Angst
Namjoon reißt die Tür zum Wartezimmer auf und sieht sich suchend um.
,,Anna?", fragt er in den Raum und er atmet hörbar aus, als unsere Blicke sich treffen und ich aufstehe.
,,Es ist alles gut", sage ich schnell und bin ich wenigen Schritten bei ihm. Ich lege meine Hände an sein Gesicht und versuche die Panik in seinen Augen zu beruhigen.
,,Warum bist du hier? Was ist passiert? Geht es dir nicht gut?", seine Stimme überschlägt sich fast und ich spüre die neugierigen Blicke der anderen Wartenden auf uns.
,,Nicht hier", antworte ich leise und nehme ihn an der Hand, um ihn aus dem Wartezimmer zu bringen.
,,Sagst du mir jetzt wieso du hier bist?", fragt er, als ich ihn an der Anmeldung vorbeiziehe und der Empfangskraft nett zulächle.
Im Freien angelangt bleibe ich schließlich stehen und drehe mich mit einem ernsten Blick zu ihm um.
,,Nur, wenn du mir versprichst, dass du nicht ausflippst", fordere ich ernst und er nickt langsam.
,,Ich verspreche es", sagt er ungeduldig.
,,Ich hatte heute meine erste Einheit und sie lassen mich nicht alleine nach Hause fahren. Ich habe dir nichts gesagt, weil ich nicht will, dass du deswegen deine Arbeit schleifen lässt. Ich wollte erst sehen, wie es ist", murmle ich leise und senke den Blick.
Ich weiß, dass es ein Fehler war es ihm nicht zu sagen und fühle mich deswegen mal wieder schlecht.
Namjoon dreht sich von mir weg und fährt sich durch die Haare.
Ich spüre die Wut, die ihn ihm aufsteigt, ohne dass er mich dazu überhaupt ansehen müsste.
,,Okay", sagt er schließlich und dreht sich wieder zu mir. ,,Wie geht es dir?"
Er nimmt meine Hand und streicht mir eine lose Haarsträhne hinter mein Ohr.
,,Gut soweit", ich zucke mit den Schultern und sehe an mir herunter.
Bis jetzt fühle ich mich tatsächlich wirklich gut.
,,Bitte sag mir das nächste Mal Bescheid", gibt er zurück und zieht mich in eine Umarmung.
Ich schmiege meine Wange an seinen weichen Pulli und atme tief durch.
,,Danke, dass du mich abgeholt hast", brummle ich dumpf an den Stoff und er lacht leise auf.
,,Dafür musst du mir sicher nicht danken", antwortet er leise. ,,Fahren wir nach Hause."
,,Willst du etwas Besonderes machen? Oder möchtest du Schokolade? Eine Kopfmassage? Saure Gurken?", fragt Namjoon, nachdem wir im Dorm angekommen sind und er mir mit meiner Tasche hilft.
,,Ich bin nicht schwanger", lache ich auf. ,,Können wir ein bisschen spazieren gehen? Ich hab irgendwie Lust auf ein bisschen Bewegung."
,,Na klar. Warte kurz", gibt er lächelnd zurück und bedeutet mir mich kurz aufs Sofa zu setzen.
Ein paar Minuten später kommt er mit Bam die Treppe herunter und ich streichle dem Dobermann, der schwanzwedelnd auf mich zukommt, lachend über den Kopf.
,,Das ist eine gute Idee", meine ich und sehe glücklich zu Namjoon.
,,JK wollte leider nicht mit", zuckt dieser nur mit den Schulter. ,,Das Halsband hat ihm leider auch nicht gepasst."
,,Scherzkeks", grinse ich, als ich aufstehe und wir gemeinsam mit Bam den Dorm verlassen und uns auf den Weg in den nahe gelegenen Park des Bezirkes machen.
„Spürst du schon was?", fragt mich Namjoon vorsichtig, während wir Hand in Hand durch den Park schlendern und ich schüttle den Kopf. „Nein, ich merke gar nichts. Die Ärzte meinen dass ich die ersten Nebenwirkungen erst nach der zweiten Sitzung spüren werde. Bis dahin wird es mir wahrscheinlich ziemlich gut gehen", antworte ich ihm ehrlich und sehe Bam dabei zu, wie er vor uns über den Weg springt.
„Hast du überhaupt gemerkt, dass es dir nicht gut geht? Du hast nie etwas gesagt", hakt Namjoon weiter nach.
„Nein. Ich wollte nur meine Blutwerte checken lassen und hätte nicht geahnt, dass das dabei rauskommen wird", gebe ich nachdenklich zurück.
Wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich an Leukämie erkranken werde, hätte ich ihm wahrscheinlich einen Vogel gezeigt und ich spüre die Angst in meiner Brust, dass bald alles schneller vorbei sein könnte, als es mir lieb ist.
,, Das Leben ist so vergänglich", murmele ich leise und Namjoon drückt sanft meine Hand.
„Du schaffst das. Wir schaffen das. Ich will dass du weißt, dass ich jederzeit da bin. Vergiss meine Arbeit und vergiss meine Pflichten. Das Einzige was jetzt zählt ist deine Gesundheit und den Rest werde ich hinten anstellen. Die Jungs werden das verstehen", sagt Namjoon ernst, als er plötzlich stehen bleibt.
,, Das kann ich nicht", widerspreche ich ihm augenblicklich. ,, Die Musik ist das Wichtigste für dich. Dass du mich vorziehst würde ich niemals erwarten."
,, Du bist das Wichtigste", entgegnet Namjoon, legt seine Arme um mich und zieht mich zu sich heran.
Eine Träne rollt meine Wangen hinab, als ich mein Gesicht an seiner Brust vergrabe und meinen Gefühlen freien Lauf lasse.
Wie wird es sich anfühlen, wenn ich Lebewohl sagen muss?
Es ist bereits Mitternacht, als ich plötzlich aufwache und mich ruckartig aufsetze.
,,Was ist los?", murmelt Namjoon, bevor er plötzlich aufschreckt.
Ich streiche mir die Haare aus dem Gesicht und sehe mich verwirrt in der Dunkelheit um.
,,Was ist los?", fragt Namjoon besorgt und fährt mir vorsichtig über den Rücken. ,,Ist dir schlecht? Kann ich dir irgendetwas bringen? Brauchst du Wasser?"
Ich schüttle den Kopf.
,,Ich hatte einen Albtraum", flüstere ich leise und sehe an die dunkle Decke.
,,Um was ging es?", möchte er wissen und nimmt meine Hand in seine.
,,Ich kann es dir nicht erzählen", gebe ich mit zittriger Stimme zurück.
Kurzes Schweigen.
,,Ich kann es mir schon denken", seufzt er auf und schlägt die Decke zurück, um sich im Schneidersitz vor mir hinzusetzen.
Er knippst die Nachtischlampe an und legt vorsichtig seine Hände an meine Wangen, damit ich ihn ansehe.
,,Hör zu", beginnt er sanft. ,,Ich habe es dir im Park schon gesagt und ich sage es dir jetzt noch einmal. Du schaffst das. Es gibt Möglichkeiten dir zu helfen und du wirst gut überstehen."
Tränen steigen mir in die Augen und ich versuche sie schnell wegzublinzeln.
,,Was ist wenn nicht?", frage ich mit dünner Stimme. ,,Was ist, wenn ich sterbe?"
,,Du. stirbst. nicht", meint er energisch und sieht mich eindringlich an. ,,Davor fliegt der Papst zum Mars."
Ich lächle gequält und er zieht mich in seinen Arm.
,,Ich liebe dich", murmelt er leise an mein Ohr und ich lege die Arme um seinen Hals.
,,Ich dich auch", gebe ich zurück und spüre plötzlich einen Stich in der Brust.
Ich sacke zusammen und drücke mit der Handfläche auf die schmerzende Stelle.
,,Was ist?", fragt Namjoon erschrocken.
,,Nichts", lüge ich ihn über den Schmerz hinweg an. ,,Es ist alles gut. Legen wir uns wieder hin."
Mit angehaltenem Atem lehne ich mich zurück in die Kissen und sehe Namjoon mit großen Augen an.
Verwirrt schaltet er das Licht wieder aus.
Wenige Minuten später bin ich eingeschlafen, während Namjoon die ganze Nacht wach neben mir liegt...
Namjoons POV:
Ihre Hand ruht immer noch auf ihrer Brust, als sie schlafend neben mir liegt und das Mondlicht feine Schatten auf ihr Gesicht wirft.
Ich mache mir Sorgen.
So viele Sorgen, dass ich jetzt schon nicht mehr schlafen kann.
Wie wird es ihr gehen, sobald sie länger in der Chemotherapie ist?
Kann ich zuhause bleiben und für sie da sein?
Werden die Jungs das wirklich verstehen und wie sollen wir es ihnen sagen?
Und was ist, wenn Anna Recht hat und die Aussichten sich verschlechtern?
Mir wird plötzlich übel bei dem Gedanken und ich starre an die Decke.
Szenarien von einer leeren Bettseite neben mir und der fehlenden Zahnbürste in meinem Badezimmerschrank drängen sich in meinen Kopf und ich versuche sie abzuschütteln.
Du darfst so nicht denken, Namjoon.
Du musst ihr ein gutes Gefühl geben und du musst für sie da sein, damit sie alle Energie zusammen nehmen kann.
Sie wird das schaffen und ich muss einen klaren Kopf bewahren.
Egal was kommen wird, ich werde sie nicht im Stich lassen!
💜
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