14. Kapitel✔
"Danke.", sagte ich.
"Wofür denn?" Irritiert schaute er mich mit seinen blauen Augen an.
"Für alles."
Und so gingen wir beide schweigend und unseren Gedanken nachhängend, nebeneinander her, bis wir an unserem Treffpunkt angekommen waren.
"Na dann.", sagte ich und lächelte ihn an. Dabei trafen sich unsere Blicke und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass eine gewisse Spannung in der Luft lag. Schnell senkte ich den Blick auf meine Schuhspitzen.
"Ja, bis morgen.", verabschiedete er sich.
Es war schon so dunkel draußen, dass man kaum die eigene Hand vor den Augen sehen konnte. Es war kaum zu glauben, wie schnell die Zeit verging. Bald würde wieder Winter sein und wir könnten die Schneeflocken beobachten. Sofort verspürte ich einen Stich im Herzen.
Ach Mum, ich vermisse dich so sehr.
Immer weiter ging ich und kam unserem Hause immer näher. Früher hatte ich Angst vor der Dunkelheit gehabt, fast eine Art Nyktophobie. Später hatte ich Angst einzuschlafen, weil ich mich vor meinen Albträumen gefürchtet hatte, das war auch heute noch manchmal der Fall, obwohl ich seit einigen Jahren daran arbeitete. Doch nun mochte ich die Stille, die die Nacht ausstrahlte und die Dunkelheit. Vereinzelt fand ich gewisse Gemeinsamkeiten zwischen ihr und mir. An manchen Tagen war die Nacht ganz schwarz, da man weder Mond noch Sterne sah.
Dann gab es Nächte, da schien der Mond und die Sterne erstrahlten am Himmel. Genauso fühlte ich mich, bis jetzt überwog die Dunkelheit in mir, doch kleine Lichter durchbrachen sie immer wieder. Und für diese Lichter lebte ich. Zu diesen Lichtern gehörte Alec, meine Zukunft und seit einiger Zeit auch Pierce. Sie waren die Lichter in meiner Dunkelheit.
Ich lief weiter und klingelte schließlich an unserer Tür, da ich den Schlüssel vergessen hatte und Alec eh zu Hause war.
Nachdem ich 40 Sekunden vor verschlossener Tür stand, klingelte ich ein weiteres Mal, bis ich schließlich Sturm-klingelte. Ich ging einmal um das Haus herum, es war alles dunkel. So langsam machte ich mir wirklich Gedanken. Was, wenn man uns gefunden hatte? Andererseits wäre doch dann die Tür eingeschlagen, oder? Nein, er war bestimmt nur kurz weggefahren und würde gleich wieder da sein.
Nach weiteren 5 Minuten, die ich in der herbstlichen Kälte verbrachte, verschnellerte sich mein Herzschlag immer mehr.
Ich klingelte noch einmal, um sicherzugehen, dass Alec das Klingeln vielleicht nur nicht gehört hatte.
Und auf einmal ging wirklich das Licht im Flur an. Mir fiel ein Stein vom Herzen und als Alec dann tatsächlich die Tür öffnete, atmete ich vor Erleichterung einmal tief durch und umarmte ihn.
"Man, Alec, du Blödmann, ich stehe hier schon seit acht Minuten, ich habe mir wirklich Sorgen gemacht!" Ich boxte ihm gegen die Schulter.
"Ja, tut mir ja leid, aber ich habe Musik gehört. Außerdem musste ich dir ja eh noch was heimzahlen."
Ich schnaufte, toll der hatte Musik gehört, währenddessen ich draußen gestanden und mir Sorgen gemacht hatte.
Ich meine, nur weil ich ihn einmal zu früh geweckt hatte...
Ich ging in mein Zimmer und schloss die Tür hinter mir.
Kurz darauf kam auch schon Alec zu mir ins Bett gekrochen. Er hatte uns beiden Abendbrot gemacht. Und so aßen wir, während wir Fern schauten. Es war eine stumme Entschuldigung und ich nahm sie gerne an. Es bedarf keine Worte, damit wir uns verstanden, das war schon immer so gewesen.
Ich hatte zum Glück schon gelernt, da wir morgen die Prüfung in Biologie schreiben würden. Eigentlich war ich ziemlich gut in den Naturwissenschaften, bis auf Mathematik.
Ich kuschelte mich enger an meinen Bruder. Ich liebte es, wenn Jungs Pullover trugen. Eingehüllt von der Wärme, die sein Körper ausstrahlte, schlief ich ein.
*****
Wie immer erhob ich mich mit dem Klingeln meines Weckers aus dem Bett.
Ich putzte mir Zähne, wusch und schminkte mich und zog mir meine Sachen an.
Als letztes versuchte ich verzweifelt meine Haare durchzukämmen. Frustriert stöhnte ich auf. Manchmal hasste ich diese kastanienbraune Mähne wirklich. Tatsächlich schaffte ich es jede Nacht aufs Neue, mir meine Haare so zu verwuscheln, dass man am Morgen gefühlt 100 Knoten darin finden konnte.
Alec stand schmunzelnd an der Badtür, nahm mir schließlich die Haarbürste aus der Hand und fing an meine Haare zu entfitzen und letztendlich zu flechten.
Früher hatte er das auch immer gemacht.
Es hatte ihn beruhigt mir Zöpfe zu flechten, als Mum nicht mehr da war. Bis er einmal schließlich 20 geflochtene Strähnen aus meinen Haaren gezaubert hatte.
Schließlich hatte Alec sie immer wieder aufgelöst und meine damals blonden Haare zu einem einzigen gebunden.
Heute flocht er mir zwei französische Zöpfe.
"Dankeschön." Lachend gab ich ihm einen Kuss auf die Wange.
Ich ging in die Küche und machte uns wie jeden Morgen Müsli.
Wir gingen unseren gewohnten Schulweg, doch bei ungefähr der Hälfte, hielt ein Auto neben uns.
"Hey, soll ich euch mit nehmen?", kam es aus dem Auto. Pierce.
"Oh, hey, ja, das wäre lieb", antwortete ich. Alec sah nicht gerade angetan von der Einladung aus. Ich wusste, dass er Pierce nicht leiden konnte. Ich warf ihm einen warnenden Blick zu, worauf er nur die Augen verdrehte, letztendlich aber doch mit ins Auto einstieg.
An der Schule angekommen, stiegen wir alle aus dem Auto. Alec trat neben Pierce und ich hörte, wie er sagt: "Wenn du meiner Schwester auch nur ein einziges Haar krümmst, dann schwöre ich dir, wird das dein letzter Tag gewesen sein, an dem du fröhlich durch die Welt spaziert bist. Halte dich lieber von ihr fern."
Ich sah wie sich auch Pierce Lippen anfingen zu bewegen, jedoch konnte ich nicht verstehen, was er antwortete.
Als Alec sich in meine Richtung drehte und damit Pierce den Rücken zu kehrte, schaute ich ihn wütend an und stapfte dann allein weiter. Alec konnte doch nicht verlangen, dass ich mich schon wieder von irgendeinem Jungen fern hielt, den ich mochte, nur, weil es einer anderen Person in meinem Leben nicht passte. Dabei kannte er doch alle meine Geschichten.
Im Unterrichtsraum angekommen, begrüßte ich meine beiden Freundinnen lächelnd und quatschte etwas mit ihnen. Als es schließlich vorklingelte setzte ich mich wie gewohnt auf meinen Sitzplatz. Ich war etwas aufgeregt, wegen der Biologie Prüfung, aber ich würde das schon schaffen. So, wie ich meinen Gedanken beendet hatte, wurden auch schon 10 Blätter vor mir auf den Tisch gelegt. Und ich konnte anfangen.
Nach 4 Stunden, in denen wir unsere Prüfung geschrieben hatten, waren wir alle kaputt und gingen schließlich nach Hause.
Die Stimmung zwischen Pierce und mir war viel angenehmer, als noch vor einer Woche. Wir verstanden uns super, was ich anfangs niemals erwartet hätte. Wir redeten zusammen und wenn wir einen Tag keine Kurse zusammen hatten, grüßten wir uns in den Pausen. Ich war wirklich etwas wütend auf Alec, schließlich wusste er, dass Pierce mir wichtig geworden war.
Dadurch, dass wir uns sehr viel anvertraut hatten, hatten wir auch viele Gemeinsamkeiten gefunden. Es hatte uns zusammengeschweißt und ich war dankbar, dass wir nun so eine Art Freunde geworden waren. Pierce war ein guter Zuhörer. Ich hatte das Gefühl, er verstand mich und nahm mich so wie ich war. Er war einer der wenigen Menschen, bei dem ich mich nicht verstellen musste. Noch nie hatte ich jemanden in so kurzer Zeit so viel Vertrauen geschenkt. Ich hatte noch mit niemandem so tiefgründig über meine Vergangenheit gesprochen.
Nichteinmal mit meinem Bruder führte ich solche Gespräche. Denn ich wusste, dass Alec darauf sensibel reagiert und ich war froh, wenn er unsere Erlebnisse mal für einige Zeit vergaß. Ich wollte ich ihn nicht mit meinen Sorgen belasten.
Doch ich merkte, dass mir reden dabei half, meine Erlebnisse zumindest ein klein wenig zu verarbeiten. Natürlich öffnete es alte Wunden wieder und es ließ alles realer erscheinen. Jedoch wollte ich auch meinen Bruder dabei helfen. Aber ich wusste nicht wie und das ließ mich oft verzweifeln. Immer wenn ich mit ihm darüber versuchte zu reden, blockte er ab.
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