Kapitel 56
• J O N A H •
Als es Dienstagmittag zur Pause klingelt, seufze ich erleichtert auf. Meine Schüler machen sich nicht die Mühe, ihre Plätze ordentlich zu hinterlassen, sondern stürmen augenblicklich aus dem Klassenzimmer heraus.
Ich fühle mich schlecht, dass ich seit einiger Zeit nicht mehr bei der Sache bin. Zu unterrichten ist immer ein Traum von mir gewesen. Und jetzt?
Ich liege jeden Tag am frühen Abend neben meinen kranken Freund, dem es von Tag zu Tag schlechter geht. Und das macht mich fertig.
Es schien erst so, dass es ihm ein wenig besser ging. Zach hatte an Gesichtsfarbe gewonnen, wirkte munterer. Er fühlte sich soweit gut, dass seine Geschwister bei ihm im Zimmer sein konnten.
Und es hat jeden von ihnen gut getan, mal wieder Zeit miteinander zu verbringen.
Doch dann hat sich sein Zustand ganz auf einmal wieder verschlechtert. Er lag mit erhöhten Fieber im Bett, wollte aber nicht ins Krankenhaus.
Elijah konnte Zachary wenigstens dazu umstimmen, Dr. Hall einen Hausbesuch machen zu lassen. Er hat ihm noch weitere Medikamente verschrieben, ihm aber auch nochmals darauf hingewiesen, er sei in einer Klinik besser aufgehoben.
Davon wollte er natürlich nichts hören.
Ich bin gerade dabei, die Tafel zu wischen, als mein Handy summt. Wegen der besonderen Situation zuhause schalte ich es nicht leise, auch nicht im Unterricht, um immer erreichbar zu sein.
Es ist Zach.
Zach [12:34 Uhr]: Ich vermisse dich...
Ein kleines Schmunzeln umspielt meine Lippen, als ich ihm antworte.
Jonah [12:34 Uhr]: In weniger als zwei Stunden hast du mich wieder
Zach [12:35 Uhr]: Das ist immer noch zu lange
Zach [12:35 Uhr]: Was kann ich tun, dass ich ein Foto bekomme?
Ich lasse mich auf meinen Stuhl sinken und lehne mich zurück, während ich tippe.
Jonah [12:36 Uhr]: Machen deine Jungs keinen guten Job mehr?
Auf seine Antwort warte ich länger.
Zach [12:39 Uhr]: Es ist dir aufgefallen?
Jonah [12:40 Uhr]: Deine Spione sind nicht gerade so unauffällig, wie sie denken
Erst gestern habe ich Henry dabei erwischt, wie er in der Bibliothek ein Foto von mir gemacht hat, als ich etwas für den nächsten Unterricht nachschlagen wollte. Dummerweise hat er den Kamerablitz nicht ausgemacht.
Eine weitere Nachricht von Zach trifft ein.
Zach [12:40 Uhr]: Was soll ich denn machen, wenn ich nur Zuhause hocke?
Jonah [12:41 Uhr]: Du wärst einer der wenigen Teenager, die sich darüber beschweren, zuhause bleiben zu müssen
Zach [12:41 Uhr]: Würde ich in der Schule sein, hätte ich dich 24/7 um mich herum...
Schmunzelnd schüttle ich den Kopf.
Jonah [12:41 Uhr]: Eifersüchtig?
Seine Antwort kommt sofort, als hätte er nur auf diese Frage gewartet.
Zach [12:42 Uhr]: Klar bin ich eifersüchtig, wenn alle bei dir sein können außer ich
Jonah [12:42 Uhr]: Der Unterschied ist nur, dass ich am Ende des Tages zu dir nach Hause komme. Und nur in deinem Bett neben dir liege
Als von ihm nach einigen Minuten immer noch nichts kommt, mache ich mich wieder daran, die andere Seite der Tafel zu wischen.
Womöglich ist er eingeschlafen.
Mittlerweile verbringen wir die Zeit damit, dass er schläft und ich neben ihm sitze, und Arbeit erledige. Er ist ziemlich frustriert deswegen, dass er kaum bei richtigen Bewusstsein ist, wenn wir zusammen sind. Aber ich habe ja die Hoffnung, dass er meine Anwesenheit jedes Mal spürt und weiß, dass ich immer an seiner Seite bin.
Überrascht wende ich mich um, als es an der Tür klopft. Eva hebt lächelnd die Hand. "Hey, Fremder. Hast du gar keinen Hunger?"
"Nicht so wirklich."
"Bist du etwa auf Diät?", fragt sie, was mich verwundert. Meine Kollegin betritt das Klassenzimmer und lässt ihre Finger über die Oberfläche der Tische wandern, während sie auf mich zukommt. "Du hast in der letzten Zeit abgenommen."
"Echt?" Das ist mir gar nicht aufgefallen.
Sie nickt. "Ist alles in Ordnung, Jonah? Du wirkst schon seit einiger Zeit so verändert."
Es wundert mich nicht so wirklich, dass es meinen Kollegen aufgefallen ist. Ich bin, seit es Zachary schlecht geht, kein so geselliger Mensch. Meist ziehe ich mich im Lehrerzimmer zurück und bin in meinen eigenen Gedanken gefangen, dass ich nicht einmal bemerke, wenn mich jemand anspricht.
Ich könnte sie anlügen, aber sie würde es wissen, dass mich etwas bedrückt.
"Es ist nur ... Es gab einen Krankheitsfall in der Familie. Mein ... Großvater."
Eva schaut mich mitfühlend an. "Das tut mir leid. Ist er..." Sie spricht es nicht aus, doch es ist eindeutig, was sie meint.
Kopfschüttelnd mache ich mich daran, meine Unterlagen zusammen zu suchen. "Er leidet sehr ... Und wir können ihn nicht davon erlösen."
"Das ist schrecklich. Ich habe meine Mutter vor einigen Jahren verloren, sie ist an Krebs verstorben", vertraut sie mir an und lehnt sich dann gegen einen vorderen Tisch.
"Mhm", gebe ich lediglich von mir, da ich nicht weiß, was ich dazu sagen soll. Es ist ein sehr sensibles Thema.
Sie verschränkt die Arme vor der Brust. "Aber gerade jetzt ist es dann wichtig zu versuchen weiterzumachen. Denkst du nicht, dein Großvater würde das wollen?"
Bevor ich etwas erwidern kann, summt mein Handy wieder. Als ich einen Blick darauf werfe, blinkt der Bildschirm auf. Zach hat geschrieben.
"Also, ähm ... Falls du reden magst, ich bin im Büro. Dort gibt es im übrigen auch Kuchen. Adam hat Geburtstag."
Ich hebe amüsiert eine Augenbraue. "Der Sportfreak verteilt Kuchen?"
"Seine Frau zwingt ihn dazu. Sie backt allerdings auch ausgezeichnet. Überlegst dir einfach mal", sagt sie augenzwinkernd und läuft dann um den Tisch herum.
Ich sehe ihr nach, bis sie den Raum verlässt, und nehme dann mein Handy, um die Nachricht meines Freundes zu lesen.
Zach [12:53 Uhr]: Das klingt so schön
Zach [12:53 Uhr]: Ich liebe dich
Lächelnd schreibe ich ihm ein "Ich liebe dich auch" zurück.
*
Lucas Campbell
1968 - 2015
'Du fehlst ...
Immer und überall,
an jedem Tag,
den Rest meines Lebens'
Ein trauriges Lächeln umspielt meine Lippen, als ich den vertrockneten Blumenstrauß gegen neue Blumen ersetze. Ich knie vor dem Grab meines Vaters, streiche gedankenverloren über das glatte, kalte Mamor und versuche die Tatsache zu verdrängen, in einigen Wochen vor Zachs Grab zu sitzen.
Tatsächlich habe ich ihn angelogen, als er mich gefragt hatte, ob ich wütend sei. Dass er niemanden über seinen wirklichen Gesundheitszustand berichtet hat und sich noch dazu weigert, auf eine weitere Transplantation zu warten, macht mich unglaublich wütend.
Doch gleichzeitig kann ich ihn auch verstehen, dass er sein Leben so nicht mehr leben möchte. Und weder ich noch seine Familie hat das Recht, über ihn zu bestimmen. Es ist seine Entscheidung.
Das bedeutet allerdings nicht, dass ich glücklich damit bin.
Ich befreie den Grabstein gerade von dem ganzen Unkraut, als mein Handy vibriert. Es ist allerdings nicht Zachary, was ich erst vermute, sondern sein Vater, der mir eine Nachricht geschrieben hat.
Elijah [16:38 Uhr]: Weißt du schon, wann zu Zuhause bist? Ben möchte heute Abend kochen
Jonah [16:39 Uhr]: Gegen halb 6 sollte ich da sein
Elijah [16:39 Uhr]: Alles klar
Elijah [16:39 Uhr]: Zach hat schon nach dir gefragt. Er möchte wach sein, wenn du nach Hause kommst
Lächelnd tippe ich:
Jonah [16:40 Uhr]: Ich beeile mich
Während ich mein Handy wegstecke, richte ich mich auf und schaue auf das Grab meines Vaters herunter. "Es war schön, dich zu sehen, Dad", murmle ich. "Ich hatte ja gehofft, dich eines Tages meinen Freund vorzustellen. Drück uns die Daumen, dass ich Zach irgendwann hierher bringen kann."
Tränen sammeln sich in meinen Augen. "Verurteile mich bitte nicht, Dad. Wenn du Zach kennen würdest, könntest du mich verstehen, dass ich für ihn freiwillig alles riskiere. Er ist ein wundervoller Mensch. Und ich liebe ihn so unglaublich."
Ich wische mir über die von Tränen feuchten Wangen. "Ich kann ihn nicht verlieren, verstehst du? Er ist seit einer so langen Zeit jemand, den ich in mein Herz geschlossen habe ... Dad, erkläre es mir bitte. Warum verliere ich all die Menschen, die ich liebe?"
"Broken Heart" neigt sich dem Ende zu ... 😥
Habt ihr vielleicht Lust auf einen letzten Leseabend? ☺
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