1. was vorher geschah✔
Es war schon ziemlich spät und ich wusste, dass jeden Moment mein Vater in unsere Zimmer kommen würde, um zu schauen, ob wir schliefen. Gerade heute war er einmal nicht betrunken, was uns die Flucht erschweren würde. Er ging immer zuerst in Alec's Raum und danach kam er zu mir. Ich hörte, wie sich Alec's Tür öffnete. Da die Wände sehr dünn waren und Alec's Zimmer direkt neben meinem lag, drang jeder Laut zu mir hindurch. Genauso vernahm ich, wie die Tür wieder geschlossen wurde.
Auf der Seite liegend, sah ich, wie sich meine Türklinke quälend langsam hinunter bewegte. Stück für Stück.
Ich schloss Augen und versuchte den Schauder zu unterdrücken, der mich überrollen wollte. Panik wallte in mir auf und verzweifelt versuchte ich mich zu beruhigen.
Reiß dich gefälligst zusammen Abby!
Einatmen. Aus. Ein. Aus. Ich konzentrierte mich darauf, gleichmäßig zu atmen. Um mich abzulenken und ihn in den Glauben zu lassen, dass ich tief und fest schlief.
"Es tut mir leid, wegen heute Abend, aber du weißt hoffentlich selbst, dass dein Benehmen unakzeptabel war. Es war wirklich unter deiner Würde.", sprach er leise und völlig überzeugt von seiner Aussage.
Ach ja, wusste ich das? Früher hätte ich ihn sogar geglaubt, aber mein Gott, ich war 14.
Und mit 14 verstand ich, dass es falsch war, was mein Vater tat.
*****
Wie jeden Mittag, hatte ich mir das Bild meiner Mom aus dem Versteck geholt. Ich habe mit ihr gesprochen und gehofft, dass sie mich hört. Ich habe ihr von Alec und mir erzählt, aber nur die schönen Neuigkeiten. Mein Vater war in mein Zimmer geplatzt und hatte gesehen, wie ich dem Bild meiner Mutter einen Kuss gegeben hatte. Das einzige, was ich noch von ihr besaß. Es zeigte meine Mutter und mich. Sie hielt mich im Arm und hatte das schönste Lächeln auf den Lippen, welches man sich vorstellen konnte. Er hatte mich angebrüllt und gesagt, dies würde Konsequenzen haben. Ich hatte schon ab diesem Moment gewusst, wie diese Konsequenzen aussehen würden...
Das hat mir angst gemacht.
Unheimlich angst.
Schließlich war ich aus Versehen, ohne anzuklopfen in Vaters Büro geplatzt, um mich zu erklären und entschuldigen. Er hatte ein Gespräch mit einem Kunden geführt, der ihm viel Geld brachte.
Letztendlich ist er völlig ausgerastet. Nachdem mein Vater das Gespräch beendet hatte, ist er zu mir ins Zimmer gestürmt.
Ich hatte ängstlich in der Ecke gesessen.
Ich durfte nicht mit meiner Mom sprechen, obwohl es sie nur noch im Himmel gab, das wusste ich. Dies hatte mir mein Vater immer versucht einzureden, genauso wie, dass sie eine Schlampe und Verräterin war und es nicht verdiente von uns beachtet zu werden.
Die Tür war aufgerissen worden und gegen die Kommode geknallt. Der Bilderrahmen, in welchem ein Bild von Alec und mir eingerahmt gewesen war, fiel um und schließlich war er auf dem Boden in viele kleine Teile zersprungen. So wie mein Herz, als er das Bild von Mom entdeckte, welches ich auf den Nachttisch gelegt hatte anstatt es zu verstecken, wie sonst immer. Ich hatte es vergessen. Zu beschäftigt war ich damit gewesen mir Gedanken darüber zu machen, was mich diesmal für eine Strafe erwarten würde.
Er hat es vor meinen Augen in seinen Händen zerknüllt. Einfach so, als wäre es nichts weiter, als ein bemuscheltes Stück Papier.
Ich war hochgeschreckt und die ersten Tränen hatten ihren Weg auf mein weißes T-Shirt gefunden. Ich hatte mich kaum getraut, ihn anzuschauen. Wie in Trance hatte ich mitbekommen, wie er mich ins Gesicht geschlagen hatte.
"Zieh dein T-Shirt hoch!", hatte er mit vor Zorn triefender Stimme gesagt.
Er war in diese eine Ecke gegangen.
Hatte mich mit dem Stock geschlagen und ausgepeitscht, bis mein Rücken taub gewesen war.
Dann war er wieder gegangen. Mein Vater hatte mich mit diesen unerträglichen Schmerz zurückgelassen.
Ich hatte mich zu dem Papierkorb gebeugt um das zerknüllte Bild herauszuholen. Ich strich es mit den Fingern glatt und einzelne stumme Tränen fanden ihren Weg darauf.
Alec war zu mir gekommen. Langsam und unter Tränen hatte ich mich umgezogen, wobei mir Alec geholfen hatte. Mein weißes T-Shirt war von Blut bedeckt gewesen. Alec hatte mir den Rücken mit einer Creme eingeschmiert, aber nur ganz vorsichtig.
"Alles wird gut.", hatte er dabei mit Tränen in den Augen geflüstert.
*****
Ich musste mich zusammenreißen, nicht jedes Mal, wenn ich mich falsch bewegte aufzuschreien. Dank der Schmerztabletten, die ich mir einmal gekauft hatte, war ich so zugedröhnt, dass ich nur wenig spürte. Ja ich hatte ein Rezept gefälscht, mithilfe einer netten Frau. Sie hatte keine Erklärung gewollt, sondern einfach ihre Hilfe angeboten.
Mein Vater ging wieder aus dem Zimmer und die Tür fiel genauso leise ins Schloss, wie beim Öffnen.
Ich war aufgeregt, sobald er schlief und man das Schnarchen bis in den Flur hören könnte, würden wir rennen. Wir würden rennen, bis man das Haus nicht mehr sehen könnte. Wir würden fliehen und versuchen, alles hinter uns zu lassen. Doch unser Vater war nicht der Einzige, der schlafen müsste. Auch Erik, unser Stiefbruder durfte nichts von unserer Flucht mitbekommen. Erik war genauso grausam, wie sein, beziehungsweise, unser Vater. Er würde uns mit Sicherheit verraten. Sogar eigenhändig verprügeln würde er uns. Doch zum Glück schnarchte auch er, sodass man mitbekam, wann er munter war.
Ann unsere Cousine stand wahrscheinlich schon hinter dem Feld und wartete auf uns.
Ich schaute auf die Uhr. 23:09 zeigte die Uhr an. Alles war dunkel nur der Mond tauchte mein Zimmer in ein angenehmes Licht. Man könnte fast sagen, er erzeugte ein Schimmern auf meinen Möbeln.
Geräuschlos zog ich mir die Schuhe an.
Auf leisen Sohlen schlich ich zur Tür und drückte lautlos die Klinke hinunter. Ich versuchte die Tür unhörbar zu öffnen, jedoch wollte mir das nicht gelingen und mit einem lauten Rumsen knallte sie gegen die Kommode. Ähnlich, wie bei meinem Vater heute Nachmittag. Erschrocken kniff ich die Augen zusammen und hielt den Atem an. Kein Mucks war zu hören, alles war still. Nur das Zirpen der Insekten vernahm ich, welches durch das offene Fenster in mein Zimmer drang. Ab und zu war das Pfeifen des Windes zu hören.
Wenn er nun aufwachen würde, wären wir geliefert. Es war unser zweiter Fluchtversuch, beim ersten hatte er uns erwischt. Deshalb hatte er in Alec's und meinem Zimmer, vor den Fenstern, ein Stahl Gitter anbringen lassen. Außerdem gab es eine Alarmanlage, die anspringen würde, wenn mitten in der Nacht die Haustür geöffnet wurde oder man durch ein Fenster stieg. Wir mussten also sehr schnell sein. Mein Herz pochte wie verrückt gegen meine Rippen.
Plötzlich hörte ich wieder ein Schnarchen. Ich atmete erleichtert aus. Und schaute nach rechts zu Alec's Tür, die sich zu öffnen schien. Kurz darauf erschien ein Kopf in der Tür. In meiner Brust klopfte es so laut, dass ich Angst hatte, mein Vater und Erik könnten davon aufwachen.
Unvernehmlich traten ich und Alec in den Flur und schlossen die Türen hinter uns, diesmal jedoch so still, dass man bis auf ein einziges Knarren nichts hören konnte.
Alec kam zu mir, fasste meine Hand und drückte sie kurz um mir Mut zu machen.
So schlichen wir leise und auf Zehenspitzen in das vom Mondschein getauchte Gästezimmer. Hier würden wir hinausspringen müssen. Denn es war eines der Zimmer, in welchem keine zusätzlichen Gitter vor den Fenstern angebracht waren...
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro