil ich es gewohnt war. Ich ging weit hinten die Treppe hoch und zählte wie immer die 52 Stufen, als könnte eine von ihnen tatsächlich irgendwann verschwinden. Dann folgte eine weitere Doppelstunde Unterricht, die ich eigentlich nur stumm da saß und alles mitschrieb.
Dadurch, dass meine mündlichen Noten nicht besonders waren, musste ich meine schriftlichen Noten oben halten und das schaffte ich nur, wenn ich anständig mitschrieb.
Eine weitere Pause und eine Doppelstunde Kunstunterricht später verließ ich das Gebäude. Nach Kunst war es am angenehmsten nach Hause zu gehen. Die meisten meiner Mitschüler verschwanden ziemlich schnell und ich hatte mehr als genug Platz um mich herum. Außerdem war der Kunsttrackt grundsätzlich leerer, da jeder jeder Kunstlehrer zu einer anderen Zeit Schluss machte. Die Unterrichtszeiten galten für sie anscheinend nicht so wie für andere Lehrer. Aber mir sollte es recht sein. So könnte ich wenigstens in Ruhe durch die fast leeren Flure laufen.
Glücklicherweise wohnte ich nur 10 Minuten von der Schule entfernt und musste mich so nicht in den überfüllten Bus quetschen. Das hatte ich einmal gemacht, als ich einen meiner damaligen Freunde besucht hatte und dieses eine Mal hatte mir auch gereicht.
Zu Hause angekommen warf ich meinen Rucksack in den Flur und ging in die Küche. Als ich auf die Arbeitsplatte sah, musste ich kurz schwer schlucken. Vor mir standen vier Kerzen in einer roten Plastikhülle mit einem Metalldeckel, aus dem Punkte und Kreuze raus gestochen worden waren, damit die Kerzen wind- und regengeschützt waren, aber dennoch vernünftig brannten. Wie hatte ich vergessen können, was für ein Tag heute war? Heute vor acht Jahren war mir die wichtigste Person, die ich hatte, aus meinem Leben genommen worden.
Ich verließ die Küche wieder, denn beim Gedanken daran, was passiert war, verlor ich jedes Mal aufs Neue den Appetit. Meine Mutter hätte mich jetzt vielleicht gefragt, weshalb ich nichts aß, aber sie war noch auf der Arbeit und meine beiden älteren Brüder waren noch nicht wieder von der Schule zurück. Außerdem hätten sie eh nicht nachgefragt.
Leise verschwand ich in mein Zimmer und ließ das Geschehene noch einmal in meinem Kopf abspielen. Meine Mutter, die mir gegenüber im Wohnzimmer saß, und meinen beiden Brüder, die auch bei uns waren.
"Es tut mir so leid, dass sagen zu müssen... Euer Vater ist gestorben. Es war nicht schmerzhaft für ihn. Er ist heute Morgen einfach nicht mehr aufgewacht."
Ich war aufgestanden und in mein Zimmer gegangen. Es war mir unangenehm vor meiner Familie zu weinen.
Mein Blick wanderte zur Tür, durch die damals meine Mutter gekommen war und mir gesagt hatte, dass ich auch ins Wohnzimmer kommen konnte, wenn ich Ich nicht alleine sein wollte, und fast erwartete ich, dass sich die Tür wieder öffnete und sie das Gleiche nochmal sagen würde, doch natürlich passierte nichts.
Dann wanderten meine Gedanken wieder zu dem letzten Mal, wo ich meinen Vater gesehen hatte. Er und meine Mutter hatten sich schon zwei Jahre zuvor getrennt. Warum wusste ich nicht. Ich stand also vor seiner Wohnungstür, da meine Mutter mich von dort aus abgeholt hatte.
"Mach's gut, Kleiner.", verabschiedete er sich mit einem Lächeln von mir.
"Bis in zwei Wochen, Papa."
Bis in zwei Wochen hatte ich gesagt und fast genau eine Woche später saß ich in der ersten Reihe bei der Trauerfeier, die ihm gewidmet wurde. Noch nie hatte ich einen Satz so sehr bereut, wie ich diesen Satz bereute. Was hätte ich an diesem Tag dafür gegeben, um 'Bis in zwei Wochen' in ein 'Ich hab dich lieb' umtauschen zu können. Doch nun war es zu spät. Es war vorbei und ich hatte meine Chance verpasst, ihm zu sagen, wie wichtig er mir war.
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