6. Kapitel✔
Ich drehte mich zur Tür und dort stand er. Er war der Albtraum, der mich in den Nächten heimsuchte. Die Angst, die mich mit aller Macht wach rüttelte und ich schweißgebadet aufwachte. Meine Augen waren vor Schreck geweitet und ich erhob mich wie in Trance von Alec's Bett. Graham grinste dreckig. Alec hatte die Augen zu Schlitzen verzogen und musterte ihn abwertend. Graham kam auf mich zu. In seinem Suff war es ihm völlig egal, ob sich mein Zwillingsbruder auch Zimmer im Zimmer befand. Er könnte sowieso nichts gegen ihn ausrichten.
Er kam zu mir gestolpert.
Seine schwarzen Haare hatte er heute nach hinten gegelt. Graham trug ein weißes Hemd und eine blaue Anzughose, wie ein Geschäftsmann eben.
Wenn man ihn auf der Straße sah, würde man denken er war ein normaler Mitte 30-jähriger Mann, der sehr auf sein Äußeres achtete. Doch so war es nicht, dieser Mann, der mir immer weiter näherte, missbrauchte Kinder. Er missbrauchte mich und nicht nur das, er schlug mich, wenn ich nicht gehorchte. Ich hoffte, dass ich die einzige war und er nicht auch noch andere Opfer hatte.
Doch ich hatte ein gutes Gefühl, denn ich glaubte er tat es nur weil min Vater es verbockt hatte.
Ich schüttelte kaum merklich den Kopf. Mein Herz hämmerte so sehr gegen meine Rippen, das man es sehen konnte, wenn man genau hinschaute. Ich zitterte am ganzen Körper. Nein, nein, nein. Er hatte die ersten Knöpfe seines Hemdes schon geöffnet.
Die pure Angst hielt mich in ihren Klauen.
"Nein", flüsterte ich. Ich guckte ihn zugleich hasserfüllt, als auch ängstlich an.
"Nein", sagte ich etwas lauter, als er weiter unbeeindruckt auf mich zu lief.
Als Graham mich an der Hüfte faste, stand Alec von seinem Stuhl auf. Er kam auf uns zu und schlug Grahams Hand von meinem zitternden Körper.
"Sie hat NEIN gesagt. Lass sie also in Ruhe...", sagte er bedrohlich leise. Dabei strahlten seine Augen einen solchen Hass aus, wie ich es noch nie bei ihm gesehen hatte.
"Sonst was? Drohst du mir etwa gerade, du kleiner Mistkerl?" Graham lachte hochnäsig und stellte sich breitbeinig vor ihm auf. Alec antwortete nicht, er schaute ihn nur weiterhin kühl an. Er war ein 14 Jähriger Junge, was sollte er schon tun?
"Antworte mir gefälligst!", brüllte ihn der Mann an. Doch Alec blieb weiterhin still.
Seine Regel lautete: reden ist Silber, schweigen ist Gold.
Grahams Wangenknochen arbeiteten, was kein gutes Zeichen war.
"Er wollte..", weiter kam ich nicht, weil Graham mich energisch unterbrach.
"Habe ich mit dir geredet?! Nein, also halte dein dummes Maul!" Seine Augen funkelten vor Wut. Ich presste meine Lippen fest aufeinander und schluckte hart.
Graham wandte sich wieder Alec zu. Sein Gesicht war vor Wut inzwischen ganz rot angelaufen.
Er packte Alec am Kragen.
"Ich habe dir schon einmal gesagt, wenn du dich beim nächsten Mal wieder in meine Angelegenheiten einmischst, wird dies Konsequenzen haben. Und ich mache keine leeren Versprechen."
Graham drehte sich zu mir um und grinste mich versaut an. Schlagartig lief mir ein Schauer über den Rücken. Er ließ seinen Blick langsam über meinen Körper gleiten. In seinen Gedanken zog er mich wahrscheinlich schon nackt aus.
Ich schluckte und schaute an meinem Körper hinunter. An ihm war wirklich nichts besonders. Ich hatte nicht einmal mehr Kurven. Seit dem Tod meiner Mum hatte ich nur noch abgenommen, was auch an dem ständigen Erbrechen lag. Mein Körper war nicht schön, das wusste ich selbst, doch ich konnte einfach nichts mehr zu mir nehmen. Jedes Mal stocherte ich in meinem Essen herum. Wenn ich dann doch mal etwas aß, ging ich hinterher auf die Toilette um mich zu übergeben.
Als ich merkte, dass er sich auf mich zu bewegte, trat ich einen Schritt zurück.
Er fuhr sich mit der Zunge über die Oberlippe.
Bei mir angekommen, hob er mit gespielter Sanftheit mein Kinn an, zog mich brutal zu sich heran und presste seine Lippen so fest auf meine, dass ich Blut schmecken konnte. Er ließ seine Hände an meinem Körper hinunter wandern.
"Nein.", hauchte ich und mein Blickfeld verschwamm. "Ich will das nicht."
,,Jetzt stell dich nicht so an." Das sagte er immer wieder aufs neue. Jedes Mal war es das Selbe.
Alec schlug Grahams Hand erneut weg, darauf war der anscheinend nicht vorbereitet gewesen, da er etwas desorientiert nach hinten taumelte.
Alec stellte sich schützend vor mich.
"Du wirst meine Schwester nie wieder so anfassen.", sagte mein Zwilling warnend.
"Ich mache mit deiner Schwester, was ich möchte kapiert?!"
Voller Zorn kam er auf Alec zu.
"Das willst du anscheinend nicht verstehen, deshalb werde ich es dir nun verständlich machen."
Alec trat von mir weg. Graham holte aus, doch er verfehlte ihn, da mein Bruder sich gekonnt unter seiner Hand durch duckte.
Nun stand er vor dem Glastisch, der wiederum vor einem kleinen schwarzen Sofa stand.
Graham drehte sich und holte zum zweiten Mal aus. Er traf Alec so hart an seinem Unterkiefer, dass er sofort etwas anschwillte.
Ich hockte in einer Ecke und wiegte mich weinend vor und zurück. Nur meinetwegen hatte Alec nun Ärger.
Ich schaute abermals zu ihnen. Anscheinend hatte dieser Ekel ihn auch noch an dem Auge getroffen, da seine eine Gesichtshälfte blau war und es über seinem Auge blutete.
"Bitte lass ihn in Ruhe.", ich hatte mich hinter Graham gestellt und hielt seinen Arm fest.
"Nein!", brüllte er und damit schubste er mich gegen den Schrank. Ich wollte Alec helfen, aber ich hatte keine Chance.
Immer wieder schlug Graham auf ihn ein. Ich kniff die Augen zusammen und hielt mir die Ohren zu.
Alec rutschte auf dem Teppich weg. Das nutzte Graham aus und schlug in seine Magengrube. Alec ging stöhnend zu Boden und schlug mit dem Kopf auf die Ecke des Glastisches auf.
"NEIN!", schrie ich weinend. Zitternd saß ich in der Ecke. Nach ein paar Sekunden, in denen er sich nicht bewegt hatte, robbte ich zu Alec.
Unter seinem Kopf hatte sich eine Pfütze aus Blut gebildet. Sein Atem ging nur sehr flach.
"NEIN!", schluchzte ich auf. Ich hob seinen Kopf auf meine Knie.
"Nein, du darfst mich nicht allein lassen." Ich drückte auf die Wunde auf seinem Kopf, aus der das Blut quoll. In der Hoffnung damit den Blutverlust etwas zu mindern, zog ich mir das Shirt aus und drückte darauf. Es hatte keinen Sinn. Das Blut meines Bruders floss über meine Hand.
Ich könnte nicht ohne ihn leben.
Graham sagte etwas und lachte dann gehässig auf. Ich hörte nichts mehr. Ich spürte gar nichts mehr, außer meinen eigenen Schmerz. Nach seinem Puls suchend, tastete ich den Hals und schließlich sein Handgelenk ab, doch ich spürte ihn einfach nicht. Ich konnte ihn nicht finden.
"Das kann nicht sein." Immer und immer wieder wisperte ich diesen Satz vor mich hin. Meine Tränen tropften auf seinen Pullover. Mein Herz zersplitterte in tausende Teile. Ich füllte mich leer, verzweifelt und so hoffnungslos, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Ich fing an zu schreien. Nein, nein, NEIN! Das konnte unmöglich wahr sein. Meine Schreie vermischten sich mit mit dem schluchzen, das tief aus meinem Herzen stammte. Ich konnte nicht ohne meinen Bruder leben. Verstand das denn niemand?! Es war unmöglich, er konnte nicht tot sein. Wir hatten viel zu viel zusammen erlebt. Er konnte nicht einfach so aus meinem Leben verschwinden. Ich rüttelte an Alec. Und mit einem Mal packte mich eine Wut, wie noch nie in meinem Leben.
Ich suchte mit meinem Blick den Raum nach IHM ab. Ich suchte denjenigen, der mir mein Ein und Alles genommen hatte, meine zweite Hälfte, meinen Lebensinhalt, meine Rettungsleine, meinen Anker, mein zweites Ich, MEINEN ZWILLING. Ich hasste ihn. Ich HASSTE diesen Mann, wie keinen anderen und ich wusste, dass dieser Hass für immer sein würde.
Mit einem Mal schreckte ich aus meinem Bett hoch. Ich war total verschwitzt und alles klebte an mir. Meine Kehle war trocken. Vollkommen durcheinander stand ich von meinem Bett auf.
Es war nur ein Traum, alles ist gut Abby. Nur ein Traum. Ein blöder, blöder TRAUM.
Damals war zum Glück alles gut ausgegangen, Alec hatte nur eine kleine Schirfwunde abbekommen.
Um mich zu versichern, ging ich in Alec's Zimmer. Ich schaltete das Licht an, doch er lag nicht in seinem Bett. Panik machte sich in mir breit. Ich ging ins Bad und landete danach in der Stube. Jedoch war er nicht auffindbar. Ich merkte, wie sich Schweißperlen auf meiner Nase bildeten. Ich ging in die Küche, wo ich eine Bewegung vernahm. Diese erschreckte mich so sehr, dass ich aufschrie. Kurz darauf machte sich jedoch Erleichterung in mir breit. Alec stand mit einem Glas Wasser in der Hand in der Küche.
Weinend fiel ich ihm um den Hals.
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