Kapitel 38
• Z A C H A R Y •
Zum wiederholten Male öffne ich den Chatverlauf mit Jonah, nur um auf die grauen Häkchen zu sehen. "Das meint er doch nicht ernst", murmle ich und schreibe ihm eine weitere Nachricht, die sich unter den anderen der letzten Stunden untergliedert.
Zachary [19:56 Uhr]: Bitte melde dich bei mir. Das kann es doch nicht gewesen sein. Vergessen wir doch bitte, was gestern war...
Ich warte für ein paar Minuten, doch er ignoriert sie. Seufzend lasse ich mich nach hinten auf die weiche Matratze fallen und schließe die Augen, lasse unser gestriges Gespräch nochmal durchlaufen.
* Flashback
Erfreut stelle ich fest, dass Jonah tatsächlich noch im Zimmer ist. Er ist gerade dabei, die letzten Rückstände seiner Notizen von der Tafel zu beseitigen, als ich durch den winzigen Türspalt schlüpfe und die Tür hinter mir abschließe.
Der junge Lehrer horcht bei dem Geräusch auf und wendet sich verwundert zu mir um. "Was tust du hier?"
"Ich wollte dich sehen", entgegne ich lächelnd und gehe zu ihm vor. "Es ist schon Mittag und bisher habe ich dich gar nicht zu Gesicht bekommen. Wie geht es dir?", frage ich und setze mich auf die Kante des vordersten Tisches.
"Zach, in der Schule sollten wir vorsichtig sein, wenn..."
"Vorsichtiger als jetzt könnte man kaum sein. Was erwartest du denn? Dass wir uns einmal in der Woche in der Besenkammer treffen, immer an verschiedenen Wochentagen, damit keiner Verdacht schöpft?", werfe ich ihm amüsiert an den Kopf und lehne mich nach vorne, um meine Arme um ihn zu legen.
Seine Augen weiten sich erschrocken, er versucht, sich zu befreien. "Wenn das jemand sieht...!"
"Ich habe doch die Tür abgeschlossen." Mit dem Daumen streiche ich über seine Taille. "Jonah, du bist total angespannt. Machst du dir etwa immer noch Sorgen, dass meine Freunde etwas verraten könnten? Ich habe dir doch gesagt, dass..."
"Nein, das ist es nicht", unterbricht er mich und entzieht sich mir nun doch. Verwirrt betrachte ich ihn, während er versucht, eine gewisse Distanz zwischen uns aufzubauen. Irgendwas stimmt hier doch nicht. "Was ist dann los? Rede mit mir, okay?"
"Ich...kann das nicht, Zach."
"Was kannst du nicht?", frage ich und bekomme es mit der Angst zu tun. "Was, Jonah?"
"Es steht so viel auf dem Spiel, viel zu viel. Ich...ich habe Simon von uns beiden erzählt. Einfach, weil ich ihm es nicht verheimlichen wollte. Und er hat mich ein wenig aus der Trance geholt, in der ich mich befunden habe."
Das passiert hier doch gerade nicht wirklich, oder? Ich verstehe gar nichts mehr!
Jonah ist damit beschäftigt, seine Lehrertasche zu packen, als ich an seinen Tisch herantrete. "Was soll das bedeuten?"
Er hält in der Bewegung inne und dreht sein Gesicht von mir weg, als könne er meinen Anblick auf einmal nicht mehr ertragen. Das hier fühlt sich gerade so verkehrt an, als wäre es so unwirklich. Träume ich? Warum sollte Jonah all das schon wieder beenden wollen, obwohl bisher nicht einmal etwas passiert ist?
"Jonah, jetzt mach den Mund auf, verdammt!", zische ich panisch. Mein Blick fällt auf seine Hand, in der er sein Klassenbuch hält, welches ich ihm sogleich entreiße. Seine Hand beginnt zu zittern. "Du wolltest dem Ganzen, uns, eine Chance geben. Und es läuft doch ganz gut!", erinnere ich ihn und versuche mich an einem Lächeln. "Weißt du noch, was du im Theaterraum zu mir sagtest? Dass du es nicht schaffen würdest, dich von mir fernzuhalten. Dafür gibt es auch keinen Grund."
"Wenn du wüsstest", brummt er daraufhin und macht sich weiter daran, seine Sachen einzupacken. Als er die Hand nach dem Heft ausstreckt, das ich noch halte, weiche ich zurück. "Zach, mach es nicht noch schwerer."
"Was erschwere ich denn bitteschön? Du bist es doch, der auf einmal verrücktspielt!"
"Weil das zwischen uns einfach nur verrückt ist!", wirft er mir an den Kopf und wirkt mit einem Mal aufgebracht. "Warum möchtest du es denn nicht verstehen, Zachary? Dir ist es womöglich egal, was in der Zukunft passiert, weil du wahrscheinlich auf dein Leben scheißt und es nur auskosten willst, solange es möglich ist. Aber für mich spielt eine ganze Menge auf dem Spiel. Ich habe eine Zukunft, die mir bedeutend ist. Und die möchte ich nicht an die Wand fahren! Nicht wegen sowas hier."
Geschockt über seine Worte registriere ich nur, wie er mir nun das Klassenbuch wegnimmt und es sich in die Ledertasche steckt. Ich halte ihn auch nicht auf, als er an mir vorbeigeht, sondern starre nach vorne gegen die Tafel.
"Es tut mir leid, aber...so ist es besser. Glaube mir, bitte", höre ich ihn leise sagen, bevor er den Raum verlässt.
* Flashback Ende
Leise schluchze ich auf, während ich mich auf die Seite drehe und dabei die Decke über mich ziehe.
Ich kann nicht glauben, dass er so von uns denkt. Mir vorwirft, ich würde in unserer Beziehung nur ein kleines Abenteuer ansehen, bevor ich elendig an meinem schwachen Herz sterbe. So waren nicht seine Worte, aber indirekt hat er es doch so gemeint.
Niemals habe ich jemanden getroffen, der solche Gefühle in mir auslöst wie Jonah. Und ich dachte, ich hätte es ihm deutlich gemacht, wie wichtig mir das Ding zwischen uns ist. Aber anscheinend nicht, wenn er es so einfach wegwerfen kann.
Und es hat gerade mal eine Woche gehalten, bis er mir das Herz gebrochen hat. So fühlt es sich zumindest an. Geht es einem, der Liebeskummer hat, nicht so dreckig, dass er sich am liebsten für immer verkriechen würde und seinen Liebsten so wahnsinnig vermisst?
Ich möchte ihn nicht schon am Anfang wieder verlieren...
Heiße Tränen wandern über meine Wangen, als ich mein Handy hervorziehe und von der plötzlichen Helligkeit geblendet werde. Noch immer keine neue Nachricht. Wahrscheinlich hat er sie noch nicht einmal gelesen. Einen Augenblick später bestätigt sich meine Vermutung. Schniefend beginne ich zu tippen.
Zachary [20:09 Uhr]: Können wir nicht nochmal darüber reden?
Zachary [20:09 Uhr]: Du hast Recht, ich verstehe es wirklich nicht. Aber ich vermisse dich...
Meine Brust zieht sich schmerzlich zusammen, als ich höre, wie die Tür aufgemacht wird. "Zach, alles in Ordnung? Warum versteckst du dich unter der Decke?"
"Ich habe Kopfschmerzen und...bin müde", murmle ich und hoffe, dass es als Antwort genügt. Doch ich müsste Elijah eigentlich besser kennen, um zu wissen, dass er sich jetzt nur noch mehr sorgt.
Die Matratze gibt unter ihm nach, als er sich neben mich setzt. "Hast du dich erkältet, Schätzchen?" Ich spüre seine Hand, die die Decke nach unten ziehen möchte, doch ich halte sie fest. "Dad, könntest du mich bitte allein lassen? Ich wollte mich gerade hinlegen."
"Weinst du?", fragt er besorgt, als er meine brüchige Stimme bemerkt. Augenblicklich füllen sich meine Augen mit neuen Tränen, die sich sogleich ihren Weg über mein Gesicht anbahnen.
"Was ist los, Zach? Redest du mit mir darüber?"
"Es ist nichts."
"Das glaube ich dir nicht", entgegnet er und versucht wieder, die Decke wegzuschieben. "Sieh mich bitte an." Zögerlich richte ich mich langsam auf und schiebe dabei die Decke beiseite. Bei meinem Anblick schnappt Dad leise nach Luft, legt dann seine Hände auf meine Wangen und streicht mit den Daumen unter meine Augen, um die Tränen wegzuwischen. "Ist etwas passiert?"
Anstatt ihm zu antworten, lehne ich mich vor und lege meine Arme um ihn. Er erwidert die Umarmung sofort und streicht beruhigend über meinen Rücken. Wieder schluchze ich auf, als ich den vertrauten Geruch meines Vaters einatme. "Liebling, ich mache mir gerade die größten Sorgen. Wieso weinst du?" Als ich den Kopf schüttle, seufzt er. "Es gibt nichts, worüber du nicht mit mir sprechen kannst, das weißt du doch, oder? Ich bin für dich da."
"M-mein Freu...I-ich hab", ich schlucke, "Liebesprobleme", gebe ich nur von mir und kralle mich fester an ihn, als würde er dafür sorgen, dass diese Schmerzen verschwinden.
Mein ganzes Leben lang hatte ich bisher immer mit meinem Herzen zu kämpfen, doch Jonah hat nur einen Moment gebraucht, um es mir herauszureißen und darauf herumzutrampeln. Ich höre mich an, wie jemand aus einem dieser bescheuerten Teenie-Liebesfilme, aber es fühlt sich tatsächlich gerade so an.
"Hattet ihr beide Streit oder ähnliches?"
"Ich weiß nicht, was passiert ist. Auf einmal...will er nicht mehr. Was soll ich machen, Dad?", sage ich gegen seinen Hals. "Ich kann ihn nicht loslassen. Ich...ich mag ihn wirklich sehr."
Ich schließe die Augen, als Elijah seine Hand auf mein Haar legt und darüberstreicht. So hat man mich schon als Kind beruhigen können, wenn ich aufgelöst war.
"Er hat dir nicht gesagt, warum er nicht mehr möchte?"
"Es wäre zu kompliziert und...es würde zu viel auf dem Spiel stehen", murmle ich bedrückt, wünschte, Jonah würde sich bei mir melden und sagen, es wäre alles okay. Dass er mich genauso wenig verlieren möchte.
"Auf dem Spiel stehen? Was meint er damit?", fragt Elijah verwundert. "Hast du ihm von deinem Herzfehler erzählt?"
"Er weiß es."
"Vielleicht möchte er Rücksicht auf dich nehmen. Lass ihn ein wenig Zeit damit oder..."
"Dad, nein. Darum geht es ihm definitiv nicht. Er hat Angst, was unsere Beziehung...für ihn bedeuten würde." Damit habe ich schon mehr verraten, als ich sollte. Aber nicht nur Jonah braucht jemanden, mit dem er reden kann. Vor allem kann er nach gestern nicht erwarten, dass ich es in mich hineinfresse. Dass es ausgerechnet Elijah ist, sollte nicht sein, aber er ist mein Vater. Wem anderes als ihm könnte ich mehr vertrauen?
"Das verstehe ich nicht." Der Blondhaarige rückt von mir ab, seine Hände liegen auf meinen Schultern. In seinem Blick liegt noch immer Besorgnis, doch auch Verwirrung spiegelt sich wider. "Zach, du..."
"Es ist Jonah. Jonah Campbell."
Ich bereue es in dem Moment, es ihm gesagt zu haben, als ich seinen Blick sehe. Erst entgeistert, schaut er mich nun enttäuscht an. "Dad..."
"Das hätte ich ihm niemals zugetraut. Dass er dich verführt und dann..."
"Nein, so war es nicht!", versichere ich ihm und bin zugleich schockiert darüber, dass er ihm sowas zutrauen würde. "Es ging von Anfang an mehr von mir aus. Ich habe Jonah zuerst meine Gefühle gestanden, und ihn auch geküsst."
"Ihr habt euch...? Wie weit ist es gegangen? Wie lange läuft es überhaupt schon zwischen euch?", löchert er mich weiter, doch ich schüttle nur den Kopf. "Das ist doch jetzt vollkommen unwichtig. Er hat ganz offensichtlich mit mir Schluss gemacht, obwohl er weiß, wieviel er mir bedeutet."
Elijahs Hände wandern über meine Arme, bis sie schließlich abfallen und neben mir auf die Bettdecke fallen. Er wirkt auf einmal erschöpft, als er sich aufrichtet. Ohne etwas Weiteres zu sagen, geht er auf die Tür zu. Ich sehe ihm nach, halte ihn dann aber ab, bevor er mein Zimmer verlässt.
"Keine Lügen. Wie wütend bist du?"
"Auf einer Skala von 1 bis 10?" Er antwortet, da bin ich noch dabei zu nicken. "20."
Ich zucke zusammen. Natürlich habe ich nicht erwartet, dass er oder Benjamin einen Freudetanz aufführen, wenn sie davon erfahren. Doch dass er es so schlimm aufnimmt?
"I-ich dachte, du magst ihn?"
"Deshalb bin ich so wütend. Weil ich ihn eben so mag und er sich auf ein Verhältnis mit meinem Sohn eingelassen hat. Und dabei ist es mir eigentlich egal, wie lang es anhielt. Ich habe ihm als dein Lehrer vertraut."
Er dreht sich von mir weg und geht nach draußen. Ich habe meinen Blick bereits beschämend abgewendet, als er leise, doch eindeutig hinzufügt: "Ich bin so verdammt enttäuscht von euch beiden."
Nun ist die Bombe doch schon geplatzt! Elijah kann nicht fassen, was sein Sohn ihm gerade gebeichtet hat...
Und Zach fühlt sich nicht nur deswegen verdammt schlecht, sondern auch, weil Jonah ganz offenbar mit ihm Schluss gemacht hat.
Wie soll das bloß weitergehen?
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