All I want for Christmas
Es ist ein reines Gewusel bis Elena um ein Uhr morgens betont, dass die Kinder schlafen gehen müssen, damit sie ausgeruht sind, wenn Santa Claus vorbeikommt.
„Und Jake und Caitlin?", erwidert Emma und verschränkt die Arme.
„Ach, ich geh auch gleich nach Hause und ins Bett", antwortet Caitlin gelassen und spürt, wie Jake unter dem Esstisch nach ihrer Hand greift und diese sanft drückt.
„Wirklich?" Skeptisch hebt Emma eine Augenbraue und um zu beweisen, dass sie die Wahrheit sagt, steht Caitlin auf. Demonstrativ geht sie in den Flur und schnürt sich die Stiefel zu. Der Mund einiger Kinder klappt auf und als sie zusehen, wie Caitlin in ihren Mantel schlüpft, bleibt auch für Jake kurz die Zeit stehen. Wollte sie etwa wirklich jetzt gehen?
„Gute Nacht, Caitlin", ruft Henry vom Treppenabsatz und sie schenkt ihm ihr wärmstes Lächeln, das sie besitzt.
„Gute Nacht, Henry."
„Singst du uns noch vor?", fragt Mia, woraufhin Elena sie bei der Hand nimmt und liebevoll nickt.
„Bis bald", ruft Caitlin in den Flur hinein und Sophia kommt herbeigelaufen, um sie zum Abschied zu umarmen. Nur zu gern drückt Caitlin das kleine Mädchen an sich und wünscht ihr leise schöne Träume.
Dann sieht sie Jake kurz an, der wie angewurzelt zu sein scheint. Viel zu perplex, um sich zu bewegen, steht er ihr gegenüber, kann noch nicht realisieren, dass Caitlin nun wirklich geht und auch die letzten Sozialstunden damit abgegolten sind. Seine Gedanken überschlagen sich, wundern sich, ob sie trotzdem wiederkommt.
Vorsichtig lächelt Caitlin in seine Richtung, dann öffnet sie die Tür und steigt hinaus in den weißen Schnee, der einem Boden aus Watte gleicht.
„Warte, ich bringe dich noch nach Hause." Jake holt seine Stiefel hervor und wirft sich seine Holzfällerjacke über.
„Das musst du nicht." Caitlin sieht zur offenen Tür, aus der Jake gerade austritt und die zwei kleinen Stufen zu ihr hinunterkommt.
„Ich bestehe darauf, bin schließlich ein Gentleman und muss ein gutes Vorbild sein", er nickt in Richtung Esszimmerfenster, wo seine Geschwister sich die Nase platt drücken, um ja keine Sekunde zu verpassen.
„Verstehe", erwidert Caitlin, zieht dann aber ihren Autoschlüssel hervor, „nur leider bin ich mit dem Auto da."
„Das ist ungünstig."
„Ja" stimmt sie traurig zu, denn seine Wegbegleitung hätte sie gern gehabt.
Jake atmet tief durch, dann greift er nach Caitlins Hand, wartet einen Moment, ob sie etwas einzuwenden hat. Doch sie starrt nur auf die Hände, die nun miteinander verschlungen sind. Genießt das warme Gefühl, das von Jake ausgeht.
„Dann lass uns ein wenig spazieren gehen bis die Kleinen im Bett sind", schlägt er vor und Caitlin willigt ein.
Doch zu einem wirklichen Spaziergang kommen sie nicht, denn als sie um die Ecke des Hauses biegen, fällt Jake augenblicklich auf, dass etwas anders ist. Dass das Haus den dunklen Graffitifleck verloren und gegen etwas Buntes eingetauscht hat. Es ist nur spärlich beleuchtet durch die Laternen am Zaun und doch kann er einzelne Farbstriche erkennen. Sofort holt er sein Handy heraus und öffnet die Taschenlampen-Funktion.
Mit weit geöffneten Augen und Mund nimmt er das Bild in sich auf, dass Caitlin an die Wand komponiert hat. Es ist atemberaubend schön, strotzt vor Leben und Energie, spiegelt die Kinder im Lost & Found zweifellos wider.
„Caitlin", haucht er, kann den Blick aber nicht von dem Kunstwerk abwenden. „Das ist unglaublich."
Es ist nur ein erstauntes Flüstern, doch für Caitlin hört es sich an, als würde Jake es der ganzen Welt erzählen. Als würde er laut rufen, dass sie eine Künstlerin ist, etwas erschaffen hat, das anderen Freude bereitet. Anstatt einfach nur ihr Tagg auf die Rücklehnen von Bussitzen oder auf Türen von Toilettenkabinen zu kritzeln. Sie kann so viel mehr als das.
Ihr Vater wusste das. Mr. Rivera wusste das, genau wie sein Sohn. Und in diesem Moment spürt Caitlin, wie sie ihnen endlich Glauben schenken kann.
„Ich dachte", beginnt sie, doch Jake schüttelt langsam den Kopf.
„Es ist wundervoll, Caitlin. Wirklich", wie in Zeitlupe dreht er sich zu ihr um, in seinen Augenwinkeln bilden sich Tränen, „Danke."
Sie blinzelt einige Male, dann entspannt sie sich mit einem Lächeln.
„Gern geschehen."
„Das ist das beste Weihnachtsgeschenk, das du den Kindern hättest machen können. Oder überhaupt irgendwer."
„Obwohl ich keinen Namen drauf geschrieben habe?" Jake grinst bei ihren Worten und schwenkt lächelnd den Kopf hin und her, während ihm eine Träne über die Wange läuft.
„Auch ohne Namen ist klar, für wen es ist. Du solltest dabei sein, wenn sie es sehen."
Aber Caitlin schüttelt entschieden den Kopf: „Es ist euer Moment, ihr solltet ihn genießen und nicht mich in den Mittelpunkt stellen." Langsam nickt Jake, beeindruckt von ihrer Bescheidenheit, ihrem Mut, aber auch ihrer Kreativität.
„Verstehe ich. Aber sie werden auch so erkennen, dass es von dir ist."
„Das glaube ich nicht." Caitlin zuckt mit den Achseln. Es ist kein Tagg vorhanden, nur die Gesichter jedes Kindes.
„Wenn nicht, werde ich es ihnen sagen", lacht Jake und bedenkt das Werk mit einem ehrfürchtigen Blick. Niemals hätte er sich zu träumen gewagt, dass Caitlin so etwas für sie tun würde. Er hat sich schon damit abgefunden, dass dieser dunkle Fleck bleibt, bis ein Malereibetrieb die dankbare Aufgabe übernimmt die Fassade zu streichen. Doch das hier hätte keine Malerei hinbekommen, niemand außer Caitlin wäre es gelungen, die Essenz der Kinder so gut in einem einzelnen Bild zu verewigen.
Jake dreht sich zu ihr um, wie sie ihn liebevoll, aber schüchtern anlächelt und es ist wie das Zeichen, auf das Jake die letzten Wochen gewartet hat, der Beweis dafür, dass Caitlin ähnlich empfindet. Das ist der Schritt, auf den er gehofft hat, von dem er wusste, dass er ohne diesen nicht weiter vorpreschen kann. Es ist ein Signal, das sie laut und deutlich an ihn sendet und er ist mehr als gewillt, ihm zuzuhören. Jake verstaut sein Handy in der Hosentasche und hält Caitlin seine Hand hin, die sie nach kurzem Zögern ergreift.
Sanft verschränken sie ihre Finger ineinander, sehen sich in die Augen und erkennen das Funkeln darin beim jeweils anderen.
„Ich habe übrigens noch etwas für dich." Jake holt aus seiner Jackentasche ein kleines Geschenk heraus. Überrascht sieht Caitlin erst das Päckchen, dann Jake an, der sich grinsend am Hinterkopf kratzt.
„Danke", flüstert sie, so ruhig sie kann, obwohl ihr Herz einen meilenweiten Sprung zurücklegt, während sie die Schleife löst.
„Ein Kuchen?", Caitlin sieht erstaunt auf den kleinen Kuchenanhänger, der sich in dem Papier befindet. Er ist weiß mit Mistelzweigen bemalt, gleicht dem Kuchen, den sie vorgestern gebacken haben. Aber es scheint, als wäre er in der Mitte durchgeschnitten worden.
„Na ja, jetzt, wo wir offiziell Cake sind, passt es doch." Grinsend hält Jake seinen Arm hoch, schiebt den Ärmel ein wenig zurück, und enthüllt sein dunkles Lederarmband, an dem die andere Hälfte des selbstgemachten Kuchens aus gebrannter Knete hängt. Caitlin grinst bei seinen Worten, kann es gar nicht fassen, was er da gemacht, geschweige denn gesagt hat. Aber sie spürt, wie sich eine wohlige Wärme in ihrem Bauch ausbreitet, wie ihr das Blut ins Gesicht schießt und sie einfach nur den Moment mit ihm genießen möchte.
Auffordernd hält sie Jake ihr Handgelenk und den Anhänger hin und er fädelt das lange Lederband viermal um ihren Arm bis er es mit einem magnetischen Verschluss sichert. Vorsichtig streicht Caitlin über das Band und den Knetkuchen, dann sieht sie zu Jake.
„Danke."
„Das sagtest du schon", erinnert er sie lächelnd, was Caitlin mit einem Augenrollen quittiert.
„Wir wollten spazieren gehen", tadelt sie ihn stattdessen und jetzt ist sie es, die Jake die Hand anbietet, die er ohne zu Zögern annimmt.
„Geht es deinem Vater wieder besser?", fragt Jake nach einer Weile, in der sie schweigend, aber zufrieden unter dem Sternenhimmel entlang schlendern.
Caitlin presst die Lippen aufeinander, versucht, sich selbst am Reden zu hindern. Dennoch bewegt sich ihr Kopf nach links und rechts, ohne, dass sie ihm die Erlaubnis dafür erteilt hätte.
„Kann ich irgendwas tun?" Überrascht schaut sie zu Jake auf, der sie mit ehrlicher Besorgnis mustert. Kein Mitleid. Kein Ekel. Keine Angst. Nur die Sorge eines Freundes, der helfen möchte.
Ihres Freundes.
Erleichtert atmet sie aus, noch bevor sie weiß, warum sie erleichtert ist. Es ist ein Stein, der sich von ihrer Brust hebt. Etwas Dunkles, das sich löst, und dem Licht Platz macht.
„Danke", sagt sie und meint es so, als sie lächelnd Jakes Hand drückt, „aber du kannst nicht helfen."
Jake nickt wissend, versucht sich darin, es zu verstehen, ihr den Raum zu geben, den sie braucht, bis sie bereit ist, um Hilfe zu bitten. Wenn sie heute nicht soweit ist, dann vielleicht ein andern Mal. Die Wärme ihrer Handfläche, die gegen seine drückt, beweist, dass sie sich wiedersehen werden. Da ist er sich sicher.
„Schau mal", Jake zeigt nach oben in den Sternenhimmel und deutet auf eine Sternenkonstellation, die Caitlin so noch nie gesehen hat.
„Siehst du den Stern da, der so bläulich leuchtet? Und dann den da. Wenn du von dort eine Linie ziehst, dann", Jake nimmt ihre Hand in seine, um mit ihren Fingern der Sternenlinie zu folgen, auf die er gezeigt hat, „kommt das Haus vom Nikolaus heraus." Caitlin schnappt nach Luft und schubst Jake spielend zur Seite, doch der lacht nur.
„Schau's dir an. Ich habe recht." Schnaubend verschränkt sie die Arme.
„Ich dachte, du zeigst mir jetzt ein cooles Sternenbild. Das hier hätte so ein roma- ", aber in gleichem Augenblick verstummt Caitlin.
„Ein was sein können?", Jake kommt näher, schaut ihr direkt in die Augen, während ihre Nasenspitzen sich sanft kitzeln, „ein romantischer Moment?"
Behutsam legt Jake die Hände an Caitlins Taille und für einen Moment bleibt die Zeit stehen. Es ist wie ein Schubs in die richtige Richtung. Als wäre sie über einige Sekunden drüber gestolpert. Denn im nächsten Moment schlingt Caitlin die Arme um Jakes Hals und bedeckt seine Lippen mit ihren. Er schmeckt nach Schokolade und Zimt und Caitlin muss grinsen bei dem Gedanken daran, dass es von dem Kuchen kommt, den sie gemeinsam gebacken haben. Dem Kuchen, den sie nun als Anhänger tragen.
Jakes Griff verstärkt sich, zieht Caitlin enger zu sich heran und auch sie holt ihn näher zu sich, will den Kuss nicht enden lassen. Noch nicht. Zu schön ist das Gefühl, endlich loszulassen, sich endlich fallen zu lassen. Mit der rechten Hand fährt sie Jake durch die dichten Locken, streicht über seinen Nacken, seine Schultern, seinen Rücken.
Jake macht es ihr gleich, durchkämmt ihre Haare mit seinen Fingerspitzen, folgt ihren Körperlinien, bis er wieder bei ihrer Taille ankommt. Jede seiner Berührung ist wie eine Farbexplosion, die sie schmecken kann. Es ergibt auf so vielen Ebenen keinen Sinn und doch ist das alles, was sie sich die letzten Tage gewünscht hat.
Langsam löst Jake sich von Caitlin, findet ihren Blick, grinst.
„Das war schon ziemlich romantisch", flüstert er. Caitlin drückt mit der Faust gegen seine Brust, bevor sie ihn herausfordernd anfunkelt und lachend antwortet: „Du bist ein verdammter Idiot."
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