20. Die Sackgasse aller Sackgassen
Und hier liege ich nun, in der größten Sackgasse meines Lebens. Eben noch auf dem Höhepunkt meiner Karriere, über meine Brüder triumphierend, inmitten meines wohlverdienten Siegesrausches, nur um sofort von meiner Nemesis überwältigt zu werden.
Wie hat The Brain nur so schnell herausgefunden, womit er mich besiegen kann? Ich bin nicht einmal dazu gekommen, mich ernsthaft gegen ihn zu wehren, so schnell hatte er mich außer Gefecht gesetzt.
Er hat mein Kryptonit gefunden und eiskalt gegen mich verwendet.
~White Noise?~, ich kann es nicht fassen. ~White Noise?! Gemeinheit, monotones Rauschen gegen mich einzusetzen! Das verstößt bestimmt gegen irgendeine Menschenrechtskonvention!~
The Brain lacht nur. "Tja, was soll ich sagen: Superschurke! Ich mache meine eigenen Regeln. Muarharharhar!"
~Wie bist du überhaupt auf meine Schwachstelle gekommen? Ich meine, fliegst du öfters durch die Welt und beschallst wahllos Menschen mit irgendwelchen monotonen Geräuschen?~ Irgendetwas muss da doch dahinterstecken.
"Sagen wir einfach, ich habe Erfahrung auf dem Gebiet", schmunzelt The Brain, was durch seine Kopfbedeckung erneut blechern verzerrt wird, "deshalb habe ich meinen Helm entsprechend ausgerüstet."
~Das ist alles dein verdampfter Helm!~, schimpfe ich, die Stirn vorwurfsvoll gerunzelt. ~Ohne deinen Helm wärst du nichts!~
The Brain scheint von meinem Vorwurf nicht im Mindesten beeindruckt: "Vergiss meinen Umhang nicht. Der gehört auch zu meiner Grundausstattung."
„Meine Superkraft liegt eben nicht in meinen Muskeln, sondern in meinen grauen Zellen", fährt er schulterzuckend fort, „Mit ein bisschen Pappe, Büroklammern und Tapetenkleister kann ich alles zusammenbauen, was ich brauche. Zum Beispiel auch einen Helm mit integriertem Noise-Cancelling-Kopfhörer und White-Noise-Generator. Bringt garantiert jedes Baby zum Schlafen."
Ich schnaube verächtlich, für mich klingt das nach Schummeln.
"So ist das heutzutage: Den Nerds gehört die Welt!", klärt The Brain mich mit einem deutlich besserwisserischen Unterton in der Stimme auf.
Der Kerl ärgert mich maßlos. Innerlich taufe ich ihn auf den Namen Lord Helmchen. Hab ich mal in irgendeinem Film gehört, und ich finde, es passt viel besser zu ihm als The Brain.
Angestrengt versuche ich erneut, meine Superkräfte heraufzubeschwören, doch, vergebens. Kein einziger Fussel bewegt sich. Zuckerwatte und Popcorn sind ebenso wie mein geliebter Buggy auf dem Riesenrad zurückgeblieben. Und auch mein Schluckaufverteiler will mir nicht gehorchen.
"Deine Kräfte haben dich verlassen, harharhar. Du wirst wohl hilflos darauf warten müssen, dass deine Brüder dich retten kommen. Aber sorge dich nicht, sie sind schon unterwegs!"
Warum lacht er denn dann immer noch, wenn meine Brüder auf dem Weg sind? Sie werden mich retten und ihm kräftig in den Allerwertesten treten! Trotz allem, was in letzter Zeit passiert ist, oder auch gerade deswegen. Meine Brüder sind nämlich die größten Superhelden aller Zeiten!
Also, fast, nach Superman, Batman und Spiderman. Aber sie sind ja auch noch im Wachstum.
~Die drei werden dich besiegen, dich und deinen blöden Helm! Dann kannst du ja mal schauen, ob du dann immer noch so laut lachst!~
"Mich besiegen?" The Brain lacht, demonstrativ. "Niemals, denn diesmal bin ich perfekt vorbereitet. Sobald sie die Halle betreten, werden meine speziellen Superhelden-Knockout-Spinnennetze sie in Empfang nehmen. Sie haben keine Chance!"
Erst jetzt sehe ich mich in der Halle um, in der wir uns befinden. Es scheint eine verlassene Industriehalle zu sein, in den Ecken liegt allerhand Gerümpel und einige mit Graffiti verzierte Säulen tragen die hohe Decke.
~Was zum ...?~ Hoch oben, zwischen den Säulen und an den Wänden hängen mehrere grazil wirkende, silberne Gebilde, die bei näherem Hinsehen tatsächlich etwas an Spinnennetze erinnern.
"Da staunst du, was? Das ist eine spezielle Spezialanfertigung, extra für deine Brüder. Sie werden sich darin verfangen und sofort einschlafen, ihrer Kräfte beraubt. Und dann, dann kann mich niemand mehr aufhalten! Muarharharhar!"
Es ist eine Falle. Das Ganze ist eine riesige Mausefalle, mit mir als Köder, und sobald meine Brüder die Halle betreten, wird sie unbarmherzig zuschlagen. Ich muss sie warnen, ich muss ihn aufhalten. Nur wie? Mein Kopf ist vom dringenden Bedürfnis zu schlafen wie leergefegt.
Der Regen rauscht unvermindert auf das Blechdach und erzeugt das monotone Rauschen, das mich nach wie vor bewegungsunfähig macht. Jetzt muss er noch nicht einmal mehr seinen Helm dafür verwenden. Es ist, als hätte die Natur sich gegen mich verschworen.
Ich spüre schon, wie meine Augenlider zufallen, als mir plötzlich noch ein ganz anderer Gedanke kommt. ~Woher sollen meine Brüder eigentlich wissen, wo wir sind?~
Ich bin mir nicht ganz sicher, wie ich das finden würde. Auf der einen Seite wären die drei dann in Sicherheit. Auf der anderen Seite habe ich keine Lust, hier tagelang rumzuliegen, während meine Brüder wie Odysseus durch's Mittelmeer beziehungsweise die Stadt irren.
"Keine Sorge", kichert Lord Helmchen. "Ich habe deinen Brüdern eine Spur aus sprichwörtlichen Brotkrumen hinterlassen, der sie einfach nur folgen müssen. Das schaffen sogar die drei Dumpfbacken."
Bis eben wusste ich nicht, dass man gleichzeitig beunruhigt und erleichtert sein kann. Man kann.
"Wenn wir hier gerade so vertraut ein Schwätzchen halten, willst du mir nicht endlich deinen Namen verraten? Wir haben außer Däumchen drehen ja eh nichts zu tun, bis deine Brüder hier auftauchen."
~Pah! Meinen wahren Namen erfährst du niemals. Nenn mich einfach ...~ Ich stocke.
"Na los, lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen! Wie soll ich dich denn jetzt nennen?"
Gerade will ich Luft holen, um ihm zu antworten, da werden wir vom Eintreffen meiner Brüder unterbrochen.
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