Kapitel 54
• Z A C H A R Y •
Ich wende mich gequält ab, als Jonah mit einem feuchten Tuch über meinen Mund streichen möchte. Er seufzt deshalb. "Musst du es noch kompliziert machen, Zach? Ich möchte dir doch nur helf..."
"Nein, du spielst meine Krankenschwester. Seit zwei Wochen tust du nichts anderes als das", maule ich ihn an, bereue es im nächsten Moment aber wieder.
Mein Freund erwidert darauf nichts, sondern wartet geduldig darauf, dass ich kapituliere. Was ich nach ein paar Sekunden der Reue auch tue.
Seit meinem Zusammenbruch vor zwei Wochen habe ich mein Bett kaum verlassen. Stattdessen kämpfe ich mit ständiger Übelkeit und Erbrechen, obwohl ich kaum etwas trinke, geschweige denn esse.
Um es einfacherer aufzudrücken, mir geht es verdammt beschissen. Und obwohl Jonah die ganze Zeit über tapfer an meiner Seite war, habe ich meist meinen Kummer an ihn abgelassen. Dabei trifft ihn absolut keine Schuld.
Es ist schon erstaunlich, dass er all das über sich ergehen lässt. Obwohl er weiß, wie unangenehm es mir ist, dass er mich so sieht, bleibt er bei mir. Letzte Woche stand er sogar mit einer Reisetasche vor mir und meinte, er würde für einige Zeit hier bleiben, um bei mir zu sein.
So schläft er zurzeit in meinem Zimmer oben, während ich nach meinem Krankenhausbesuch ins Gästezimmer im Erdgeschoss eingezogen bin.
Dr. Hall legte meinen Eltern nahe, mich so wenig zu belasten, wie es nur geht. Das nahmen die beiden so ernst, dass ich auch keine Treppen mehr steigen sollte.
Und nun liege ich hier. Neben meinem Bett ein Eimer, damit ich nicht erst aufstehen muss, falls ich mich übergeben sollte. Auf dem Nachttisch stapeln sich Bücher, die Jonah mir zur Beschäftigung mitgebracht hat. In die Schule darf ich nicht mehr gehen.
Sozusagen ist das alles nur noch ein langgestrecktes Abwarten. Man versucht das Beste daraus zu machen, aber die Situation ist und bleibt hoffnungslos. Was allein auf meiner Entscheidung begründet, mich keiner weiteren Operation unterziehen zu wollen. Welche ich auch nicht bereue, aber sie ist vor allem für meine Familie und Jonah schwer.
Benjamin kann mir oft noch nicht in die Augen gucken. Zu sehr schien es ihn verletzt zu haben, dass ich mich für den Tod entschieden habe. Dabei würde es mir einmal mehr gut tun, wenn er mich in den Arm nimmt und mir sagt, dass alles gut wird. Dass er mich lieb hat. Dass wir das alles gemeinsam überstehen.
"Zach, denkst du nicht, es wäre besser, den Jungs abzusagen? Du..."
"Wenn ich meine Freunde schon nicht in der Schule sehe, dann möchte ich sie wenigstens zuhause treffen..."
"Aber du hasst es zu zocken", erinnert er mich verwirrt, während er mir ein letztes Mal über den Mund wischt, den Waschlappen dann weglegt. "Vielleicht könntet ihr..."
Es klopft an der Tür und einen Moment später steckt Sadie ihren Kopf ins Zimmer. "Entschuldigt, falls ich störe. Deine Freunde sind hier, Zach."
Ich schaue von ihr zu Jonah, der wenig begeistert aussieht, als er sich aufrichtet. "Dann lass ich euch mal allein." Er lehnt sich nochmal zu mir hinunter und haucht mir einen Kuss auf die Stirn. "Habt Spaß."
"Danke. Ich liebe dich, Jonah."
"Ich dich auch."
Meine Schwester lächelt ihn auf aufmunternder Weise an, als er an ihr vorbeigeht. Bevor sie aber die Tür hinter sich schließen kann, rufe ich sie zurück.
Verwundert kommt sie meiner stillen Aufforderung nach, sich zu mir zu setzen. "Ist zwischen euch beiden alles gut? Jonah schien nicht so, naja, glücklich."
"Er macht sich wie immer einige Sorgen."
Sie betrachtet meine Gestalt, lässt sich dafür sehr viel Zeit, um anschließend leise zu seufzen. "Was auch berechtigt ist, denkst du nicht auch? Ich meine, Zach, du lebst und dein Herz schlägt, aber du siehst aus wie..."
"Tot? Da muss ich mich nicht mehr wundern, warum die Zwillinge nicht in mein Zimmer gehen dürfen", spekuliere ich schmunzelnd, obwohl mir gar nicht danach ist.
In den letzten Tagen, in denen ich hier war, habe ich meine Geschwister eigentlich kaum zu Augen bekommen. Zumindest sollten die Kleinen nicht so oft zu mir kommen, da es für die beiden ein Schock sein könnte, ihren großen Bruder so zu sehen.
Ich habe schon etwas länger nicht mehr in den Spiegel geschaut, aber bei solchen Aussagen möchte ich es auch nicht wirklich.
"Es ist so seltsam zu wissen, dass du hier liegst, Zach. Du fehlst uns, wenn wir am Esstisch sitzen. Oder Fernsehen gucken", murmelt meine Schwester dann und schaut niedergeschlagen auf ihre Finger.
Am liebsten würde ich sie in den Arm nehmen, kann die Kraft aber nicht dazu aufbringen mich aufzurichten. Deshalb greife ich nach ihrer Hand und ziehe sie zu mir aufs Bett.
"Aber deine Freunde warten do..."
"Dann können sie noch ein paar Minuten weiter warten", beruhige ich sie und küsse sie auf die Stirn. "Meine kleine Schwester geht vor."
Sie schmiegt sich vorsichtig an mich heran, um mir vorzugsweise nicht weh zu tun. Dass sie sich darum Sorgen macht, bricht mir das Herz.
"Ich hab dich wahnsinnig lieb, Bruderherz", höre ich sie an meiner Brust sagen. "Ich mag es nicht, dich so zu sehen."
"Das wird schon...Aber Sadie, egal, was auch geschieht, ich werde dir immer zur Seite stehen. Das weißt du, oder?"
Die Rothaarige krallt ihre Finger in meinen Hoodie. "Du hast mich zwar oft genervt, aber ich möchte dich nicht verlieren."
Ihre Anmerkung bringt mich zum Schmunzeln.
Ein Seufzer entweicht mir, als ich sie enger an mich drücke. "Ich verspreche dir, dich auch weiterhin zu nerven. Glaub mir, ich werde dich zu deiner ersten Verabredung begleiten, deinen ersten Kuss miterleben. Wenn du weinst, werde ich deine Tränen trocknen...Ich lasse dich nicht allein."
Ich tippe ihr auf die Stelle, unter der ihr Herz klopft. "Hier werde ich sein. Immer. Irgendwann wünschst du dir vielleicht, dass du mal nicht an mich denkst..."
"Vergiss es! Das wird niemals passieren", fällt sie mir harsch ins Wort und richtet sich blitzschnell auf. "Sag sowas nicht, kapiert! Wegen dir muss ich noch heulen und das geht ja wohl gar nicht!"
Es klopft an der Zimmertür, sodass ich mich lachend umdrehe. Ezra öffnet die Tür, hinter ihm stecken meine Freunde ihre Köpfe in die Höhe, um ebenfalls etwas sehen zu können.
"Du hast Besuch, Zach."
"Einen Moment noch", sage ich zu meinem Bruder und wende mich dann wieder an das Mädchen neben mir. "Tust du mir einen Gefallen?" Sadie nickt. "Trommel die anderen zusammen. Wir veranstalten mal wieder einen Spieleabend, okay? Bloß so unter den Walsh-Geschwistern. Was hältst du davon?"
Meine Schwester strahlt über das ganze Gesicht, als sie meine Idee hört. "Das klingt toll! Ich sag den Zwillingen Bescheid." Damit springt sie vom Bett und läuft an den Jungs vorbei.
Ezra lässt meine Kumpels vorbei, die mich git gelaunt begrüßen. Wenn sie über meinen Anblick geschockt sind, lassen sie es sich kein bisschen anmerken.
Henry hält ein Spiel in die Höhe. "Wir haben FIFA mitgebracht. Ist doch okay, oder?"
Ich zucke mit den Achseln und schlage mit Landon ein, der sich dann neben mich setzt und mich mustert. Als ich seinen Blick misstrauisch erwidere, lehnt er sich zur Seite und hält mir dann mein Glas vor die Nase. Augenverdrehend schüttle ich den Kopf.
"Trink einfach, Zach."
Fangen jetzt auch noch meine Freunde damit an, mich zu pflegen?
Er drängt den Strohhalm gegen meine Lippen, bis ich sie schließlich öffne und beginne zu trinken. Nur sehr langsam, um meinen Magen daran zu gewöhnen.
"Ich bin in meinem Zimmer, falls was ist", informiert mein Bruder uns. Beziehungsweise eher die Jungs. "Und Jonah sollte im Wohnzimmer sein."
"Alles klar. Wir sehen uns dann", meint Landon, während Henry damit beschäftigt ist, die Playstation anzuschalten.
Wir warten, bis Ezra die Tür hinter sich geschlossen hat. Als wir allein sind, bitte ich meinen Kumpel, mir beim Aufrichten zu helfen. Behutsam fässt er mir an den Arm und legt seinen anderen Arm um meine Taille, um mir so gut es geht zu helfen.
"Du machst gerade ziemlich viel durch, nicht wahr?", fragt er, als ich schließlich aufrecht sitze.
Schulternzuckend beobachte ich Henry, der sich in dem Augenblick umdreht. "Alles hat seinen Preis, um nicht in die Schule zu müssen. Stimmt's, Kumpel?", scherzt er augenzwinkernd, was mich wiederum zum Grinsen bringt.
"Dafür habe ich doch euch, dass ihr mir die wichtigen Dinge übermittelt. Wo wir gerade auch bei dem Thema sind..."
Abwartend sehe ich zwischen den beiden hin und her, bis Landon schließlich sein Handy herausholt und darauf herumtippt.
Es dauert nicht lange, dann ertönt mein eigenes, das er mir sogleich gibt. "Es sollte deine Erwartungen treffen, denke ich", meint er, als ich unseren Chatverlauf öffne.
Die heutigen Bilder, die er mir gerade gesendet hat, erwecken sofort mein Interesse. Zu sehen ist Jonah...
...wie er an der Tafel steht und etwas erklärt.
...wie er nachdenklich auf seinem Bleistift herumkaut.
...wie er seinen Kaffee trinkt.
...wie er über etwas schmunzelt, was ein Kollege zu ihm sagt.
"Danke", murmle ich lächelnd, während ich mir die Fotos immer wieder anschaue.
"Kein Problem..."
"Wie er es immer noch nicht bemerkt hat, dass wir das tun", wirft Landon verwundert ein. "Wir fotografieren ihn mittlerweile seit über einer Woche täglich, zu jedem Zeitpunkt. Und er hat es bisher echt nicht gemerkt."
"Er ist halt mit anderen Dingen beschäftigt, als dass er darauf achten könnte", entgegne ich und lege dann das Smartphone beiseite. Nur um im nächsten Moment zuzusehen, wie Henry aufspringt und unserem Kumpel einen Controller zuzuwerfen.
Er hält mir den anderen hin, doch ich lehne kopfschüttelnd ab. "Ich schaue erstmal zu, wie du Landon fertig machst."
"Ey! Ich bin ja wohl um einiges besser als dieser Idiot!"
"Das wollen wir doch mal sehen, Arschloch", provoziert Henry ihn breit grinsend und startet das Spiel.
Zach hat ganz schön mit der derzeitigen Situation zu kämpfen. Bereuen tut er allerdings nichts an seiner Entscheidung, eine weitere Operation abzulehnen... 😣
Jetzt ist er zwar Zuhause, aber dort wird sich gut um ihn gekümmert. Und noch dazu hat er seine persönlichen Spione 😎
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