Caleb
Caleb fluchte in seiner Sprache während er die Straße entlang ging. Kleine Steine bohrten sich in seine Haut die er durch starke Hornhaut jedoch nicht spürte. Eine seiner Krallen traf auf einen dieser Steine und zerschlug ihn in mehrere, kaum erkennbare Splitter. Das machte ein grässliches Geräusch und so mancher Mensch wäre dabei zusammengezuckt, doch Caleb zeigte keine Reaktion.
Mit schnellen Schritten ging er weiter, immer heftiger auftretend, die Landstraße entlang.
Eigentlich wusste er nicht warum er so wütend war. Ihm hätte klar sein müssen das sein Vater ihm ausgerechnet diese Aufgabe gab. Keines seiner Kinder konnte er so wenig leiden wie Caleb und eigentlich hatte sich dieser in den letzten hundert Jahren auch daran gewöhnt, aber dennoch...
Es war frustrierend immer der letzte zu sein, der dessen Name er am Öftesten vergaß, der den er insgeheim für immer auf irdeschem Boden wissen wollte.
Calebs Lippe begann zu bluten als er seine spitzen Eckzähne in sie bohrte. Der süße Geschmack kam in seinen Mund als er die weiße Flüssigkeit mit seiner spitzen Zunge in seine Speiseröhre beförderte und ließ ihn kurz auf seufzen. Endlich etwas vertrautes in dieser verfluchten, von Gott geschaffenen Welt. Sein Kopf fuhr plötzlich hoch und seine Flügel zuckten als er ein Auto hörte. Es näherte sich mit einer hohen Geschwindigkeit und Caleb konnte den beißenden Geruch von Alkohl vernehmen.
Sein Schritt verlangsamte sich und als das Auto nur noch ein paar hundert Meter entfernt war trat er ihm entgegen. Der Fahrer bemerkte ihn spät und hielt gerade noch rechtzeitig an.
„Scheiße Mann!", rief er laut, während er die Autotür zuknallte. Er sprach Französisch, mit einem starken quebecanischem Akzent. „Sie können doch nicht einfach – Oh Gott!" Caleb machte ein enttäuschtes Gesicht und schnalzte.
„Ich bezweifle stark das er so gut aussieht wie ich", antwortete Caleb in perfektem Französisch. Der Mann begann trotz des angenehmen Juni Wetters zu zittern und stotterte unzusammenhängende Bruchteile eines Satzes. „S-Sie...S-sie...A-aber...i-ich...d-d-as k-k-kann d-doc-ch -" Caleb seufzte genervt und schnippte mit den Fingern. Der Mann kippte um und blieb regungslos liegen. Caleb ging zum Auto und setzte sich hinein. Er brauchte nur eine Berührung mit dem Lenkrad um zu wissen wie das Auto funktionierte. Er drehte den Schlüssel und trat aufs Gas. Als er über den Kopf des ehemaligen Fahrers fuhr machte er ein Geräusch, als würde man eine Wassermelone langsam zerquetschen.
-*-
Caleb betrachtete sie. Er konnte sich nicht vorstellen warum sie besonders sein sollte. Warum sie wertvoll sein sollte. Er kniff seine wimpernlosen Augen zusammen und sah sie sich genauer an. Sie sah aus wie jeder einjährige Mensch; verschorft, versabbert und mit kurzen Haaren. Sie hatte rosige, Pausbäckchen die Grübchen bekamen wenn sie mit ihren wenigen, kleinen Zähnen lächelte. Wenn Caleb ein Mensch gewesen wäre hätte er sie vielleicht zuckersüß gefunden, aber da er keiner war konnte er das nicht wissen.
Er kletterte ein Stück herunter, blieb aber noch soweit oben das sie ihn nicht sehen konnte, das hatte sein Vater ihm immer und immer wieder eingeschärft; sie durfte ihm auf keinen Fall begegnen. Ihn niemals sehen. Caleb wusste nicht warum, aber es war ihm auch egal. Es war nicht relevant für seine Aufgabe.
Sie rannte in dem Garten hin und her und schlug mit einer Schaufel immer wieder auf einen Blumentopf ein. Jedes mal wenn das klackende Geräusch erklang lachte sie auf. Es war ein quiekendes, babyhaftes Lachen. Ihre Mutter saß auf der Terasse und sah ihr dabei zu während sie Mangosaft trank. Caleb konnte dessen fruchtiges Aroma riechen und die Kohlensäure seinen Baum hinauf spüren. Irgendwann hörte sie auf den Blumentopf zusammen zu schlagen und legte sich in das Gras unter dem Baum auf dem Caleb hockte. Sie flüsterte leise vor sich hin, es waren keine wirklichen Worte, eher Laute und dennoch hatte Caleb das Gefühl als würde sie ihn ansprechen, mit ihm reden.
Dieses Gefühl behielt er über die Jahre bei und als sie dann das erste Mal mit vier fragte: „Oder was meinst du großer Dämon?", war er sich ganz sicher das sie seine Anwesenheit spüren konnte. Das war jedoch kein Anlass jemals auf ihre Fragen zu antworten oder sich ihr gar zu zeigen. Das ließ er bleiben und blieb brav ihr stiller Begleiter.
Desto älter sie wurde, desto mehr sprach sie mit ihm, was andere Menschen abzuschrecken schien. Sie verbrachte ihre Nachmittage immer und immer öfter unter der Tanne unter die sie sich schon als Kleinkind gelegt hatte. Die ersten Jahre spielte sie dort mit ihrer Stoffeule, dann machte sie unter der Tanne ihre Hausaufgaben und später las sie Bücher. Und irgendwann war sie nur noch unter den schützenden Ästen des Baumes.
Es störte ihn keinesfalls das sie so nah bei ihm war, so konnte er sie und ihre Entwickelung besser im Blick behalten, doch so war es anstrengender für ihn sich aus ihrem Blickfeld zu halten.
Er verstand nicht so ganz was so falsch daran war das sie mit einem, der Leute nach ausgedachten, Dämon redete, aber das war auch irrelevant für seine Aufgabe weswegen er sich mit dem Thema nicht weiter beschäftigte. Für den Moment.
Aber die Gedanken über die Abgeneigtheit der Menschen gegen sie und deren Ursachen verschwanden nicht und peinigten ihn solange bis er es kaum noch schaffte an etwas anderes zu denken.
Er wusste nicht warum aber es machte ihn wütend das niemand Zeit mit ihr verbringen wollte. Sie schien das nicht zu stören, sie war zufrieden damit mit ihm über ihr Leben zu sprechen obwohl er nie antwortete. Sie zeigte nie ein Zeichen von Frusttration oder Ärgernis. Jedesmal wenn er in ihr porzellanartiges Gesicht blickte sah er diese kleinen Grübchen. Und aus irgendeinem Grund machte ihn das noch wütender und brachte ihn dazu sie auf seine eigene Weise zu hassen.
Nicht wie er alle Menschen hasste sondern persönlich.
-*-
Er saß wieder auf der Tanne, wie vor sechszehn Jahren und wie seit dem eigentlich immer. Seine Augen waren auf ihre goldene Haarpracht fixiert. Sie war zu einer unsagbar schönen jungen Frau geworden mit großen, grün-braunen Augen, von Sommersprossen gesprenkelte, milchigweiße Haut und schlanken Fingern, die alle paar Minuten eine gelbliche Seite des Buches umblätterte welches sie gerade las. Caleb meinte das es „Das Lächeln der Frauen" war, denn das war das letzte Buch mit dem er sie gesehen hatte. So wie er sie so betrachtete, fühlte er neben der immer währenden Wut gegen alle Menschen die sich von ihr fernhielten, eine Wärme in sich aufsteigen. Es war eine andere Art von Wärme als die kochende Wut. Es war eine angenehme, kribbelnde Wärme. Sie erinnerte ihn an das Karminfeuer welches in dem Hause der Gautier's an Weihnachten traditionell vor sich hin knisterte.
Dennoch fühlte er sich dabei seltsam. Es war ein ungewohntes Gefühl, er hatte soetwas noch nie zuvor gefühlt. Aus diesem Grund entschied er sich dazu das es nicht richtig war und versuchte das Gefühl zu verscheuchen und es zu ignorieren, doch es half nichts.
Es war wie damals mit den wütenden Gedanken. Er hatte auch versucht sie nicht zu beachten, aber sie waren doch nur schlimmer geworden. Die nächsten Tage waren schlimm für ihn. Diese ganzen Emotionen machten ihn fertig und erschöpften ihn. Vorallem wie sie von Tag zu Tag stärker wurden, machte ihm zu schaffen. Er konnte sich kaum noch auf etwas konzentrieren und war sogar unvorsichtiger wenn es darum ging das sie ihn nicht sehen sollte. Ab und zu konnte sie den Blick auf eine Krallen besetzte Hand oder einen Teil seiner Flügel erhaschen. Jedes Mal wenn das passierte bat sie ihn sich ihr zu zeigen doch er kam ihrer Bitte nicht nach. Er weigerte sich strikt dagegen und bis zu dieser Nacht zog er es nicht einmal in Erwägung.
Aber in dieser Nacht dachte er weiter als was sein Vater von ihm verlangte. Er dachte außerhalb der Mauern. Warum hielt er sich eigentlich daran was sein Vater ihm gesagt hatte? Nie hatte er auch nur eine Berichterstattung haben wollen oder hatte mal nach Caleb gesehen um sicher zu sein das ihn auch keiner der Menschen mit einer Pistole getroffen hatte...Vielleicht war sie gar nicht so besonders, so wertvoll...Vielleicht wollte er einfach nur eine Beschäftigung für Caleb damit er ihn nie wieder sehen musste...
„Wenn die Zeit reif ist werde ich nach dir schicken damit du sie mir bringen kannst" Das hatte er gesagt. Aber es waren sechszehn Jahre vergangen und die Zeit war immernoch nicht reif. Caleb schnaubte und richtete seinen Blick wieder auf ihr Fenster wo er sie gut sehen konnte. Er hörte ihr schweres Atmen und das leise Schnarchen was in ihm wieder diese kribbelnde Wärme aufsteigen ließ.
Und während er sich über diese ärgerte und sie verfluchte, fiel ihm auf das sein Hass auf das Mädchen verschwunden war. Und der Hass auf Menschen auch. Die kochende Wut war weg. Einfach futsch. Bestürzt gab er einen überraschten Laut von sich und sah an sich herunter, in der Angst es hätte sich auch etwas an seinem Äusseren geändert. Doch er schien noch so auszuschauen wie bei seiner Landung auf der Erde. Er zog die Augenbrauen zusammen.
Irgendetwas war hier ganz faul und lief gewaltig falsch. Er begann zu zittern. Was war hier los?! Was veränderte sich hier mit ihm?! Er fiel fast vom Ast als ihm das Licht aufging welches ihm schon viel früher hätte aufgehen müssen. Das musste Liebe sein. Obwohl es so gar nicht so anfühlte wie das was ihm beschrieben wurde: schreckliche Schmerzen, grauenhafte Atemprobleme und einer seiner hunderttausend Bruder hatte von „Schmetterlingen im Bauch", gesprochen. Aber Caleb spürte nur ein angenehmes Kribbeln und das verwirrte ihn, denn er wusste das dieses Gefühl Liebe sein musste. Sein Blick glitt zurück zu ihr. Sie lag nun auf dem Bauch statt auf der Seite und sabberte in ihr Bettlaken. Seine Mundwinkel zuckten augenblicklich. Und für ihn war das wie eine Bestätigung.
-*-
Ihre Eltern reisten am nächsten Morgen früh ab um Freunde zu besuchen. Sie blieb daheim und kam zur Mittagszeit aus dem Haus, ein neues Buch in der Hand. Doch sie setzte sich nicht wie die vorherigen Male unter die Tanne und las, sondern blieb einige Meter entfernt stehen und suchte die Baumkrone nach etwas ab. Caleb wusste das er es war nach dem ihre grün-braunen Augen jagten. Doch er blieb in seinem Versteck und beobachtete sie wie sie dort barfuß in ihrem geblümten Sommerkleid stand und mit zusammen gezogenen Augenbrauen hinaufschaute.
„Traust du dich heute mich dir zu zeigen, großer Dämon?"
Caleb blieb still wo er war, doch seine Gedanken rasten. Spielten alle Szenarien durch die jetzt passieren konnten und als sie ein leises Seufzen von sich gab, bewegten sich seine Flügel von allein. Sie trugen ihn durch die Baumkrone und hinab zu ihr auf das sonnenbeschienene Gras. In dem Moment in dem er das tat, wurde ihm klar das er den Glauben und das Vertrauen zu seinem Vater verloren hatte und nun nicht mehr das tuen würde was er ihm geraten hatte. Als sie ihn erblickte wurden ihre Augen groß wie Golfbälle und ihr Mund öffnete sich ein kleines Stück. Wie Jagdhunde liefen ihre Augen über seinen Körper, musterten seine schwarzen, schuppigen Flügel, seine Krallen die seine Hände statt Nägel zierten, die rot-braunen, wimpernlosen Augen und den nackten, blassen Oberkörper.
„H-hallo großer Dämon. Mein Name ist-"
„Ich fand auch du hättest das lilane Plüschhäschen bekommen sollen, ich fand aber nicht das Lara es nicht verdient hat von Marie mit Sand beworfen zu werden, und ich fand das du die Sandalen in 34 statt 33 hättest kaufen sollen, die Hausaufgaben abzuschreiben ist keine Sünde,damit kenne ich mich aus, und ja Deutsch ist eine dumme Sprache und das rote, bodenlange Kleid sah bei Weitem am Besten aus, und dein Tanzpartner hatte eine grauenhafte Fliege und ja das Ende von Vampire Academy hätte nicht besser sein können"
Er holte keine Luft denn Sauerstoff brauchte er nicht. Aufgeregt schaute er sie an. Wasser sammelte sich in ihren Augen und lief nach und nach ihre Wangen hinab. Was ihn am meisten verwirrte war das sie gleichzeitig lächelte. Er runzelte die Stirn. „Was-" Aber weiter kam er nicht.
Sie ließ das Buch fallen und legte ihre Arme um seinen Oberkörper. Er brauchte einen Moment um zu verstehen das sie ihn umarmte, wie Menschen das manchmal taten, und das keine Art Angriff war. Vorsichtig, um das Kleid mit seinen spitzen Krallen nicht zu zerstören, legte er die Hände an ihren Rücken.
Sie schob ihn ein wenig von sich und verschränkte ihre Arme in seinem Nacken. Strahlend verkündete sie ihm: „Ich heiße Evangeline" Er schluckte und erwiderte trocken:
„Caleb"
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