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An jenem Tag stand ich sehr lange vor dem Spiegel. Zupfte an dem schwarzen Strickkleid herum, probierte Ordnung in meine Mähne zu bringen und ließ mir von Johanna die Wimpern tuschen. "Rami, deine Wangen sind rosa", flüsterte meine Schwester und kicherte glücklich in sich hinein. Ich drückte ihr einen Kuss auf die Nase und lächelte sie aus dem Bauch heraus an. "Vor Freude"
Im Blick meiner Mutter lag unendliche Liebe, als sie ihrer ältesten Tochter dabei zusah, wie sie aus dem Haus spazierte, ein strahlendes Lächeln auf den Lippen. Sie gab mir eine Kette von sich und ich konnte spüren, wie sie mir nachsah, bis der Bus mich einsaugte und in Richtung Sophie brachte.
Im Café Elfeinhalb war wie immer alles wie immer. Die Augen an der Wand suchten etwas, das sie nie finden würden, das Regal präsentierte die farbenfrohen Tassen und Teekannen. Der Duft nach geschrotetem Kaffee und karamellisiertem Zucker lag in der Luft. Die Heizung bollerte vor sich hin und jede Kerze ließ ihre eigene Flamme in den Himmel tasten. Und heute fehlte auch nicht der Glanz, denn Sophie Abellaister saß an meinem Tisch und bewunderte mit Verträumtheit in den Augen die Kerzenflamme. Mit sanften Schritten und klopfendem Herzen trat ich ganz langsam in ihre Richtung und setzte mich an den Tisch.
"Hallo", wisperte sie und ich merkte, dass diese Worte allein mir gehörten.
Mit glühenden Ohren nickte ich ihr zu. "Hallo zurück"
Für eine mittelmäßig lange Weile schauten wir uns einfach nur an. Ich zählte ihre Sommersprossen, sie studierte meine Iris. Um uns lag ein Band, was das Schöne im Café zu uns hereinließ, sonst nichts.
Dann irgendwann, als ich jede ihrer Sommersprossen dreimal mit den Augen geküsst hatte, kramte ich etwas aus meinem Rucksack hervor und überreichte es ihr. Zwetschgenmarmelade mit Zimt und einem Hauch von Vanille. Sie hielt das Glas in den schmalen Fingern und lächelte liebevoll. "Ich hab leider nichts dabei, aber dafür lade ich dich ein!" Diese Verzagtheit war niedlich. Machte sie beschützenswert.
"Musst du nicht. Meine Mutter bestand nur darauf, dass ich irgendwas Tolles mitbringe und Papa hat ein Glas Marmelade mitgebracht. Das macht er sonst nie, nur Weihnachten für Mama", erklärte ich, als Rosemarie mit einem Block und einem Kugelschreiber bewaffnet an unseren Tisch kam. "Was soll es sein?"
Sophie zwinkerte mir zu und legte ihren Finger auf die Lippen. "Einen Kakao für Rami und einen Kamillentee für mich. Außerdem zwei Zimtschnecken mit einer Extraportion Liebe"
"Gebt ihr euch die nicht gegenseitig?", wollte Rosemarie wissen, während sie mit breitem Grinsen die Bestellung notierte.
Sie und ich kicherten gleichzeitig, fingen die Blicke der Anderen auf, nur um dann wieder wegzuschauen. Rosemarie zuckte die Schultern und ging mit fettem Grinsen im Gesicht wieder zurück zu dem Tresen, hinter dem sich normalerweise Sophie versteckte.
"Es ist komisch, nicht da zu stehen", meinte sie und wies auf die wuchtigen Eichenholztisch. Ich nickte. "Kann ich verstehen!"
Dann lief sie tiefrot an. "Ich habe mir überlegt, dass ich jetzt etwas ganz Tiefsinniges sagen muss und das kann ich aus dem Stegreif nicht so gut. Deswegen habe ich mir was aufgeschrieben, was ich dir jetzt sagen will"
Ich schmunzelte und lehnte mich zurück, während sie ein ordentlich gefaltetes Blatt Papier hervorholte und sich nervös räusperte:
"Liebst du es, wenn die Sonne aufgeht? Wenn sie wie Honig direkt in dein Herz fließt und alles, was für dich große Hürden sind, unter sich stellt. Liebst du den Duft nach karamellisiertem Ahornsirup, der immer durch das Café quillt, wenn ich deinen Kakao mache? Liebst du es, wenn Lieder dich auffangen, egal wie schwer du in diesem Moment wiegst? Liebst du?"
Ich nickte und schaute dabei bloß auf ihre Lippen. Voll und rot. Wunderschön.
Die Narbe an ihrer Augenbraue.
Mein Körper spielte verrückt in Sophies Gegenwart.
"Ich wollte dich nach sowas suchen lassen, weil du für mich genau diese Art von Liebelein bist. Dieses Café bildet eine Konstante in einem Leben voller Veränderungen. Manchmal genieße ich das, weil es beruhigt. Es ist schön, jeden Tag dieselben Menschen zu sehen. Aber ich musste Mal weg. Ich musste im Winter ein Zelt im Wald aufstellen. Ich musste etwas machen, mit dem kein Mensch gerechnet hätte. Und ich schätze, dass du niemals damit gerechnet hättest. Sophie Abellaister, das Thekenmädchen, stellte für dich etwas dar, was dein Herz jedes Mal ein Bisschen erwärmte, so wenig, dass du es nicht merktest. Du hättest niemals gesagt, dass du mich vermissen würdest. Wenn dem so wäre, wärst du jetzt nicht hier.
Für mich warst du ein Mädchen mit einem Sonnenherzen, das vom Alltag in den Hintergrund gedrängt wurde"
Sophie atmete tief aus.
"Ich mag dich. Gerne. Total gerne! Fast noch lieber als Zimtschnecken!"
Mein Mund lächelte und ich konnte nichts dagegen tun. "Es muss Liebe sein", flüsterte er und mein Gesicht lief augenblicklich feuerrot an. Sophie lächelte bloß (auf eine unglaublich niedliche Art und Weise) und wandte den Blick ab.
"Sie hat mich mit Zimtschnecken verglichen!"
Und dann lehnte ich mich zurück, weil Glück durch meine Adern floss. Warme Freude, die nach Zimt, Kakao und Zuhause duftete.
Zwischen uns sandte die Kerze ihre Wärme in den Himmel und ich stellte mir vor, wie unsere Herzen, getragen von der flimmernden Luft, auch nach oben stiegen.
Kleine Papierballons. Jeder mit einem unterschiedlichen Muster.
Es knisterte zwischen uns, funkensprühende Spratzler umkreisten den Tisch und Sophie bettete ihre Finger in die Meinen.
Dies war wahrscheinlich der Moment, in dem mein Herz sich endgültig in Richtung Himmel aufmachte und bloß einen Strudel aus den buntesten Emotionen zurückließ.
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Die Texte von Udo Lindenberg quollen weiter durch das Café Elfeinhalb, in dem ich Sophie weiterhin besuchte.
Manchmal kam auch Leonard und bestellte jedes Mal einen Kirschkuchen. Und sie sagte ihm immer, den gäbe es nur im Sommer.
Leonard zeigte dann immer auf das Schild über der Theke, das den besten Kirschkuchen der Stadt anpries.
Sophie grinste dann und wies auf den kleinen, roten, mit Filzstift beschriebenen Zettel. Nur saisonal erhältlich
Leonard machte ein Foto von ihr, wie sie da stand, hinter der Theke. Man konnte jede Pore meines liebsten Gesichts sehen. Und ich verliebte mich immer wieder.
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