𝟗. 𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 | Die erste Aufgabe
Mein Nacken war steif, mein Rücken tat weh und meine Blase platzte gleich. Außerdem hatte ich Kopfschmerzen und mir fielen immer wieder vor Müdigkeit die Augen zu. Jedoch konnte ich in dieser sitzenden Position nicht schlafen, dafür war es viel zu unbequem. Ich hasste Julien.
Warum hielt er mich hier fest? Wollte er nur Spielchen mit mir spielen oder steckte mehr dahinter? Schließlich war ich nicht das einzige Mädchen gewesen, was er hier gefangen gehalten hatte. Wieso tat er das?
Die ganze Nacht zerbrach ich mir den Kopf, bis ich Bauchschmerzen hatte. Ich musste verdammt nochmal endlich aufs Klo gehen. Leider konnte ich nicht aufstehen, da er meine Hände und Beine an diesem blöden Stuhl festgekettet hatte. Und eine Toilette sah ich in dem Raum, in dem ich mich befand, auch nicht. Zumindest nicht in dem vorderen Teil.
Ich saß nämlich genau ein paar Meter von einer Tür entfernt. Was neben oder hinter mir war, konnte ich nicht sehen, da die Dunkelheit alles verschluckte. Ich hatte kein Licht, es war stockdunkel, aber meine Augen hatten sich so weit an die Dunkelheit gewöhnt, dass ich die Wand mit der Tür grob vor mir sah. Meine einzige Orientierung.
Meine Haare hingen mir strähnig um das Gesicht, manchmal verfingen sie sich in meinen Wimpern, aber ich konnte sie nicht an die Seite streichen. Ich konnte gar nichts machen, außer darauf aufzupassen, mir nicht in die Hose zu pinkeln.
Ich wusste nicht, wie lange ich noch auf dem Stuhl saß, aber auf einmal wurde die Tür geöffnet und Julien schaltete eine Lampe ein. Sie hing über meinem Kopf und erhellte den Raum. Erschrocken blinzelte ich und war erstmal blind.
„Na, hast du die erste Nacht gut überstanden?" Als ich wieder einigermaßen sehen konnte, sah ich direkt in Juliens amüsierte Augen. Er stand vor mir, stütze sich mit den Händen auf der Stuhllehne, oder besser gesagt auf meinen Armen, ab und musterte mich aus dieser Nähe. Reflexartig fuhr ich mit dem Kopf zurück, aber er schnalzte nur mit der Zunge und zog ihn mit der Hand wieder näher.
Seine eiskalten Finger ließ er an meinem Kinn liegen und drehte meinen Kopf zur Seite. Sanft strich er über die Beule, die ich an der Stirn hatte, da ich zweimal mit dem Kopf auf hartem Stein aufgeprallt war. Ich zuckte zusammen und er nahm die Hand wieder weg.
„Komm, du möchtest dich bestimmt einmal frisch machen." In Ruhe und mit geschickten Fingern kettete er erst meine Füße los und dann meine Hände. Er zog mich hoch und meine Beine knickten ein, da sie mein Gewicht nicht trugen. Er packte mich an den Oberarmen und zerrte mich in ein kleines, schäbiges Badezimmer.
Erst dachte ich, er würde mit mir durch die Tür gehen, aber dann fiel mir wieder ein, dass er meinte, diese Tür würde ich nur tot verlassen. Und er schien recht zu haben. Das Badezimmer befand sich nämlich seitlich in dem Raum, in dem ich die Nacht verbracht hatte.
Immerhin war er so höflich und ließ mich alleine. Ich drückte auf den Lichtschalter und eine einsame Glühbirne an der Decke spendete flackernd Licht. Ohne weiter auf meine Umgebung zu achten, stürzte ich auf die Toilette zu. Erst als meine Blase entleert war, sah ich mich um.
Rechts neben der Toilette war ein kleines Waschbecken, ein fast blinder, kleiner Spiegel hing darüber. Links von mir war die Tür und geradeaus war eine Badewanne.
Alles war sehr verstaubt und in den Ecken hingen Spinnen. Früher wäre ich kreischend aus dem Raum gerannt, aber jetzt waren sie mir egal. Sie waren harmloser als Julien, der auf der anderen Seite der Tür auf mich wartete.
Ich sah auf meine wund gescheuerten Handgelenke und streckte die Beine aus. Sie knackten, weil ich sie so lange nicht bewegen konnte und ich hatte kaum Gefühl in ihnen, da sie nicht durchblutet gewesen waren.
Ich stand auf und stützte mich auf dem Waschbecken ab. In dem Spiegel sah ich ein Gesicht, was mir sehr fremd vorkam. Meine Haut war leichenblass, ich hatte Augenringe und eine blaue Stirn an der Stelle, wo die Beule war. Sehr hübsch.
Meine Haare waren fettig und ich sah zusammengefasst so aus, als ob ich aus einem Zombiefilm stammen würde. Ich sah mich in dem Raum um, aber ich entdeckte kein Fenster, durch das ich hätte fliehen können. Das Einzige, was mir helfen könnte, wäre der Spiegel. Mit dem Scherben könnte ich entweder mich oder Julien umbringen. Die letzte Möglichkeit gefiel mir eindeutig besser.
Mit einem großen Schritt war ich wieder bei der Toilette und zog ab. Prompt wurde die Tür geöffnet und ich wusch mir die Hände und tat so, als ob ich es nicht gemerkt hätte.
„Das reicht jetzt", beschloss Julien und zog mich am Oberarm zurück in den Raum. Jetzt endlich sah ich, wie er wirklich aussah. Ich stand in der Tür zu dem Badezimmer, einer alte Metalltür um genau zu sein. Der Raum war recht quadratisch, genau in der Mitte stand der Stuhl, auf dem ich gefesselt gewesen war. Rechts an der Wand war die Tür, durch die ich nie gehen würde. An der linken Wand stand hinten in der Ecke tatsächlich ein Bett.
„Wenn du auf mich hörst, darfst du darin schlafen und dich in diesem Raum frei bewegen. Wenn nicht, wirst du wieder gefesselt. Es liegt an dir." Ratlos sah ich ihn an und er seufzte.
„Ich werde dir Aufgaben stellen. Wenn du sie erledigst, darfst du das Bett und die Toilette benutzen. Wenn du dich weigerst diese Aufgaben zu machen, landest du wieder auf dem Stuhl. Jetzt verstanden?" Sein Blick war kalt und bohrend.
Schnell nickte ich. Vielleicht sollte ich sein Spiel am Anfang mitspielen.
Die Tür zum Ausgang war verschlossen, er hatte den Schlüssel bei sich, aber er war stärker als ich. Ich könnte mich nicht befreien. Zumindest jetzt noch nicht.
Dass ich in so einer Situation so pragmatisch denken konnte, hätte ich nie gedacht. Vielleicht lag das aber auch an der Tatsache, dass ich wirklich schon einmal hier war.
Ich erinnerte mich nicht wirklich daran, nur an ein paar Details, wie die hohe Decke oder dem Geruch hier in diesem Kellerloch. Meinem persönlichen Gefängnis mit Badezimmer.
„Jeden Tag bekommst du eine neue Aufgabe. Wenn du sie machst, bekommst du auch schön etwas zu essen und zu trinken. Wenn nicht, dann eben nicht." Insgeheim konnte ich mir vorstellen, was er mir für Aufgaben stellen würde.
Es hatte außerhalb von diesem Gebäude ja schon damit angefangen.
Eine Information gegen einen Kuss. Nur würde es bei ihm nicht bei einem Kuss bleiben. Er würde weiter gehen, mehr verlangen.
Zu viel verlangen, da war ich mir ganz sicher.
„Was...was ist die erste Aufgabe?" Es war das erste Mal, dass ich mit ihm sprach. Meine Stimme hörte sich kratzig und fremd an. Erstaunt sah Julien mich an.
„Du hast es aber eilig!" Ich verdrehte meine Augen. Nein, ich wollte es einfach nur hinter mir haben und alleine sein. Und ich wollte mich auf dieses Bett legen und schlafen. Vielleicht wäre ich wenigstens in meinen Träumen frei...
„Also gut, dann fangen wir mit dem Spiel an. Die erste Aufgabe ist..." Ich hielt die Luft an und starrte ihn aus großen, fragenden Augen an. Er erwiderte diesen Blick intensiv und mir fiel sofort wieder ein, warum ich mich zu ihm hingezogen gefühlt hatte. Warum sah dieser Psychopath nur so gut aus?
„Tanz mit mir."
„Wie bitte?!", rutschte es mir heraus und ich biss mir sofort auf die Lippe. Ich hatte alles andere erwartet, Sex oder sonst irgendwas in dieser Richtung, aber nicht das. Julien lächelte leicht und die Grübchen erschienen auf seinen Wangen.
„Du hast mich schon richtig verstanden. Tanz mit mir. Wie damals in dem Club. Es hatte dir doch gefallen." Ja, da schien er recht zu haben, mir hatte es gefallen. Zu gut.
Julien schob mich vor sich, legte seine Hand auf meinen Rücken und hielt mit der anderen meine Hand fest. Ich legte stockend meine Hand auf seine Schulter. Wir tanzten einen einfachen Standardtanz ohne Musik. Ich trat ihm auf die Füße, aber je länger ich mich so mit ihm bewegte, desto mehr spürte ich meinen Körper wieder.
War waren uns sehr nahe, ich spürte seinen Herzschlag. Er sah mir tief in die Augen und das verwirrte mich.
Spielte er diesen lieben, netten Julien nur? War er in Wirklichkeit dieses kaltherzige Arschloch oder dieser Typ, der gerade mit mir tanzte? Welche Rolle spielte er und welche war real?
Seine Hand wanderte langsam tiefer und blieb auf meinem Hintern liegen. Ich nahm meine Hand von seiner Schulter und schob seine Hand wieder nach oben.
„Es war nur von Tanzen die Rede, nicht von mehr", erinnerte ich ihn und er musste schmunzeln.
„Du bist ja noch ganz schön frech."
„Hast du erwartet, dass ich heulend in der Ecke sitzen werde?" Spöttisch zog ich meine Augenbrauen hoch, obwohl ich das wirklich gerne getan hätte. Diese dunklen Ecken waren wirklich verlockend, aber ich durfte vor ihm nicht schwach sein.
Ich wollte es ihm nicht einfach machen, obwohl ich mir nur wünschte, dass dieser Albtraum enden würde. Aber er fing erst an. Das hier war nur der Anfang.
Julien löste sich abrupt von mir und ich stolperte, fand mein Gleichgewicht aber schnell wieder. Er legte eine Hand auf meinen Rücken und dirigierte mich zu dem Bett. Er drückte mich darauf und nahm mein rechtes Handgelenk. Ehe ich reagieren konnte, klackte die Fessel aus Metall zu und ich sah ihn entgeistert an.
„Wir wollen doch nicht, dass du mir hier aus dem Raum folgst, wenn ich dein Essen holen gehe", erklärte er mir und ich schnaubte auf. Doch, genau das wollte ich!
Ich wollte diesen Raum hier verlassen.
Wütend riss ich an der Fessel, aber außer, dass ich mir die Haut noch weiter aufriss, passierte nichts. Die Kette war fest in der Wand verankert und gerade lang genug, dass ich auf der Bettkante sitzen konnte, ohne mir den Arm auszurenken.
„Du Arschloch!", schrie ich ihn an, aber er verließ lachend und ohne sich noch einmal umzudrehen diesen Raum. Mit einem lauten Knall fiel die Tür hinter ihm ins Schloss und ich war wieder alleine. In meinen Ohren hallte sein Lachen nach und ich kämpfte dagegen an, laut los zu schreien.
Es würde eh nicht nützen. Ich musste auf ihn warten. Hilflos und auch wütend starrte ich die Tür an, durch die er verschwunden war. Dabei wurde mir eine Sache immer klarer: Ich konnte machen was ich wollte.
Mein Leben lag in seinen Händen.
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