𝟖. 𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 | Gefangen
Fertig angezogen verließ ich das Hotelzimmer. Meine Nerven lagen blank, es war noch nicht 18 Uhr und ich konnte Julien im Hotelfoyer nicht finden. Sehr gut.
Vielleicht hatte er gar nicht vor, mich hier wirklich abzuholen und der Anruf war nur eine leere Drohung gewesen.
Ich merkte, dass ich mich in etwas hinein steigerte, was nie passieren würde. Fest presste ich meine Handtasche gegen meinen Körper und verließ das Hotel.
Es war sinnlos zu fliehen, dennoch rannte ich die Straße hinunter und bog in die nächstbeste kleinere Straße ab.
Er würde mich nicht finden.
Er war kein Psychopath.
Doch.
Er war ein Psychopath und er würde mich finden.
Tränen rannen meine Wangen hinunter, ich hatte panische Angst, dass Julien plötzlich vor mir stehen würde. Er kannte mich besser, als ich mich selbst, das hatte er schon oft genug bewiesen.
Ich wollte gerade um die nächste Kurve biegen, als mich jemand am Arm packte und zurück riss. Ich schrie auf und mir wurde hektisch der Mund zugehalten.
„Das war nicht schlau, Schätzchen. Du solltest darauf hören, was ich dir sage." Juliens Stimme klang ruhig und gefasst, er drückte mich fest gegen seine Brust. Wahrscheinlich spürte er, wie schnell mein Herz schlug. Aber das war mir egal. Adrenalin schoss durch meinen Körper und ich biss ihm kräftig in den Finger. Fluchend nahm er die Hand von meinem Mund und ich riss mich von ihm los.
Ich kam genau zwei Schritte weit, dann blieb mein Fuß irgendwo hängen und ich knallte auf dem harten Boden auf. Keuchend entwich mir die Luft und ich kniff meine Augen zusammen. Mein Kopf dröhnte, eine warme Flüssigkeit bereitete sich auf meiner Stirn aus. Warum hatte ich Idiot auch vergessen, mich beim Hinfallen wenigstens mit den Händen abzustützen?
Juliens Lachen drang nur gedämpft zu mir durch, ich war damit beschäftigt, die Sterne die vor meinen Augen tanzten, zu sortieren. Bevor sie jedoch in einer Reihe waren, wurde ich wieder hochgerissen.
„Du kommst jetzt mit mir mit", erklärte Julien und erst, als er sich in Bewegung setzte und mich mitschleifte, fing mein Gehirn an zu arbeiten. Meine Sicht wurde wieder klarer, die Sterne verschwammen und waren schließlich verschwunden.
Stattdessen sah ich ein Auto vor uns.
Nein. Ich durfte auf keinen Fall in dieses Auto steigen.
Verzweifelt riss ich an meinen Armen und schaffte es wie durch ein Wunder, mich zu befreien. Allerdings stellte Julien mir wieder seinen Fuß in den Weg. Durch die Kopfschmerzen strauchelte ich und mir wurde schwindelig. Schon zum zweiten Mal in ein paar Minuten schlug mein Körper auf dem Boden auf. Mir war schlecht und es drehte sich alles um mich herum. Zitternd stütze ich mich mit den Händen auf, diesmal hatte ich daran gedacht, meine Hände zum Abstützen zu benutzen. Meine Handflächen waren aufgeschürft und brannten wie Feuer. Mein Kopf war so schwer wie ein Betonklotz, der auf meinem Hals festgewachsen war.
„Reicht dir das immer noch nicht?", knurrte Julien und trat mir gegen die Arme, sodass sie wegknickten und ich wieder mit dem Kopf auf dem Boden aufschlug. Hilflos lag ich auf dem kalten Boden, mir wurde schwarz vor Augen. Das Letzte, was ich mitbekam, war Juliens zufriedenes Lachen.
───•✧•───
Mein Kopf schmerzte so sehr, dass ich es nicht schaffte, meine Augen zu öffnen. Nur langsam kam ich wieder zu mir, das Nächste, was mir auffiel war, dass ich mich nicht bewegen konnte. Mein Körper war kalt, es roch muffig, wie in einem Keller. Dieser Geruch kam mir bekannt vor. Ziemlich bekannt.
Langsam öffnete ich meine Augen und starrte auf eine graue Wand. Eine alte, dreckige Wand. Fast automatisch glitt mein Blick diese Wand hinauf und ich schluckte. Ich sah keine Decke. Die Decke war so hoch, dass die Dunkelheit sie verschluckte.
Eine Gänsehaut kroch mir über den Körper.
Wo zum Teufel war ich?
Eine lästige Haarsträhne fiel mir in die Augen und ich wollte sie wegmachen, aber ich schaffte es nicht. Meine Hände ließen sich nicht bewegen. Panisch riss ich an ihnen, doch das einzige was passierte, war, dass ich mir die Handgelenke an den Eisenhandschellen aufscheuerte.
Zum ersten Mal, seit ich wieder bei Bewusstsein war, sah ich nach, warum ich mich nicht bewegen konnte und bereute sofort, es getan zu haben.
Ich saß auf einem Stuhl. Einem ziemlich harten Stuhl, wie ich feststellte. Meine Hände waren links und rechts an der Lehne gefesselt, meine Füße an den Beinen des Stuhls.
Wunderbar.
Warum musste sowas immer mir passieren?
Die nächsten Stunden versank ich in Selbstmitleid, nur unterbrochen von Panikatacken. Ich wollte hier raus. Und ich wollte wissen, wo ich war.
Eine Tür öffnete sich vor meiner Nase, die ich vorher gar nicht bemerkt hatte. Julien betrat meine Zelle und schloss die Tür hinter sich. Gelassen lehnte er sich mit dem Rücken dagegen, verschränkte seine durchtrainierten Arme vor der Brust und musterte mich. Ich starrte ihn ebenfalls an. Er war wirklich krank im Kopf. Ziemlich krank.
„Na, erinnerst du dich jetzt?" Seine Stimme hallte in dem Raum wider, sie schien von allen Seiten gleichzeitig zu kommen und ich zuckte zusammen.
Ja, an den Geruch erinnerte ich mich, aber an mehr nicht.
Von der hohen Decke hatte ich immer geträumt, genauso wie von der Narbe, die Juliens Rücken zierte. Beides war Realität gewesen.
Ich spürte, dass ich nun erfahren würde, wieso ich mich nicht mehr an meine Vergangenheit erinnerte. Nur wollte ich es mittlerweile gar nichts mehr über meine Vergangenheit wissen. Sie machte mir Angst.
Julien zog sich einen Stuhl heran und setzte sich mir gegenüber hin. Ruhig sah er mir in die Augen und ich unterbrach den Blickkontakt schnell. Julien sah gut aus, verdammt gut, aber er hatte nichts Gutes mit mir vor. Sein Blick war nicht mehr lieb und neugierig, sondern hasserfüllt und kalt.
„Du warst schon einmal hier. Ziemlich lange sogar", fing er zu erzählen an und lehnte sich zurück. Er verknotete seine Finger ineinander und ich hätte das auch gerne gemacht, war aber gezwungen, regungslos wie eine Puppe vor ihm zu sitzen.
„Ich habe dich vor ein paar Jahren hierher gebracht. Du warst das störrischste Mädchen, was ich je kennengelernt hatte. Du hast gehungert, gefroren und bist langsam aber sicher wahnsinnig geworden. Diese Entwicklung zu beobachten, war wirklich spannend und aufschlussreich gewesen.
Aber bevor es wirklich so weit war, dass du den Verstand verloren hast, hast du es geschafft, dich zu befreien. Ich habe Jahre gebraucht, um dich wieder zu finden. Als ich dich das erste mal gesehen hatte, kamst du mir sofort bekannt vor. Dann habe ich versucht, mit dir Kontakt aufzunehmen, was auch gut funktioniert hat.
Du hast schnell angebissen, bist aber immer skeptisch geblieben. Ich musste herausfinden, an wie viel du dich noch erinnerst.
Wenn du dich noch an mein Gesicht erinnert hättest und an das, was ich mit dir angestellt habe, hättest du zur Polizei gehen können und die hätten mich festgenommen. Aber glücklicherweise ist dein Gehirn ziemlich gut darin, diese Sache hier zu verdrängen." Er zeigte grob um sich.
Ich saß mittlerweile stocksteif auf meinem Stuhl. Ich fühlte mich ausgenutzt, entblößt und benutzt. Das alles war nur ein Spiel gewesen. Er hatte, seit er mich das erste Mal gesehen hatte, geplant, mich wieder zu fangen und mitzunehmen. Mein Traum war kein Albtraum gewesen, dieser Traum wollte mich vor dem Mann mit dieser Narbe warnen. Das Schicksal wollte mich warnen. Aber ich war blind gewesen und bin in die Falle getappt.
„Es ist ziemlich schade, dass du dich nicht erinnerst. Aber ich werde dir helfen, dass du dich wieder erinnern kannst. Das habe ich dir ja versprochen. Ich werde auch dafür sorgen, dass es das Letzte sein wird, woran du dich erinnern wirst. Denn noch einmal wirst du mir nicht vor der Nase weglaufen. Dieses Mal wird dein Körper nur noch in einem Zustand diesen Raum verlassen." Er deutete hinter sich auf die Tür.
„Nämlich tot." Mir klappte die Kinnlade herunter und er grinste mich an, als ob wir in einem feinen Restaurant sitzen würden und er gerade auf der Speisekarte sein Lieblingsgericht entdeckt hätte. Langsam stand er auf und öffnete die Tür wieder.
„Aber natürlich erst, wenn du dich erinnern kannst, sonst wäre meine jahrelange Arbeit ja umsonst gewesen", fügte er noch hinzu und verschwand dann. Sprachlos sah ich die geschlossene Tür an, ich hatte irgendwann während er erzählt hatte, angefangen zu weinen.
Er wollte mir also wirklich erzählen, dass er mich früher wie ein Tier hier gefangen gehalten hatte? Und dass ich damals fliehen konnte, bevor er mich getötet hatte?
Seiner Erzählung nach, hatte er mehrere Frauen wie mich gekannt. Ich schien nicht die einzige gewesen zu sein, die er gefangen gehalten hatte. Aber ich schien bis jetzt die einzige gewesen zu sein, die lebend hier rausgekommen war.
Er schien mich, als er mich wieder gefunden hatte, nur nicht umgebracht zu haben, weil er nicht wusste, an was ich mich noch erinnerte und was ich vielleicht irgendwem erzählt hatte. Deswegen musste er mich suchen und nun herauszufinden, was ich noch alles wusste.
Ich schwor mir, ihm nie zu erzählen, wenn ich mich an etwas Neues erinnerte. Denn wenn ich mich nicht erinnern würde, würde er mich nicht so schnell umbringen.
Und ich würde mich garantiert nicht von so einem Psychopathen umbringen lassen.
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