Kapitel 5
Kühle Nachtluft umwehte C2207s Mähne. Er hatte es geschafft, doch Stehenbleiben war noch immer keine Option. Im gestreckten Galopp und mit brennenden Muskeln setzte er seine Weg fort. Sein Navigationssystem lud gerade ein Update herunter, das ihm die Orientierung außerhalb der Hancester-Science-Laboratories ermöglichen sollte. Er musste seinen Computer dringend vom lokalen Netzwerk entkoppeln. Nicht, dass er noch Spuren darin hinterließ, die Higgins zu ihm führen könnten.
Update erfolgreich installiert, schnarrte die elektronische Stutenstimme in seinem Kopf. Rasch unterbrach er die Verbindung zum Wlan. Kein Netz. Na gut, es musste irgendwie anders gehen.
Das erste Mal, dass er das Gebäude mithilfe der gestohlenen Schlüsselkarte verlassen hatte, sah C2207 sich bewusst um. Mittlerweile hielt er es für sicher genug, in einen flotten Schritt zu fallen. Das Chaos, das der Alarm im Labor verursacht hatte, würde ihm so oder so einen guten Vorsprung verschaffen.
Rauschende Nadelbäume umgaben ihn. Der schwere Geruch des Harzes lag ihm ungewohnt und kitzelnd in den Nüstern. Als einzige Lichtquelle stand silbrig und matt ein halber Mond am Himmel. Ganz anders als die harten Fließen, fühlte sich der federnde Waldboden unter seinen Hufen an. Statt auf der nahen Straße bewegte sich der Hengst auf einem schmalen Trampelpfad durch den lichten Wald. Die dumpf aus der Ferne dringenden Sirenen vermischten sich mit leisen Tiergeräuschen. Hier und da ließ ein Rascheln C2207s Ohren zucken. Er bewegte sich erstaunlich vertraut über den gewundenen Pfad und zwischen den kahlen Baumstämmen hindurch. Obwohl sein Navi mangels Netz gerade nicht funktionierte, ging er stetig weiter, als wisse er, wo sein Ziel lag. Nichtmal die am Boden verstreuten Stöcke und Zapfen hinderten seinen Lauf. Ein Überbleibsel seiner Instinkte? Oder seines früheren Lebens?
Wachsam aber ruhig ließ C2207 zu, dass seine Gedanken wanderten. Gab es eine Zeit vor seinem Dasein als Experiment? Er besaß keinerlei Erinnerung daran, dennoch war es, als fehle ihm etwas. Mit klopfendem Herzen rief er sich R28 ins Gedächtnis. Ob dem Schecken auch die Flucht gelungen war? Er wusste es nicht. Sollte er nach ihm suchen? Heute nicht. Zu riskant.
Stur schritt C2207 weiter. Seine Mission bestand darin, von diesem Ort fortzukommen. Ohne, dass er es bewusst steuerte, machte sich jedoch der erdrückende Drang in seiner Brust breit, dass er umkehren sollte, um nach R28 zu sehen. Was war es, was er fühlte? Und wieso? Was kümmerte ihn das Wohl dieses Unbekannten? Er war frei. Doch der unangenehme Klos, der sich in seiner Kehle bildete, verschwand nicht. Ganz im Gegenteil. Mit jedem Schritt, den er sich von den HSL entfernte, sträubte sich etwas in ihm mehr dagegen.
Schnaubend kam C2207 zum Stehen. Ohne seine Datenbank, die offenbar nur mit Internetzugang funktionierte, fühlte er sich verloren und vollkommen aufgeschmissen. Seid des Ausbruchs war er ständig mit seltsamen und ihm unbekannten Gefühlen konfrontiert. Doch es war, als würde eine wichtige Komponente seines Gehirns fehlen, um etwas damit anfangen zu können. Sollte er auf diese unstimmigen Signale hören oder sich auf die Macht der Logik verlassen? Es kam ihm zugleich richtig und falsch vor, seinen Weg fortzusetzen.
War so etwas normal? Als freies Pferd? Dieses ständige Überlegen und Hadern, ob eine Entscheidung gut war? In seiner Zeit bei Higgins hatte man C2207 immer klare Aufgaben gestellt, die weder Fragen noch Zweifel zuließen. Er hatte sie einfach ausgeführt. Da waren keine Verwirrungen und Zweispalten vorhanden. Doch nun hatte sich der ursprüngliche Teil seines Gehirns scheinbar dazu entschieden, sich gegen den Computer und dessen Logik aufzulehnen.
„Ich muss R28 finden", murmelte C2207. Zugleich flammte der Gedanke in ihm auf, dass es vollkommener Schwachsinn war, dies zu versuchen. Er würde nur selbst wieder eingesperrt werden.
„Ich muss mich selbst in Sicherheit bringen." Wie fremdgesteuert lief C2207 weiter. Doch mit jedem Schritt wurde er langsamer. Was, wenn R28 in Gefahr war? Aber nein, er musste sich erst neu orientieren und einen Plan schmieden, bevor er zurückkehren konnte. Außerdem konnte es ja sein, dass dem Schecken die Flucht gelungen war und er sich gerade vollkommen sinnlose Gedanken machte.
Mit einem Kopfschütteln, dessen Bedeutung er nur vage verstand, beschloss C2207, sich erstmal um sein eigenes Überleben zu kümmern und vielleicht morgen bei Tageslicht nach R28 zu suchen. Doch zuvor musste er bewerkstelligen, dass Higgins und seine Leute ihn nicht finden konnten.
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