𝟏𝟒. 𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 | Vorbereitungen
Nach einer Weile beruhigte sich mein Atem und ich schloss meine Augen. Ich lag immer noch auf Julien, er machte keine Anstalten, mich wegzuschieben oder aufzustehen.
Das verunsicherte mich, aber tief in meinem Inneren wusste ich, dass es nicht das erste mal war, dass wir so nah zusammen waren. Damals allerdings unter etwas anderen Umständen als jetzt.
Wie von der Tarantel gestochen, fuhr ich hoch. Kurz drehte sich alles um mich herum und ich fasste mir an die Stirn. Als ich wieder klar sehen konnte, rutschte ich von dem Bett runter.
Mit zittrigen Beinen stand ich auf.
Ich war völlig durcheinander.
Wie lange hatte ich schon nichts mehr gegessen? Hatte Julien mir etwas zu essen gegeben, als er mich an das Bett gefesselt hatte? Oder hatte er es nicht gemacht und wartete darauf, dass ich mich so weit erholt hatte, um die nächste Aufgabe machen zu können?
Damit er mir dann als Belohnung, wenn ich sie gemacht hatte, etwas zu essen geben konnte?
Zweifelnd sah ich Julien an, der sich in dem Bett aufsetzte. Er musterte mich aufmerksam, seinen Blick konnte ich nicht deuten. Er war nicht so kalt und abstoßend wie sonst, aber auch nicht zärtlich wie früher, in meinen Erinnerungen. Mein Magen zog sich krampfhaft zusammen.
Warum vermisste ich es, dass er mich so ansah? Was war passiert, dass er sich in dieses kalte Arschloch verwandelt hatte, das er nun war? Wieso hielt er mich gefangen und erpresste mich, wenn er mich früher einmal geliebt hatte?
„Warum bist du so?", rutschte es mir heraus und er sah mich deutlich verwirrt an.
„Wie bin ich denn?" Seine Stimme klang beherrscht, tief und rau. Ich bekam eine Gänsehaut. Wieso zum Teufel bekam ich eine Gänsehaut?!
„Mal nett, mal eiskalt und brutal..." Bei dem letzten Wort zuckte er kaum merklich zusammen, hatte sich aber schnell wieder gefangen und sah mich ausdruckslos an.
„Ich bin immer gleich. Du bildest dir die Unterschiede nur ein." Dieser Satz verwirrte mich und ich verschränkte meine Arme vor dem Oberkörper. Siedend heiß fiel mir auf, dass ich noch immer nur einen Bademantel trug.
„Deine gewaschene Kleidung liegt da vorne auf dem Stuhl. Ich wollte sie dir nicht anziehen, als es dir schlecht ging und du hättest es alleine nicht geschafft."
Einerseits war ich erleichtert, andererseits fragte ich mich, wie oft er mich wohl nackt gesehen hatte, da der Bademantel leicht verrutschte...
Ich fühlte mich unwohl und sah auf den Boden.
„Wie meinst du das? Dass ich mir die Unterschiede von deinem Verhalten einbilde?" Aufmerksam sah ich wieder hoch und direkt in seine Augen, die mich amüsiert musterten.
„So wie ich es gesagt habe, Leyla. Ich verhalte mich immer gleich. Ich habe dir am Anfang die Spielregeln gesagt. Wenn du dich an sie hältst, wird nichts schlimmes passieren.
Es ist ein einfaches System der menschlichen Psyche. Behandle ich dich gut, bevor ich dir eine neue Aufgabe stelle, ist die Wahrscheinlichkeit deutlich höher, dass du die Aufgabe machst. Weil du mir dann vertraust. Dann siehst du die guten Seiten von mir. Aber wenn ich dich vorher ankette und dich schlecht behandle, wächst dein Widerstand.
Wenn ich dir dann eine Aufgabe stelle, ist die Chance hoch, dass du sie ablehnst. Je nachdem wie du mich siehst, siehst du auch die Aufgaben.
Vertraust du mir, erscheinen sie dir leicht und du machst die. Hasst du mich, kommen dir die Aufgaben unmöglich und schwer vor, du machst sie nicht.
Aber ich, ich verhalte mich immer gleich.
Die Aufgaben sind auch immer gleich. Es kommt nur auf deine innere Stimmung an, wie du sie wahrnimmst. Wie du mich wahrnimmst." Mittlerweile stand er dicht vor mir, aber ich wich nicht zurück.
Ich konnte ihn nur sprachlos anstarren. Stimmte das wirklich? Kannte er sich mit der menschlichen Psyche so gut aus, dass er bestimmen konnte, was ich fühlte? Dass er voraussehen konnte, wie ich mich entschied?
Dieser Gedanke war unheimlich. Es fühlte sich an, als ob er mir meinen eigenen Willen geraubt hätte. Als ob er über mich bestimmte und ich machtlos war.
Genau genommen war es auch so. Er konnte hier mit mir machen, was er wollte. Ich war ihm hilflos ausgeliefert. Aber wollte er wirklich nur schlechtes? Oder war ich nur der Teil eines großen Ganzen?
„Und wieso tust du das?", flüsterte ich und sah ihn von unten an. Er presste seine Lippen aufeinander und schwieg. Resigniert atmete ich tief durch. Irgendwie hatte er recht.
Die Aufgaben, die er mir gestellt hatte, waren alle gleich gewesen. Es war keine einfacher als die andere gewesen.
Ich hatte den Kuss verweigert, war aber einverstanden gewesen, dass er mir die Haare waschen durfte, während ich nackt in einer Badewanne gebadet hatte.
Der Schwierigkeitsgrad dieser Aufgaben war der Gleiche. Ich hatte es mir nur eingebildet, dass die eine Aufgabe schwerer war als die andere. Er kontrollierte wirklich meine Psyche, meine Entscheidungen.
„Wo wir gerade beim Thema Aufgaben sind. Ich hätte da eine neue für dich." Plötzlich war wieder nichts mehr von dem netten Julien da. Er hatte wieder seine kalte, undurchdringliche Maske aufgesetzt. Oder bildete ich mir auch das nur ein?
Momentan verwirrte mich das alles nur. Ich wusste nicht, was ich noch glauben sollte. Im Kopf zählte ich nach, das hier wäre die fünfte Aufgabe. Ob er sich etwas besonders scheußliches ausgedacht hatte? Oder war die nächste Aufgabe harmlos?
War ich in der Stimmung, in der ich ohne zu Zögern zustimmen würde? Oder würde ich die Aufgabe ablehnen, weil ich noch sauer auf ihn war, dass er mich vor ein paar Tagen zusammen geschlagen hatte? Ich wusste es nicht, aber Julien schien es zu wissen.
„Zieh dich an..."
„Nein!", schnitt ich ihm direkt das Wort ab. Ich würde mich nicht vor ihm umziehen. Definitiv nicht! Julien lächelte und hob eine Hand, sodass ich meinen Schwall an Protesten wieder hinunter schluckte.
„Zieh dich an und du kannst dich auch im Bad frisch machen. Ich werde hier etwas vorbereiten. Wenn ich fertig bin, sage ich dir Bescheid."
„Und was ist, wenn ich eher im Bad fertig bin, als du fertig bist?"
"Dann kommst du nicht raus, weil ich die Tür abschließen werde."
Ich schnaubte empört auf und musterte die Klamotten, die er mir hingelegt hatte. Es waren die Sachen, die ich getragen hatte, als er mich hier eingesperrte.
In dem Bademantel fror ich langsam, da es sehr kalt hier in dem Raum war und ich nicht mehr unter der Bettdecke lag.
Zumindest würde ich mich gerne umziehen. Und dafür müsste ich sowieso in das Badezimmer, da ich es nicht vor ihm machen wollte. Dann konnte er dann direkt abschließen und mich dort einsperren.
„Also?" Ich nickte als Antwort und nahm meine Sachen in die Hand. Julien begleitete mich zum Badezimmer.
Kurz zögerte ich, betrat es dann aber doch. Hinter mir fiel die Tür zu und ich hörte, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte.
Blind suchte ich an der Wand nach dem Lichtschalter. Ich fand ihn und die einsame Glühbirne an der Decke spendete mir flackernd ein bisschen Licht. Nachdem ich gebadet und mich umgezogen hatte, fühlte ich mich direkt ein bisschen besser.
Meine Kleidung war mir vertraut, ich fühlte mich wieder mehr wie ich. Und war auch wieder sauber.
Ich trat vor das kleine Waschbecken und musterte mich im Spiegel. Mein Gesicht sah wirklich sehr verunstaltet aus, an vielen Stellen war die Haut noch blau verfärbt.
Meine Lippe blutete leicht, da die Kruste an der Stelle, an der sie aufgeplatzt war, abgegangen war. Ich leckte das Blut mit meiner Zunge ab und verzog wegen dem metallischen Geschmack kurz das Gesicht.
Ich erkannte mich nicht wieder, ich war abgemagert, hatte Augenringe und meine Wangen waren eingefallen.
Das Einzige, was mir geblieben war, war mein typischer, skeptischer Gesichtsausdruck. Mein Blick wanderte zu dem Handtuch und zum Spiegel. Ich zuckte zusammen. Warum war ich nicht schon eher darauf gekommen? Das hier war meine Chance, vielleicht fliehen zu können!
Ich nahm das Handtuch und wickelte es mir dick um die rechte Hand. Ich war alleine, Julien war beschäftigt. Mit einem Schaudern fielen mir einige Sachen ein, die er dort vorbereiten könnte.
Ich nahm den Spiegel von der Wand und legte ihn leise auf den Boden. Julien sollte schließlich nicht hören, was ich hier machte.
Sicherheitshalber betätigte ich die Klospülung und drehte dann den Wasserhahn auf. Schnell schlug ich mit der rechten Hand auf den Spiegel ein.
Das Handtuch dämpfte den Schall, als er in einzelne Scherben zerbrach. Ich suchte mir eine besonders spitze heraus und versteckte sie provisorisch in meinem Socken.
Zwar befürchtete ich, mich damit selbst zu verletzen, aber eine andere Idee hatte ich auf die Schnelle nicht.
Ich legte das Handtuch wieder zurück und überlegte, wie ich die anderen Scherben verschwinden lassen könnte. Ihm wird auffallen, dass der Spiegel kaputt war und eine Scherbe fehlte.
Ich hob den Spiegel auf, die Scherben legte ich alle darauf und drehte den Wasserhahn zu. Aus einer spontanen Eingebung heraus schrie ich auf und ließ den Spiegel auf den Boden fallen.
Der Knall, als er dort in weitere Einzelteile zerbrach, war laut.
Prompt hörte ich hektisch Schritte und wie die Tür aufgeschlossen wurde. Ich klammerte mich an das Waschbecken und zog mich daran hoch, als Julien die Tür aufriss.
Panisch sah ich ihn an. Er sah erst mich und dann die Scherben auf dem Boden an.
„Es...es tut mir leid. Mir wurde schwindelig und ich...ich habe ihn von der Wand gerissen, als...ich mich an...irgendwas festhalten wollte...", stotterte ich so glaubhaft wie möglich und sah ihn ängstlich an. Erst wirkte er skeptisch, aber dann wurden seine Gesichtszüge weicher.
„Du musst etwas essen, damit so etwas nicht noch einmal passiert", teilte er mir leicht besorgt mit und ich war erleichtert, dass er mir diesen „Unfall" abgekauft hatte. Erwartungsvoll streckte er seine Hand aus.
„Die fünfte Aufgabe wartet." Zögernd ergriff ich seine Hand und er zog mich zu der Tür. Ich wusste nicht, was mich dahinter erwartete.
Ich wusste auch nicht, was er mit vor vorhatte. Aber ich wusste, dass ich eine spitze Scherbe bei mir trug, mit der ich mich verteidigen konnte.
Die fünfte Aufgabe konnte er sich sonst wo hinstecken, ich würde sie nicht machen.
Ich würde diese Chance nutzen. Vielleicht hatte ich sie nie wieder, vielleicht würde er die Scherbe sonst irgendwann finden.
Ich spürte sie kalt an meinem Fuß, sie beruhigte mich. Sie gab mir Kraft und in meinem Kopf kristallisierte sich ein Gedanke immer weiter heraus:
Ich würde Julien mit dieser Scherbe töten.
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