𝟐𝟑. 𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 | Die letzte Aufgabe
Wie erstarrt stand ich da und starrte die verflixte Stange an. In meinem Hals bildete sich ein Kloß, meine Füße bewegten sich keinen Zentimeter in die Mitte des Raumes, wo die besagte Stange stand.
Ich stand wie festgeklebt vor Julien, nicht in der Lage, auch nur einen Finger zu bewegen. Ein letztes Mal? Ich sollte ein letztes Mal für ihn tanzen? Was sollte das bedeuten?
„Du hast mich schon richtig verstanden, Schätzchen. Dies hier wird deine letzte Aufgabe sein. Schließlich habe ich dir versprochen, das Ganze hier zu beenden, sobald du deine Erinnerungen wieder hast. Und da das jetzt der Fall ist..."
Er fuhr mit einer Hand hinter seinen Rücken. Als er sie wieder hervor holte, hielt er eine Pistole in ihr. Das Klicken, als er sie entsicherte, hallte im Raum wieder und ich zuckte zusammen. Er meinte es ernst.
Langsam hob er seine Hand, bis der Lauf genau auf meine Stirn zeigte.
„Los. Geh zu der Stange und tanz für mich", forderte er mich auf, aber ich konnte mich immer noch nicht bewegen. Ich hatte keine Angst davor, dass er wirklich schießen würde. Nicht, bevor ich nicht getanzt hätte. Er drohte nur. Oder?
In seinen Augen konnte ich den blanken Hass lesen, genauso wie die Enttäuschung darüber, dass er sich seinen Traum von einer Familie abschminken konnte. Ich war nicht so gefügig gewesen, wie er es sich erhofft hatte.
„Ich warte", riss er mich aus meinen Gedanken. „Wir können natürlich auch noch ein paar Stunden hier stehen bleiben", knurrte er und ich merkte, dass er mit seiner Geduld fast am Ende war. Was schlecht für mich ausgehen könnte.
Aber ich wollte nicht einen persönlichen Striptease für ihn machen. Nicht hier, nicht unter diesen Umständen und nicht, weil ich gezwungen wurde.
Juliens Hand zitterte, sodass auch der Lauf der Pistole anfing zu zittern. Es fehlte nicht viel und er würde die Beherrschung verlieren. Sein Kiefer zuckte und er schluckte hart.
„Weißt du noch, als ich dich damals gehen ließ? Da hattest du dich auch geweigert, eine Aufgabe zu machen. Damals war ich dumm gewesen, ich hätte dich nicht so schlagen dürfen. Aber du hattest es verdient.
Ich konnte ja nicht ahnen, dass du so schwach sein und deswegen das Kind verlieren würdest! Ich kann mich noch jetzt an deine Schreie, dein Gewimmer erinnern. Und ob du es glaubst oder nicht, auch ich war geschockt.
Das wollte ich nicht. Sowas habe ich nie gewollt, das hätte nicht passieren dürfen. Aber dann war es zu spät. Ich hatte die Möglichkeit, dich zu töten. Doch du hattest Glück, ich habe dich nicht richtig getroffen, du bist nicht an dieser Verletzung gestorben, sondern weggelaufen.
Ich hätte dir hinterher rennen können, ich hätte dich auch leicht wieder einfangen können, schließlich warst du verletzt und langsam.
Aber ich habe es gelassen, du warst am Ende, ich hätte nichts mehr von dir gehabt. Es wäre langweilig gewesen. Du weißt doch, dass ich Psychologie studiere, oder?" Über den abrupten Themenwechsel verwundert, nickte ich stockend. Julien grinste leicht.
„Ich habe den Traum, einmal als Psychologe zu arbeiten, um Menschen helfen zu können, die ein schreckliches Trauma erlebt, die eine furchtbare Vergangenheit haben.
Du wärst auch kein Versuchskaninchen für meine Versuche mehr gewesen, deine Psyche war schon völlig zerstört. Ich habe Menschen misshandelt, um herauszufinden, wie sie darauf reagieren.
Um später, wenn ich als Psychologe arbeite, besser auf sie eingehen zu können, ihnen besser helfen zu können, weil ich weiß, woher ihre Probleme stammen und was man dagegen machen kann.
Du warst ursprünglich auch ein Versuchskaninchen von mir. Ich hatte dich ausgesucht, ein billiges, junges Pooldance-Mädchen würde niemand vermissen, wenn es verschwinden würde. Genauso wie die anderen Nutten.
Aber als ich dich hier eingesperrte, habe ich gemerkt, dass du nicht wie die anderen warst. Du warst stärker, deinen Willen konnte ich nicht leicht brechen. Also wurdest du etwas besonderes für mich. Du solltest die Person werden, die mir meinen anderen Traum erfüllen sollte. Den Traum, einmal eine Familie zu haben..."
Während er erzählte, kroch ein kalter Schauer über meinen Rücken. Ich erinnerte mich fast an alles, was bei meiner Flucht passierte. Ich hatte schreckliche Schmerzen im Unterleib gehabt, sodass ich kaum gerade stehen konnte.
Meine Jeans war mit Blut getränkt, aber auch mein Oberteil sog sich langsam mit dem Blut voll, was aus der Schusswunde quoll, als er aus Wut auf mich geschossen hatte. Ich musste mich an den Wänden abstützen, die so kalt und hoch waren wie die in diesem Zimmer. Warmes Blut lief mir über die Hand, als ich versuchte, die Blutung ein bisschen zu stoppen.
Am Ende des Ganges führte eine Treppe nach oben. Ich brach mehrmals zusammen, schaffte es aber, aus dem Keller zu fliehen und das Haus zu verlassen. Es war dunkel und ich lief blind weiter, bis ich auf eine Hauptstraße gelangte. Mein Körper zitterte, ich hatte keine Kraft mehr, weiterzulaufen. Aber ich musste, ich musste so weit weg von Julien wie es nur ging.
Also lief ich weiter, bis ich auf dem Seitenstreifen das Bewusstsein verlor. Kurz wurde ich wach, als mich ein fremder Mann aus dem Graben zog und zurück auf den Seitenstreifen legte. Er kümmerte sich um mich, bis der Krankenwagen kam.
Bei diesen Erinnerungen traten mir Tränen in die Augen und ich senkte den Blick, damit Julien sie nicht sah. Ich vermisste das Gefühl, frei zu sein, den Himmel sehen zu können und frische Luft zu atmen. Wieder Ich sein zu können, nicht jemand anderem zu gehören.
Julien war versessen darauf, mich tanzen zu sehen. Aber als ich ihn langsam wieder ansah, konnte ich an seinem Blick sehen, dass er bezweifelte, dass ich es wirklich machen würde. Meine Gedanken überschlugen sich. Ich musste es irgendwie schaffen, seine Pistole zu bekommen. Dann hätte ich die Oberhand. Aber er würde sie mir nicht freiwillig geben und ich war zu schwach, um sie ihm mit Gewalt zu entwenden. Also musste ein anderer Plan her.
Langsam ging ich seitwärts auf die Stange zu, Julien beobachtete das kritisch und mit zusammengezogenen Augenbrauen. Ich behielt die Pistole im Blick, seinen Finger auf dem Abzug, aber er drückte nicht ab, da er sah, wohin ich ging. Rückwärts lief ich weiter, damit ich ihn weiter ansehen konnte. Ich wollte ihm nicht den Rücken zukehren.
Irgendwann stieß mein nackter Fuß gegen den Podest der Stange. Ich blieb stehen. Zittrig atmete ich ein, dann machte ich einen großen Schritt nach oben, lehnte mich mit dem Rücken an die Stange und verharrte. Sie war kalt, als sie auf meine nackte Haut traf.
Ich trug nur ein schwarzes Dessous, in dem ich mich nicht wohl fühlte. Aber jetzt war es genau das, was ich brauchte. Ich musste es irgendwie schaffen, Julien so weit zu verführen, dass er abgelenkt war und ich die Waffe an mich nehmen konnte. Das war die einzige Chance, die ich noch hatte, um von hier zu fliehen. Wenn es mir nicht gelang, würde er mich töten. Wenn es mir gelang, könnte ich ihn töten.
Julien ging zu meinem Bett und setzte sich darauf. Er saß nur ein paar Meter von mir entfernt, ich spürte seine Blicke auf meiner Haut. Ich griff hinter mich, schloss die Finger um die kalte Stange. Kurz dachte ich daran, dass Julien schon wieder das bekam, was er wollte: Ich würde für ihn tanzen.
Aber vielleicht war es das letzte Mal, dass er das bekommen würde, was er von mir wollte. Das letzte Mal, dass er überhaupt irgendwas bekam.
Ich musste es nur richtig machen. Ich musste es schaffen, mit meinen Reizen zu spielen, ihn so weit zu verführen, dass er seinen Verstand verlor. Es konnte funktionieren, schließlich war er verrückt nach mir, nach meinem Körper. Genau das musste ich jetzt ausnutzen.
Bei meiner wirklich letzten Aufgabe, die alles entschied.
Sie entschied über mein Leben.
Tod oder Freiheit.
Es gab keine dritte Option und alles hing davon ab, ob ich noch so gut Tanzen könnte wie früher. Entweder bekam ich alles oder nichts.
In meinem Kopf brannte sich dieser eine Gedanke ein, ich schloss die Augen und lehnte auch meinen Kopf gegen die Stange. Langsam hob ich mein Kinn und blickte hoch an die Decke.
Tod oder Freiheit.
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