Teil 8
Die Nachricht über mein Erwachen verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Etwa in der gleichen Geschwindigkeit füllte sie mein Krankenzimmer mit Blumen, Grußkarten und Pralinen. Auch Louisa und Jacob kamen vorbei, als sie hörten, dass ich aus dem Koma erwacht war. Die Stimmung während ihres Besuches war allerdings eher bedrückend. Sie kamen nun regelmäßig zwei mal die Woche vorbei. Wir spielten manchmal Karten, redeten oder gingen in die Krankenhaus Cafeteria und aßen Vanille Eis. Genauer gesagt, Jacob und Louisa gingen und schoben mich im Rollstuhl hinterher. Auch wenn die Ablenkung gut tat, spürte ich jedes Mal die gezwungene Atmosphäre und das Mitleid in ihren Blicken. Und ab und zu bemerkte ich auch wie die beiden miteinander flüsterten.
Dave kam beinahe jeden Tag. Obwohl ich mit ihm viel offener und ehrlicher reden konnte, fing es irgendwann an mich zu nerven wie nett er zu mir war. Klingt absurd ich weiß. Er war so schrecklich zuvorkommend und hilfsbereit. Je mehr er für mich tat, umso unfähiger fühlte ich mich.
Selbst die lokalen Nachrichten hatten über mich berichtet. Mädchen nach dreizehn Tagen aus dem Koma erwacht, stand in der Zeitung. Dass es mir gut ginge und ich wieder auf die Beine käme, sagten sie. Nicht weil es stimmte, sondern weil es das war, was die Leute hören und lesen wollten, damit in ihrer heilen, kunterbunten Welt weiterhin alles perfekt lief. Aber die Wahrheit war, dass ich mich elend fühlte. Hilflos und verletzt. Wie ein bedauernswertes kleines Kind. So sah die Realität aus.
Insgesamt fünf Wochen lag ich im Krankenhaus, als der Arzt mit den Entlassungspapieren herein kam. „Guten Morgen Noa, heute ist es endlich soweit.", lächelte er. Meine Mutter kam etwa eine Stunde später und packte meine Sachen für mich. Ein Pfleger kam herein und half mir, mich auf den Toilettenstuhl zu setzten. Dann gingen beide raus, um mich in Ruhe pinkeln zu lassen. Immerhin merkte ich, wann meine Blase voll war und konnte rechtzeitig Bescheid geben. Trotzdem war es mir jedes Mal furchtbar unangenehm, wenn ich dabei um Hilfe bitten musste. „Fertig", rief ich nach außen. Der Pfleger - sein Name war Daniel - kam herein und hob mich hoch. Beschämt bedeckte ich mit meinen Händen meinen entblößten Intimbereich. Das machte ich immer so, auch wenn ich wusste, dass es nichts nützte und mich sowieso schon jeder hier nackt gesehen hatte. Der starke Mann hielt mich mit dem einen Arm fest, während er mit der anderen Hand meinen Slipper und meine Jogginghose hochzog. „Danke", nuschelte ich. Daniel lächelte liebevoll. „Ich werde dich hier vermissen Noa." Schulterzuckend ließ ich mich in meinen Rollstuhl befördern. Ich strich gedankenverloren über die Armlehnen aus Plastik.
Es war schrecklich aufwendig, mich zum Auto, ins Auto, vom Auto wieder raus und ins Haus reinzubringen. Mum und Dad hatten das Haus während meines Krankenhausaufenthaltes behindertengerecht umgebaut. Neben den Stufen, die zu unserer Haustür führten war eine Rampe für meinen Rollstuhl hingebaut worden. Außerdem hatten sie mein Zimmer mit ihrem Zimmer im Erdgeschoss getauscht, damit ich nicht jedes Mal in den Keller herunter geschleppt werden musste. Als ich umständlich den Rollstuhl über die Türschwelle in mein neues Zimmer bugsierte, blieb mir erst einmal der Mund offen stehen. An der gegenüberliegenden Wand hing ein großes, selbstgemaltes Schild, auf dem „Herzlich Willkommen zurück" stand. Zudem war das Zimmer schön dekoriert, das Bett frisch bezogen und an der Decke hing rund herum eine strahlende Lichterkette. Es sah wunderschön aus. „Vielen Dank", schluckte ich. „Es ist sehr schön geworden, danke."
Mum schloss mich fest in die Arme. Dann scheuchte sie Simon und Robin raus und ging zusammen mit Dad in die Küche, um mir ein bisschen Zeit für mich allein zu lassen.
Der Kloß in meinem Hals, der da war, seit ich über eine Rampe in mein eigenes Zuhause geschoben werden musste wuchs mit der Einsamkeit. Ich weinte stille Tränen. Mein Leben würde nie wieder dasselbe sein.
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