Teil 11
„Wie wars in der Schule?", fragte Mum, kaum das Bob mich nach Hause gebracht hatte. „War gut.", meinte ich nur und rollte zum Esstisch. „Wie haben die Leute reagiert? Haben Jacob und Louisa sich gut um dich gekümmert?"
„Niemand hat was gesagt. Und ja, die beiden haben sich toll um mich gekümmert.", log ich. Ich hatte keine Lust auf weitere Fragereien. Wenn Mum hörte, dass meine besten Freunde kein einziges Wort mit mir geredet hatten, würde sie nur ein großes Thema veranstalten. Sie würde mit den Eltern von Louisa und Jacob telefonieren und sich beschweren. Die würden es dann brühwarm ihren Kindern erzählen, welche mir dann wiederum böse Blicke in der Schule zuwerfen würden. Das wollte ich mir ersparen. Und bevor Mum auf die Idee kam, mich doch noch auf irgend so eine Behinderten Schule zu schicken, erzählte ich ihr lieber nur das, was sie hören wollte. „Das freut mich Noa." Sie lächelte zufrieden und wandte sich dann an Bob. „Vielen Dank Bob. Morgen einfach wieder um die gleiche Zeit." Mum schüttelte dem Pfleger die Hand. „Nicht zu danken Mrs Mitchell.", meinte Bob.
„Für sie nur Ava."
Nach dem Mittagessen hatten Simon und Robin mich zu zweit wieder ins Bett gewuchtet. Dort verbrachte ich den Rest des Tages. Ich machte keine Hausaufgaben. Ich lernte nicht. Ich tat gar nichts. Plötzlich klingelte mein Handy neben mir. Ich warf einen Blick aufs Display. Eine unbekannte Nummer. Zögernd nahm ich den Anruf entgegen. „Hallo?", meldete ich mich. „Hi Noa.", sagte die Stimme am anderen Ende der Leitung. „Wer ist da?" Ich ahnte bereits, wer das war. „Elijah", bestätigte sich mein Verdacht. Wieso rief Elijah mich an. „Oh hi. Woher hast du meine Nummer?", wollte ich dann wissen. Kurzes Schweigen. „Steht auf der Schul Homepage." Mir ging ein Licht auf. Die Sache mit der Schülersprecherin. Daran hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht. Wieso hatte mich kein Lehrer darauf angesprochen? „Achso okay", meinte ich nur. „Und wieso rufst du an?"
„Einfach so. Ich wollte mal hören wie es dir so geht."
Skeptisch zog ich eine Augenbraue nach oben. Wieso interessierte es ihn wie es mir geht? Ich hatte Elijah gleich wieder aus meinen Gedanken verbannt, nachdem Bob mich ins Auto gehievt hatte. Der Junge hatte in meinem Kopf nichts verloren. Doch auf einmal musste ich an die Szene von heute Morgen auf dem Flur denken. Wie seine Hand sanft meinen Rücken gestreichelt hatte. Das hatte sich schön angefühlt.
"Mir geht es gut denke ich.", gab ich Elijah seine Antwort. Wieder folgte ein Moment der Stille. Gerade als ich mich fragte, ob der Junge womöglich aufgelegt hatte, hörte ich ein schüchternes Räuspern. „Wie wärs, wenn ich bei dir vorbei komme?" Was? Wie um alles in der Welt kam er denn darauf. Bloß, weil ich in seinen Armen gelegen hatte, bedeutete das noch lange nicht, dass wir befreundet waren. Oder doch? Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr. „Ist es nicht schon ein bisschen zu spät?", murmelte ich in den Hörer. Elijah lachte leise. „Es ist sechs Uhr abends. Hast du etwa was besseres vor?" Natürlich nicht. Was sollte ich schon großes unternehmen?
„Nein..." - „Gut, wo wohnst du?" Ich nannte ihm meine Adresse. „Super, bin in zwanzig Minuten bei dir." Er legte auf, bevor ich etwas einwerfen oder widersprechen konnte. Verwirrt schüttelte ich den Kopf und starrte weiter auf mein Handy. Ich konnte nicht anders, als zu schmunzeln. Plötzlich wurde das Display schwarz und mein Gesicht spiegelte sich darin. Entsetzt schnappte ich nach Luft. Meine Haare standen vom stundenlangen liegen in alle Richtungen ab und ich hatte Falten auf meiner Wange. Abdrücke von meinem Kissen. So ein Mist, ich hatte bloß zwanzig Minuten, um mich wieder vorzeigbar zu machen. „Simon", rief ich laut in Richtung Zimmerdecke. Genau über mir hatten die Zwillinge ihr eigenes Reich. Ein Poltern auf der Treppe verriet mir, dass Simon mich gehört hatte. Er platzte herein. „Was ist los?", fragte er außer Atem.
„Ich bekomm Besuch." Simon riss die Augen auf. „Oh Gott. Hast du mal gesehen, wie du aussiehst?" Ich stöhnte entnervt auf. „Deswegen ruf ich dich ja. Du musst mir helfen!"
„Gut, ich bring dich ins Bad.", meinte er und kam an mein Bett. „Ich mach die Bremsen rein und du drehst dich so und stützt dich ab." Mein Bruder zeigte mir, wie er das meinte. Er legte seine Hände seitlich auf die Armlehnen des Rollstuhls. Ich verstand sofort, was er vorhatte. „Ich werde dann deine Beine heben. Kapiert?" Ich nickte dankbar. Es funktionierte ausgezeichnet. Mein kleiner Bruder war ein Genie. Hastig schob er mich ins Bad. Er hockte sich auf den Rand der Badewanne und sah mir dabei zu, wie ich die Vogelscheuche aus dem Spiegel wieder in seine Schwester verwandelte. Es dauerte zirka zehn Minuten. „Fertig."
Simon lächelte mich glücklich an. „Jetzt siehst du wieder richtig schön aus. Wie das Mädchen, auf das meine ganzen Kumpels stehen." Ich freute mich über sein Kompliment, auch wenn ich den Gedanken ziemlich verstörend fand, dass mich ein paar Zwölfjährige attraktiv fanden. Simon schob mich zurück in mein Zimmer. „Wieder ins Bett?" Ich dachte kurz darüber nach, aber ich wollte nicht, dass Elijah dachte, ich würde den ganzen Tag nur rumliegen. Ich tat zwar genau das, aber das musste er ja nicht wissen, dachte ich entschieden. „Nein ich bleib im Stuhl. Danke." Ich schenkte meinem Bruder ein zufriedenes Lächeln und er verschwand wieder nach oben. Erstaunlich, wie erwachsen er geworden war. Er hatte mir geholfen, ohne auch nur ein einziges Mal zu fragen, wer zu Besuch kam. Als wäre das das Stichwort gewesen, klingelte es an der Haustür. Ich lauschte. Anscheinend öffnete Mum, denn ich hörte sie kurz darauf fröhlich mit jemanden sprechen. Die Schritte kamen immer näher. Dann stand Elijah im Raum. „Hi", sagte er cool und hob kurz die Hand. Er musterte erst mich, dann mein Zimmer. „Voll schön hier drin.", bemerkte er. Er trug eine ausgewaschene, lockere Jeans und ein weißes Langarmshirt. Über seine Schulter hing ein schwarzer Rucksack.
„Hi. Ehm, setz dich doch." Ich deutete auf das kleine Sofa. Elijah ließ sich fallen und streckte seine langen Beine von sich. Ich kam mit der ganzen Situation nicht so ganz klar. Ein Junge, mit dem ich kaum etwas zu tun hatte, den ich kaum kannte, saß in meinem Zimmer auf meinem Sofa, und ich wusste nicht genau, was ich sagen sollte. „Hat dir schonmal jemand gesagt, dass du aussiehst, wie Shawn Mendes?", rutschte es mir plötzlich heraus. Wie peinlich war das denn. Verzweifelter konnte ein Gespräch ja gar nicht beginnen. Doch zu meiner Erleichterung lachte Elijah. „Ja. Allerdings sagen mir das meistens nur Mädchen, die eine Schwäche für diesen Sänger haben." Er grinste schelmisch. Ich wurde rot. Das brachte ihn umso mehr zum Lachen und ich stimmte mit ein. Nach einer Weile beruhigten wir uns wieder und ich sah den Jungen an. Er blickte lächelnd zurück und seine grünen Augen glitzerten. „Wieso bist du hier Elijah?", fragte ich ihn dann. „Ich habe etwas für dich.", erwiderte er. Ich hob erstaunt meine Augenbrauen, während er in seinem Rucksack kramte. Er nahm ein kleines Buch heraus und reichte es mir. Es war ein Notizbuch. Der Umschlag bestand aus braunem Leder und war mit einem wunderschön geschwungenem, goldenen Muster verziert. Eine braune Schleife hielt Vorder- und Rückseite des Umschlags zusammen. Zart fuhr ich mit dem Finger das Muster nach. Es erinnerte an Ranken, die sich aneinander schlängelten. „Es ist wunderschön", hauchte ich. „Ich habe mir gedacht, vielleicht brauchst du etwas, wo du deine Gedanken rein schreiben kannst. Oder deine Wünsche. Ich weiß nicht." Elijah kratzte sich verlegen am Kopf. Ich wusste gar nicht, was ich sagen soll. Es rührte mich zutiefst, dass er mir ein Geschenk machte. „Vielen Dank.", murmelte ich und drückte das Buch an meine Brust. „Ich werde es bestimmt brauchen." Erleichtert strahlte er, als ich das sagte.
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