Kapitel 2
Die Hütte Nummer fünf ist eng, hat dünne Wände, dafür aber große Fenster und die Tür quietscht bei der kleinsten Bewegung.
Es war die einzige Unterkunft mit nur einem Schlafraum und die beiden Betten sind nur durch eine kleinen Nachttisch getrennt, wo eine viel zu große Lampe steht.
Die Tür zum Bad ist auf der anderen Seite der Eingangstür.
Aiden beschlagnahmt sofort eines der Betten und schmeißt sich, inklusive seines Rucksacks, darauf, wo ihm gleich müde die Augen zufallen.
Quietschend öffnet sich eine Tür und Aiden schlägt erschrocken seine Augen auf.
Der gleichaltrige Junge, der gerade die Hütte betritt, sieht komplett anders aus als Lucas Graham.
Connors Haar ist dunkelbraun und kurz und er hat eine gut gebräunte Haut, die seine blauen Augen besonders gut zur Geltung bringen.
Sie sind nur Stiefbrüder, erinnert sich Aiden.
Er fragt sich, ob es unangemessen ist, ihn wegen seiner Familie und Lucas zu fragen.
Vielleicht, denn er ist nicht wirklich mit Lucas befreundet und will er wirklich näher über dessen Familie Bescheid wissen?
,,Ich bin Aiden,", stellt er sich vor, denn sie müssen die nächsten Wochen auf engstem Raum miteinander verbringen, ,,einer der freiwilligen Helfer."
,,Connor.", sie schauen sich an, ,,Lucas Stiefbruder. Aber ich bin sicher, einer seiner idiotischen Freunde habe es dir schon erzählt."
Fragend hebt Aiden eine Augenbraue.
,,Ja, das stimmt."
,Magst du sie auch nicht?', möchte er am liebsten fragen.
Aber warum?
Weil sie nerven?
Bestimmt.
,,Seine Mum hat meinen Dad geheiratet', sagt Connor mit einer abweisenden Stimme, ,,nur damit du nicht fragst. Oder hat Lucas dir die Geschichte schon erzählt?."
,,Nein, ich kenne die Geschichte nicht.", sagt Aiden und entscheidet sich, Connor definitiv nie etwas persönliches diese Richtung zu fragen. Connor scheint das Thema meiden zu wollen.
,,Bist du im Footballteam?", will Connor wissen, ,,Bist du deshalb mit denen befreundet?"
,,Nein", antwortet er, ,,wir haben bloß ein paar gemeinsame Kurse."
,Und wir sind ganz bestimmt nicht befreundet.', fügt er innerlich hinzu.
Connor setzt sich auf sein Bett und starrt Aiden weiterhin an.
Dieser nimmt ein Buch aus seinem Rucksack, blättert durch ein paar Seiten und schaut dann hinüber zu Connor.
,,Ist noch was?"
Connor schaut, als ob er wirklich noch etwas sagen will, entscheidet sich aber dagegen. ,,Nein.", erwidert er bloß.
Er legt sich hin und dreht sich von Aiden weg.
Aiden schätzt den Jungen auf etwa sein Alter, oder sogar noch ein wenig jünger.
Er legt sich bequem hin und öffnet die Biografie. Diese handelt von einem Pianisten, den er sehr mag und der sehr schnell berühmt wurde, aber auch sehr viele Rückschläge verkraften musste in Bezug auf seine Musical-Komposition.
Er hat es gerade erst neu gekauft, weil er ein Song ganz besonders mag, die er geschrieben hat. Dieses kann er zwar nicht originalgetreu auf dem Klavier nachspielen, dafür gibt er sein bestes mit der Geige.
Dies ist auch das Lied, welches er am Ende des Sommers zum Vorsingen vortragen möchte und es auch schon bei den freiwilligen Kursen geübt hat, die er das letzte Jahr über besucht hat.
Ein Jahr Schule hat Aiden zwar noch vor sich, aber wenn er angenommen wird, hat er nach dem Abschluss einen Beruf sicher.
***
Am nächsten Morgen ist Aiden überrascht, das Gabby eine der sechs freiwilligen Camper ist, die das Frühstück vorbereiten müssen.
Punkt sieben Uhr, gerade wenn die Sonne am Horizont aufgeht, versammeln sich alle in der ersten Hütte, um gemeinsam zu frühstücken.
Aiden sitzt gerne am Fenster, damit er den Sonnenaufgang beobachten kann.
Aber die ersten paar Tage sind stressig: Pfadwanderungen, Parcourlauf, Fischen, Schwimmen, Klettern... und die Liste ist noch länger.
Aiden musste sich für zwei Aktivitäten pro Tag eintragen und heute stehen Klettern und Parcourlauf auf dem Plan.
Natürlich ist er in der gleichen Gruppe wie seine Klassenkameraden - Mandy hat die Teilnehmerliste erstellt und ihm letzte Nacjt erklärt, das man da nicht einfach so die Gruppe wechseln kann.
Nachdem alle gegessen haben, stellt sich Mandy auf ein kleines Podest und erklärt ein paar Dinge zum Tagesablauf.
Dann verteilt sie an jeden ein Blatt Papier, wo nochmal die wichtigsten Dinge zusammengefasst sind und wo auch jede Gruppe vermerkt ist.
Als Lucas es gelesen hat, grinst er Aiden an.
Dieser seufzt genervt.
Beim Schulsport sind die drei schon ein Alptraum - wie soll das dann erst in den Wäldern werden, fernab von jeglicher Zivilisation?
Aber seine schwierigste Aufgabe wird es sein, Gabby unter Kontrolle zu behalten und diese zum Mitmachen zu motivieren.
Mandy konnte sie nicht mit in ihre Gruppe aufnehmen, denn sie kümmert sich um die Neuen und Linda konnte Gabby schon gestern Abend nicht ausstehen.
Bleibt er also übrig.
Aidens Gruppe versammelt sich am Rande des Weges.
Connor ist auch in seiner Gruppe und freudig erblickt Aiden auch Evie und Richard.
,,Wir laufen jetzt fünfzehn Minuten den Weg entlang und kommen dann an einen Felsen. Instructor Ben ist schon vorausgegangen und wird uns dann dort auf dem Felsen erwarten.
Dann gibt es eine kurze Mittagspause und am Nachmittag findet dann der Parcours statt."
Aiden versucht, so gut es geht, Mandys Mimik und Gestik nachzuahmen, aber er wird nie eine so starke Autoritätsperson sein wie sie.
,,Habt ihr alles verstanden?", fragt er in die Runde.
,,Dann los.", gibt er das Startkommando und Lucas geht als erster voran.
Aiden folgt dem Rest der Gruppe, denn er möchte nicht, das jemand zurückbleibt.
Ganz an der Spitze sieht er die drei wie kleine Kinder drängeln und ruft ihnen zu, dass sie sich beruhigen und die Stille des Waldes genießen sollen.
Direkt vor ihm laufen Gabby und Connor, die sich leise unterhalten und Evie und Richard laufen schweigend nebeneinander her.
Der Felsen hat eine krumme, natürliche Form und man sieht einige Eisenringe darin verankert, woran ein Seil befestigt ist.
Ben ist gerade dabei, alles noch einmal zu überprüfen, als die Gruppe ankommt.
Er redet kurz mit Lucas und seinen Freunden, die - überraschenderweise - ruhig zuhören und er übernimmt Aidens Aufgaben, als die Gruppe mit Klettern beginnt.
Aiden setzt sich an den Fuß des Felsens und Gabbys ängstliche Stimme dringt zu ihm herüber.
Gelangweilt beobachtet er seine Gruppe, wie einer nach dem anderen oben auf dem Felsen ankommt. Fast erwartet er, dass, so wie letztes Jahr, mindestens einer den Halt verliert, aber nichts dergleichen passiert. Alle sind halbwegs trainiert und in Form.
,,Aiden!", ruft Ben ihn herüber, ,,Willst du mal das Gegengewicht sein?"
Der Angesprochene nickt freudig und Ben verhakt ihn mit Evies Seil. ,,Dad beobachtet gern Vögel."
Aiden schaut zu dem Mann, welcher in den Himmel starrt und lächelt Evie an.
Unwillkürlich muss er an die ,,Schleiereule" von gestern denken.
,,Ganz bestimmt.", antwortet er dem Teenager und dann geht es auch schon bergauf.
Evie kommt nur sehr langsam voran und Lucas nimmt die gleiche Position ein wie Aiden und sichert seinen besten Freund Kal.
,,Wie läuft es bei dir?", fragt Lucas Aiden und dieser guckt ihn kurz an.
,,Ganz gut, ich habe das auch schon ein paar Mal gemacht."
,,Bis zur Spitze? Wie lange hast du dafür gebraucht?", ist nun Lucas Interesse geweckt.
Aiden beobachtet weiterhin Evie und versucht, so verärgert wie möglich auszusehen.
Er ist überhaupt nicht überrascht, dass Lucas ihn als Konkurrenten sieht.
,,Ich habe die Zeit nicht gestoppt.", sagt er schließlich, ,,Und die interessiert mich auch gar nicht."
,,Na dann hat es bestimmt lange gedauert.", meint Lucas belustigt.
Bei dieser Aussage beißt Aiden schmerzhaft die Zähne zusammen.
,,Was, ich bekomme keine Antwort? Dann werde ich wohl recht haben.", stichelt er weiter und schaut bis zur Spitze. ,,Wie lange habe ich wohl gebraucht? Vielleicht ungefähr so fünf oder zehn Minuten? Du warst deutlich langsamer. Also würde ich dich auf zwanzig Minuten schätzen. Ab dreißig tun dann bestimmt die Arme weh."
,,Evie, ist alles in Ordnung da oben?", ruft er dem Mädchen zu.
Die einzige Möglichkeit, seine Wut im Zaun zu behalten, ist Ablenkung.
,,Ich muss nur kurz durchatmen.", antwortet sie und grinst zu den Jungs herunter, ,,Aber alle ist gut, keine Sorge."
Sie ist gerade einmal bei der Hälfte und macht nur sehr kleine Fortschritte.
Lucas will gerade erneut zum Sprechen ansetzen, aber Aiden lässt ihn gar keine Chance.
,,Pass lieber auf, dass du das Seil straff hältst."
Lucas schaut zu seinem Kumpel herauf und sieht, dass Kal mittlerweile sehr weit vorangekommen ist und das Seil nur noch locker herunterhängt.
,,Na upsi.", kommentiert Lucas nur, strafft das aber wieder das Seil.
Kal hält sofort an und schaut herunter.
,,Hast du gerade ,upsi' gesagt, Lucas? Ist alles okay? Muss ich mir Sorgen um mein Leben machen?"
,,Nein, nein - alles gut soweit!"
Mittlerweile ist Evie oben angekommen und sieht sehr verschwitzt, aber auch ziemlich stolz aus.
,,Gut gemacht.", lobt Aiden und löst die Seile.
,,Ich wusste, ich bin eine der langsameren, aber dafür habe ich es sicher nach oben geschafft. Bin ich stark genug, um dein Gegengewicht zu sein?", fragt sie Ben und dieser gibt sein Einverständnis.
,,Bist du."
Lucas dreht sich herum und sieht Lucas, wie er ebenfalls die Seile löst und sich neben Gabby stellt.
Als sich ihre Blicke begegnen, schaut Lucas schnell weg und auf ihn wirkt es so, dass er sich jetzt nicht mehr mit Aiden in Sachen Schnelligkeit messen will. Er lacht auch nicht über ihn, sondern sieht teilnahmslos zu Gabby herüber.
Aiden überlegt kurz, entscheidet sich dann dafür und beginnt, die Zeit zu stoppen.
Die Felswand ist trocken und er hat genug Möglichkeiten, seine Füße zu platzieren. Er ist ein vorsichtiger Kletterer und versucht, die Felswand so wenig wie möglich mit dem Oberkörper zu berühren.
,,Mach ich das richtig so?", fragt Evie an Ben gerichtet.
,,Ja, perfekt.", antwortet er nach einem kurzen Blick nach drüben.
Als Aiden endlich oben ankommt, brennen seine Schultern und er atmet flach. Dann sieht er auf seine Uhr. Genau sechs Minuten und zweiunddreißig Sekunden. Er späht über den Rand nach unten und Lucas steht mit dem Rücken zu ihm und redet immernoch mit Gabby.
,,Ich komme wieder herunter.", ruft er und macht sich auf den Weg.
Als er unten ist, gibt er Ben ein Zeichen und dieser löst alle Seile.
,,Heute warst du echt schnell. Erinnerst du dich noch an deinen ersten Aufstieg?", lobt ihn Ben.
Evie sieht zwischen den beiden Jungs hin und her.
,,Was ist damals passiert?"
Ben antwortet für ihn und streckt ihm spielerisch die Zunge raus. ,,Du bist nicht mal bis zur Hälfte gekommen und warst schon außer Atem."
Eindringlich schüttelt Evie ihren Kopf, sodass ihr Haar hin und her fliegt.
,,Nicht im Ernst. Das glaube ich keine Sekunde lang."
,,Nun ja, er war... also... du weißt schon, Aiden.", piekst ihm Ben in den Bauch.
Schnell packt Aiden seine Hände. ,,So dick war ich nun auch wieder nicht.", schmollt er.
,,Nun bist du ja trainiert.", gibt Ben nach, neckt ihn dann aber weiter.
,,Das grenzt schon fast an ein Wunder, dass du jetzt so schnell geworden bist."
Nebenbei schaut er an die Stelle, wo Richard immernoch in Gedanken versunken dasteht und Vögel beobachtet.
,,Richard, wir machen erstmal eine Pause.", holt er den Mann zu sich.
,,Planänderung. Wir gehen doch zurück und essen dort.", teilt er allen mit uns gemeinsam machen sie sich auf den Rückweg.
Diesmal führt Connor die Gruppe an und eine Gabby mit geröteten Wangen folgt Lucas sehr dicht.
Aiden hat das Gefühl, dass sich Gabby immer mehr in das Trio einfügt.
Connor sieht glücklich aus, weil Gabby nun nicht mehr an seinem Arsch klebt.
Langsam lässt sich Aiden zurückfallen und bleibt dann auf der Höhe von Richard.
Er ist froh, dass Richard mit Reden anfängt, denn so muss er kein Gespräch anfangen.
Mandy erklärt jedem Helfer, dass sie sich bemühen sollen, dass jeder aus der Gruppe Anschluss findet.
Kal und Hugh verschwinden langsam aus dem Sichtfeld und Lucas und Gabby warten an der Seite vor der Zugbrücke.
Es ist nicht wirklich eine Zugbrücke, aber Mandy nennt sie immer so, weil sie über einem breiten, tiefen Flussbett hängt, wo langsam schlammiges Wasser entlang fließt.
Aiden passt auf, dass die Leute hinter ihm auch anhalten und als alle da sind, betritt er vorsichtig die morsche Brücke.
Für den Rückweg haben sie einen anderen Weg gewählt, der ein wenig kürzer ist, damit sie mehr Pause und mehr Zeit zum Essen haben.
Als er einen Fuß auf die Brücke setzt, wackelt diese sehr stark und als er den zweiten Fuß ebenfalls darauf platziert, schwingt sie noch mehr hin und her.
Aiden schätzt es als relativ gefährlich ein, diese mit mehreren Personen gleichzeitig zu überqueren.
,,Das erinnert mich sehr an Jurassic Park.", murmelt Evie, als sie die Brücke betritt und Aiden sicher drüber gelaufen ist.
,,Was ist hier los?", fragt Gabby, die mal wieder gar nichts kapiert.
Sie betritt ebenfalls die Brücke und Aiden springt erschrocken auf.
,,Nicht!", schreit er laut, doch es war schon zu spät und das morsche Holz bricht auseinander.
Aiden zögert keine Sekunde und springt den Mädchen hinterher.
Als er sie Oberfläche des kalten Wassers durchbricht, bleibt ihm für ein paar Sekunden die Luft weg und er schluckt ausversehen etwas von dem dreckigen Wasser.
Als er an die Oberfläche kommt, sieht er Lucas und Gabby laut lachen, die sich vor lauter Anstrengung den Bauch halten.
Gabby muss schnell zurückgesprungen sein, als sie sah, wie die Brücke zusammenbrach und ist somit verschont geblieben.
Aiden sieht schnell weg und schwimmt zu der Bruchstelle, wo beide Enden zerbrochen im Wasser hängen.
Schnell zieht er Evie heraus und das Lachen stoppt.
,,Sorry Aiden.", sagt Lucas, kann aber nicht ernst bleiben und lacht erneut laut los.
Sie gehen wieder zu dem Felsen und nehmen dann den gleichen Weg wie auf dem Hinweg.
Aiden hatte noch ich nie eine so große Wut auf das Mädchen in High Heels wie momentan.
,,Du solltest einfach nur warten und nicht mal das bekommst du hin.", schnauzt er sie voll.
,,Oh, ich wusste nicht - "
,,Was weißt du überhaupt?", fragt Aiden bissig.
Sprachlos starrt sie ihn an und geht dann so schnell wie es ihr in den hohen Dingern möglich ist, von ihm weg.
Lucas schaut peinlich berührt auf den Boden und meidet jeden Blick in Aidens Richtung.
Als sie nach viel zu langen fünfzehn Minuten im Dorf ankommen, verschwindet Evie kurz und kommt dann brennend mit einem Handtuch in der Hand auf ihn zu.
,,Alles okay? Wirst du krank.", fragt sie fürsorglich.
,,Nein, glaube ich nicht. Alles gut.", sagt Aiden nett.
,,Ich gehe noch schnell duschen und komme dann nach.", teilt er ihr mit.
Evie mustert ihn noch einmal besorgt von oben bis unten, lässt ihn dann aber alleine und macht sich auf den Weg in die Hütte.
Connor klopft ihm aufmunternd auf die nasse, schlammige Schulter, als wäre es das Normalste der Welt, freiwillig jemand dreckiges anzufassen.
Ben lacht laut los und Aiden versucht, so böse wie möglich zu schauen.
,,Komm, Evie, wir gehen.", sagt er und zieht das grinsende Mädchen am Arm mit sich.
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