VOID
Tatsächlich folgte ich Andreas Rat. Was mich genau daran festhielt, wusste ich nicht. Vielleicht fand ich den Gedanken, dass es der nächste Schritt zur Eheschließung war, beeindruckend?
Obwohl es viel im Sortiment gab, fiel mir die Auswahl des Rings nicht schwer. Lyla mochte nichts, was mit Glitzer zu tun hatte. Deshalb hatte ich mich sehr schnell für einen Ring ohne Blingbling entschieden.
Mein Bruder half mir schon seit Tagen die Verlobung zu organisieren. Es sollte etwas Besonderes werden.
Deshalb entführte ich Lyla, welche schon länger wieder vom Krankenhaus entlassen worden war, abends in einen botanischen Garten. Man konnte sie zwar nur schwer glücklich machen, aber wenn sie etwas liebte, dann waren es Blumen und Pflanzen aller Art. In der Natur könne sie einfach mal durchatmen und entspannen, hatte sie einmal gesagt. Und das sollte sie. Den ganzen Mist in ihrem Leben für einige Stunden vergessen. Ich wollte sie einmal wieder bewusst lächeln sehen. Das sah ich leider viel zu selten.
Mit dem Ring in der Hosentasche gingen wir Hand in Hand unter herunterfallenden Kirschblütenblättern einen Kiesweg entlang. Sie grinste, als sich ein solches pinkes Blatt in meinem Haar verfangte. Wir blieben kurz stehen und sie entfernte es mir vorsichtig aus den Haaren. Bevor sie weiterging, hielt ich ihr Handgelenk fest. "Lyla, kannst du kurz stehen bleiben?", bat ich und ließ sie los. Sie nickte. "Ich weiß, dass du schon dein ganzes Leben lang mit Niederschlägen, Verlusten und Problemen zu kämpfen hast. Deshalb will ich, dass du weißt, dass ich immer für dich da bin. Lyla, ich kenne dich schon so lange. So lange schon gibst du mir die Kraft, die mir manch anderer nicht geben konnte; die mir manchmal gefehlt hat. Mit dir an meiner Seite fühle ich mich stark. Ich fühle mich vollständig. Du bist das Puzzleteil, welches mein Herz vervollständigt. Und deshalb möchte ich dich fragen, ob du meine Frau werden willst?" Während den letzten Worten war ich auf die Knie gegangen und hatte den Ring herausgezogen. Ich war mir sicher, dass sie nicht widerstehen konnte, doch das, was ich sah, ließ mein Lächeln verschwinden. Sie begann zu weinen. Und das nicht aus Freude. Das konnte ich ihr sofort ansehen. "Deine Ansprache eben... das hast du immer und immer bewiesen... obwohl ich es nicht verdiene", sagte sie stotternd. "Jetzt hör schon auf. Natürlich verdienst du das, Lyla", behauptete ich ernst. Sie schüttelte kurz den Kopf. "Du musst akzeptieren, wie toll du bist... so wie ich es nicht bin", meinte Lyla. "Was meinst du damit?", wollte ich wissen. Sie war doch eine tolle Frau. Warum konnte sie nicht einmal das Positive in ihr sehen? Doch sie winkte nur ab. "...es fühlt sich falsch an", sagte sie. "Es fühlt sich falsch an, den Ring anzunehmen". Ich stand enttäuscht auf. Hatte ich etwas falsch gemacht? Ging es ihr zu schnell? Sie unterbrach meine Gedanken. "Chris, es gibt etwas, was ich dir sagen sollte", stammelte Lyla und schluchzte. Sie ging langsam einen Schritt zurück. "Das Baby... das Baby war nicht von dir" Mein Herz bekam einen Stich zu spüren. Ich wurde sauer. Sie hatte mich angelogen. Und betrogen. Ich schmiss den Ring weg. Einfach irgendwohin. Hauptsache ich musste ihn nicht mehr sehen. Meine Hände ballten sich zu Fäusten. "Ich weiß, es war dumm. Aber so ist es", versuchte sie mich zu beruhigen. Doch es machte mich nur noch mehr wütender. "Ich dachte, du bist anders. Aber da habe ich mich wohl geirrt", warf ich ihr vor. Ich wollte schon davonstampfen, aber sie hielt mich auf. "Warte, geh nicht", rief sie mir hinterher. "Warum nicht?", fragte ich aufgebracht nach. "Weil ich das hier nicht ruinieren will, wie alles andere in meinem Leben", erklärte sie entschlossen und doch stotternd. "Lyla, du hast es schon ruiniert!", behauptete ich sauer und sah sie hasserfüllt an. "Im Ernst? Verschwinde einfach, Lyla", fügte ich etwas lauter hinzu. Ich meinte es vollkommen ernst. Mir war es im Moment egal, dass wir uns in der Öffentlichkeit befanden und dass vermutlich die nächsten Bilder von uns im Netz landen würden. Ich konnte und wollte meiner Wut freien Lauf lassen.
"Ich denke, ich sollte nun gehen", meinte Lyla leise. "Oh, ich bitte dich sogar darum. Den Weg nach draußen muss ich dir nicht zeigen. Den kennst du sicher. Immerhin weißt du ja, wo wir reingekommen sind", beendete ich das Gespräch. Durch meine, vom Weinen gerötete, Augen, sah ich nur noch verschwommen, wie sie den Garten verließ. Beste oder feste Freundin hin oder her, nach dem Geschehnissen wollte ich sie nicht mehr sehen.
Am Liebsten nie mehr.
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Zuhause öffnete ich das Fotoalbum und nahm das Bild heraus. Meine Tränen weichten das schwarz-weiße Foto auf. Dann zeriss ich es in Stücke, zündete es mithilfe eines Feuerzeugs an und ließ es im Kaminofen zu Asche verbrennen.
Meinem Bruder, der sehnlichst hier wartete, erzählte ich, was in den letzten Stunden passiert war. Er zog mich in eine brüderliche Umarmung. Und die konnte ich echt gebrauchen.
"Immer wenn ich an sie denke, will ich schreien. Verstehst du?", gab ich ihm preis. "Ach, Bruder, du musst damit... mit ihr abschließen", meinte Andreas. "Und wie?", hakte ich nach. "Ich weiß es nicht, Bruder. Ich weiß es nicht". Dann herrschte Schweigen.
"Bruder, kann ich dir etwas anvertrauen?", fragte ich ihn leise, um die Stille zu brechen. Andreas nickte nur. "Lylas Eltern. Sie wollten gar kein Kind. Sie hatten ihr schon immer das Gefühl gegeben, ein misslungenes Experiment zu sein. Das führte dazu, dass Lyla bei ihrer Tante aufwuchs. Aber diese wollte nie die Verantwortung, welche man nun mal mit einem Kind hat, tragen. Später, als Lyla in den Kindergarten kam, galt sie als Außenseiter. Ich war der einzige Freund, den sie hatte. Gleiches wurde in der Schule fortgesetzt. Sie gab sich immer die Schuld dafür, dass niemand etwas mit ihr zu tun haben wollte. Sie fand sich hässlich, wollte anders aussehen und irgendwo anders ein neues Leben beginnen. Das war ihr Traum - schon immer. Alles hinter ihr lassen und neu anfangen. Als dann ihr Tante auch noch durch einen Unfall starb, stürzte sie komplett ab. Sie begann zu rauchen, zu trinken, und hin und wieder griff sie zu härteren Mitteln und Substanzen, wenn du verstehst. Verlor sich in der Lücke von fehlender Selbstliebe und Depressionen. Kaum einer wusste, wie schlecht es ihr ging. Jedesmal, wenn ich zu ihr kam, habe ich sie weinen gesehen. Damals wusste ich ja noch nicht, dass es nicht nur eine Phase war. Ich habe erkannt, dass sie unglücklich war. Ich wollte für sie da sein. Sie glücklich sehen. Aber wie... wie sollte ich das geschafft haben, wenn sie es selbst nicht gewollt hatte? Ich habe doch versucht, ihr das Gefühl zu übermitteln, dass sie geliebt wird. Ich habe ihr doch alles gegeben, was ich hatte. Und was tat sie? Betrog mich..." Mein ganzer Körper zitterte.
Das, was sie mir angetan hatte.
Wie sollte ich ihr jemals verzeihen? Wie?
Wo war der Ausweg?
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