64. Alte Feinde
So hate me
You might as well hate me
And go on berate me
Until the day you die
- Abney Park, Until The Day You Die
Die Eiszapfenküste war ein zerklüftetes Stück Land, zum Himmel und zum Meer hin ausgefranst wie ein zerrissenes Stück Stoff. Bucklige Berge aus schwarzem Granit umrandeten hunderte und tausende versteckte Buchten an den Armen des Eisigen Meeres. Grau schlug das Wasser gegen die verschneiten Berge. Eisberge zerschellten an der Küste. Ihr Donnern hallte dunkel durch die Fjorde.
Sie waren tagelang durch das eisige Niemandsland gerannt, immer auf der Hut vor den Patrouillen der Eiswölfe. Komarov führte sie sicher an ihnen vorbei. Einmal lauerten sie einem Trupp von fünf Wölfen auf. Sie töteten alle, schlachteten die Einhörner der Soldaten bis auf eines, nahmen Waffen und Kleidung und flohen, so schnell sie konnten.
Im Schutz einer Höhle verwandelte Ravan sich zurück. Er war froh, wieder klar denken zu können. Es ist nicht einfach, mehrere Tage am Stück ein Wolf zu sein. Man verliert sich so schnell... Doch er vermisste seine Wolfsgestalt jede Sekunde, in der er frierend auf seinem gestohlenen Einhorn saß.
Die Hufe des Tieres klapperten dumpf auf dem Gestein. Der schneidende Wind umtoste sie wie das Meer die Felsen und wehte den Schnee in die Schluchten. Wo bleibt Sveracsson? Ich habe ihm gesagt, dass er hier warten soll... Hoffentlich hat Raybeau seine Arbeit getan. Und sich nicht wegen unfreundlichem Betragen umbringen lassen.
Bastard galoppierte ihm entgegen, die Hufeisen schlugen Funken auf dem schmalen Pfad. „Die Windschnitter ist nicht weit von hier. Sie liegt in der nächsten Bucht", rief er über den Wind hinweg.
Braver Raybeau. „Führ uns hin."
Bastard warf einen Blick zu Komarov. „Wir werden sehen, was unser Kapitän mit dem Hurensohn dort anstellt", zischte er gehässig zu Ravan gewandt.
Ravan seufzte. Auf dem Weg vom Weißen Fort bis zur Küste hatte Bastard unzählige Male versucht, Komarov zu provozieren. Ravan hatte stets eingegriffen, bevor es zu Blutvergießen gekommen war, doch es war immer schwerer, den Hass des Söldners zu kontrollieren. Und sie werden weitere Wochen und Monate gemeinsam auf einem Schiff eingepfercht sein. Dann noch Sveracsson und Raybeau. Wenigstens ist Komarov einigermaßen umgänglich.
Der Eiswolf hatte Bastards Sticheleien stets erwidert, doch er hatte nie den ersten Stein geworfen. Zwar war sein Hass auf den Fuchsbruder spürbar, doch er hielt sich an sein Versprechen, das er Ravan im Weißen Fort gegeben hatte und griff Bastard nie körperlich an.
Ravan winkte Komarov zu sich heran, und der Eiswolf schloss auf. „Master Komarov, ich habe euch im Weißen Fort vorgewarnt, dass Euch meine Helfer nicht gefallen werden."
Der Eiswolf erwiderte stumm seinen Blick.
„Ich bin mit einem Schiff hierher gekommen, mit einem Nordfahrer. Sein Name ist euch wahrscheinlich nicht bekannt, doch er kennt sicher den Euren, und er wird genauso wenig begeistert von Euch sein wie Ihr von ihm."
„Wer ist er?", fragte Komarov heiser.
„Sein Name ist Haakon Skílfar Sveracsson."
Komarovs Körper spannte sich an, und Ravan konnte hören, wie seine Zähne hart aufeinanderschlugen, als er den Kiefer zusammenbiss. Seine Finger krümmten sich um die Zügel. „Sveracsson", knurrte er. „Ihr bringt mich mit einer Menge alter Feinde zusammen."
„Kennt Ihr ihn?"
„Seinen Bruder. Leif Skílfar Sveracsson. Er war der General der Marine von Varangia."
„Was habt Ihr dann mit Haakon zu tun?"
„Ich tötete Leif bei der Befreiung einer Geisel in Varangia. Ich bin mir sicher, dass Haakon weiß, wer dafür verantwortlich ist."
Wie... unglücklich. Es wird wirklich ein Höllenspaß. „Habt Ihr viele solcher Aufträge ausgeführt? Ich dachte, Ihr wärt nur ein gewöhnlicher Soldat mit einer Begabung für den Tod."
„Nein. Ich habe nur den Fürst von Sverkasfell aus seiner Gefangenschaft befreit."
„Wie, bei allen Göttern und Geistern, habt Ihr es dann geschafft, im Weißen Fort zu landen? Ihr habt einen Fürsten befreit. Was hat Euch in den Ruin getrieben?"
Komarov biss die Zähne zusammen. „Ich war in Vargensgard stationiert. Die Stadt liegt an der Meerenge zur Sundarsbucht. Am anderen Ufer der Straße liegt Vintasgard. Die Städte werden oft von der jeweils anderen angegriffen, und meine Aufgabe als Hauptmann von Vargensgard war es, die Vintas zurückzuschlagen. Und das tat ich, mit Erfolg. Ich war noch sehr jung, doch ich wurde mit einem Orden für meine Fähigkeiten geehrt. Sie nannten mich einen der besten Soldaten des Landes, und schickten mich und ein paar meiner Männer auf eine Mission. Wir sollten Fürst Piotr Sverkasborg aus der Festung von Varangia befreien, ein schwieriges Unterfangen, doch es gelang uns. Ich ahnte, dass die Vintas sich für diese Freveltat rächen würden, und bat Zar Alexander Danarov um Unterstützung der Truppen von Vargensgard. Doch er beachtete mich nicht und drohte mir sogar, sollte ich aus eigenem Antrieb nach Unterstützung suchen. Die Schneeleoparden werden uns nicht mehr angreifen als sonst, behauptete er, und gab mir den Befehl über Vargensgard. Einige Wochen später griffen die Vintas an. Sie töteten jeden Soldaten meiner Einheit. Ich wurde gefangengenommen, doch entkam. Ich rächte mich an Danarov für meine Männer, und musste dafür büßen. Doch ich bereue es nicht", endete er nüchtern.
Was für merkwürdige Wendungen das Schicksal doch bereithält. „Wir werden sehen, wie Sveracsson Euch aufnehmen wird... Ich habe es geschafft, dass dieser Bastard dort", er wies auf den Söldner, der beschwingt voranritt, „seinen Drachen mit an Bord eines Schiffes nehmen durfte, da werde ich es auch schaffen, Euch an Bord der Windschnitter zu bringen."
Komarov ließ sich nicht zu einer Antwort herab, sondern schwieg nur.
Als sie einen Felsvorsprung passierten, konnte Ravan die Masten des Nordfahrers erkennen, die wie tote Bäume in den eisigen Himmel stachen. Sie sind wohl das einzige Holz weit und breit.
Ravan erkannte Sveracsson und Raybeau an Deck des Schiffes und rief nach ihnen. Sveracsson setzte ein Fernglas ans Auge und beobachtete sie, dann gab er die Befehle, zwei Boote zu Wasser zu lassen. Einige Augenblicke später ruderten zwei Boote zu einem kleinen Strand, über dem sich die Klippen erhoben.
Der Pfad zum Wasser hinab war schmal und rutschig, und Ravan fürchtete um sein Leben. Selten war er so froh gewesen, den verschneiten Sand unter den Hufen seines Einhorns zu hören, als sie die kleine Einbuchtung erreichten.
Laroux wartete bereits auf sie, eingehüllt in einen schweren gefütterten Mantel. „Master Darnovey, Master Yarrow. Welche Freude, Euch lebendig anzutreffen."
„Ebenfalls, Miss Laroux", antwortete Ravan und ließ sich ermattet von seinem Einhorn rutschen. Als er auf dem Sand aufkam, knickten seine Beine unter ihm weg, und er griff hastig nach dem Sattelhorn, um seinem hungrigen Reittier nicht den Nacken zu entblößen. „Wie lange wartet ihr schon hier?"
„Kaum eine Woche. Wir haben uns gut gehalten, ein paar leichte Erfrierungen, der Captain langweilt sich und will wissen, wen Ihr aus dem Land der Wölfe mitgebracht habt..."
Ravan lächelte entschuldigend. „Nun, Miss, das könnte zu einem Problem werden... ich habe erfahren, dass der Captain und mein Gast", er gestikulierte zu Komarov, der ebenfalls abgestiegen war, „alte Bekannte sind, und zwar nicht von der positiven Sorte."
Laroux stutzte. „Oh. Welcher Sorte genau?"
„Er hat Sveracssons Bruder getötet."
Sie sog scharf Luft durch die Zähne ein. „Der Kapitän hing sehr an seinem Bruder. Aber nun, Ihr wollt wohl kaum ohne Euren neuen Freund an Bord gehen, und den Streit werdet Ihr Euch so oder so antun. Ihr da", sie wandte sich an die Männer, die sie begleiteten, „bringt die Ausrüstung der Herren in die Boote. Tötet die Einhörner, häutet sie und nehmt alles, was ihr gebrauchen könnt. Fahrt mehrmals, wenn Ihr müsst, aber beeilt Euch. Die Anweisungen von Master Raybeau waren eindeutig."
Ravan zog eine Augenbraue hoch. „Hat Raybeau so viel Befehlsgewalt?"
Sie schnaubte. „Es ist kein Tag vergangen, an dem der Captain und Euer Raybeau sich nicht an die Kehle gehen wollten, aber ich habe mein Wort gehalten und ihn im Zaum gehalten. Aber die Befehle, die er versucht zu geben, sind richtig, also ist Sveracsson oft nicht begeistert, wenn er Raybeaus Worte einfach nur wiederholen muss." Sie sah an ihm vorbei zu Komarov, dessen Satteltaschen gerade von den Seemännern in die Boote verladen wurde. „Wer ist Euer neuer Gefährte nun?"
„Sein Name ist Skyoll Komarov. Er war ein Soldat in", Ravan sah sich zu dem Eiswolf um, der einem Mann gerade grob seine Waffen aus den Händen riss, „Vargensgard, und war lange im Weißen Fort wegen eines... unglücklichen Zwischenfalls, bei dem ein wichtiger Mann umgekommen ist." Ich muss ihr ja nicht auf die Nase binden, dass wir nun den meistgesuchten Mann Isvangars bei uns haben.
„Aye, Sveracsson hat mir von ihm erzählt. Er ist ein verhasster Mann in Corvangar. Er ist wohl einmal in Varangia eingebrochen und hat eine Menge Schneeleoparden getötet..."
„...darunter Sveracssons Bruder, und nebenbei eine Geisel befreit, ja."
Laroux seufzte. „Ich wünsche Euch viel Glück dabei, dem Captain davon zu überzeugen, dass er einen Eiswolf auf seinem Schiff beherbergen soll, noch dazu der Mann, der Leif getötet hat. Aber ich denke, Ihr habt die Gabe der Überzeugung."
Ravan lächelte amüsiert. Sie hat recht. Ich habe ein erstaunliches Talent dafür, Verbündete zu dem zu bekommen, was ich will. Vielleicht sollte ich den König nicht töten, sondern einfach nur freundlich bitten, Subat anzugreifen und unsere Waffen zu kaufen.
Laroux winkte Ravan, Komarov und Bastard zu dem anderen Boot, und die drei stiegen ein. Gemächlich legten sich die Ruderer in die Riemen und steuerten auf die Windschnitter zu.
Ravan sah sich zum Ufer um. Zwei Frosteinhörner waren an einem Felsen angebunden worden, zwei Männer hielten das dritte an den Zügeln, ein dritter stand vor ihm und lud sein Gewehr. Das Einhorn schien zu ahnen, was ihm blühte, und biss wütend nach den Männern, doch sie zogen ungerührt die Finger aus der Reichweite des Tieres. Der Mann mit der Muskete hob die Waffe, zielte und drückte ab. Der Schuss peitschte ohrenbetäubend laut durch den Fjord und hallte klagend an den Klippen wider. Der Wind verzerrte das Geräusch zu einem Grollen. Das Einhorn stieß ein hohes Kreischen aus, dann brach es auf dem Sand zusammen, die anderen beiden jammerten heulend ihren Hunger und Zorn heraus. Die Echos klangen, als ob tausende Einhörnern über den Klippen standen und nach Vergeltung für ihren Artgenossen schrien.
Fröstelnd wandte Ravan sich wieder zu dem Schiff vor ihm. Ich kann es kaum erwarten, diesen elenden Winter hinter mir zu haben. Weitere Schreie und Schüsse erhoben sich hinter ihm, doch er sah nicht zurück.
An Deck lief Raybeau ihm entgegen. „Master Darnovey. Wer ist das?", fragte er ohne Umschweife.
„Raybeau. Ich freue mich ebenfalls, dich zu sehen. Du lebst noch, scheint es?", erkundigte Ravan sich belustigt.
Raybeau zog eine Grimasse. „Dieser verfluchte Schneeleopard kostet mich all meine Nerven, aber aye, ich lebe noch. Wer ist der Eiswolf?", wiederholte der Kapitän mürrisch seine Frage.
„Das werde ich dir erklären, sobald..." ...Sveracsson hier ist, wollte Ravan enden, doch der Vintas marschierte herrschaftlich aus seiner Kajüte, Laroux, die bittend auf ihn einredete, auf den Fersen.
„Master Darnovey! Wen habt Ihr an Bord meines Schiffes gebracht?", donnerte er. „Wisst Ihr, wer er ist?"
Ravan grinste peinlich berührt. „Das wollte ich Euch erklären."
„Das wäre wünschenswert, Darnovey! Es war nicht Teil unserer Abmachung, dass der Mörder meines Bruders mein Schiff betreten muss!"
„Ihr habt zugestimmt, dass Ihr mich, meinen Begleiter Madrid Yarrow, und die Person, die ich im Schweiße meines Angesichts aus dem Weißen Fort befreit habe, wieder mit an Bord nehmt und nach Lichtenturm bringt. Das ist unsere Abmachung, und ich sehe nicht, wie Komarov da nicht eingeschlossen sein sollte." Ravan versuchte, sein unverschämtes Grinsen zu verbergen und zwang sich zu einem emotionslosen Gesichtsausdruck.
Sveracsson knurrte. „Das mag unsere Abmachung gewesen sein, aber ich werde diesen Abschaum nicht eine Sekunde länger auf meinem Schiff dulden!", brüllte er. Mit gefletschten Zähnen zog er sein Schwert, lang und leicht gekrümmt, ohne Parierstange und mit silbernen Verzierungen an der Klinge. Grollend trat er auf Komarov zu und hob seine Waffe. „Runter von meinem Schiff, du Dreck auf Madras' Schöpfung, bevor ich deine Eingeweide auf den Planken verteile."
Komarov zog sein verrostetes Messer mit einer Schnelligkeit, die Ravan dem muskulösen Wolf niemals zugetraut hätte. „Ich weigere mich. Ich habe mich auf Master Darnoveys Befehl hin auf dieses Schiff begeben und gehorche seinen Befehlen. Sollte Ich unerwünscht sein, solltet Ihr dies mit ihm klären."
Oh, ich bin also der mächtige General über einen gnadenlosen Killer. Wie wunderbar. Ravan lächelte gezwungen.
Sveracssons Knurren ließ die Planken erzittern. Er wirbelte zu Ravan herum, der einen erschrockenen Schritt zurücktrat. „Schickt ihn von meinem Schiff, oder ich hänge Euch am Mast auf!" Seine Mannschaft regte sich drohend, als könnte sie es kaum erwarten, seine Befehle auszuführen.
Ravan ließ das Grinsen von seinem Gesicht rutschen. „Nein, Sveracsson. Ich habe ihn für meine Pläne befreit, und ohne ihn ist es nicht möglich, mein Ziel zu erreichen. Es steht also außer Frage, dass er das Schiff verlässt."
Der Vintas hob sein Schwert. „Verschwindet von meinem Schiff. Alle zusammen."
Ravan trat einen schnellen Schritt auf ihn zu und knurrte. „Nein."
Sveracsson fasste das Schwert fester. „Sofort."
Hinter Ravan war das scharfe Geräusch von Stahl auf Leder zu hören, als Bastard und Raybeau simultan ihre Waffen zogen. Auch die Mannschaft griff zu den Schwertern, Musketen und Pistolen wurden gespannt. Der Wind legte ein atemloses, klagendes Lied über die gereizten Männer.
Laroux brach die Stille. „Es hat keinen Sinn, uns hier gegenseitig abzuschlachten. Die Soldaten der Wölfe suchen Komarov, und wenn sie uns finden und sehen, dass wir auch nur ansatzweise mit ihm im Kontakt standen, werden sie uns massakrieren. Captain, Ihr wolltet den Wölfen wehtun. Das habt Ihr getan, indem Ihr ihrem größten Staatsfeind zu Flucht verhelft."
„Und nebenbei einem anderen von Unzars verdammter Brut helfe!", brüllte Sveracsson. „Der meinen Bruder tötete!"
„Captain", sagte Laroux beschwörend, „es ist nur bis Lichtenturm. Danach sind wir sie los. Ihr müsst Komarov nicht einmal über den Weg laufen. Er kann unter Deck bleiben. Aber lasst uns endlich von hier verschwinden, bevor die Wölfe hören, dass wir hier sind!"
Sveracsson starrte schwer atmend auf Ravan, der mühsam den Wolf unter seiner Haut hielt. Wenn ich mich jetzt verwandle, macht er einen Pelzmantel aus mir.
„Gut", zischte der Vintas zwischen seinen Zähnen hervor. „Bringt die neuen Vorräte in den Laderaum. Komarov tritt mir nicht unter die Augen, bis wir in Lichtenturm sind. Laroux, gebt Befehle zum Anker lichten. Ich will, dass wir in der Nordmark sind, bevor der nächste Mond untergeht."
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