𝟏𝟎. 𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 | Die zweite Aufgabe
Während ich darauf wartete, dass Julien mit meinem Essen wieder kam, realisierte ich, dass er mich nie losbinden würde. Ich würde mich nie in diesem Raum frei bewegen können. Weil ich dann eine Chance hätte, fliehen zu können.
Ich könnte mich neben die Tür stellen und ihn bewusstlos schlagen, wenn er durch sie hindurch ging, sodass ich dann auf den Flur rennen könnte. Das verhinderte er, in dem er mich immer irgendwo fesselte...
„Lass es dir schmecken." Ich beäugte das Essen, welches Julien mir auf die Bettdecke stellte. Auf einem Tablett stand ein Teller und ein Glas mit Wasser. Sofort griff ich nach dem Wasser und trank das Glas schnell leer.
Meine Kehle fühlte sich danach nicht mehr so staubtrocken an. Danach schlang ich das Brot hinunter, auf das er eine Scheibe Käse und sogar ein Salatblatt gelegt hatte.
Als ich aufgegessen hatte, war er weg. Ich war so damit beschäftigt gewesen zu essen, dass ich es nicht mitbekommen hatte. Aber ich vermisste ihn nicht.
Ich stellte das Tablett auf den Boden und legte mich richtig in das Bett. Immer wenn ich meine gefesselte Hand bewegte, rasselte die Kette und das nervte mich tierisch.
Deswegen legte ich den Arm neben mir ab und bewegte ihn nicht mehr. Mein ganzer Körper entspannte sich, obwohl ich in Wirklichkeit alles andere als entspannt war. Ich hatte Angst und wollte hier weg, raus aus diesem Raum und wieder nach Hause.
Ich träumte von blühenden Wiesen und danach schwamm ich durch ein Meer. Das Gefühl der Freiheit war atemberaubend schön, verpuffte aber schnell, als ich die Augen aufschlug und mich gefesselt in dem Bett wieder fand. Ich setzte mich auf und biss vor Schmerz die Zähne zusammen.
Mein Handgelenk war wund und die Fessel scheuerte schrecklich dagegen. Während ich geschlafen hatte, musste ich wohl daran herumgerissen haben.
Die nächsten Stunden zogen sich wie Kaugummi, ich hatte hier drin absolut kein Zeitgefühl, wusste noch nicht einmal, ob es Tag oder Nacht war und wie lange ich wirklich geschlafen hatte.
Irgendwann öffnete sich die Tür und Julien schwebte durch den Raum bis zu mir. Zumindest sah es so aus, als ob er schweben würde, so leichtfüßig wie er ging. Oha. Der hatte was geplant.
„Heute ist schon dein zweiter Tag hier und somit steht auch deine zweite Aufgabe an. Wie gestern auch, wenn du sie machst, darfst du in das Badezimmer gehen und bekommst etwas zu essen, wenn nicht, werde ich wieder gehen und morgen wiederkommen." Er strahlte auf mich herunter und ich zweifelte ernsthaft an seinem Verstand.
„Gestern durfte ich auf die Toilette, bevor du mir die Aufgabe gestellt hast", erinnerte ich ihn, aber er winkte schnell ab.
„Gestern war es ja auch dein erster Tag hier, da wollte ich ein bisschen netter sein."
„Ach, deswegen hattest du mich auch an einem Stuhl gefesselt? Wirklich sehr nett." In seine Augen trat ein wilder, verlangender Blick und ich schloss schnell meinen Mund.
Vielleicht war es keine so gute Idee gewesen, ihn direkt auf die Probe zu stellen. Er saß definitiv am längeren Hebel. Was er auch prompt beweisen wollte, da er mich am Oberarm packte und wieder aufsetzte. Er setzte sich neben mich auf das Bett und ich rutschte automatisch so weit zurück, bis ich mit dem Rücken gegen die kalte Wand stieß.
„Küss mich", befahl er, aber ich reagierte nicht darauf. Die Aufgaben erschienen mir viel zu leicht. Ich hatte ihn schon oft geküsst, allerdings unter anderen Umständen. Jetzt ekelte ich mich davor, aber ich sah in seinen Augen, dass es bald nicht mehr nur bei einem Kuss bleiben würde. Er würde mehr wollen und es irgendwann auch bekommen, koste es, was es wolle.
Ich überlegte und entschied spontan, diese Aufgabe nicht zu erfüllen. Noch hatte ich Kraft und würde einen Tag ohne Essen überstehen.
Auch auf die Toilette konnte ich verzichten, da ich eh nicht viel getrunken hatte. Aber in ein paar Tagen wäre ich geschwächt, dann brauchte ich dieses Essen, damit mein Körper nicht abmagerte.
Die Aufgaben würden immer schwerer werden und dann würde ich mir wünschen, sie verneinen zu können.
Wenn ich diese zweite Aufgabe nicht machte, würde er sie mir morgen wieder stellen. So konnte ich Zeit schinden. Das war das Einzige was ich machen konnte, damit er mich nicht wie ein Objekt benutzte, was ihm gehörte.
„Nein", sagte ich laut und er kniff seine Augen zusammen.
„Nein?"
„Nein." Seine Lippen verzogen sich langsam zu einem kalten, grausamen Lächeln. Er holte mit seiner Hand aus und schlug mich.
Dieser Schlag traf mich unerwartet, mein Kopf wurde zur Seite geschleudert und ich knallte mit dem Kopf einmal fest gegen die Mauer. Meine Haut brannte und mir schossen Tränen in die Augen.
„Du machst, was ich dir sage!", schrie er aufgebracht und ich winkelte schnell meine Beine an, da er auf mich zugekrochen kam. Mein Herz schlug wild in meiner Brust und ich bekam Panik. Er hatte nie davon geredet, dass er mich bestrafen würde, wenn ich nicht auf ihn hörte.
Aber eigentlich hätte ich es mir ja denken können, so durchgeknallt wie er war...
Grob stieß er meine Beine zur Seite, sodass ich zur Seite kippte und auf dem Bett landete. Er drehte mich auf den Rücken und fixierte meine Arme neben meinem Kopf mit seinen Händen. Dann legte er sich auf mich, ich spürte seinen verspannten, schweren Körper auf meinem und wand mich unter seinem Gewicht.
„Es war nur von Küssen die Rede", presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und er sah mich überrascht an.
„Willst du die Aufgabe doch machen?" Seine Miene hellte sich hoffnungsvoll auf, aber ich schüttelte verbissen mit dem Kopf.
„Mir ist aber egal, was du willst." Hart drückte er seine Lippen auf meine und ich riss meine Augen auf. Was für ein widerliches, perverses Schwein...
Drängend stieß er mit seiner Zunge gegen meine Lippen und ich öffnete sie notgedrungen für ihn. Ich schüttelte mich vor Ekel, versuchte aber die Nerven zu behalten.
Vorsichtig erwiderte ich seinen stürmischen Kuss und das schien ihn zu erstaunen, da er stockte. Diesen Augenblick nutzte ich und biss ihm so fest auf die Unterlippe, dass ich Blut schmeckte.
Er schreckte zurück und ließ mich los. Ich wischte mir mit der Hand über den Mund und sah ihn kalt an, während er sich so weit aufsetzte, dass er nur noch auf mir kniete.
„Das wird ein Nachspiel haben...", drohte er, stand dann ganz auf und verließ mein Gefängnis. Erleichtert darüber, dass er endlich gegangen war, rollte ich mich mit dem Gesicht zur Wand zusammen. Lautlos liefen die ersten Tränen über meine Wangen.
Lange würde ich diesen Psychopathen nicht mehr aushalten. Er hatte es schon einmal geschafft mich zu brechen und er würde es wieder schaffen. Er kannte die menschliche Psyche ziemlich gut und nutzte das aus.
Die ganze Angst und die Sorgen, die ich in den letzten Stunden verdrängt hatte, brachen in Form von Tränen aus mir heraus. Mein Körper zitterte, aber ich blieb trotzdem auf der Decke liegen.
Ich konnte und wollte mich nicht mehr bewegen, ich wünschte mir, dass ich damals nicht geflohen wäre.
Dann wäre ich jetzt wahrscheinlich schon lange tot und müsste nicht mehr leiden. Warum verdammt nochmal konnte ich mich nicht erinnern, was damals wirklich passiert war?!
Vor Wut schreiend kniete ich mich hin und schlug auf das Kissen ein. Mit welchem Recht hielt dieser Idiot mich hier fest? Wie schaffte er es, dass ihn niemand enttarnte?
Und wieso suchte niemand nach mir? Wieso wurde ich nicht vermisst? Warum interessierte sich da draußen in dieser Welt kein Schwein für mich?!
Ich könnte hier drin sterben und nie wieder kommen, es würde niemandem auffallen. Selbst wenn ich wie durch ein Wunder noch einmal Tageslicht sehen würde, würde niemandem auffallen, dass ich wieder da wäre.
Wieso hatte ich keine Familie mehr? Irgendjemanden, der mich liebte und der mich brauchte? Warum war ich diesem Schwachkopf hilflos ausgeliefert? Warum half mir niemand?
Tausende von Fragen schossen mir durch den Kopf und ich ballte meine Hände zu Fäusten und schlug mit einer Hand wütend gegen die Steinwand. Ich riss mir die Haut auf, meine Finger schmerzten, aber das war mir egal. Mir war alles egal, der Schmerz zeigte mir, dass ich noch lebte, dass ich noch Gefühle hatte und mir das alles nicht nur einbildete.
Mein Körper wurde von Krämpfen geschüttelt und ich ließ mich wieder kraftlos auf das Bett fallen. Es half alles nichts, ich könnte so lange herumschreien, bis ich keine Stimme mehr hatte, mich würde niemand hören.
Ich würde immer noch Juliens kleine, persönliche Schlampe bleiben. Mehr war ich für ihn nicht. Eine Frau, die er benutzen konnte, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Er war krank.
Die einzige Chance die ich hatte, war mit seinen eigenen Waffen zu spielen.
Zurückzuschlagen.
Aber dazu müsste ich ihn noch ein bisschen besser kennen lernen. Ich müsste seinen Schwachpunkt finden, versuchen sein Vertrauen zu gewinnen.
Doch war es mir das wirklich wert?
Wollte ich überhaupt noch einmal hier raus?
Oder hatte ich mich bereits aufgegeben?
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