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An: [email protected]
Von: [email protected]
Betreff: RE: Erpressung ist strafbar
Hey Jess,
ich kann nachvollziehen was Du meinst, denn mir geht es ganz genauso. Als Deine E-Mail mich erreicht hat, war es ein absurd schönes Gefühl. Ich war mir nicht sicher, ob Du Dir die Mühe machen wolltest, oder ob ich in ein paar Tagen wieder einen Bescheid der Redaktion erhalten würde, in dem Du mir mitteilst, dass Dir das Anlegen einer E-Mailadresse zu viel Arbeit wäre. Vielleicht ja sogar ein bisschen zu persönlich. Schließlich wolltest Du nur ein paar Bücher verkaufen.
Nun, da Du so viel Liebe, Schweiß und Herzblut in Deine Fragen gesteckt hast, möchte ich Dich natürlich nicht enttäuschen. Kommen wir doch gleich zur ersten Frage:
Wie kann man Bücher nicht mögen? Nein, ernsthaft, wie? Nun, ich hatte nie das Bedürfnis eines zu lesen. Es sieht nach sehr viel Arbeit aus. Tagelang investiert man Zeit in etwas, dass in zwei Jahren schon als Blockbuster erscheinen könnte. Warum also die Mühe? Soweit ich mich daran erinnern kann, hatten wir in der Schule öfter mal zur Aufgabe eine Lektüre zu lesen. Es war die reinste Folter. Wer will schon die alten Schinken lesen? Meist waren die Sätze so abgedroschen, dass man sich vor lauter Kitsch am liebsten geschüttelt hätte. Schrecklich. Vermutlich rührt meine Abneigung also daher.
Doch als Gegenfrage, wie kann man Bücher derart lieben? Meine Freundin scheint das ganz ähnlich zu sehen wie Du. Sie verschwindet zwischen den Seiten. Meist für Stunden. So manche Wochenendplanung wurde wegen dieser Bücher zu nichte gemacht. Sie wollte noch unbedingt das Kapitel fertig lesen, dann das Nächste, und so weiter. Am Ende hatte sie das Buch fertig und draußen war es zu Dunkel, um noch etwas unternehmen zu können.
Der vorangehende Absatz beantwortet jetzt zum Teil auch Deine nächste Frage:
Bist Du denn auf der Suche, oder bist Du, wie meine Anzeige, auf Abwege geraten? Du kannst Dir nicht vorstellen wie stark ich auf Abwege geraten bin. Und das nicht einmal versehentlich. Lass es mich Dir genauer erklären, ehe Du den Kontakt zu mir abbrechen möchtest. Ja, ich habe nach einer Alternative gesucht. Nach einem Ausweg. Meine Freundin ist eine Bücherliebhaberin, wie Du es bist, doch sie würde für mich niemals auf sie verzichten. Wenn ich ihr vorschlagen würde, sie zu verkaufen, würde sie mich verlassen. Da bin ich mir sicher. Sie sieht mich nicht mehr. Alles wovon sie erzählt, hat mit den Helden zu tun, die in diesen Geschichten vorkommen. Ich bin Luft für sie. Das soll keine Entschuldigung sein, Jess. Es ist eine Erklärung. Bisher habe ich sie nicht betrogen, doch an dem Tag, an dem ich deine Anzeige gelesen habe, war ich auf der Suche nach einer Frau, mit der ich sie betrügen hätte können. Ich wollte wissen, ob es sie überhaupt interessieren würde, ob ich dadurch ein Gefühl in ihr auslösen könnte. Vielleicht sollte ich zu ihr und mir etwas ehrlicher sein und endlich einen Schlussstrich ziehen.
Nachdem Du Deine Antworten hast, hoffe ich, dass Du mir noch antworten möchtest. Ich weiß nicht einmal, warum ich derart ehrlich zu Dir war, doch ich wollte Dich nicht belügen. Nicht noch eine Frau, der ich falsche Tatsachen als wahr verkaufe.
Dein Brieffreund,
D.
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