Kapitel 11
Ich verschränke meine Arme. „Das ist also die Höhle", bemerke ich. Eden und ich stehen am Eingang. „Wie hast du sie gefunden? Ich hätte sie niemals entdeckt, so gut wie sie versteckt ist.
„Per Zufall."
Ist klar. Ich sehe mich um. Schatten befinden sich vor uns. Würde man hier eine Leiche verstecken, würde sie niemals gefunden werden. Ich hole tief Luft. Aber hier riecht es nicht Verwesung. Ich drücke meine Schultern zurück und schreite nach vorne. Eden beobachtet mich nur mit einem Lächeln und drückt sich von der Höhlenwand ab, u mir zu folgen. Gemeinsam dringen wir tiefer in die Höhle ein. An der Decke haben sich durch das tropfende Wasser Zapfen gebildet.
Eden bewegt sich lauter als sonst. Vermutlich ist es nur der Hall. Langsam gewöhnen meine Augen sich an die dunkle Umgebung und ich sehe die Umrisse von Eden. Er steht genau da, wo ich ihn mit meinen Ohren gesehen habe. Ich lasse meinen Blick über die Höhlenwände gleiten. Auf ihnen wurden Bilder gemalt und Buchstaben eingeritzt. Jedoch sind sie in einer fremden Sprache.
Hinter mir verlagert Eden sein Gewicht von seinen Fersen auf seine Zehen.
„Sei bitte leise", fordere ich ihn auf.
„Tut mir Leid, dass ich atme."
Ich seufze. „Hör auf dich zu bewegen, das lenkt ab."
„Ich dachte, mein Aussehen würde dich ablenken."
Ich ignoriere seine Worte und fahre die unbekannten Buchstaben mit meinen Fingern nach, um sie mir einzuprägen.
Als ich fertig bin, betrachte ich die Bilder. Auf dem ersten Bild ist diese Tropfsteinhöhle abgebildet. Im nächsten sieht man einen unterirdischen See und schwarze Gestalten, die sich von dem Wasser zu ernähren scheinen.
Die Bilder erzählen eine Geschichte.
Menschen siedeln in der Nähe der Höhle an und zerstören den natürlichen Lebensraum der Wesen. Diese beschließen ihre Existenz zu sichern und bereiten sich auf einen Kampf vor. Sie greifen die Menschen schließlich in der Nacht an.
Ich halte inne. Es gab mal eine Zeit, wo es abwechselnd dunkel und hell war? Und das am selben Ort?
Meine Augen wandern weiter. Obwohl es Nacht ist, besitzen die Menschen Licht, das ihre Umgebung erleuchtet. Die schwarzen Wesen verlieren und im letzten Bild sieht man eine Gruppe von Menschen. Dort steht die Sonne hoch am Himmel und die Menschen werfen einen Schatten. Die schwarzen Wesen sind nun grau und tun genau das, was der dazugehörige Mensch macht.
Ich atme ein und versuche das Gesehene zu verarbeiten. Ich spüre Edens Präsenz hinter mir. Sie besteht aus vielen Fragezeichen. „Sei bitte leise", sage ich zu ihm.
„Diesmal habe ich aber wirklich nichts gemacht!", verteidigt er sich empört.
„Du hast gedacht, das reicht."
„Was?"
Ich gehe ein paar Schritte zurück und schaue mir die Bildergeschichte von weitem an. Diese Geschichte... Ich habe noch nie von ihr gehört. Mir wurde nur erzählt, dass wir einst Schatten besaßen. Diese griffen jedoch ihre Herren an und lösten sich von uns. Das hier erzählt mir jedoch, wie wir überhaupt zu den Schatten kamen. Sie gehörten nicht seit dem Anbeginn der Zeit zu uns, nein. Sie sind aus der Dunkelheit entsprungen und da sie den Krieg verloren hatten, wurden sie bestraft und unterdrückt.
Ich drehe meinen Kopf nach links. Ob es weiter hinten wirklich einen See gibt? Es gibt nur einen Weg das heraus zu finden.
„Kann ich jetzt wieder reden?", scherzt Eden, der neben mir entlang geht.
„Als ob ich dich jemals davon abhalten könnte!", argumentiere ich.
„Wo du Recht hast, hast du Recht", stimmt er mir zu. Wir kommen an einer Abzweigung an und ich bleibe stehen.
„Und, wo gehen wir jetzt lang?", Eden verschränkt seine Arme. „Teilen wir uns auf?", schlägt er vor.
Ich schaue auf den Boden und hebe zwei Steine auf. Den einen Stein werfe ich in den ersten Gang und warte solange, bis der Hall verklingt. Dieselbe Prozedur durchlaufe ich mit dem anderen Stein und der rechten Abzweigung.
„Was sollte das werden?", erhebt Eden seine Stimme, als ich fertig bin.
„Ich habe geguckt, wo der Stein länger nachhallt. Links war der Hall länger, das heißt, links geht es tiefer in diese Tropfsteinhöhle rein", erkläre ich und laufe weiter. Eden folgt mir.
„Hattest du Überlebenstraining?"
„Das kann man so sagen."
„Wer hat es dir beigebracht?", fragt er mich.
„Ist das wirklich wichtig?"
„Es interessiert mich halt...", meint er und zuckt mit den Schultern.
„Wie wäre es, wenn du mir mal was über dich erzählen würdest?", schlage ich vor. „Wo kommst du her?"
„Du kennst den Ort nicht", behauptet er. Ich sehe ihn aus meinem Augenwinkel an. „Und wo kommst du her?", will er wissen.
Ich schweige einen Moment lang. „Du kennst den Ort nicht. Es war eine kleine Stadt..."
„Würdest du gerne wieder dahin zurückkehren?"
„Nein, nichts ist mehr wie es war: Ich bin es nicht, meine Heimat ist es nicht. Und nichts wird je wieder sein wie zuvor", ich denke über meine Worte nach und Eden lässt mich mit meinen Gedanken alleine.
Meine Augen wandern nach oben und ich sehe ein Licht vor uns. Huh, geht es da schon wieder raus?
Ich setze einen Schritt vor den anderen und lausche. Unsere Schritte hallen in der Höhle nach und Tropfen fallen von der Decke. Doch sie landen nicht auf dem Steinboden, sondern auf einer Wasseroberfläche.
Einen Moment blendet mich das Licht und ich kneife automatisch meine Augen zusammen. Etwas später öffne ich sie vorsichtig wieder. Nach und nach gewöhne ich mich an die Helligkeit und betrachte den Höhlenraum. Vor uns geht es runter und in der Einbuchtung befindet sich ein kleiner See. Man kann sehen, dass er Mal höher war. Ich lehne mich nach vorne. Im See befinden sich an mehreren Stellen Dinge, die leuchten. Langsam gehe ich nach unten und ins Wasser rein. Es geht mir bis zu den Oberschenkeln. Mit meiner Hand greife ich ins Wasser und hole einen leuchtenden Stein raus.
„Das wollte ich dir zeigen", sagt Eden, der hinter mir steht. Ich drehe mich zu ihm um. In dem Moment ist es mir egal, dass er mich angelogen hat. Meine Augen sind nur auf den Stein gerichtet.
„Er ist wunderschön." Der Stein ist blau, wie meine Augen. „Leuchtet er von Natur aus, oder ist das Technik? Bevor der Krieg begonnen hat, soll der Fortschritt ziemlich weit gewesen sein, habe ich gehört. Mittlerweile ist das meiste Wissen jedoch verloren gegangen...", bemerke ich.
„Hast du nicht gelernt, dass Elektrik im Wasser überhaupt nicht funktioniert?"
„...Nein."
„Das lerne wir gerade im Unterricht!"
„Ich habe niemals die Oberstufe besucht. Gewisse Umstände haben mich dazu gezwungen, die Schule abzubrechen", erzähle ich ihm. Als Reaktion darauf starrt er mich perplex an.
„Oh."
„Aber das ist schon okay. Ich glaube nicht, dass ich Zeit fürs Rumsitzen habe. Und im Unterricht bringen sie einem auch keine Überlebenstechniken bei."
„Aber wir machen Evakuierungsübungen!", teilt er mir mit.
„Ja, wenn man schwach ist, was bleibt einem auch anderes übrig, als weg zu laufen..."
„Aber du bist nicht schwach Robin!", Eden umfasst meine Hände, mit denen ich immer noch den Stein halte. Sie sind kühl. „Du musst nicht weglaufen."
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