4 - Picknick
Ehe ich mich versah, blieb nur noch knapp 1 Woche meines Urlaubs am See übrig. Der Gedanke bald wieder nach Hause – also mein richtiges Zuhause – zurückzukehren, machte mich besonders abends, wenn ich im Bett lag, melancholisch. Glücklicherweise jedoch lenkte mich Jin tagsüber ab, wenn wir zusammen abhingen, schwammen, angelten, Rad fuhren oder Beachvolleyball mit Hanna und den Jungs spielten. Jin gehörte für mich mittlerweile zum Tag dazu – genauso wie die Sonne tagsüber an den Himmel. Ich fühlte mich so unendlich wohl in seiner Nähe und konnte mir nicht vorstellen, dass unsere täglichen Treffen bald ein Ende finden würden. Jedes Mal, wenn ich ihn ansah, fing mein Herz erfreut an zu hüpfen und ein breites Grinsen stahl sich auf mein Gesicht. Jin war sehr umsichtig und achtete bei all unseren Aktivitäten immer darauf, dass ich mir nichts tat – tatsächlich hatte ich doch des Öfteren in seiner Gegenwart mit meiner Tollpatschigkeit zu kämpfen.
Heute wollten Jin und ich nochmal an jene Uferstelle rudern, wo die große alte Weide stand. Jin hatte ein Picknick vorgeschlagen und wollte mich gegen 15 Uhr bei mir am Steg abholen. Ungeduldig versuchte ich bis dahin meine Zeit totzuschlagen und machte Hannah damit völlig wuschig. Unruhig und ziellos tigerte ich durch das Ferienhaus. Ich nahm mein Buch zur Hand, legte es jedoch nach 2 Minuten auch schon wieder beiseite. Viel zu früh suchte ich mir für das Treffen etwas zum Anziehen aus meinem mitgebrachten Repertoire heraus – ich entschied mich für den gleichen Triangel-Bikini, in dem ich Jin kennengelernt hatte und wählte ein weißes, kurzes (aber nicht zu kurzes) Sommerkleid mit Zitronenmuster und stellte meine schlichten, flachen Sandalen bereit. Vor dem Spiegel überlegte ich, was ich mit meinen langen Haaren anstellen könnte, entschied mich allerdings am Ende einfach für offenes Haar. Wellig und meinen Gesichtszügen schmeichelnd, fielen sie mir offen bis zur Rückenmitte hinab. Ich legte nur minimal wasserfesten Mascara auf den oberen Wimpern auf und trug eine Lippenpflege auf, die meine Lippen sanft und rosig schimmern ließen.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich immer noch 2 Stunden bis zur Verabredung Zeit hatte – ächz! Warum konnte die Zeit nie dann rennen, wenn man es wirklich einmal gebrauchen konnte?! Ich kann mich an Zeiten erinnern, wo ich himmelhochjauchzend mit meiner Freundin durch einen Freizeitpark gerannt bin – die Zeit hatte gar nicht ausgereicht, um alles zu erkunden, geschweige denn alle Fahrgeschäfte zu fahren...und nun?! Uff! Ungeduldig warf ich mich samt Kopfhörer auf mein Bett und schaltete meine Chill Out – Playlist auf Spotify ein. Auf dem Bauch liegend und den Kopf auf meine verschränkten Arme gebettet, schloss ich die Augen und summte leise mit. Irgendwann muss ich jedoch weggedöst sein, denn als mir plötzlich eine Hand sanft über die nackte Schulter strich, fuhr ich erschrocken hoch.
„Ich sag ja, sie ist eingepennt... Das macht sie öfter, wenn sie sich Musik aufs Ohr haut.", erklärte Hanna gerade sachlich, als ich mir den Kopfhörer hektisch herunterriss. Schmunzelnd sah Jin, der neben Hanna stand, zu, wie ich mich von der Matratze aufrappelte und dann verlegen neben dem Bett von einem Fuß auf den anderen trat. „Als ob das was völlig unnormales wäre...", stammelte ich verlegen und hoffte, dass meine hektischen roten Flecken auf den Wangen nicht zu extrem ersichtlich waren. Er verkniff sich sichtlich ein Lachen, dann bemühte er sich um eine ernsthafte Miene und räusperte sich. „Bereit?"
Auch heute war wieder ein Tag, bei dem die Sonne Eis in 2 Minuten schmelzen ließ. Nur sehr selten wehte ein seichter Wind. Umso angenehmer war jedes nur auffindbare schattige Plätzchen. Als Jin und ich das Ufer mit der alten Weide erreichten, breiteten wir die Picknickdecke und darauf das mitgebrachte Essen von Jin aus. Er hatte sich Mühe gegeben. Aus seinem Korb holte er Dosirak, Gimbap, Gyeran-mari und Yubu Chobap zutage. Dann holte er noch eine Flasche Soju und eine Flasche Wasser hervor und goss mir in einen kleinen Plastikbecher den Soju und in einen zweiten, etwas größeren Becher, das Wasser.
„Oh mein Gott, das schmeckt himmlisch!", lobte ich seine Kochkünste, während ich vom Gyeran-mari abbiss. Jin hatte es ohne Tofu gemacht, weil er wusste, dass es mir nicht so gut schmeckte. Jin lächelte und machte eine bescheidene Wisch-Geste mit der Hand. „Ach was. Das ist doch nichts...", er hielt inne, als er meinem ernsten Blick begegnete. „Okay, okay... ich bin ein kulinarisches Superhirn.", beeilte er sich dann zu sagen. „Schon besser.", entgegnete ich, biss erneut ab und stöhnte genussvoll. „Und außerdem bin ich the world wide handsome! Sieh mich an, ich strahle förmlich eine Aura reiner Schönheit aus!" Augenblicklich verirrte sich ein Reiskorn in meine Luftröhre und ich begann zu husten – ach ja, der süße Klang des Sterbens. Jin brach in Gelächter aus, versuchte mir aber dennoch mit Klopfern auf den Rücken, zumindest etwas Linderung zu verschaffen.
Als besagtes Reiskorn schließlich in hohem Bogen im Sand landete, griff ich direkt zum Wasser und nahm ein paar Schlucke. „Geht's wieder?", fragte Jin und musterte mich besorgt. Ich nickte zur Antwort. Keine Zeit zu reden, muss trinken! Doch als ich schließlich den Becher abstellte und ein erleichtertes Seufzen meiner Kehle entwich, begegnete mein Blick Jins sanftmütigen großen Augen mit langen dichten Wimpern. Seine vollen Lippen verzogen sich an den Mundwinkeln immer noch zu einem sanften Lächeln. Mein Herz hüpfte erfreut und begann emsig, das Tempo etwas zu erhöhen. Währenddessen spürte ich außerdem, wie die Hitze meine Wangen eroberte. „Es sieht süß aus, wenn du rot wirst.", kommentierte Jin und lehnte sich plötzlich nach vorne, sodass sein Gesicht meinem nah kam – sehr nah. Wie eine zu Stein erstarrte Säule saß ich vor ihm und war unfähig, mich in diesem Moment zu bewegen.
Um uns herum nahm ich die Abendsonne wahr, die sich glitzernd auf der Wasseroberfläche zwischen den Zweigen hindurch spiegelte. Ich hörte den seichten Wind im Schilf rascheln, die Vögel im Wald zu uns herüber singen, hin und wieder auch einen Frosch in der Ferne quaken. Jetzt stützte Jin sich langsam auf alle viere und griff dann mit einer Hand nach meinem Haar. „Du hast ein Blatt gefangen.", sprach er leise, während er es entfernte und mir dann zum Beweis vor die Nase hielt. Ich betrachtete es nur kurz und richtete meinen Fokus dann wieder auf Jins wunderschönes Gesicht. Er hatte sich weder weiter nach vorne, noch weiter nach hinten bewegt. Auch er war erstarrt. Meine Hand hob sich ganz automatisch, legte sich auf seine Hand, die das Blatt noch immer zwischen uns hielt und führte sie sanft zu Boden. Jins Adamsapfel hüpfte, als er schluckte, doch auch jetzt rührte er sich nicht. Den Blickkontakt haltend kam ich langsam auf die Knie. Schließlich neigte ich ihm meinen Kopf entgegen und schloss das letzte bisschen Raum zwischen unseren Lippen.
Etwas später- ich konnte nicht sagen, ob es Minuten oder Stunden waren – lagen wir beide nebeneinander auf der Decke. Ich lag auf dem Rücken, mit angewinkelten Beinen und hinter dem Kopf verschränkten Armen – Jin lag bäuchlings, auf seine Ellenbogen gestützt und hatte seine Beine ausgestreckt. Gedankenverloren zwirbelte er eine meiner Haarsträhnen zwischen seinen Fingern. „Schon komisch...", murmelte er und ich öffnete meine Augen neugierig einen Spalt. „Was ist denn?" Sein Blick huschte über mein Gesicht und er lächelte. „Wer hätte gedacht, dass ich während meiner Sommerpause mit den Jungs ein Mädchen wie dich treffe..." Ich zog eine Hand unter meinem Kopf hervor und strich seufzend über seinen Kopf. Fragend schoben sich seine Augenbrauen zusammen. „Schon komisch...", echote ich. „Wer hätte gedacht, dass meine Schwester mit ihrem Rat einen Doppelknoten zu machen soooo Recht behalten hat." Er lachte kurz auf. „Ein Bikini-Oberteil zu angeln... daran hätte ich nicht mal im Traum dran gedacht." Sein Blick blieb an den Schnüren meines Bikinis, die unter meinem Kleid hervorblitzten, hängen. Ich setzte mich auf und zog mir das Kleid über den Kopf aus. Dann stemmte ich mich auf die Füße und reichte Jin meine Hand. „Ich geh jetzt schwimmen... kommst du mit?"
Er ergriff meine Hand und machte sich beim Hochkommen extra leicht, damit ich von seinem Gewicht nicht gleich wieder zu Boden gerissen werden konnte. Wieder einmal fiel mir auf, wie groß er im Vergleich zu mir war. Zumindest war ich einen halben Kopf kleiner als er. Als ich zu ihm aufsah, erkannte ich sofort an seinem Blick, dass er zu Späßen aufgelegt war. Seine Augen funkelten mich an, während er sich mir kaum merklich näherte. Der Moment, in dem ich erkannte, was er vorhatte, reichte gerade noch zum Reagieren aus. „Wehe Dir!", rief ich kichernd und wich einige Schritte zurück. Unschuldig dreinschauend richtete er sich aus der leichten Beuge auf. „Was meinst Du?", fragte er engelsgleich. Den Kopf schüttelnd und im bereits wadentiefen Wasser rückwärts watend, hob ich mahnend den Zeigefinger. „Du wirst mich nicht ins Wasser werfen. Eher werfe ich mich selbst." „Das wollen wir sehen!", entgegnete Jin daraufhin und sprintete auf mich zu.
Als er mich erreichte, schlangen sich seine Hände um meinen Oberkörper und mit mir im Arm, warf Jin sich ins Wasser. Die Kälte im ersten Moment traf mich wie ein Schlag und wanderte über meinen gesamten Körper. Jin ließ mich los und keuchend stellte ich mich so schnell es ging wieder im Wasser auf die Beine. Kurz nach mir tauchte Jin lachend aus dem Wasser auf. „Das du es wagst!", rief ich und zeigte anklagend auf ihn. Er ergriff meine Hand und zog mich näher an sich. Ich schlang meine Beine um seine Taille und meine Arme um seinen Nacken, dann waren unsere Gesichter nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt und es wurde plötzlich still um uns. Ich legte meine Stirn gegen seine und spürte, wie seine starken Arme sich um meine Taille legten. Mein Herz raste in meiner Brust – ich hoffte, er würde es nicht bemerken. „Emmi...", murmelte er dicht an meinen Lippen. „Hm?", erwiderte ich – unfähig, etwas Gescheiteres herauszubringen. Seine Hand fuhr meinen Rücken hinauf und legte sich flach zwischen meinen Schulterblättern auf meiner Haut ab. Ein kleiner wohliger Schauer durchfuhr mich. „Ich habe ein wenig Angst.", gestand er nach einem weiteren Zögern. Ich legte den Kopf ein wenig zurück und sah ihn fragend an. „Warum denn?" „Nun...ich...ich habe noch nie jemanden wie Dich getroffen und...", er holte noch einmal Luft und schloss dabei die Augen. „...ich habe auch noch nicht so gefühlt wie jetzt gerade." Als seine dunklen Augen meine fanden, wurde sein Blick warm und plötzlich spürte ich nichts mehr von der Kälte des Wassers, indem wir uns noch befanden. „Es ist verrückt. Aber wenn Du in meiner Nähe bist, fühle ich mich wohl. Ich muss mich nicht verstellen, wie ich es sonst tue, wenn ich auf Army's treffe" – richtig, Jin hatte mir bereits vor einigen Wochen eröffnet, wer er war. „Mit dir Zeit zu verbringen...nun, das fühlt sich irgendwie wie das Normalste auf der ganzen Welt an. Meine Gedanken drehen sich um dich, wenn ich dich nicht sehe und ich merke, ich vermisse dich. Ich glaube, ich begreife langsam, dass ich dich brauche...und das ist ein schönes Gefühl, es macht mir aber gleichzeitig auch Angst. Ich weiß leider nicht, wie ich es anders beschreiben kann...aber verstehst du was ich meine?"
Wortlos sah ich ihn noch für einen kleinen weiteren Augenblick an. Ach Jin. Dann wanderten meine Hände an seine Wangen. Sein Adamsapfel hüpfte, doch Jin wagte es nicht, sich zu bewegen. „Ja.", beantwortete ich seine Frage. Dann zog ich ihn sanft zu mir heran und küsste ihn.
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