Kapitel 4
Aiden reagiert schnell genug und dreht seinen Kopf so, dass Lucas Lippen auf seinen Mundwinkeln landen.
,,Lucas, hör auf. Du bist betrunken und bereust es morgen.", flüstert Aiden in die Stille und nimmt Abstand.
,,Stimmt nicht.", erwidert Lucas und lehnt sich erneut nach vorn.
Diesmal fällt es ihm leicht, seinen Kopf wegzudrehen.
,,Ist dir klar, wen du gerade küssen willst?", fragt Aiden zweifelhaft.
Frustriert atmet Lucas gegen Aidens Wange.
,,Du lässt keinen Kuss zu, oder?"
,,Nein, das stimmt."
,,Sicher?", lässt er nicht locker und lehnt sich ein wenig nach hinten, sodass er mit einer Hand die Tür öffnen kann.
Aidens Herz setzt einen Schlag aus, als versehentlich die Tür schwungvoll und sehr laut gegen die Wand knallt.
Lucas kann sich nicht halten und fliegt nach hinten in die Hütte, wobei er Aiden reflexartig mit sich zieht.
Lucas landet hart auf Aiden und beide stöhnen schmerzhaft auf.
Plötzlich geht das Licht an und Connor steht mit einem verwirrten Blick vor ihnen.
Aiden tippt Lucas an die Schulter.
,,Geh runter von mir."
Lucas antwortet nicht und nur sein regelmäßiges Atmen kann man hören.
,,Du bist jetzt nicht wirklich eingeschlafen.", sagt Aiden und rollt den Jungen von sich herunter. Connir kommt ihm schnell zu Hilfe und gemeinsam schaffen sie es, ihn gegen die Wand zu lehnen, wo er friedlich weiter schläft.
Sein Stiefbruder beugt sich über ihn und lehnt sich sofort wieder weg.
,,Er riecht echt schrecklich.", bemerkt er.
,,Er ist betrunken.", klärt Aiden ihn auf und hockt sich neben Connor.
,,Lucas, wach auf.", rüttelt er ihn an der Schulter, aber er bekommt keine Reaktion.
,,Hilfst du mir, ihn auf das Bett zu legen?", fragt Aiden.
Connor nickt und greift unter seine Schultern und Aiden packt seine Beine.
Zusammen tragen sie ihn die paar Schritte zu dem Bett und legen ihn darauf, wo er fast das gesamte Bett für sich beansprucht.
,,Viel Spaß beim Weiterschlafen.", grinst Connor und legt sich in sein freies Bett.
Aiden denkt über seine Optionen nach:
Eigentlich wäre ein Bett in Lucas Hütte frei, wo ein betrunkener Hugh und Kal schlafen.
Diese Möglichkeit lehnt er sofort ab.
In Hütte Nummer eins könnte er im Speisesaal schlafen, aber er möchte Mandy nicht wecken, um nach dem Schlüssel zu fragen.
Bleibt ihm also nur noch eine Option.
Mit großer Anstrengung rollt er Lucas auf eine Bettseite und deckt ihn zu, während er auf der anderen Seite über der Decke liegt.
Aber nachdem was gerade alles passiert ist, kann er nicht wieder einschlafen.
Lucas hat versucht, ihn zu küssen.
Aber warum?
Nur weil er betrunken ist?
Vielleicht macht er das mit jedem so, wenn er dicht ist?
Herumgehen und wahllos irgendwelche Leute küssen?
Aiden ist sich sicher, dass er das nur getan hat, weil er betrunken ist.
Es ist ja nie irgendetwas zwischen ihnen passiert, weder haben sie geflirtet, noch hat er sonstige verliebte Anzeichen gemacht.
Aber die größte Frage bleibt - kann es sein, dass Lucas bi ist? Oder sogar schwul?
Aiden ist sich sicher, dass er seit Beginn der Oberstufe mehr Freundinnen hatte, als er ahnt.
Nie ist er mit Jungs gegangen, sondern immer nur mit Mädchen.
Vielleicht hat er aber auch nie in Betracht gezogen, eine Beziehung mit dem gleichen Geschlecht zu führen.
Vielleicht hat er auch - nein, Aiden, unterbricht er sich, ,das geht dich nichts an.'
Die ganze Zeit über fragt er sich, was wohl passiert wäre, wenn er den Kopf nicht weggedreht hätte.
Was für eine Art Kuss wäre daraus entstanden?
Und wie hätte er sich angefühlt?
,,Kal, mach den verdammten Wecker aus."
Bei dem Klang dieser Stimme wacht Aiden erschrocken auf und sieht gerade noch, wie Lucas sich über ihn beugt, um das Handy vom Nachttisch zu angeln und den Ton auszuschalten.
Mit einem müden Seufzer lassen sich beide zurück in die Matratze fallen.
,,Ich hoffe, du hast eine gute Erklärung, warum wir zusammen in einem Bett schlafen.", murmelt Lucas verkatert und genervt.
,,Gib mir eine Minute, um mir eine auszudenken.", antwortet Aiden.
Lucas nimmt den Arm von seinen Augen und schenkt ihm einen ungläubigen Blick.
,,Was zum - ahhh.", stöhnt er wegen des hellen Lichts auf.
Aiden fragt sich, ob der Junge neben ihm immernoch betrunken ist, stützt sich auf die Ellbogen und schaut in Lucas gerötetes Gesicht.
,,War das eine Frage?", grinst er, aber Lucas fragt daraufhin nur zickig, warum sie zusammen in einem Bett geschlafen haben.
Er reibt sich seine verspannten Nacken und schaut Aiden verwirrt an.
,,Du hast dich betrunken und bist hierher gekommen. Kannst du dich nicht mehr erinnern?", gibt er eine Auskunft.
Entweder kann sich Lucas an gar nichts mehr erinnern oder er ist einfach nur ein guter Schauspieler.
,,Du wolltest kuscheln und da bin ich halt näher herangerückt.", sagt Aiden so ernst wie möglich.
,,WAS?", ruft Lucas verzweifelt und plötzlich geht der Wecker wieder an, welchen Aiden aber sofort abstellt.
,,Nur ein Scherz.", lacht Aiden und steht auf.
Lucas Blick landet auf seinem Stiefbruder.
Sein Ausdruck wechselt von verwirrt zu verständnisvoll und wieder zu verwirrt.
Es ist fast schon zu lustig, dies zu beobachten.
Aiden fühlt sich fast schon schlecht, weil er den verkaterten Jungen nicht die ganze Wahrheit erzählt.
,,Du bist herübergekommen und fast sofort umgekippt.", sagt er bloß.
,,Tut mir leid.", entschuldigt sich Lucas mal wieder.
,,Hör auf, ich musste mir letzte Nacht genug Entschuldigungen anhören.", erwidert er nur und verschwindet mit frischen Klamotten in Bad, wo er sich umzieht und seine Zähne putzt.
Im Spiegel blickt er sich an und weicht er erschrocken zurück.
Durch den Fall in der letzten Nacht hat er nun einen weiteren blauen Fleck im Gesicht.
Aiden kommt wieder aus dem Bad, wo er Lucas in der gleichen Position vorfindet wie vor ein paar Minuten und immernoch schaut er sich verwirrt um.
Seine Haare stehen in alle Richtungen ab und seine Kleidung ist so zerknittert, dass man denken könnte, er hätte draußen übernachtet.
,,Ich gehe schonmal das Frühstück vorbereiten. Ihr könnt ja noch ein wenig weiterschlafen, wenn ihr wollt. Das Bad ist da hinten", erklärt Aiden und verlässt die Hütte.
,,Danke!", ruft ihm Lucas hinterher und verwundert hält Aiden an.
,,Du bist so ein Idiot.", hört er plötzlich Connors Stimme.
,,Halt dein Maul.", sagt Lucas mürrisch, aber mit einem sanften Unterton und Aiden muss sich das Grinsen verkneifen.
Halt.
Lucas und.... sanftmütig?
Das ist ihm neu.
Aber auch ziemlich interessant.
Aiden läuft weiter und trifft unterwegs die Gruppe, die sich zum Angeln bereit macht.
Aus seiner Gruppe entschließen sich nur Connor und Evie mitzumachen und kurz bleibt er bei den beiden und genießt das herrliche Wetter.
Richard teilt das gleiche Schicksal wie Lucas und liegt betrunken in Bett und Gabby wurde noch von keinem gesehen.
Aber er wird sie noch früh genug antreffen, spätestens beim Frühstück.
,,Ich frage mich", sagt Connor zu Evie, ,,warum du keinen Akzent hast."
,,Ich habe schon so viel Zeit außerhalb von Amerika verbracht, dass ich ihn mir abgewöhnt habe. Und woher kommst du?", fragt sie ihn.
,,Ich komme auch aus Amerika, aus Florida, um genau zu sein."
,,Cool", erwidert sie und wirft den Köder aus. ,,Dort wollte ich schon immer hin. Kommen deine Mum und dein Dad aus Amerika?"
,,Nur mein Dad. Meine Mum ist erst vor kurzem wieder in ihr Heimatland zurückgekehrt.", antwortet er ehrlich.
,,Gehst du sie bald besuchen?", mischt sich Aiden in das Gespräch.
,,Nein.", sagt er nur knapp und beobachtet das Wasser.
Aiden und Evie sehen sich an und beide wissen, dass es da etwas gibt, worüber Connor nicht reden will.
,,Was ist mit dir?", fragt Evie und stößt ihm leicht in die Seite.
,,Mein Leben ist uninteressant.", behauptet er, ,,ich wurde in einer winzigen Stadt geboren, die ganz hier in der Nähe ist und das weiteste, wo ich jemals war, ist die nächstgrößere Stadt."
Darauf folgt eine kurze und angenehme Stille und jeder beobachtet die Angel, wo bisher noch kein Fisch angebissen hat.
,,Connor", bricht Evie dann die Stille, ,,wusstest du, dass Aiden früher fett war?"
,,Evie!", stöhnt Aiden erschrocken.
,,Nein", sagt Connor mit großem Interesse, ,,das wusste ich nicht. Jetzt bist du es auch nicht mehr."
,,Den Sommer über hier zu sein macht es auch schwierig, Fett anzusetzen.", murmelnd Aiden.
,,Warum musstest du das unbedingt erzählen?"
,,Weil ich es kaum glauben kann und noch keinen Beweis gesehen habe."
Aiden scheint merkwürdig zu schauen, denn plötzlich hellt sich Evies Gesicht auf.
,,Oh! Du hast ein Bild?"
,,Was ich dir nicht zeigen werde.", lehnt Aiden so freundlich wie möglich ab.
Evie kichert und zieht die Angelleine wieder ein.
Kein Fisch hat angebissen.
Trotzdem war es ein schönes Erlebnis, findet Aiden und ist froh, dass Gabby und Lucas immernoch ihren Rausch ausschlafen.
Da können sie ihn wenigstens nicht nerven.
Connor redet in der Zwischenzeit über seinen Dad, welchem ein bekanntes Hotel gehört und er Lucas Mum bei der Arbeit kennengelernt hat.
Aiden nickt immer mal interessiert, bis Evie Connors Ausführungen plötzlich unterbricht, indem sie meint, dass sie mal nach ihrem Dad schauen geht.
Connor sieht ihr lächelnd nach, bis sie im Wald verschwunden ist und setzt dann seine Unterhaltung mit Aiden fort.
,,Und wie ist sein Dad so?"
Offensichtlich meint er Lucas Vater, den Aiden schon ein paar Mal begegnet ist.
,,Er kann manchmal echt dickköpfig sein.", erzählt Aiden, ,,Und er trinkt sehr viel Alkohol und dann ist er immer total schlecht gelaunt, wenn man nicht auf ihn hört. Tja, meistens sitzt er dann vorm Fernseher und versäuft das Geld seiner mittlerweile Ex-Frau."
Connor sieht ihn erstaunt an.
,,Klingt, als kennst du ihn persönlich."
,,Oh", gibt Aiden wenig hilfreich von sich, ,,ich war mal mit Lucas befreundet, als wir im Kindergarten und der Grundschule waren. Unsere Eltern waren gut befreundet und wir haben uns fast jedes Wochenende besucht."
Connor blickt ihn undefinierbar an.
,,Also war er nicht immer so ein Idiot wie heutzutage."
Aiden weiß genau, was Connor ihm damit sagen möchte.
,,Er hat sich halt verändert und wir haben uns auseinandergelebt, sodass wir auch einen neuen Freundeskreis fanden. Aber ehrlich gesagt habe ich schon lange nicht mehr daran gedacht."
,,Vermisst du es, mit ihm befreundet zu sein?"
Aiden kann es sich so gar nicht vorstellen, ein Teil von Lucas jetzigen Freundeskreis zu sein und stumm danebenzustehen, während sie über die schwächeren lästern und ihnen Streiche spielen und sich dadurch wie die größten Badboys fühlen.
,,Nein. Zumindest nicht, wenn er dauernd mit Kal und Hugh abhängt.", antwortet er auf Connors Frage.
,,Er ist ein wenig ruhiger, wenn du in seiner Nähe bist.", ist Connor aufgefallen.
,,Echt? Auch als er gelacht hat, als ich in den dreckigen Fluss gesprungen bin?"
,,Eigentlich meinte ich diesen Morgen. Er hat mich - dich - angeschrien und dachte, es wäre Kal, den er da so anschreit. Aber als er realisiert hat, dass du es bist, hat er sich sofort bei dir entschuldigt. Und nicht zu vergessen, das er dich gestern die ganze Zeit küssen wollte."
Aiden bekommt eine Gänsehaut und sieht langsam zu Connor.
,,Ja", sagt Connor mit einem Achselzucken, ,,ich habe euch gestern gehört."
Aiden weiß nicht wieso, aber es fühlt sich für ihn so an, als ob er sich für Lucas Verhalten entschuldigen müsste.
,,Er war aber auch sehr betrunken."
Connor sieht ihn bloß stumm an, sodass Aiden sofort weiterspricht.
,,Wenn er nüchtern gewesen wäre, hätte er so etwas nie gewollt."
,,Ich weiß", sagt Connor schließlich, ,,er hätte zu viel Angst vor der Meinung anderer und du hast ja seinem Aufschrei gehört, als du ihm heute Morgen die halbe Wahrheit erzählt hast."
Je mehr sie über das Thema reden, desto unwohler fühlt Aiden sich.
,,Bitte verrate das keinem."
Connor nickt.
,,Ich werde schon nicht überall rumerzählen, was in dieser Nacht passiert ist. Mein Dad will, das ich mit Lucas gut klarkomme, also versuche ich das beste daraus zu machen. Ich versuche nur bestmöglich damit klar zu kommen, wenn er sich die meiste Zeit wie ein hirnloser Vollidiot verhält."
,,Okay. Gibt es für dich irgendwelche Gründe, weil du das Thema angesprochen hast?"
,,Nur, um Bescheid zu wissen.", sagt Connor kurz angebunden.
,,Mehr nicht?", fragt Aiden ungläubig.
,,Er ist jetzt so etwas wie mein Bruder. Da möchte ich Bescheid wissen. Und ich glaube nicht, dass du es weitererzählen wirst, nachdem er dich nach deinem Bad im Fluss so sehr ausgelacht hat und deshalb ist das einfachste, dich einfach direkt darauf anzusprechen.", gibt Connor zu.
,,Scheinbar achtest du sehr auf ihn, aber ich versuche, ihm so gut es geht aus dem Weg zu gehen um seine ständigen Neckereien zu vermeiden."
,,Oh, bitte nicht", grinst Connor, ,,sonst werde ich ihn deswegen nerven müssen."
,,Weswegen?", will Aiden neugierig wissen.
,,Wegen seines Schwarms."
,,Oh nein", sagt Aiden abwehrend, ,,er war bloß betrunken. Das war definitiv nicht das, wonach es aussah."
,,Du kannst mir ruhig zustimmen.", grinst Connor immernoch.
,,Zustimmen zu was?", schleicht sich Evie von hinten an die beiden Jungs, sodass diese erschrocken zusammenzucken.
Aiden antwortet nicht, sondern starrt Connor stumm in die Augen.
,,Ich glaube", sagt Connor leise und holt die Angelschnur aus dem Wasser, ,,es hat gerade einer angebissen."
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