Kapitel 10
Der kleine Smart stand nicht auf dem Parkplatz, als Manuel das große Eisentor hinter sich abschloss. Mit langsamen Schritten entfernte er sich von dem großen Haus und atmete die frische Luft ein.
Es gab keinen Grund zur Sorge. Patrick hatte sich vermutlich nur verschätzt und kam ein paar Minuten zu spät, das war ja nichts schlimmes. Es war lieb genug, dass Patrick ihn abholen kommen wollte, da würde er sich nicht über so eine Kleinigkeit beschweren.
Mit gelassenen Schritten ging Manuel über den großen Parkplatz, beschloss das er zu der Straße gehen würde. Dann musste der ortsfremde Patrick nicht um die enge Kurve in die steile Einfahrt fahren, um dann auf dem Parkplatz zwischen den geparkten Autos zu wenden.
Als Patricks Smart auch nicht in Sicht war, als Manuel am Straßenrand angekommen war, ging er zu der kleinen Holzbank an der Bushaltestelle und setzte sich darauf. Ihm taten die Füße weh, es tat gut, den Rucksack neben sich zu stellen und den müden Körper zu strecken.
Manuel zog seine Flasche aus dem Rucksack und nahm den letzten Schluck Wasser daraus. Es war warm und abgestandenen. Manuel hätte jetzt einen Kaffee gebraucht. Doch den hatte er nicht, deswegen beließ er es bei dem Schluck.
Leise gähnend zog er sein Handy hervor und stellte fest, dass er Patricks Nummer nicht hatte. Er konnte ihn nicht anrufen. Und selbst wenn, Patrick saß vermutlich gerade im Auto und konnte und sollte nicht an sein Telefon gehen.
Als der kleine Smart nach fast zehn Minuten immer noch nicht da war, zog Manuel sein Handy erneut hervor und entsperrte es. In Ermangelung einer besseren Idee vermutete Manuel, dass Patrick am Kochen war und dabei die Zeit vergessen hatte. Sowas konnte ja passieren.
Manuel öffnete das Telefonbuch auf seinem Handy und rief bei sich Zuhause an. Das sollte Patrick mitbekommen.
Manuel ließ es klingeln, fünf Mal, sechs Mal, sieben Mal. Der Anrufbeantworter sprang an. Manuel lauschte seiner Ansage und begann nach dem Piepton zu sprechen.
"Hey, Patrick. Ich hoffe du hörst das hier und es ist nichts passiert, aber ich sitze vorm Altenheim und warte. Du wolltest mich doch abholen, schon vergessen? Naja, spielt ja auch keine Rolle. Wie schon gesagt, bitte komm endlich und hol mich, ja? Mir tut alles weh. Bis gleich."
Er legte wieder auf, packte das Handy in die Tasche zurück und stützte das Gesicht in die Hand. Jetzt konnte es wirklich nur noch ein paar Minuten dauern.
~
Erst als es langsam dämmerte und von Patrick immer noch keine Spur war, verstand Manuel, dass der andere wohl nicht mehr kommen würde.
Er wusste nicht warum, nur dass Patrick nicht kam. Deswegen gab er das Warten auf. Manuel stand langsam, mit schmerzenden Füßen auf und schulterte seinen Rucksack. Bis Zuhause waren es nur ein paar Kilometer, das würde er auch in seinem jetzigen Zustand zu Fuß schaffen.
Manuel ging mit langsamen Schritten los, während er sein Handy hervorholte und versuchte, das Kabel seiner Kopfhörer zu entwirren.
Lautes Hupen ließ ihn den Kopf heben, er sprang zur Seite. Gerade noch rechtzeitig, bevor ein Auto nach einem beschissenen Überholmanöver auf den Bürgersteig geriet.
"Penner." Zischte er zwischen zusammengebissenen Zähnen und machte einen Bogen um das Auto herum. Zumindest war das nicht Patrick gewesen, das hätte ihm jetzt den Rest gegeben.
Als er an einer roten Ampel anhielt, kam Manuel endlich dazu, sich Musik anzumachen. Obwohl er normalerweise darauf achtete, dass er Musik nicht zu laut hörte, um sein Gehör nicht zu schädigen, drückte er den Lauter- Knopf so lange, bis es unangenehm wurde. Heute musste er sich von dem Herr der Ringe Soundtrack das Gehirn raus ballern lassen, um den Nachhauseweg zu überstehen.
~
"Patrick?" Erst vor seiner Wohnungstür stellte Manuel fest, dass sein Schlüssel nicht in seiner Hosentasche war. Ob er ihn auf der Arbeit vergessen, bei seinen Spaziergang verloren oder gleich hier gelassen hatte, war ihm egal. Er wollte einfach nur rein und sich ausruhen. Den Schlüssel konnte er wann anders suchen.
"Patrick?!" Er klopfte erneut, lehnte sich dabei erschöpft an den Türrahmen. "Mach auf, ich bin's, Manu. Komm, lass mich rein."
Es brauchte eine Ewigkeit, bis sich die Tür langsam öffnete. Manuel musste die Augen nicht öffnen, um zu wissen, was erneut passiert war. Es roch nicht nach Essen, sondern nach Alkohol. Patrick stank so sehr, dass ihm ganz schlecht wurde.
"Du hast getrunken." Stellte Manuel müde fest und drängte sich ohne hochzusehen an dem anderen vorbei in seine Wohnung. "Manu." Patrick fasste ihn am Handgelenk, hielt ihn fest.
"Was?" Fauchte Manuel wütend und versuchte sich zu befreien. Erfolglos. Von Patrick kam keine Antwort, stattdessen machte er Anstalt, ihn zur Begrüßung zu küssen.
Manuel wich aus, drehte den Kopf zur Seite und schob Patrick mit der freien Hand von sich. "Lass mich los!" Fauchte er, jetzt gerade war es ihm egal, dass seine Nachbarin das alles mitbekommen würde.
"Was ist?" Fragte Patrick. Er lallte, schwankte sogar, als er die Tür schloss. Offensichtlich hatte er nicht nur ein Bier getrunken, sondern viel zu viel. "Was soll schon sein?" Manuel zerrte an seinem Arm, versuchte sich hektisch aus Patricks Griff zu befreien.
"Du bist betrunken! Du hattest mir versprochen, dass du nichts mehr trinkst, solange du hier bist! Du weißt, dass ich das nicht leiden kann und dass mir davon schlecht wird!"
Von Patrick kam keine Antwort. Er schwieg, stand einfach nur da und atmete ruhig.
"Jetzt lass mich los!" Fauchte Manuel ihn erneut an, dieses Mal gehorchte Patrick und lockerte seinen Griff. Manuel zog seinen Arm zurück und machte ein paar Schritte weg von ihm. Patrick ließ das zu.
Einige Momente lang standen sie nur da und starrten sich an. Patrick war wohl zu betrunken für klare Gedanken und Manuel war zu fassungslos, um etwas zu sagen.
Patrick hatte ihn nicht abgeholt, weil er lieber getrunken hatte. Er hatte nicht gekocht und nicht den Fernseher angemacht, er hatte nur getrunken.
"Du wolltest mich abholen." Sagte Manuel dann irgendwann. Er konnte nur durch den Mund ein und durch die Nase ausatmen und trotzdem war ihm schlecht. "Ich habe auf dich gewartet. Dann bin ich nach Hause gelaufen. Ich hätte schon vor über drei Stunden hier sein können."
"Hätte ich betrunken fahren und einen Unfall bauen sollen?" Patricks Frage klang in Manuels Ohren wie ein Vorwurf. Er fühlte sich davon angegriffen.
"Natürlich nicht!" zischte er zurück. "Du hättest gar nicht erst trinken sollen, du verdammter Idiot!" Patrick griff wieder nach seinem Handgelenk, Manuel stieß seine Hand weg. "Fass mich nicht an!"
Kurz war Patrick ganz still, dann wich er einen Schritt zurück. Er hatte plötzlich Tränen in den Augen. "Willst du mich jetzt rauswerfen?" Fragte er leise. Manuel hatte gute Lust dazu, immerhin hatte er genau das angekündigt.
Doch er konnte nicht. Er konnte seinen Freund nicht in diesem Zustand vor die Tür setzen. Patrick war betrunken, all seine Sachen waren hier und er hatte keine andere Bleibe mehr.
Manuel seufzte leise und biss sich auf die Unterlippe. "Natürlich nicht, du Idiot. Komm mit, ich bring dich ins Bett. Dann kannst du deinen Rausch ausschlafen."
Wie er es sonst bei einem Bewohner im Altenheim gemacht hätte, griff er Patricks Hand und führte ihn mit langsamen Schritten aus dem Flur in sein eigenes Schlafzimmer.
"Zieh dich aus." Wies er Patrick an und machte den Rollläden runter. Der andere gehorchte brav und zog sich aus, während Manuel das Kissen aufschüttelte und die Bettdecke zurück schlug.
Ganz ohne sein Zutun kroch Patrick hinein, Manuel deckte ihn annähernd liebevoll zu. "Schlaf gut." Sagte er noch und ging zur Tür. Den Zimmerschlüssel nahm er mit, als er des Licht löschte und das Zimmer verließ.
Obwohl er wusste, dass er das nicht machen sollte, schloss er Patrick ein, bevor er selbst ins Bad ging und dort zur Sicherheit ebenfalls abschloss. Er brauchte jetzt eine heiße Dusche.
Er schaffte es noch, seine Hose zu öffnen, dann brach er in Tränen aus.
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