𝟐𝟐. 𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 | Das letzte Puzzlestück
Ich wurde wach, als ich Schritte hörte, die sich langsam näherten. Vorsichtig öffnete ich meine Augen und stellte erleichtert fest, dass meine Haare so über meinem Gesicht lagen, dass Julien nicht sehen konnte, dass ich schon wach war.
Aber er befand sich genau in meinem Blickfeld.
Abrupt blieb er neben dem Bett stehen. Sein Gesichtsausdruck flackerte zwischen Enttäuschung und blankem Entsetzen.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals, jetzt kam es darauf an, ob er mir meine vorgetäuschte Periode abkaufte. Julien starrte auf das Blut und dann in mein Gesicht.
In seinen Augen sah ich diese rasende Wut. Er riss mich am Arm hoch und ich schnappte erschrocken nach Luft. Grob packte er mich an den Oberarmen und drückte mich mit dem Rücken gegen die nächste Wand.
„Du...du...", stieß er atemlos hervor, die Wut verzerrte sein Gesicht und ich keuchte auf. Er musterte mich, schien zu überlegen und ich biss mir auf die Lippe.
War es doch keine gute Idee gewesen, ihn an das Ende unserer letzten gemeinsamen Zeit zu erinnern? Als ich wegen seinen Schlägen geblutet hatte und das Kind verlor?
Jetzt war ich nicht schwanger. Aber das Blut erinnerte ihn an damals, an alles, was er in diesem Moment verloren hatte. In mir keimten Zweifel auf, ob das mit dem Blut wirklich so eine gute Idee war, aber ehe ich noch länger darüber nachdenken konnte, ergriff er wieder das Wort.
„Geh dich waschen. Ich bereite in der Zeit alles für die nächste Aufgabe vor." Er stieß mich von sich und ich stolperte über seine Füße. Hart landete ich auf dem Boden.
„GEH!", brüllte er mich an, als ich nicht sofort aufstand. Schnell rappelte ich mich auf und steuerte auf das kleine Badezimmer zu.
„Ich weiß, ich habe dir versprochen, dass die nächste Aufgabe erst kommt, wenn deine Wunden verheilt sind." Ich stockte in meiner Bewegung und drehte mich zu ihm um. Ich musterte ihn ausdruckslos.
„Geh Baden, ich bringe dir die Klamotten rein, die du für die nächste Aufgabe brauchen wirst." Er wandte sich von mir ab und ich verschwand im Badezimmer.
Ich zog die Tür hinter mir zu und lehnte mich dagegen. Nur langsam beruhigte sich mein Herzschlag.
Mit so einer Reaktion von ihm hatte ich wirklich nicht gerechnet.
Ich schüttelte mich, weil ich nicht damit gerechnet hätte, dass er immer noch so große Probleme mit der damaligen Fehlgeburt hatte.
Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, was wohl die nächste Aufgabe sein könnte, schnappte ich mir den Schwamm von der Badewanne und machte ihn am Waschbecken nass.
Ich wollte mich nicht ausziehen und richtig baden gehen. Ich wollte nicht noch einmal vor ihm nackt sein.
Ich stellte einen Fuß auf den Rand der Badewanne und schrubbte mein getrocknetes Blut ab. Immer wenn ich den Schwamm auswrang, färbte sich das Waschbecken rot.
Langsam ärgerte ich mich darüber, dass er die nächste Aufgabe nicht doch noch ein wenig nach hinten schob. Schließlich hatte ich mir dafür einen Tag zuvor extra die Beine und Handgelenke aufgeschnitten.
Ich biss die Zähne zusammen, als ich mit dem Schwamm über die Wunden fuhr. Als ich kein Blut mehr sah, warf ich den Schwamm achtlos in die Badewanne.
Ich setzte mich auf den Rand und wartete darauf, dass Julien mir meine Klamotten zum Anziehen für die nächste Aufgabe brachte. In meinem weißen komischen, mittlerweile dreckigem Nachthemd durfte ich sie wohl nicht machen...
Lange musste ich nicht warten, da wurde die Tür geöffnet und Julien warf mir einen Berg Klamotten vor die Füße. „Such dir aus, was dir gefällt." Er sah mich mit einem komischen Grinsen an, dann zog er die Tür wieder zu.
Mit spitzen Fingern widmete ich mich dem Klamottenberg und stöhnte auf. Es war ein Haufen voller Dessous, die nicht sonderlich viel bedeckten.
Was würde das bitteschön für eine Aufgabe werden? Alleine schon, so ein Teil anzuziehen sollte meiner Meinung nach eine einzelne Aufgabe sein!
Da ich keine Wahl hatte, suchte ich mir ein Exemplar aus, was so wenig nackte Haut wie möglich zeigte. Es war schwarz, über meinem Busen war der Stoff aus Spitze, mein Bauch war frei und der Rücken abgesehen von meinem Becken auch.
Wie gerne würde ich in den Spiegel gucken, um zu überprüfen, wie weit ich mich darin bewegen konnte, ohne ihm alles von mir zu zeigen.
Auf der einen Seite wusste ich, dass er mich schon oft nackt gesehen hatte, aber auf der anderen Seite wollte ich, dass er mich nicht noch einmal nackt sah.
Ich hatte Angst, dass er mich doch noch vergewaltigen würde, da er sich ja seine gottverdammte Familie wünschte.
Mit den Fingern fuhr ich durch meine Haare und brachte so ein bisschen mehr Volumen hinein. Ich legte meine Hand auf den Türgriff und atmete tief durch. Was würde mich jetzt erwarten? Was hatte er mit mir vor?
Ruckartig öffnete ich die Tür und erstarrte. Poledance.
Mitten im Raum ragte eine Silber glänzende Stange bis zur Decke herauf. Sie hatte unten einen kleinen, runden Podest, auf dem Julien saß und mich aus strahlenden Augen ansah.
Ich schrie auf und ließ mich auf die Knie fallen. Den Schmerz ignorierte ich, stattdessen schlug ich mir die Hände vor das Gesicht.
Es war, als ob in meinem Kopf ein Schalter herumgelegt wurde. Das eine Puzzlestück, was mir noch zu meiner vollständigen Erinnerung fehlte, war da. Die Erinnerungen prasselten auf mich herein, ich hielt mir mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kopf, er fühlte sich an, als ob er platzen würde.
───•✧•───
Ich hatte in einer Poledance Bar gearbeitet. Nicht freiwillig, sondern weil ich Geld brauchte.
Meine Eltern waren verstorben, sie hatten mir kein Geld hinterlassen, aber auch keine Schulden. Andere Verwandte hatte ich nicht, also musste ich mich alleine durchschlagen.
Ich war noch recht jung, aber das schien den Besitzer dieser Poledance Bar nicht zu stören.
Er gab mir einen Job, hier konnte ich mit dem Tanzen an der Stange gutes Geld verdienen. Ein Besucher der Bar war immer besonders großzügig. Es war jemand mit strahlend grünen Augen. Julien.
Damit wir auf der Straße nicht erkannt wurden, trugen wir während wir tanzten Perücken und betraten die Bar nur über den Hintereingang.
Julien war es, der mir immer viele Scheine zusteckte, während ich vor ihm tanzte. Aber eines Tages lauerte er mir nach Feierabend am Hintereingang auf.
Er versprach mir, noch mehr Geld zu bezahlen, wenn ich die Nacht mit ihm verbringen würde.
Ich war keine Prostituierte gewesen. Ich hatte nur in einer Poledance Bar getanzt.
Mein Chef hatte immer darauf geachtet, dass es auch dabei blieb, dass diese Grenze nie überschritten wurde.
Ich wusste, dass es woanders auch anders ablief, aber bei mir war es nicht so. Vielleicht stellte mich mein Chef auch unter seinen Schutz, weil ich noch so jung war.
Aber gegen Julien war er machtlos, er konnte mich nur beschützen, während ich in seiner Bar war, genauso wie die Security Männer, die darauf achteten, dass wir nicht zu sehr bedrängt oder angefasst wurden.
Aber draußen auf der Straße, konnte Julien mit mir machen was er wollte, ich konnte mich nicht wehren.
Am Anfang war es mir gelungen, ihn abzuschütteln, aber er lauerte täglich am Hintereingang und wartete auf mich.
Irgendwann war ich mit ihm gegangen, hatte die Nacht mit ihm verbracht und er hatte mich gut bezahlt. Das ging Monate so, ich hatte mich daran gewöhnt, aber dann wurde er immer fieser, immer gemeiner.
Er hörte auf, mich zu bezahlen, fing dafür an, mich zu misshandeln.
Er drohte mir, es niemandem zu sagen. Aber eines Tages sagte ich es meinem Chef.
Dieser regte sich natürlich sofort auf und wollte sich Julien vorknöpfen. Aber Julien erschien nicht mehr in der Bar.
Wochen später, als ich dachte, er wäre weggezogen, tauchte er plötzlich wieder auf und nahm mich mit. Hierher. Er hielt mich gefangen, ich musste mit ihm schlafen, er behandelte mich wie Dreck.
───•✧•───
„Steh auf!" Ich zuckte zusammen und blinzelte irritiert. Ich war so in meinen Erinnerungen, meiner Vergangenheit versunken gewesen, dass ich nichts mehr um mich herum mitbekommen hatte.
Auch jetzt schlugen die Erinnerungen wie Wellen über mir zusammen, brachten mich durcheinander.
Sie gaben mir Sicherheit, weil ich endlich wusste, was gelogen war und was der Wahrheit entsprach. Aber sie verunsicherten mich auch, weil ich viele Erlebnisse am liebsten weiter verdrängen würde.
Langsam sickerte in mein Bewusstsein, was Julien zu mir gesagt hatte und ich erhob mich langsam. Er stand direkt vor mir und ich schluckte.
„Seit wann erinnerst du dich schon?", wollte er wissen, aber ich schüttelte mit dem Kopf. Ich wollte es ihm nicht sagen. Schließlich erinnerte ich mich an manche Dinge schon sehr lange.
„Ich habe dir gesagt, dass du deine Erinnerungen hier wieder bekommen würdest. Ich habe nicht gelogen, stimmt es? Ich habe nie gelogen, meine Versprechen habe ich immer gehalten und am Ende bekommen, was ich gewollt habe. Stimmt das?" Durchdringend sah er mich an und ich rang mir ein Nicken ab, auch wenn es nicht stimmte. Aber er wollte es hören.
Ich wollte ihn nicht noch mehr provozieren. Die vorgetäuschte Periode schien schon ein gewaltiger Auslöser gewesen zu sein, alles was er mit mir geplant hatte, über den Haufen zu werfen.
Er sah mich zufrieden an, seine Augen leuchteten gefährlich, er sah aus, als ob er nun vollständig wahnsinnig geworden war.
„Deine erste Aufgabe war es gewesen, mit mir zusammen zu tanzen. Erinnerst du dich?" Wieder nickte ich. Er sah noch glücklicher aus, was mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte.
„Und diese Aufgabe wird so ähnlich sein. Nur dieses Mal wirst du nicht mit mir zusammen tanzen, sondern für mich tanzen.
Wie früher, als wir uns kennengelernt haben und ich dir immer mein Geld ins Höschen oder in den BH gesteckt hatte." Er trat einen Schritt zur Seite und zeigte begeistert auf die Stange.
„Du wirst es noch können, da bin ich mir ganz sicher. Du warst ein Naturtalent, bei den Besuchern der Bar sehr beliebt.
Ich wollte, dass es besonders schön aussieht, ohne deine Wunden.
Aber ich habe mich umentschieden. Es wird trotz deiner Wunden schön werden. Allein schon aus dem Grund, dass wir alleine sind." Er nahm eine meiner Haarsträhnen in die Hand und musterte sie.
„Du tanzt nur für mich alleine." Dann sah er mir in die Augen. Ich schluckte erneut.
„Ein letztes Mal", fügte er flüsternd hinzu.
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