1. ~Claire~
Der nasse Lappen landet mit einem Platschen auf den nächstbesten Tisch in meiner Nähe. Wenn ich ehrlich bin, hasse ich diesen Job und mir will beim besten Willen nicht einfallen, warum ich ihn vor zwei Monaten angenommen habe. Ja, das kleine Restaurant, in dem ich früher gearbeitet habe, hat geschlossen. Aber in London gibt es weit Besseres als ein kaum besuchtes und leicht heruntergekommenen Café. Auch, wenn ich persönlich nicht dagegen habe, aber viele unserer potentiellen Kunden sehen es viel mehr als schäbig an. Da gehen sie lieber einen Kaffee im nächsten Laden kaufen.
"Claire, träumst du etwa wieder?"
Ich wende meinen Blick seufzend von dem Lappen ab und sehe zu Ella, die mit mir die meisten Spätschichten übernimmt. Und die immer grinsen muss, wenn sie mich beim Nachdenken - oder wie sie es nennt, träumen - erwischt.
"Es ist doch ohnehin keiner hier, da kann ich doch ruhig etwas nachdenken."
Das letzte Wort betone ich extra, damit sie aufhört, mich als ein verträumtes, kleines Mädchen zu sehen. Selbst, wenn ich mit 19 nicht alt bin, heißt das nicht, dass ich keine erwachsene Frau bin. Mit 16 wurde ich aus dem Kinderheim geworfen und musste alleine zurechtkommen. Seit jeher fühle ich mich schon nicht mehr als Kind oder Teenager. So weit ich weiß habe ich keine Eltern, keine Geschwister, keine Verwandten. Nur ich, ganz alleine gegen die Welt. So bezeichnet klingt mein Leben jedoch armseliger, als es ist. Nach meinem Architekturstudium, das ich zusammen mit meinen besten Freunden beenden werde, bewerben wir uns zusammen für eine richtige, bessere Arbeit als Architekten und verbringen unser ganzes, restliches Leben miteinander und mit Gebäudeplänen.
"Gut, wenn du meinst, du nachdenkliches Wesen."
Kichernd verschwindet sie in die Putzküche und tut, was auch immer sie da tut. Ich setze mich auf den Tisch und schaue mich um. Würde jetzt jemand kommen, wäre mir weniger langweilig und ich würde aufhören über alles mögliche nachzudenken.
Als hätte jemand oder etwas meinen Ruf erhört, öffnet sich die Tür und das leise Glockengeläut ertönt. Wie vom Blitz getroffen springe ich auf und drehe mich in Richtung Tür. Eine junge Frau, die zugegebenermaßen eine Schönheit ist, lächelt mich kurz an und setzt sich hin. Dabei entgeht mir nicht, dass sie viel zu nobel gekleidet ist für dieses Café. Die Markenzeichen von weltweit berühmten Marken springen mir förmlich ins Gesicht und scheinen mich hämisch auszulachen.
Bevor ich anfangen kann gruselig zu starren, höre ich ein Poltern hinter mir. Kurze Zeit später ist Ella an meiner Seite und flüstert zu laut, als das MSN es Flüstern nennen kann: "Ist das eine Kundin? Ich könnte vor Freude springen! Bitte kneif mich nicht. Das ist zwar hoffentlich kein Traum, aber selbst wenn soll er nicht enden."
Voller Elan geht sie zu ihr hinüber und nimmt ihre Bestellung auf. Derweil schalte ich die Kaffeemaschine wieder an, um kurze Zeit später die Getränke für die außergewöhnliche Kundin zu zubereiteten.
"Hier, bitte schön."
Möglichst freundlich stelle ich ihren Kuchen, Eiskaffee und ihren Tee vor ihrer Nase auf den Tisch ab und drehe mich um, um wieder zu gehen. Dabei denke ich mir bloß, dass das eine eigenartige Bestellung ist.
"Warte. Der Laden ist doch ohnehin nicht gut besucht, also hast du kaum etwas zu tun, nicht wahr? Eigentlich ja gar nichts. Möchtest du mir nicht Gesellschaft leisten? Ich trinke nicht gerne alleine."
Während sie mich bittend Anblick, schiebt die den Eiskaffee in meine Richtung. Dabei fällt mir keine bessere Frage ein, als die, woher sie bitte wusste, dass ich von all den Getränken hier nur Eiskaffee gerne trinke?
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