31 (end)
Auch in den nächsten Tag wird der Schmerz, diese Ohnmacht nicht besser. Nachts kann ich nicht schlafen und morgens nicht aufstehen. Niall, Suzanne und Gemma sehen regelmäßig nach mir, doch ich kann kein Gespräch mit ihnen anfangen, weshalb sie einfach neben mir am Bett sitzen und meine Hand halten.
Ab und zu kommt Mum zu mir herein, um mir etwas zu trinken zu bringen. „Wo ist Travis?", frage ich einmal, was sie zum Seufzen bringt.
„Auch im Bett. Soll ich ihn fragen, ob er zu dir hoch kommen will?" Ich schüttle den Kopf und rapple mich auf. „Ich geh zu ihm."
Die Rollläden sind noch unten, ich bezweifle, dass sie in der letzten Woche auch nur einmal oben waren.
„Travis?", flüstere ich, um ihn nicht zu erschrecken. Verwundert hebt er den Kopf und dreht sich in meine Richtung. Sobald das Licht des Flures auf sein Gesicht fällt, zucke ich zusammen. Tiefe Augenringe zieren sein fleckiges Gesicht.
„Hallo Harry." Ein müdes Lächeln huscht über seine Lippen, während er sich aufrichtet, damit ich mich zu ihm setzen kann.
„Wie geht es dir?", will er wissen. Ich hebe eine Augenbraue. „Scheiße", erwidere ich, woraufhin er schnaubend nickt. „Willkommen im Club." Zitternd atmet er durch. Mein Blick fällt auf die angebrochenen Taschentücherpackungen, die überall auf dem Boden verstreut liegen.
Plötzlich ergreift er meine Hand. „Harry, darf ich dich etwas bitten?" „Ja?" „Ich... ich würde mich freuen, wenn du seine Grabrede hältst. Meinst du, du kriegst das hin?"
„Es wird mir eine Ehre sein, es zu tun, Travis." Abermals lächelt er schwach. „Ich hab dich lieb, das weißt du doch, oder?" Nicken meinerseits.
„Du bist der beste Stiefsohn, den man sich wünschen kann."
„Und du der beste Stiefdad."
„Danke. Und Harry?"
„Ja?"
„Bitte geh nach Österreich. Es wird dir gut tun, glaub mir. Louis würde es bestimmt traurig finden, wenn du diese Chance nicht nutzt."
„Mach ich."
Dann ist der Tag da: Louis' Beerdigung. Ausnahmsweise stehe ich mal morgens auf, um mich fertig zu machen. Der Anzug, den Mum mir rausgesucht hat, sieht sogar gut aus, zu gut für diesen höllischen Tag.
Tief durchatmend streiche ich mir meine Haare aus dem Gesicht. „Du schaffst das, Harry. Ich glaub an dich", versuche ich, mir selbst Mut zu machen.
Draußen regnet es in Strömen, weshalb mein Scheibenwischer auf dem Weg zum Friedhof vollste Arbeit leisten muss. Zum Glück findet die Zeremonie drinnen in einer kleinen Kapelle statt. Schon als ich parke, stürmen Niall und Suzanne mit einem Regenschirm auf mich zu.
Sie fallen mir um den Hals und ich kann nicht anders, als mich an meinem besten Freund festzuklammern. „Sch... sch, alles wird gut", tröstet er mich, weil ich weine.
„Danke, dass es dich gibt", schniefe ich, woraufhin er mir einen Kuss auf die Wange drückt. „Das kann ich nur zurückgeben." Dann laufen wir gemeinsam zu den anderen.
Ich entdecke Eleanor und die Freunde der beiden, Louis' Tanten und deren Ehemänner, ja sogar seine Mutter, zu der er nie ein gutes Verhältnis hatte (sie hat ihn nicht einmal im Krankenhaus besucht. Travis' Zwillingsschwestern sind zumindest einmal vorbeigekommen), sowie seine Schwestern sind da. Auch Gemma und Dad sind gekommen. Und sie alle sehen traurig aus. Sehr traurig. Mum eilt auf mich zu, um mich nochmal zu umarmen.
„Du bist so stark, Harry. Jede Wette guckt Louis dir von oben aus zu." Sie küsst mich auf die Stirn, ehe sie wieder verschwindet. Travis hat vor 10 Tagen genau das Gleiche zu mir gesagt. Ich hoffe so sehr, dass es stimmt.
Zuerst spricht der Pfarrer einige Worte, erzählt davon, was für ein tolles Leben Lou doch gehabt hat, auch wenn es so kurz war, segnet ihn und seine Verwandten und Freunde, danach bin ich an der Reihe.
Ich bahne mir einen Weg nach vorne, vorbei an all den anderen. Ich vernehme Schluchzen von allen Seiten, was mir sehr auf den Magen schlägt. Am liebsten würde ich direkt wieder umdrehen.
Aber ich halte durch und stelle mich tapfer ans Rednerpult. Die Rede habe ich auf einfaches Karopapier geschrieben, was allerdings nicht heißt, das sie nicht von Herzen kommt. Ich habe die letzten drei Tage all meine Energie hineingesteckt.
„Louis war mein Stiefbruder und ich habe ihn geliebt. Ernsthaft, er war mein Ein & Alles. Und ich seines. Ich weiß, ethisch ist es schwer vertretbar, wenn Stiefbrüder sich lieben und zusammen sind, aber ihm war das immer egal.
„Harry, irgendwann werden wir uns outen und dann kann uns nichts mehr trennen." Das sind immer seine Worte gewesen.
Er hat mir Kraft gegeben, zu mir selbst zu stehen. Und wenn ich ihn geküsst habe, ist für einen Moment die Welt um mich herum stehen geblieben. In solchen Augenblicken konnte ich einfach der sein, der ich bin.
Ich kann mich noch an den Tag erinnern, an dem wir meinem Erzfeind über den Weg gelaufen sind, denn danach hat er mir versprochen, auf mich aufzupassen.
Dabei bin ich eher derjenige, der ihn hätte besser beschützen müssen. Was passiert ist, verfolgt mich nach wie vor und ich wünschte, es gäbe irgendeine Möglichkeit, ihn wiederzuhaben.
Sein Lächeln noch ein einziges Mal sehen zu können. Gott, mit diesem Lächeln hat er uns alle doch immer unglaublich glücklich gemacht, oder? Wenn er gelächelt hat, ist die Sonne aufgegangen. Seine Nan hat mal gesagt, er könne damit Kriege beenden. Ich glaube, damit hat sie Recht gehabt.
Er war so voller Leben, so voller Freude und Mut. Echt, ich hätte mir oft eine Scheibe von ihm abschneiden können. Aber davon... davon ist nichts mehr da.
Obwohl, doch, da er zumindest in meinem Herzen immer bleiben wird. Ich werde ihn bei mir tragen, egal wo ich bin. Ich werde ihn nicht vergessen, egal, was passiert. Er war nicht nur mein Bruder, er war mein Freund, mein Vorbild.
Als wir noch jünger waren, war ich oft total neidisch auf ihn. Es hat immer so gewirkt, als ob er wüsste, was er tut. Er war so selbstsicher, so von sich überzeugt, ohne je gemein oder egoistisch zu sein. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass der Himmel einen neuen Engel gewonnen hat."
Ich wende mich seinem Sarg zu, auf dem ein Foto von ihm steht. „Mach es gut, mein Lieber. Ich hab nicht vergessen, dass du mich liebst. Und ich werde es auch nie." Mit Tränen in den Augen laufe ich zurück in die Bank zu Niall und Suzanne.
Das Raunen, dass mein Geständnis sehr überraschend kam, um mich herum ignoriere ich, doch bei einem Seitenblick entdecke ich Eleanor, die geschockt den Mund aufgerissen hat. Und plötzlich tut sie mir leid. Ich glaube, Louis war ebenfalls ihr Ein & Alles.
Glücklicherweise hat der Regen nachgelassen, während der Sarg zum Grab getragen wird, alle Trauergäste folgend. Ich laufe neben Suzanne, die sich bei Niall einghakt hat. Die beiden sind immer noch zusammen, was der einzige Lichtblick für mich ist.
Ich konnte ihnen zu ihrem Glück verhelfen, was mich stolz macht. Sie sind nach wie vor ein supertolles Paar. Ich werde sie beide schrecklich vermissen. Am Grab angekommen, spricht der Pfarrer noch ein Gebet, dann wird der Sarg in die Erde gelassen.
Nach einer Schweigeminute erhebt Travis räuspernd die Stimme und macht einen Schritt nach vorne. „Louis, ich werde dich nie vergessen, mein Junge. Ich liebe dich und hoffe, dass ich dir immer ein guter Vater sein konnte." Kurz seufzt er, bevor er sein Handy zückt und sich zu mir dreht.
„Harry? Ich habe mitbekommen, wie du dieses schöne Lied 'Das Leben ist schön' geübt hast. Ich hab mir die englische Übersetzung angeguckt und war sehr begeistert davon. Würdest... würdest du es für uns singen? Ich hab eine Playbackversion davon."
Überrumpelt nicke ich. „Äh... klar." Unsicher stelle ich mich zu ihm. Also liest er einmal den englischen Text vor, um dann die Playbackversion abzuspielen.
Meine Stimme bebt und ich muss mich zusammenreißen, auch wirklich zu singen und nicht in Tränen auszubrechen. Um mich besser konzentrieren zu können, schließe ich meine Augen. Die Worte gehen mir leichter von den Lippen, als gedacht, und irgendwie tut es gut. Ich singe mir die Trauer von der Seele.
„Und wenn ihr schon weint, dann bitte vor Glück, dann bin ich da oben und sing mit euch mit, und sing mit euch mit", schließe ich und öffne das erste Mal wieder die Augen. Die anderen sind total gerührt und sehen mich dankbar an.
„Das war wundervoll", lobt Mum mich leise und beginnt, zaghaft zu klatschen, woraufhin jeder mit einsteigt. Travis legt mir den Arm um die Schulter. „Vielen Dank, mein Junge."
Auf einmal klingelt sein Handy. Verdutzt checkt er das Display und hebt die Hand. „Das ist das Krankenhaus, da muss ich dran." Er entfernt sich, sodass man nur noch Gemurmel hören kann, bis er wiederkehrt, ein Hauch Erleichterung in seiner Miene. „Meine Mutter ist aufgewacht."
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Ich hoffe, diese FF hat euch gefallen, so wie mir auch :) Ich hoffe, ihr hattet Spaß beim Lesen und habt es verkraftet, dass es kein Happy End gab... ;)
sooo und nun darf ich mir nachher meiner Schwester zuliebe Star wars angucken xD
Wir sehen uns bei meinen anderen FFs ;) lots of love ♥
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