𝟓. 𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 | Spiel oder Erpressung?
Die schreckliche Narbe in meinem Traum schillerte heute in allen möglichen Farben. Anstatt des üblichen Bluts, spritze mir bunte Farbe ins Gesicht, als sie aufplatzte und ich saß dennoch senkrecht im Bett. Sofort drehte sich alles um mich herum. Vielleicht hatte ich doch ein bisschen zu viel getrunken...
Schwankend stand ich aus dem Bett auf, so stark waren meine Kopfschmerzen. Es war ein fast unüberwindbare Weg bis zu den Kopfschmerztabletten, aber ich schaffte es irgendwie ihn zu bewältigen.
Ich legte mich wieder ins Bett und stand eine halbe Stunde, bevor mein Wecker klingeln würde, auf und machte mich für die Arbeit fertig.
Ich verließ meine Wohnung und stieg die Treppe hinunter. Noch ein bisschen verschlafen öffnete ich die Tür, trat auf die Straße hinaus und schrie erschrocken auf, da ich direkt in eine andere Person hinein rannte.
„Entsch...na sowas!" Julien sah mich erstaunt an, während ich ihn nur mit offenem Mund anstarren konnte. Nein, es war eindeutig keine gute Idee gewesen, ihm gestern Abend zu zeigen, wo ich wohnte.
„Wa...was machst du denn hier?", stotterte ich und klappte endlich meinen Mund zu. Vielleicht war Julien ja ein Stalker...aber war es Stalking, wenn ich ihm gezeigt hatte, wo ich zu finden war? Schließlich hatte er es ja nicht selbst herausgefunden. Aber andererseits hatte er hier auch nichts zu suchen...
Er hielt mir einen Stapel Zeitungen vor das Gesicht. Ich blinzelte und dann erst verstand ich.
„Achso." Also doch kein Stalker, nur jemand, der morgens Zeitungen austrug. Ich sah eindeutig Gespenster.
Juliens Augen blitzen amüsiert auf. „Was hattest du denn gedacht?" Er bückte sich und ließ einen Stapel Zeitungen durch den Schlitz in den Flur des Hauses gleiten.
„Willst du nicht wissen." Ich schob mir meine Tasche auf die Schulter und ging einfach weiter, ohne auf ihn zu warten.
„Man sieht sich", rief er mir hinterher, aber ich reagierte nicht darauf, da ich sonst nicht mehr pünktlich in dem Café eintreffen würde. Die halbe Stunde ,die ich eher aufgestanden war, hatte sich irgendwie auch in Luft aufgelöst...
Der Tag zog sich wie Kaugummi. Meine Befürchtung, Julien auch in dem Café anzutreffen, bestätigte sich glücklicherweise nicht. Ich wusste wirklich nicht, was ich von ihm halten sollte. Er benahm sich eigentlich recht normal, aber ich hatte immer so ein merkwürdiges Gefühl, wenn er in meiner Nähe war. Nur leider konnte ich mir nicht erklären, wieso.
„Bis morgen", verabschiedete ich mich von meiner Kollegin und trat mit einem Kaffee in der Hand aus der Tür nach draußen auf die Straße. Ich sah mich um und ging erleichtert nach Hause, da ich Julien nirgendwo sah. Sehr schön.
Ich hob den Becher an meinen Mund und wollte gerade daraus trinken, als mich jemand von der Seite ansprach.
„Das war aber nicht nett heute morgen." Vor Schreck verschluckte ich mich und kippte mir den halben Kaffee über die Jacke. Mit vor Wut funkelnden Augen sah ich die Person, die mich angesprochen hatte, an.
Ein amüsiertes Grinsen zeichnete Juliens Gesicht und ich war wirklich kurz davor, den restlichen Kaffee direkt dort hinein zu schütten. Aber ich beherrschte mich und drückte ihm nur den Kaffeebecher in die Hand, um ein Taschentuch herauszuholen.
Während ich meine Jacke putzte, stand er dämlich mit dem Kaffee in der Hand neben mir und sah mir dabei zu. Wortlos tauschte ich den Becher gegen die besudelten Taschentücher aus und lief weiter.
Verdutzt blieb er mit dem Müll in der Hand stehen und ich beschleunigte meine Schritte. Er war wohl doch ein Stalker, anders konnte ich mir das nicht mehr erklären. Ich lief an einer dunklen Häusergasse vorbei und ließ den Kaffeebecher fallen, als mich jemand packte und genau in diese Gasse zog. Grob wurde ich gegen die Hauswand gedrückt.
„Was soll der Scheiß?", fauchte ich Julien an, aber er hielt mir den Mund zu.
„Psssst." Meine Augen weiteten sich, als ich seinen entschlossenen Gesichtsausdruck bemerkte. Vorsichtig nahm er seine Hand wieder weg, ich tat ihm den Gefallen und hielt den Mund.
„Ich kann dir helfen", erklärte er mir schließlich, nachdem wir uns nur angeschwiegen hatten.
„Achja? Und wobei?", fragte ich angriffslustig.
„Herausfinden, wer du wirklich bist."
„Ich weiß, wer ich bin."
„Nein tust du nicht." Er drückte mich an den Schultern fester gegen die Mauer. Ja verdammt, ich wollte etwas über meine Vergangenheit wissen, aber nicht so!
Ich versuchte mich aus seinem Griff zu befreien, aber er war stärker als ich dachte.
„Du weißt ja was die Gegenleistung ist..." Noch bevor er den Satz richtig beendet hatte, presste er seine Lippen auf meine. Ich keuchte erschrocken auf und wollte mein Gesicht abwenden, aber er ließ es nicht zu.
Erst küsste er mich ziemlich grob, sodass ich das Gefühl hatte, als ob meine Lippen taub werden würden. Aber dann war er plötzlich wieder der alte Julien, der mich so sanft und mit Gefühl küsste, dass es mir den Atem raubte. Wie konnte eine einzige Person, nur so Stimmungsschwankungen haben?
Von der einen auf die anderen Sekunde, war er auf einmal nett, dann wieder ein aggressives Arschloch. Dieses Verhalten sollte mich ängstigen und das tat es auch. Aber irgendwie zog es mich auch an, ich war neugierig, warum er so war. Deswegen tat ich etwas ganz dämliches. Anstatt ihn irgendwie von mir zu stoßen und wegzulaufen, erwiderte ich seinen verdammten Kuss. Er vergrub seine große, tätowierte Hand in meinen Haaren und ich schloss meine Augen.
Atemlos trennten wir uns nach einigen Augenblicken von einander.
„Mach das nie wieder", zischte ich und strich mir die Haare aus dem Gesicht. Ich konnte das Verlangen in seinen Augen sehen, als er sich zu mir herunter beugte, so nah, dass ich seinen Atem auf meiner Wange spüren konnte.
„Dir gefällt es doch", raunte er mit einer Stimme, die mir eine Gänsehaut über den Körper jagte. Ich trat ohne darauf zu achten, einen Schritt zur Seite und brachte dadurch ein bisschen Abstand zwischen uns.
„Jetzt bist du dran." Er runzelte die Stirn, bis ihm wieder einfiel, weshalb er mich geküsst hatte. Obwohl ich ihn ja nicht darum gebeten hatte, wollte ich nun doch etwas mehr über meine Vergangenheit erfahren.
„Frag irgendwas, das du wissen willst", forderte er mich auf und ich stellte ihm die erste Frage, die mir in den Sinn kam: „Warum weißt du so viel über mich?"
Er nickte bedächtig und lehnte sich schließlich mit verschränkten Armen gegen die Hauswand.
„Weil ich dabei war."
Diesmal runzelte ich die Stirn. „Bei was warst du dabei?" Er schwieg und ich seufzte.
„Eine Antwort pro Kuss, Süße", erinnerte er mich und ich kochte innerlich vor Wut. Wer hatte sich dieses dämliche Spiel eigentlich ausgedacht?
Oder war es gar kein Spiel mehr, sondern Erpressung?
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