Kapitel Drei
„Ich gebe euch Hausaufgaben auf, die ihr bitte bis Mittwoch gemacht habt", mit diesen Worten schließt Herr Braun den Biologieunterricht und in der Klasse ertönt ein unzufriedenes und protestierendes Gemurmel. Keiner hat Lust, am ersten Schultag nach den Herbstferien, direkt mit Hausaufgaben bombardiert zu werden.
Seufzend verstaue ich mein Tablet in meinen schwarzen Stoffrucksack und verlasse den Biologieraum, wo ich vor der Tür auf Noemi warte. Als sie den Raum verlässt und ich in ihr Blickfeld komme, verdreht sie genervt die Augen. „Wow, hab ich Bio vermisst", ihre Stimme trotzt gerade so vor Ironie. - „Ja total."
Gemeinsam schlendern wir zur Mensa und stellen uns in ganz hinten in der langen Schlange an, fürs Vordrängeln sind wir beide nämlich zu inkompetent. Wir beobachten genau wie die anderen Schüler das machen, sie drängeln sich dazwischen ohne, dass es irgendwer mitbekommt. Wir haben schon drei Leute angerempelt, wenn wir überhaupt in der Schlange zum Stehen kommen. Und dann werden wir direkt wieder weggescheucht. Ich spreche das aus Erfahrung.
„Oh hallo Emil", ruft sie auf einmal durch die ganze Mensa als sie den Rotschopf entdeckt, sofort richten sich einige Blicke auf uns. Wütend trete ich ihr gegen das Schienbein, „Spinnst du? Schrei doch noch lauter!" - „Aua!"
Der Rothaarige dreht sich mit einem suchenden Blick in unsere Richtung um. Als er und entdeckt lächelt er, winkt, und...oh scheiße, kommt auf uns zu. „Na super", murmele ich ironisch und bedenke Noemi mit zusammengekniffenen Augen, während ich meine Arme vor der Brust verschränke. Der hat mir gerade noch gefehlt.
„Hey, wie gehts?", fragt er während er vor uns zum Stehen kommt und seine Hände lässig in seine Hosentasche steckt. Er schenkt Noemi ein charmantes Lächeln und prompt nehmen ihre Wangen einen süßen Rot-Ton an. - „Naja, Bio war wie immer beschissen", sagt sie und verdreht nochmal die Augen um zu verdeutlichen wie scheiße es tatsächlich war.
„Herr Braun?", fragt er und als Noemi nickt, verzieht er das Gesicht gequält. „Mein Beileid, der Typ ist der Tod höchstpersönlich", er zuckt beiläufig mit den Schultern, "Wie dem auch sei, ich muss wieder. Die Anderen warten." Er schenkt ihr nochmal dieses einschleimende charmante Lächeln und zieht sie in eine enge Umarmung. Ich kann ihr glückliches Gesicht sehen, als sie mich über seine Schulter hinweg ansieht. Mir wird ein wenig wärmer ums Herz.
Als die beiden sich voneinander lösen hält er mir seine Faust hin. Mit hochgezogener Augenbraue betrachte ich ihn, will er jetzt etwa, dass ich ihm eine Ghettofaust gebe? Gekonnt ignoriere ich seine Faust. "Nimm deine Griffel weg. Ich werde dich nämlich definitiv nicht vermissen, Steinhagen", sage ich zuckersüß und schenke ihm dabei mein schönstes Lächeln. Er lacht und zeigt mir im Gehen nur amüsiert den Stinkefinger, "Das erzähl ich deinem Papi!", rufe ich ihm laut hinterher woraufhin er lachen muss.
"Er ist so süß, oder?", fragt Noemi verträumt und sieht mich beim Sprechen nicht mal an, sondern starrt dem Typen hinterher, der schon lange in der Menschenmenge verschwunden ist. Ich will gerade zu einem dummen Kommentar ansetzen, als ich es endlich wirklich wahrnehme. Noemi steht nicht nur ein bisschen auf Steinhagen, so wie ich es eigentlich gedacht habe. Sie will mehr. „Du bist nicht wirklich dabei dich in ihn zu verknallen, oder?", frage ich plötzlich mit erstem Unterton und betrachte meine beste Freundin aufmerksam.
Ich sehe, wie sie schluckt, ihre Wangen einen leichten Rosa-Ton annehmen und sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr schiebt, was sie immer macht wenn sie nervös ist. "Ich? Was? Wie kommst du denn auf so einen Quatsch? Hahahaha. Das ist ja bullshit. Ich meine; ich verliebt in Emil... haha. Niemals!"
Ich weiß nicht ob ich lachen soll, weil ihr Versuch sich rauszureden so misslungen ist, oder ob ich weinen soll, weil sie sich in einen reichen Schnösel verknallt. "Du bist verloren, Noemi Rose. Hoffnungslos verloren", sage ich ehrlich bevor die
Schulglocke mich am Weiterreden hindert. Ich drücke einmal Neomis Hand und schenke ihr einen aufmunternden Blick, „Wir quatschen später nochmal, okay?".
Ihr nicken nehme ich als Zeichen, dass ich jetzt besser in den Unterricht verschwinden sollte.
Auf dem Weg zum Pädagogik-Raum hängen meine Gedanken aber immer noch bei Noemi und Emil. Was ist, wenn Noemi sich jetzt ernsthaft in Emil verliebt? Oder hat sie doch schon? Haben die beiden denn überhaupt eine Chance? Emil ist vielleicht nicht der schlimmste Kerl, den man sich an der Seite seiner besten Freundin vorstellen kann, doch auch über ihn gibt es einige unschöne Gerüchte.
Natürlich weiß ich, dass man Gerüchten nicht immer Glauben schenken sollte, doch die Gerüchte passen eben genau zu dem Bild, das ich ohnehin schon von ihm gehabt habe. Außerdem bin ich der Überzeugung, dass an fast jedem Gerücht zumindest ein Funken Wahrheit dran ist.
Ein reicher Schnösel, der auf Partys gerne auch mal die ein oder andere Droge konsumiert und schon jedes dritte weibliche Wesen der Stadt flachgelegt hat.
Ich weiß einfach nicht ob ich mir so jemanden an der Seite von Noemi vorstellen kann. Noemi, die den besten Typen verdient hat, den es überhaupt gibt. Andererseits, wer bin ich, dass ich mich in ihr Leben einmische?
Ich werde brutal aus meinen Gedanken gerissen, als ich nach der Türklinke greife, sie mir aber bereits mit voller Wucht entgegenschlägt. Irgendwer von innen muss sie genau im gleichen Moment mit viel Kraft geöffnet haben. Als mir das blaue lackierte Holz gegen die Nase schlägt, sehe ich kurz Sterne.
"Oh fuck", stöhne ich und fasse mir an die Nase, die den Schmerz durch meinen Körper treibt. Sofort bemerke ich die rote Flüssigkeit, die mir langsam aus der Nase tropft.
"Pass doch auf, Digga", sage ich wütend als Liem durch die Türschwelle tritt. Liem ist ein Typ, der bereits seit drei Jahren in meinen Jahrgang geht, den jedoch niemand genau kennt, weil er gerne für sich selbst ist.
"Tut mir leid!", sagt er leise und beeilt sich zu dem Tuchspender zu kommen, der in dem Klassenraum, über dem weißen Waschbecken, hängt. Überfordert versucht er mir das Tuch unter die Nase zu halten, stellt sich dabei jedoch so ungeschickt an, dass er es nur noch schlimmer macht. "Ich mache das selber", keife ich und reiße ihm das Tuch aus der Hand.
"Ich kann dir aber helfen!", versucht er es erneut und will nach meiner Schulter greifen. Geschickt weiche ich aus. - "Ich habe gesagt, dass ich das alleine mache", wiederhole ich mich und sehe ihn über den Rand des Tuches hinweg böse an.
"Aber ich wollte das doch nicht", betont er und kommt mir wieder einen Schritt näher, wobei ich einen Schritt zurückweiche. Was soll das?
„Hör zu: Ich bin dir nicht sauer, aber ich will nicht, dass du mir hilfst!" Ich versuche ihm schonend beizubringen, dass seine Nähe und seine Hilfe unangenehm ist für mich. Aber er scheint es nicht zu verstehen.
Er ignoriert meine Aussage komplett, während Besorgnis in seinen Augen schimmert. „Soll ich dich zum Krankenflügel begleiten?"
Genervt verdrehe ich meine Augen und vergesse vor Wut fast schon den Schmerz, der in meiner Nase pocht. "Jetzt hör mir mal zu, Liem: Ich will nicht, dass du mir hilfst! Ich will nicht, dass du mit mir zum Krankenflügel gehst! Ich will, dass du mich in Ruhe lässt! Verstanden?"
"Aber...-", setzt er an doch wird von einer wütenden Stimme unterbrochen. - "Verpiss dich, Liem. Sie hat nein gesagt." Ich drehe mich zu meinem Retter in der Not um, obwohl ich mich sicher bin, dass ich das auch alleine geschafft hätte. Dankbar bin ich allemal.
Emil Steinhagen. Nie in meinem Leben hab ich damit gerechnet, dass ich mich jemals über seine Anwesenheit freuen würde. Aber manchmal kommt nie früher als gedacht.
Liem sagt nichts mehr, sieht für einen Augenblick zwischen Steinhagen und mir hin und her, bevor er sich umdreht und im Klassenraum verschwindet. "Digga, den sollte man doch einweisen", stelle ich leise murmelnd fest, worauf Emil lacht und auf mich zukommt. In diesem Moment ist es mir so egal, das mein Vokabular stark abbaut.
"Alles okay?", fragt er ernst und sieht auf meine blutende Nase.
„Klar, alles super. Bestimmt nur ein kleiner Kratzer", ich grinse ihn an, wenn auch ein bisschen gespielt, und drehe mich um, um zum Krankenflügel zu gehen. - "Soll ich mitkommen?", fragt er noch bevor ich um die Ecke verschwinde, doch ich schüttele den Kopf. "Ich kann gut auf mich alleine aufpassen Steinhagen. Bin ja kein kleines Kind mehr", um das zu verdeutlichen wedele ich einmal mit der Hand und verschwinde dann aus seinem Blickfeld.
Warum auch immer er mir geholfen hat, er hat ein paar Pluspunkte gesammelt und die Chance, dass ich ihm erlaube was mit Noemi anzufangen, hat sich minimal verbessert.
Ich mag ihn aber trotzdem nicht.
-
Ganze 15 Minuten sitze ich bei der Sanitäterin, die eigentlich eine 12-Klässlerin ist und mal nen Kurs belegt hat, bis meine Nase geflickt ist und sie mich zurück in den Unterricht verweist. "Sollte dir schwindelig werden, komm nochmal wieder, für Nasenbluten hast du eine Menge Blut verloren", sie lächelt mich aufmunternd an und ich grinse ironisch, "Geht klar!"
Mein Klopfen hallt laut im Flur, als ich warte, dass mein Pädagogik Lehrer mich hereinbittet. Dies geschieht zum Glück auch wenige Sekunden später. Als ich den Raum betrete richten sich sofort alle Blicke auf mich. "Ah, Luca", sagt Herr Brand und lächelt mich freundlich an, "Ich hab schon gehört, was passiert ist. Geht es dir besser?"
"Ja, mir geht es besser, danke", sage ich lächelnd ergänze jedoch noch, dass ich wiederkommen soll, falls mir nochmal schwindelig wird.
Verständnisvoll sieht er mich an, bevor sein Blick sich schlagartig verändert. Oh nein. Wenn Herr Brand von eine auf die andere Sekunde euphorisch aussieht, dann heißt das nie etwas gutes. Seine plötzlichen Ideen sind nämlich in 95% der Fälle eine Katastrophe.
"Luca, wir haben einen neuen Schüler: Vincent von Altenburg", verkündet er mir stolz. Nur gerade so kann ich mir einen unangebrachten Kommentar und das Umsehen im Klassenraum verkneifen. Jeder in dieser Schule redet schon seit etwa acht Wochen davon, dass wir einen neuen Schüler bekommen. Einen super reichen, super hübschen und super arroganten, das sind übrigens nicht meine Worte,
die hab ich wortwörtlich hier in der Schule aufgefasst.
Ich habe ehrlich gesagt absolut kein Interesse daran noch so einen Menschen kennenzulernen, doch das kann ich Herr Brand nicht ins Gesicht sagen. Herr Brand liebt mich abgöttisch, warum kann ich nicht sagen. Vielleicht weil ich mich ab und zu mit ihm unterhalte.
"Er hat sich gerade ausführlich vorgestellt, aber das hast du leider verpasst", beginnt er und klingt dabei ehrlich traurig. Ausführlich vorgestellt...Ich kann doch nicht die Einzige sein, die dabei falsch denkt.
Ich hab die Vorstellrunde verpasst, denke ich mir und ein glückliches Grinsen schleicht sich auf mein Gesicht, was ich soweit wie möglich zu unterdrücken versuche. Der halbe K.O.-Schlag hat sich also doch gelohnt. "Oh, das ist wirklich schade", sage ich und schauspielere so gut, dass ich es mir sogar fast selber abnehme.
"Aber dafür habe ich eine fabelhafte Idee", sagt er und seine Mundwinkel berühren fast seine Ohrläppchen. Nein, Herr Brand. Bitte keine Ideen. Bitte nicht. "Das hört sich ja wirklich spannend an", abwartend sehe ich meinen Lehrer an, "Was ist denn Ihre Idee?"
"Also wir haben gerade begonnen uns in Partner aufzuteilen, da wir einfach mal die nächsten drei Wochen frei an Projekten arbeiten werden. Und da du ja leider verpasst hast wie Vincent sich vorgestellt hat, hab ich gedacht, dass ihr beiden ein Team bilden könntet! Dann könnt ihr euch so kennenlernen!" Freudig klatscht er in die Hände und sieht mich abwartend an.
Scheiße. Scheiße. Scheiße. Nein. Bitte nicht. Das letzte was ich in den nächsten drei Wochen machen möchte, ist mit einem Schnösel zusammen ein Team zu bilden. Mit einem SCHNÖSEL! "Eine wirklich tolle Idee, Herr Brand", sage ich und lächle meinen Lehrer gezwungen an, "Ich finde es toll, dass Sie so hinter uns Schülern stehen, aber..."
"Das freut mich zu hören, Luca", er lächelt mich ehrlich an bevor er mit dem Finger in eine Ecke des Klassenzimmers zeigt, "Dein Partner sitzt dahinten!"
Ohne es unterdrücken zu können, folgt mein Blick seinem Finger und bleibt auf einem Typen liegen, dessen Augen starr auf mich gerichtet sind.
Mein Herz rutscht mir in die Hose. Wortwörtlich. Verdammte Scheiße. Ich muss hart schlucken als der hellblonde Junge mit den hellblauen Augen in mein Blickfeld kommt. Nein. Es kann doch nicht sein, dass ausgerechnet er es ist. Der süße, wenn auch komische, Bier Pong Junge ist in Wirklichkeit der arrogante Vincent von Altenburg.
Das Leben hat wirklich einen sehr gewöhnungsbedürftigen Sinn für Humor.
"Wissen Sie Herr Brand, mir wird gerade wieder total schwindelig", ich sehe meinen Lehrer gespielt verzweifelt an und schwanke mit Absicht ein bisschen, "Ich sollte lieber nochmal schnell gehen und das durchchecken lassen..."
Ich flitze durch die Tür und lehne mich an die danebenliegende Betonwand, wo ich erstmal tief durchatmen muss. Was ist da gerade passiert?
Er ist wirklich dieser Vincent? Auf der Party und beim Aufräumen war er ganz anders, als ich ihn mir durch die Erzählungen vorgestellt habe...
Wie auch immer er wirklich ist, ich weiß, dass bei mir die Kopfschmerzen für die nächsten drei Wochen schon vorprogrammiert sind.
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