Kapitel 8
Wir folgten Gally eine Weile durch die Stadt, die immer leerer wurde. Als niemand mehr auf der Straße war, begann Gally an den Ecken stehenzubleiben. Sirenen waren zu hören. Wenn alles sicher war, gab Gally uns mit einem Kopfnicken zu verstehen, dass wir ihm folgen sollten. Ich fühlte mich wieder so, wie in der Stadt mit den Crank, damals mit Jorge. Nur, dass wir uns diesmal vor WICKED versteckten.
Schnell rannten wir über die leere Straße, als erneut Sirenen ertönten, die direkt auf uns zukamen. Wir drückten uns gegen eine Wand und schon im nächsten Moment fuhr der Wagen an uns vorbei, ohne uns zu sehen.
„Die Sicherheitsmaßnahmen wurden erhöht.", murmelte Gally und drehte sich dann wieder zu uns: „Ich nehme an da hat etwas mit euch Strünken zu tun." Wir liefen weiter und kamen schließlich zu einer abgelegenen Gasse. Vor uns ragte eine große steinerne Mauer auf, an dessen Wand eine Feuerleiter befestigt war. Vor einer kleinen Mauer machte Gally halt. „Alles klar, Newt, rauf mit dir." Er machte ihm eine Räuberleiter und Newt kletterte schnaufend über die Mauer. Er half mir ebenfalls und beförderte mich mit Schwung über die Mauer. Auf der anderen Seite wartete bereits Newt, der mich auffing.
„Ist das die Mauer?", fragte ich Gally, der unmittelbar nach Thomas zu uns kletterte.
„Ja. Deswegen befindet sich dort auch dieser Schutzwall hier." Gally forderte uns auf, dass wir ihm still folgen sollten.
Nach einiger Zeit waren wir schon ziemlich hoch und betraten nun das Innere. Eine kleine Treppe führte nach oben, die wir nahmen. Es waren wohl verlassenen Wege, da sich dort keine Wachen befanden und Gally auch nicht angespannt wirkte.
„Da ist es!", begann Gally, als wir nach draußen traten. Wir befanden uns nun ziemlich weit oben, dennoch fühlte ich mich noch klein, als ich die Stadt vor mir erblickte. „Wenn Minho bei WICKED ist, dann halten sie ihn da drin gefangen." Er zeigte auf ein großes, hell erleuchtetes Gebäude vor uns. Staunend betrachtete ich es. Es schien wirklich nicht leicht zu werden Minho dort rauszuholen...
Unter einer Plane versteckt holte Gally nun eine Art Fernrohr heraus, das er in eine Halterung am Geländer stellte. „Lawrence versucht schon seit Jahren dort reinzukommen." Er schaute durch das Fernrohr, als würde er es noch einstellen müssen. „Da drinnen wimmelt es nur so vor Soldaten, alles wird strengstens überwacht, Scanner auf jedem Stockwerk."
„Klingt nach einer verdammten Festung...", murmelte Newt.
„Klingt nicht unbedingt schwerer als einen Zug mit einem frisch gestohlenen Berk zu stehlen. Nur einen Wagon des gesamten Zuges..." Es war noch immer unglaublich, wie sie das alles hinbekommen hatten, denn Newt hatte mir den Plan damals erzählt und obwohl es funktionieren konnte, erstaunte es mich noch immer, wie.
„Dafür hatten wir sechs Monate.", meinte Newt und Gally sah verwirrt auf. „Einen Zug gestohlen?!" In seinem Gesicht spiegelte sich klar und deutlich die Verwunderung.
„Du hast gesagt, du weißt, wie man reinkommt.", sagte nun Thomas und unterbrach somit unser Gespräch.
„Ja. Vielleicht."
„Vielleicht?! Was zum Teufel heißt 'vielleicht'?!" In Thomas Stimme konnte man die Wut hören, als er sich Gally zuwandte. Kurz zögerte Gally, doch dann trat er einige Schritte von dem Fernrohr weg. „Sieh es dir an.", meinte er und Thomas trat zögerlich an seine Stelle. Für einen Moment sah er durch, doch dann verspannte er sich merklich. Mit gerunzelter Stirn sah er wieder zu Gally. „Ich sagte, ich weiß wie man reinkommt, nicht dass es dir gefallen wird." Und es gefiel Thomas so gar nicht. Nachdenklich stellte er sich wieder an das Geländer und sah hinaus, da Newt nun durch das Fernrohr schauen wollte. Wovon sprachen sie denn?! Scheinbar hatte es auch Newt gesehen, denn mit einem wissenden Blick sah er zu Thomas. Jetzt war ich komplett verwirrt und scheuchte ihn weg, um selbst durchzusehen. Es erstaunte mich, wie gut das Fernrohr funktionierte, denn ich konnte alles sehen, obwohl das Gebäude so weit entfernt war. Durch die große Fensterfront konnte ich mehrere Labore erkennen, in denen Menschen mit Kitteln umherliefen und arbeiteten. Doch eine Person stach besonders heraus. Es war eine Frau, das erkannte ich an den langen Haaren, die ihr offen über die Schulter fielen. Als sie sich so drehte, dass ich das Gesicht sehen konnte, erkannte ich sie: Teresa. Das erklärte, weshalb es Thomas nicht gefiel. Doch ehe ich mir darüber Gedanken machen konnte, erweckte eine weitere Gestalt meine Aufmerksamkeit. Durch die Tür kam jemand mit dunkler Kleidung. Es war niemand anderes als Janson. Als ich sein Gesicht erblickte, spürte ich, wie mein Atem schneller ging. Durch das Fernrohr hatte ich das Gefühl direkt vor ihm zu stehen und wieder spielten sich die Erinnerungen vor meinem geistigen Auge ab. Ich verkrampfte meine Finger um das Geländer. Es fühlte sich so an, als hätte mir jemand in den Bauch geschlagen, als er so zum Fenster sah, dass ich das Gefühl hatte, dass er mich genau ansah. Ein erstickter Laut entwich mir, als ich noch immer durch das Glas starrte. Doch ich sah nicht das Labor, sondern den Raum, in den ich immer gebracht wurde. Und Janson, der dort war. Eine Träne lief mir die Wange entlang.
Als ich eine Hand auf meiner Schulter spürte, zuckte ich erschrocken zusammen. Ich wurde aus der Erinnerung gerissen und nahm sofort wieder alles um mich herum wahr. Somit auch Newt, der mich besorgt ansah. „Was ist denn los?!" Ich hielt mir gedankenverloren den Bauch, als müsste ich ihn schützen. Eine sanfte Berührung an meiner Wange ließ mich aufschauen.
„Er ist dort." Mehr konnte ich nicht sagen, denn meine Stimme brach ab. Ohne, dass ich es ihm weiter erklären musste, wusste Newt, von wem ich sprach und so zog er mich sofort in eine Umarmung. So gerne hätte ich mich in dieser Umarmung gehen lassen und hätte geweint, aber ich wusste, dass ich es jetzt nicht machen konnte. Nicht hier. Also schluckte ich alle weiteren Tränen runter.
Nach kurzer Zeit löste sich Newt wieder und wischte mir behutsam die Tränen von der Wange. Seine braunen Augen sahen mich beruhigend an. „Ist alles wieder in Ordnung?" Langsam nickte ich, als sich auch mein Atem wieder normalisiert hatte.
Der Rückweg verlief leise, da Thomas nicht viel sprach und ich nicht von Newts Seite wich. Im Tunnel beeilten wir uns, nun da wir wussten, was auf uns zukommen würde und schafften es auch ohne Probleme wieder in den Tunnel und zurück zu Jorge, Brenda und Pfanne.
Da Gally noch ein wenig an dem Plan arbeiten wollte, bot er uns einen Raum an, in dem er normalerweise schlief. Er war groß genug, dass wir genug Platz hatten und uns auf dünnen Matten hinlegen konnten. Wir löschten das Licht und nach einiger Zeit hörte man schon das ruhige Atmen der anderen, das Zeichen, dass sie eingeschlafen waren. Doch ich konnte noch immer nicht schlafen und wälzte mich unruhig hin und her. Erst, als ich spürte, wie sich zwei starke Arme um meinen Oberkörper schlossen, erstarrte ich.
„Was hast du denn?", fragte Newt leise. Ich drehte mich langsam zu ihm um und konnte in dem schwachen Licht, das durch ein hohes Fenster fiel, sein Gesicht ausmachen. „Kannst du nicht schlafen?" Ich nickte.
„Warum schläfst du nicht?", stellte ich die Gegenfrage.
„Könntest du es denn, wenn sich jemand neben dir immer hin und her wälzt?" Ein leichtes Lächeln zierte seine Lippen.
„Tut mir leid..."
„Das braucht es nicht. Mir würde es nicht anders ergehen." Er strich mir behutsam die Haare aus dem Gesicht. „Wenn etwas ist, Clary, dann kannst du dich immer an mich wenden. Egal, was passiert. Ich werde für dich da sein. Und wenn du reden willst, dann höre ich zu." Ich griff nach seiner Hand und verschränkte unsere Finger. Dann sah ich wieder in sein Gesicht. „Deine Nähe reicht mir." Und mit den Worten lehnte ich mich leicht nach vorne und legte meine Lippen sanft auf seine. Als wir uns langsam wieder lösten, glänzten seine Augen.
„Ich liebe dich so sehr.", hauchte er, während er mir mit dem Daumen sachte über die Wange strich. Ein warmes Gefühl breitete sich in meiner Brust aus und ich hatte das Gefühl, dass alles um mich herum ausgeblendet wurde. Dennoch wunderte mich etwas. „Newt, wieso sagst du das heute so sehr?" Ich hatte nichts dagegen, dass er mir sagte, dass er mich liebte, aber so oft, wie er es sagte, verwunderte es mich. Mit einem leisen Seufzen sah er auf unsere verschränkten Finger. „Mir ist heute nur klar geworden, dass alle Momente so kurzlebig sind." Mit gerunzelter Stirn sah ich ihn an. Meine freie Hand legte ich vorsichtig an seine Wange und sofort schmiegte er sich an diese Berührung.
„Heute, als ich auf den Gleisen hingefallen bin...", begann er mit gedämpfter Stimme, jedoch ohne aufzusehen. „In dem Moment, als der Zug auf mich zuraste und ich nur deine Stimme gehört hatte, hatte ich Angst. Nicht um mich, sondern um dich. Darum, dass ich nicht mehr für dich da sein könnte." Noch immer hatte mich das Gefühl nicht ganz losgelassen, das mich beschlichen hatte, als Newt unter dem Zug verschwand. Und nun seine Sicht zu hören, ließ es wieder hervorkriechen.
„Aber ich habe es überlebt... Und da wurde mir bewusst, wie kurz das Leben doch ist. Im einen Moment reden wir noch normal und im nächsten liege ich unter einem Zug und bin mir nicht sicher, ob ich es überlebe. Und das letzte, das ich zu dir gesagt hätte wäre die Frage, ob du es schon bereust mit uns mitgekommen zu sein." Er lachte kurz auf.
„Aber das ist doch das Problem. Man erwartet das Ende nicht, bis es plötzlich vor einem steht. Unerwartet, unangekündigt, lässt es keine Chance zum Abschied. Selbst damals, als wir beim rechten Arm waren. Wir haben noch mit Minho und Pfanne Witze gerissen und dann kam WICKED und hat dich mir weggenommen." Er holte kurz Luft und schien derweil nach Worten zu suchen. „Und ich weiß nicht, wann ich das nächste Mal meinem Ende entgegensehe. Vielleicht auch schon morgen..." Ich legte meinen Finger auf seine Lippen, um ihn somit zum Schweigen zu bringen.
„Nein, Newt, sag das nicht! Du wirst morgen nicht sterben!" Der Gedanke daran ihn zu verlieren ließ mein Herz bereits brechen, doch das ließ ich nicht zu. Ich wollte es mir nicht vorstellen!
Vorsichtig nahm Newt meinen Finger wieder weg und lächelte leicht. „Ich will dir dennoch sagen, wie ich fühle. Damit ich später nicht das Gefühl haben werde, es zu wenig gesagt zu haben!"
„Dieses Gefühl wird immer bleiben."
„Ja, das stimmt." Daraufhin verfielen wir in ein langes Schweigen. In die Wärme und den Geruch eingehüllt, die von Newt ausgingen, wurde ich nun doch schläfrig und lehnte meinen Kopf an seine Brust.
„Wir sollten vielleicht schlafen, damit wir zu Kräften kommen...", murmelte Newt leise in mein Ohr und ich nickte einfach. „Gute Nacht, Clary." Er gab mir einen sanften Kuss auf die Stirn und zog mich noch näher an ihn. „Gute Nacht, Newt." Ich löste mich leicht aus seiner Umklammerung und streckte mich nach oben. Sanft küsste ich ihn. „Ich liebe dich!", hauchte ich. Er begann zu lächeln und ich vergrub meinen Kopf wieder an seiner Brust.
Umgeben von seiner Wärme übermannte mich nun doch der Schlaf.
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