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Lost & Found




Jake ist gestern Abend erst sehr spät nach Hause gekommen. Mr. Rivera hat ihn mehrfach auf seinem Handy angerufen, um sicherzugehen, dass alles in Ordnung ist. Und als Jake endlich zur Tür reinkam, war Mr. Rivera schon lang und breit am Diskutieren mit seiner Frau, wie er mit Caitlin umgehen sollte.

Doch der Anblick seines verschneiten Sohnes brachte Mr. Rivera auf die perfekte Idee, ein wenig Weihnachtsstimmung in Caitlins Herz zu zünden. Ob sie nun wollte oder nicht, diese Strafe würde dafür sorgen, dass sie gar nicht anders konnte.

Mit einem leichten Lächeln begrüßt Mr. Rivera die Schülerin, die sich zögerlich in den Stuhl vor seinen Schreibtisch setzt.

„Sie lächeln", bemerkt sie und blickt sich unsicher um. Caitlin hat Angst vor dem, was Mr. Rivera sich überlegt hat. Ob er mit ihren vorherigen Schulen zusammengearbeitet hat. Ob er sich doch an die Polizei gewendet hat. Alles wäre denkbar und dennoch hat sie einen leichten Hoffnungsschimmer, dass er immer noch das Potenzial in ihr sieht, von dem er die ganze Zeit spricht.

Caitlin lag gestern, genau wie Mr. Rivera, lange wach und hat darüber nachgedacht, wie sie ihn umstimmen kann, sollte er sie doch bei der Polizei verpfeifen wollen. Wenn er sie davonkommen lässt, dann würde sie versprechen, nie wieder zu Sprayen. Es wäre hart für sie, aber sie würde es versuchen. Sie würde sogar endgültig aus den Malost austreten, wenn es sein musste, um Mr. Rivera zu beweisen, dass sie es ernst meinte.

Denn so sehr sie das Sprayen liebte, ist es doch wichtiger nicht im Knast zu landen. Wie soll sie jeden Abend ihrem Vater beim Einschlafen helfen, ihm seine Geschichten vorlesen, wenn sie hinter verschlossenen Gittern sitzt? Richtig, gar nicht.

Mr. Rivera räuspert sich, schiebt sich unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Bis eben war er vollends überzeugt, dass seine Idee angemessen ist. Doch jetzt mustert er Caitlin, überlegt, ob er sie wirklich in das Haus einladen sollte, das ihm so wichtig ist.

Seine Frau ist eine hoch anerkannte Kinderpsychologin und hat Mr. Rivera ihren Segen gegeben und das ist das Einzige, was ihn schlussendlich doch die folgenden Worte sagen lässt: „Du wirst Sozialstunden im Lost & Found ableisten."

„In einem Fundbüro?", stöhnt Caitlin auf und rutscht theatralisch vom Sessel. Mr. Rivera sieht auf sie hinab, verzieht die Mundwinkel zu einem kurzen Lächeln, bevor er mit den Schultern zuckt und vage antwortet: „So könnte man es auch nennen."

*

Caitlin kann schon von Weitem das beige Haus mit dem dunkelroten Ziegeldach sehen. Es wirkt größer als sie gedacht hätte und hat einen großflächigen eingezäunten Außenbereich, der bis in den angrenzenden Wald hineinreicht. Am Waldrand taucht eine schwer bepackte Gestalt auf, die Caitlin mit einer Axt in der Hand zuwinkt. Mit dem rechten Arm hält er einige Holzscheite fest, die er sich über die Schulter geworfen hat.

Mit jedem Schritt, den er näherkommt, erkennt Caitlin, dass ihr sein Gesicht bekannt vorkommt, kann aber noch nicht den Finger drauflegen. Das kantige Kinn, seine weißen Zähne, die zum Vorschein kommen, als er lächelt.

All das nimmt Caitlin in sich auf und überlegt gleichzeitig, ob sie nicht doch wieder umdrehen sollte. Schließlich hat der Typ eine Axt in der Hand.

„Hey, ich bin Jake, mir wurde schon gesagt, dass du heute kommst. Dich unter die Fittiche nehmen und so."

„Ich brauche niemanden, der auf mich aufpasst", entgegnet Caitlin mit verschränkten Armen vor der Brust. Jake mustert sie von oben bis unten, seine Lippen umspielt ein leichtes Schmunzeln, aber dann zuckt er mit den Schultern.

„Sag Bescheid, wenn du es dir anders überlegst", sagt er und geht an ihr vorbei ins Haus. Als er bemerkt, dass Caitlin nach einer kurzen Überlegungsphase ihm widerwillig mit stapfenden Schritten folgt, muss er dann doch in sich hineinlächeln. Sie ist eben genau so, wie er ahnte, dass sie sein würde. Stur, aber verunsichert in einer Umgebung, die sie nicht kennt.

Jake öffnet Caitlin die Tür und lässt sie eintreten. Der schmale Flur ist mit hellem Holz vertäfelt, aber die linke Wand ist schwarz gestrichen und mit Kreide wurden die Hausregeln aufgeschrieben. Irritiert sieht Caitlin sich genauer um. Es ist wohlig warm und die unterschiedlichen Jacken und Schuhe in verschiedenen Größen verraten ihr, dass hier Kinder wohnen.

Caitlin zieht die Schuhe im Flur aus, macht es Jake nach, der sich bereits im Spiegel betrachtet, während er seine Mütze vom Kopf nimmt. Darunter kommen kurze dunkle Locken zum Vorschein. Caitlin streicht ihre Haare glatt, ohne dabei in den Spiegel zu sehen, obwohl Jake einen Schritt beiseite geht, um ihr Platz zu machen. Doch Caitlin will nicht in ihn hineinsehen, schon seit Jahren nicht mehr und so wendet sie sich bewusst davon ab, was Jake unkommentiert lässt. Dennoch bemerkt er es, wundert sich über diese altruistische Eigenart, die er so nicht von Caitlin erwartet hätte.

Denn auch wenn er sie nicht gut kennt, so weiß Jake doch einiges über sie. Durch ihre Kunstwerke bildet er es sich jedenfalls ein. Dass er sie verstehen würde, verstehen könnte. Dass ihre Bilder wie ein Blick in ihre Seele sind. Und er ist bereit hineinzusehen.

So sieht er jetzt auch ihren Schmerz, der sich kurz über ihr Gesicht erstreckt, als sie am Spiegel vorbeigeht. Denn auch wenn sie sich nicht dabei ansieht, weiß Caitlin um die Spiegelung, den Beweis, dass sie lebt. Und den Preis, den sie dafür zahlen musste.

„Also", beginnt sie und knetet ihrer Finger nacheinander, um Zeit zu schinden, damit sie herausfinden kann, wie sie es am besten formuliert: „Das hier ist kein Fundbüro."

„Ein Fundbüro?", Jake lacht laut auf, während er seine Jacke aufhängt. „Warum sollten wir ein Fundbüro sein?"

Als Caitlin nicht antwortet, dreht er sich ruckartig zu ihr um.

„Du dachtest, Lost & Found sei ein Fundbüro?"

„Es heißt Lost & Found", erwidert Caitlin, als sei das Antwort genug für ihre Vermutung.

„Aber hier sind anscheinend ganz schön viele Kinder", lenkt sie ein. „Wollten die Eltern nichts mehr mit ihnen zu tun haben oder so?"

Jake hustet bei dem Satz und im selben Moment sieht Caitlin, wie ein kleiner brauner Lockenkopf sich lautlos zwischen Jake und sie geschoben hat. Mit seinen haselnussbraunen Augen, die eher der Größe einer Walnuss ähneln, schaut er zu ihr rauf und sagt mit einem Achselzucken: „Also meine Eltern sind tot. Deswegen bin ich hier."

Die plumpe Antwort lässt Caitlin auflachen.

„Guter Witz", gibt sie zurück und grinst in die großen dunklen Augen des kleinen Jungen. Jake klatscht nervös in die Hände.

„Henry, geh doch schonmal zu den anderen, ich kläre das hier." Der braune Lockenkopf verschwindet genauso geräuschlos, wie er gekommen ist und Jake sieht Caitlin durchdringend an.

„Das kannst du echt nicht bringen." Seine Stimme ist hart und ähnelt so gar nicht mehr der Leichtigkeit, die er noch vor wenigen Minuten bei der Begrüßung mitbrachte. Erschrocken weicht Caitlin einen Schritt zurück.

„Lies dir die Grundregeln durch", seine Stimme bebt, ist genauso dunkel wie seine Augen.

„Ich, es tut mir leid?" Obwohl ihr nicht bewusst ist, was sie falsch gemacht hat. Sie mustert die dunklen Augen, die sie zornig anfunkeln und überlegt, woher ihr dieses Gesicht so bekannt vorkommt, findet aber wieder keine Antwort.

Ihr Blick gleitet zu den handgeschriebenen Hausregeln an der Wand. Es sind nicht viele, lediglich drei. Jeder darf nur die eigene Geschichte erzählen oder so ähnlich. Zu mehr kommt Caitlin nicht, denn da räuspert sich Jake, wischt sich mit der flachen Hand übers Gesicht und atmet dann einmal tief durch.

Er führt sie einige Schritte den Flur entlang, von dem aus links die Küche und das Esszimmer abgehen.

„Okay, du bist hier, um zu helfen. Also, wir wollten eigentlich heute backen, aber es gab ein...Problem und deshalb verschieben wir das, bis der Elektriker kommt."

„Oh, ist der Ofen kaputt?", Caitlin sieht besorgt durch die offene Küchentür in Richtung Ofen, als könne sie anhand eines Blickes herausfinden, was damit nicht in Ordnung ist. Aber vor allem hofft sie, dass ihr Fehltritt ihr schneller verziehen wird, wenn sie Mitgefühl ausdrückt.

„So ähnlich", weicht Jake aus und kratzt sich am Hinterkopf. Es ist nicht seine Position, Caitlin zu erzählen, was vorgefallen ist, das kann einzig und allein nur Noah tun.

„Wir haben uns aber auf ein Lagerfeuer draußen im Garten einigen können."

„Deshalb also die Holzscheite", Caitlin zeigt auf den Berg hinter sich, den Jake zuvor im Flur gestapelt hat.

„Genau. Das Lagerfeuer findet dort hinten statt", Jake geht durch den Flur in ein hell eingerichtetes Wohnzimmer, das Caitlin mit dem rotbraunen Teppich ein wenig an den Gemeinschaftsraum der Gryffindors aus Harry Potter erinnert. Es sind zwei Sofas und an die Dutzend Kissen um den Kamin ausgebreitet, der sich links von einer Glastür befindet, auf die Jake nun zeigt. Auf dessen anderer Seite erstreckt sich eine weite Wiese, die an das Waldstück angrenzt.

Sie gehen hinaus, wobei Jake einige Decken über den Arm wirft. Der Garten ist eher eine leere Wiese, aber auf der Terrasse sind Möbel aufgestellt, Blumen und Kräuter in einem kleinen Hochbeet gepflanzt, und inmitten davon drei Holzbänke.

„Warum nutzt ihr nicht die Feuerstelle direkt hier auf der Terrasse?" Caitlin zeigt auf die Kuhle im Erdboden, um die Steine herumgelegt wurden. Die Holzbänke stehen in einer Dreiecksform darum. Jake schluckt. Es ist schwer, die Wahrheit zu sagen, ohne die Wahrheit zu sagen.

„Das ist Teil des Problems, das ich vorher erwähnt hatte. Wir nutzen eine andere Feuerstelle weiter weg vom Haus." Caitlin runzelt die Stirn. Die hier scheint vollkommen in Ordnung und gemütlich zu sein. Zusätzlich ist sie nahe beim Haus, falls es zu kalt wird oder jemand auf die Toilette muss.

„Das ergibt doch gar keinen Sinn, wenn ihr hier eine perfekte Feuerstelle habt." Jake stöhnt auf.

„Caitlin, bitte. Wir machen das Lagerfeuer da hinten."

„Aber warum denn? Ich verstehe das nicht."

„Das musst du auch nicht", erwidert Jake harsch und erschrickt vor sich selbst und seiner Ungeduld. Normalerweise ist er nicht so, wird von allen hier als der geduldigste und freundlichste Mensch bezeichnet. Doch irgendwas an ihrer Art, wie sie die Frage stellt, wie sie die Stirn runzelt über seine Aussagen, lässt ihn innerlich fluchen.

Aber es ist nicht ihre Schuld, dass ihr offensichtlich nicht gesagt wurde, was in diesem Haus abgeht. Und Jake sieht sich nicht in der Position, es ihr zu erzählen.

„Sorry." Caitlin sieht ihn immer noch etwas erschrocken an, rührt sich keinen Zentimeter.

„Die Feuerstelle ist da hinten, mehr kann ich nicht sagen." Er deutet mit den Decken in seiner Hand auf den Berg aus Holzscheiten, den einige Kinder bereits aufgebaut haben, und geht voraus. Caitlin folgt ihm ohne Widerworte. Schlussendlich ist er der Chef und sie muss nur ihre Sozialstunden abarbeiten. Da ist ein kurzer Spaziergang, der die Zeit rumkriegt, das kleinste Übel. Dennoch stapft sie widerwillig durch das feuchte Gras. Die Erde ist weich und matschig durch den getauten Schnee von heute Morgen und ihre Sneakers sinken darin ein. Sie waren weiß, als Caitlin hier angekommen ist, doch jetzt sind sie mit einer braunen Matschschicht bedeckt. Es könnte auch Scheiße sein. Vom Aussehen her.

Angewidert wendet Caitlin sich von ihren Schuhen ab und folgt Jake weiter durch das hohe Gras. Es dauert nicht lange bis sie bei den Kindern ankommen, die jetzt Steine um ein gegrabenes Loch legen, das einige Zentimeter tief ist.

„Sehr gut, braucht ihr noch weitere Hilfe?"

„Wir schaffen das", erwidert ein kleines Mädchen grinsend und lässt die gesammelten Steine zu ihren Füßen fallen, um sie dann zu einem Kreis anzuordnen.

„Aber mach uns auch Smores, ja?"

„Klar", Jake zwinkert ihr zu. „Das ist übrigens Caitlin, sie wird bis Weihnachten hierbleiben und helfen."

Das Mädchen hebt eine Augenbraue und auch der Junge hält nun inne und mustert Caitlin eine Weile.

„Hi", Caitlin streckt die Hand aus, lässt sie aber schnell wieder sinken, nachdem keine Reaktion kommt.

„Wohnst du hier?" Caitlin ist überrascht von der Frage, doch bevor sie antworten kann, dass sie nur wenige Straßen entfernt lebt, kommt Jake ihr zuvor: „Nein."

Es ist der Blick, den die Drei untereinander austauschen, der Caitlin zu verstehen gibt, dass mit der Frage etwas ganz anderes gemeint war, von dem sie keine Ahnung hat. Wie ein Geheimcode, den sie nicht kennt.

„Aber sie hilft mir in der Küche bei den Smores und generell beim Adventskalender." Die Kinder nicken langsam, und wieder beunruhigt Caitlin der Blick, den sie miteinander wechseln. Eine weitere Abmachung, die sie nicht versteht.

Erst jetzt macht sich ein freundliches Lächeln auf den Gesichtern der Kinder bemerkbar und der Junge streckt Caitlin die Hand entgegen.

„Ich bin Alexander, oder Alex."

„Caitlin", erwidert Caitlin und schüttelt seine Hand. Das Mädchen stellt sich neben Alexander und hält auch ihre Hand hin, als hätte sie es gerade bei ihrem großen Bruder abgeschaut.

„Ich bin Sophia. Mia ist meine Schwester."

„Okay, Mia kenne ich nicht", erwidert Caitlin entschuldigend und schaut zwischen Alex und Sophia hin und her. Bis eben ist sie davon ausgegangen, dass die beiden Geschwister sind, vielleicht Halbgeschwister. Denn Sophia mit ihrem rostbraunen Haar ist das komplette Gegenteil zum europäisch aussehendem Alexander, dessen goldene Strähnen in weiten Locken um seinen Kopf fallen. Aber sie sagt nichts. Schließlich ist sie nur für die Sozialstunden hier und es geht sie nichts an, was die Kinder hier tun oder mit wem sie verwandt sind.

Jake bedeutet ihr, ihm wieder nach drinnen zu folgen, wo ein kleiner Junge auf sie wartet, der ein blaues Stitch-Kuscheltier in den Armen hält, das beinahe genauso groß ist wie er.

„Macht ihr das Lagerfeuer da hinten?"

„Ja, wie wir es besprochen haben", Jake wuschelt dem Jungen durch seine Haare, doch dessen Augen werden nur noch größer.

„Aber am Wald ist es auch gefährlich." Jake hält in der Bewegung inne, hockt sich zu dem Kleinen hinunter.

„Noah, es wird alles gut. Wenn du möchtest, kannst du hier drinnen bleiben und ich bringe dir alles vom Lagerfeuer, was du möchtest. In Ordnung?" Der Kleine nickt viel zu heftig für Caitlins Verständnis. Sie fragt sich, ob dieser Zwerg das Problem ist, von dem Jake vorhin geredet hat.

Überrascht hält sie inne, als ihr Blick den Hals des Jungen streift. Doch bevor Caitlin ihn darüber fragen kann, läuft Noah aus dem Zimmer und lässt Caitlin und Jake allein zurück.

„Bist du jetzt bereit für eine Haustour?" Caitlin schüttelt den Kopf, weil sie gerade an nichts anderes denken kann als an das, was sie eben gesehen hat. Welche Markierungen sich am Hals des kleinen Jungen zu Erkennen gegeben haben.

Vielleicht ist es besser so, dass er nicht mehr bei seinen Eltern und stattdessen hier ist. Und wenn es auch nur für heute Nachmittag ist. Eltern, die ihren Kindern so etwas antun, verdienen es nicht, ihre Kinder aufwachsen zu sehen. Caitlin presst die Lippen aufeinander.

„Hey", Jake berührt sie sanft an der Schulter, weil er merkt, wie sich nach und nach mehr Falten in ihre Stirn bohren. Er kennt diesen Gesichtsausdruck, wenn jemand mit den Gedanken woanders ist. Vorsichtig drückt er mit der Hand zu, bis Caitlin ihn erschrocken ansieht und den Kopf leicht schüttelt.

In ihren Augenwinkeln glänzt es, als würde sie jeden Moment weinen und Jake hält kurz inne, lässt sie los. Er weiß, dass es für viele schwer zu verarbeiten ist, wenn sie erfahren, was das Lost & Found für ein Gebäude ist. Und es sieht so aus, als hätte Caitlin es jetzt herausgefunden.

Mit zittriger Hand hebt sie einen Zeigefinger und führt ihn ihren Hals entlang.

„Er hat eine Brandnarbe", sagt Caitlin und schluckt. „Ich habe sie gesehen." Überrascht schaut Jake sie an. Er hat nicht damit gerechnet, dass sie so aufmerksam sein würde. Abwartend sieht Caitlin ihn an, aber Jake kann ihr keine Antwort geben, mit der sie ihre Neugier befriedigen würde. Stattdessen seufzt er, und bringt sein Gesicht nah an ihr Ohr, um Flüstern zu können: „Vielleicht erzählt er dir irgendwann mal, warum er solche Angst vor Feuer hat."

Caitlin erschaudert bei dem Gedanken, will die Grausamkeiten nicht wissen, die einem so kleinen Zwerg angetan wurden, und schüttelt heftig den Kopf. Jake hebt beschwichtigend die Arme.

„Ist ja gut. Es ist ein Unfall gewesen, okay? Ein Unfall." Jake presst die Lippen aufeinander, das war schon viel mehr, als ihm erlaubt ist zu sagen. Caitlins Mundwinkel zucken nach oben, weil sie kurz davor ist aufzulachen, so makaber scheint ihr die Vorstellung. Doch dann ziehen sich die Furchen in ihre Stirn.

„Wie kann man seinem Kind denn ausversehen eine so große Brandnarbe erteilen?", zischt sie ihren Gegenüber an, der sie nun verwirrt ansieht.

„Caitlin", beginnt Jake und überlegt, ob er die zweite Regel des Hauses wirklich brechen sollte. Vielleicht findet er einen Umweg, einen Graubereich, in dem er Caitlin alles sagen kann, was sie wissen muss, ohne ihr zu viel zu verraten. Ohne die Regel zu brechen. Seine Gedanken erforschen jeden Winkel seines Gehirns, bis ihm Henry wieder einfällt.

„Henry."

„Was?"

„Das, was Henry gesagt hat." Caitlin nickt, kann sich noch gut an den Witz erinnern, mit dem der kleine Junge sie in ihre Schranken gewiesen hat, weil sie so unhöflich vorgeprescht ist mit ihrer Vermutung.

„Er hat keinen Witz gemacht." Caitlin reißt die Augen auf.

„Was?" Sie taumelt einige Schritte zurück bis an einen Stuhl heran, auf den sie sich abstützt, als hätte sie Angst zu fallen.

Und davor hat sie Angst. Der Gedanke daran, dass all diese Kinder hier Waisen sind, reißt ihr den Boden unter den Füßen weg. Sie hat Witze über dieses Gebäude gemacht, über diese Kinder. Dass ihre Eltern sie nicht mehr wollten. Dabei hat niemand diese Kinder freiwillig verlassen. Sie sind alle Kollateralschaden vom längsten Bewohner der Welt; dem Tod.

Entsetzt sieht sie zu Jake und dann zurück durch die Glastür auf Alexander und Sophia, die immer noch ihre Steine legen.

„Sie auch?", ihre Stimme zittert genauso sehr wie ihr Körper. Jake antwortet nicht auf ihre Frage, sagt stattdessen: „Heute Abend lernst du noch den Rest der Bande kennen."

Doch Caitlin ist sich nicht sicher, ob sie das tatsächlich möchte. Der Gedanke daran, dass die vier Kinder, die sie bereits kennengelernt hat, keine Eltern mehr haben, lässt ihren Magen sich umdrehen. Aber dass es nicht alle sind, löst ein unangenehmes Brennen in ihren Lungen aus, nimmt ihr die Luft zum Atmen.

Sie weiß nicht, ob sie es schaffen könnte, diesen Kindern ohne Mitleid im Gesicht zu begegnen. Sie normal zu behandeln und nicht wie einen Autounfall, der zwar grausam ist, man aber trotzdem nicht wegschauen kann. Und mit einem Mal wünscht sie sich, dass sie es nicht herausgefunden hätte. Dass Jake es ihr nicht bestätigt hätte. Dass es für sie einfach normale Kinder geblieben wären, die ihre Freizeit gern hier verbringen. Und nicht hier sind, weil sie keinen anderen Zufluchtsort mehr haben. Der Gedanke ist grausam und gruselig und Caitlin schließt die Augen, damit sie das alles verarbeiten kann.

„Hey", Jake hält ihr ein Glas Wasser hin, das sie dankend annimmt. Gierig trinkt sie es leer, nimmt den zusätzlichen Sauerstoff in sich auf.

„Das ist am Anfang für alle etwas viel. Ich sag dir was, wie wär's, wenn du für Heute Schluss machst? Die anderen Kinder kannst du auch noch später kennenlernen. Und so, wie Noah drauf ist, wird es wahrscheinlich sowieso kein Lagerfeuer mehr geben."

„Nicht?" Jake schüttelt lächelnd den Kopf. Er hält ihr die Hand hin und hilft Caitlin beim Aufstehen.

„Schaffst du es allein nach Hause?", fragt Jake, in der Hoffnung, doch noch ein wenig mehr Zeit mit Caitlin zu verbringen. Nicht nur, weil er sie ungern im jetzigen Zustand allein lassen möchte, sondern auch, weil da etwas an ihr ist, dass ihn neugierig macht.

Caitlin nickt lächelnd.

„Tut mir leid, dass du es so erfahren musstest", murmelt Jake und kratzt sich am Hinterkopf, doch Caitlin winkt ab, versucht sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr sie diese Information mitnimmt.

Ihr Körper macht ihr dabei einen Strich durch die Rechnung, lässt sie regelrecht aus dem Haus stolpern und als sie sich umdreht und das beige Haus mit dem Ziegeldach betrachtet, zieht sich ihre Brust nur weiter zusammen.

Es ist ein Waisenhaus. Lost & Found scheint Caitlin nicht der richtige Name zu sein für ein Waisenhaus, aber das ist es.

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