Kapitel 1
Manuel schreckte aus dem Schlaf auf, als sein Wecker klingelte. Mit offenen Augen tastete er in der Dunkelheit über den Nachttisch, bevor er seinen Wecker fand und das kleine Biest endlich ausschalten konnte. Er sank zurück in die Kissen und blieb noch für einige Momente liegen, bevor er wieder den Arm ausstreckte und das Licht anmachte. Dann erst zog er die Schlafmaske ab und streckte sich gähnend.
Müde schwang er die Beine aus dem Bett und machte ein paar Schritte, hin zu dem kleinen Fenster. Er ließ die Rollläden hoch und machte das Fenster auf, um frische Luft rein zu lassen.
Sein Weg führte Manuel als nächstes in die Küche. Er schaltete die Kaffeemaschine an, die er bereits am Abend vorher vorbereitet hatte. Während sie munter vor sich hin blubbert, ging Manuel zum Spühlbecken, in dem noch das Geschirr vom Vortag stand.
Kurz überlegte er, ob er etwas essen sollte, doch während er das Wasser einließ, überlegte er es sich anders. Morgens bekam er außer Kaffee nichts runter.
Das warme Wasser fühlte sich gut an seinen Händen an, kurz strich Manuel mit den Fingern durch den Schaum, bevor er den Schwamm griff und begann die Teller zu reinigen. Er sollte die Spühlmaschine endlich reparieren lassen, vielleicht würde er am Nachmittag die Zeit finden, einen Handwerker anzurufen.
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"Manu!" Seine Lieblingskollegin Anika winkte ihn aufgeregt zu, als er gerade das große Eisentor aufschloss, das das Gelände sicherte. "Moin." Er hob grüßend die Hand, dabei rutschte ihm der Rucksack von der Schulter. Mit einem leisen Seufzen zog er ihn wieder hoch und schloss die Tür hinter sich, bevor er zu dem kleinen Pavillon lief, unter dem Anika und Pia saßen.
Pia tippte auf ihrem Handy herum und schenkte ihm nur einen kurzen Blick, bevor sie wieder konzentriert an ihrer Kippe zog, die blonde Anika sprang aber sofort auf und kam zu ihm, um ihn fest zu umarmen.
Manuel löste sich nach ein paar Momenten wieder und stellte seinen Rucksack ab, bevor er sich auf einen der Stühle setzte. Mit geübten Bewegungen band er seine langen Haare zu einem Zopf und überkreuzte die Beine.
Anika zündete sich eine Zigarette an und inhalierte den Rauch genüsslich, während Manuel ihre Kaffeetasse klaute und sich einen großen Schluck genehmigte.
"Ist was passiert? Du siehst wirklich furchtbar aus." Pias Kommentar brachte ihn dazu, die Tasse wieder weg zustellen. Er mochte die kräftige Punk mit den lila Haaren und den schwarz geschminkten Augen, aber sie hatte auf ihn nie so gewirkt, als würde sie vor seiner besten Freundin mitbekommen, dass es ihm nicht gut ging.
"Es ist alles in Ordnung, danke der Nachfrage. Ich habe nur mal wieder wilde Sachen geträumt, das soll ja durchaus manchmal vorkommen." Ohne eine Antwort zu geben, senkte Pia wieder den Blick auf ihr Handy und gab Ruhe.
"Auf welcher Station bin ich heute?" Wendete Manuel sich wieder an Anika, die ihre Tasse zurück erobert hatte. "Auf der eins. Wie sieht es aus, gehst du dich umziehen?" Kurz wollte Manuel protestieren, dass er noch fast zwanzig Minuten hatte, bevor er anfangen musste, doch dann verstand er den Wink mit dem Zaunpfahl und erhob sich. "Klar." Anika stand ebenfalls auf. "Pia? Ich geh mir noch ne Tasse holen. Soll ich dir eine mitbringen?" Pia schüttelte den Kopf und Anika hakte sich bei Manuel unter.
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"Jetzt erzähl schon." Drängte sie ihn, während Manuel sein Shirt auszog und in seinen Spind hängte. "Da gibt es nicht viel zu erzählen." Anikas Blick ruhte auf seiner nackten Brust, während sie an ihrem Kaffee nippte.
"Und was gibt es wenig zu erzählen?" Manuel zog sich das andere Shirt an und öffnete seinen Gürtel. Er hatte ihn heute morgen ein Loch enger gemacht. "Auch nicht viel. Ich hab wieder von Patrick geträumt, reicht das?" Das Kleingeld klimperte in seiner Tasche, als seine Hose zu Boden fiel.
"Du hast abgenommen." Sagte Anika statt einer richtigen Antwort. Manuel zuckte mit den Schultern und zog die Arbeitshose an. "Ich gehe heute Abend mit meiner Mutter essen." Sagte er, als ob das irgendwas rechtfertigen würde. Seine beste Freundin schüttelte seufzend den Kopf und wechselte zurück zu dem ursprünglichen Thema.
"Du hast also wieder von Patrick geträumt. Was genau hast du geträumt?" Mit geschickten Fingern fädelte Manuel den Gürtel durch die Schlaufen seiner Hose. "Das übliche. Wir waren auf dem Abschlussfest, haben auf dem Klo geknutscht und ich habe mich übergeben." Obwohl das schon fast zehn Jahre her war, träumte Manuel immer noch davon.
"Und?" Er sah sie fassungslos an, konnte ihre Frage nicht verstehen. "Und was?" Anika lachte auf. "Und warum wirft dich das nach all der Zeit immer noch so aus der Bahn? Du hattest mittlerweile vier Beziehungen."
Aber das änderte nichts daran, dass Manuel die Situation immer noch peinlich war. Er hatte gehofft, dass er den Part mit dem Übergeben vergessen würde, aber der war noch da. Der Filmriss hatte ihm nur geklaut, was danach passiert war.
"Ich wüsste gerne, wo Patrick jetzt im Leben steht." Obwohl sie früher beste Freunde gewesen waren, hatten sie bereits kurz nach ihrem Abschluss den Kontakt verloren. Manuel war in Essen geblieben, Patrick nach München gezogen. Ein paar Wochen lang hatten sie sich noch regelmäßig besucht und telefoniert, doch dann hatten ihre Leben zu viel Zeit beansprucht und wenn Manuel zu Patrick gefahren war, dann hatten sie kaum Zeit füreinander gehabt.
"Vermutlich hat er einen Job wie jeder andere auch, ist verheiratet und hat einen Hund, für den er eigentlich viel zu wenig Zeit hat. Warum interessiert dich das überhaupt?" Manuel sagte es nicht, obwohl er es genau wusste. Es interessierte ihn, weil Patrick und er nie über den Kuss geredet hatten. Manuel wusste bis heute nicht, was das gewesen war und das störte ihn.
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"Hallo Manuel." Obwohl er sich extra nach der Arbeit die Haare gewaschen hatte und sogar ein Hemd trug, fühlte er sich wieder etwas schäbig, als er das Outfit seiner Mutter sah. Sie hatte sich die braunen Locken hochgebunden und ihr rotes Kleid wirkte viel zu schick für das Restaurant. Zumindest passte es zu ihrem Lippenstift.
"Hey Ma." Er umarmte sie zur Begrüßung kurz und musste unwillkürlich lächeln, als er roch, dass sie das Parfüm trug, dass er ihr zu ihrem letzten Geburtstag geschenkt hatte. "Na, wie geht es dir?"
"Großartig. Und wie geht es dir? Du siehst dünn aus, mein Schatz." Sie war schon die zweite, die ihn darauf aufmerksam machte. "Mir geht es auch gut. Auf der Arbeit ist es zur Zeit ein wenig stressig, das schlägt mir auf den Magen, aber das wird schon wieder." Vielleicht würde er dann auch irgendwann wieder die Motivation finden, tatsächlich zu kochen und nicht nur irgendwas aufzuwärmen oder zu bestellen.
"In Ordnung. Aber du sagst Bescheid, wenn du Hilfe brauchst, ja?" Manuel nickte und hakte sich bei seiner Mutter unter. Sie zog ihn mit sich in das Restaurant. "Welchen Tisch hast du reserviert?" Fragte er, sie zog ihn ohne zu antworten an den Tisch, an dem sie immer saßen.
"Du errätst nie, wen ich heute beim Einkaufen getroffen habe." Fing seine Mutter wieder an zu reden, kaum dass sie sich gesetzt hatte. "Daniel Kübelböck?" Witzelte Manuel und griff nach der bereit liegenden Karte. Sie trat ihm unterm Tisch leicht ans Schienbein. "Sein nicht blöd." Tadelte sie, doch ihre Mundwinkel zuckten belustigt.
Der Kellner unterbrach ihre Plänkeleien. "Darf ich Ihnen etwas zu Trinken anbieten?" Manuels Mutter nickte sofort. "Ich nehme ein Glas Rotwein. Manu? Wie sieht es bei dir aus?" Manuel wollte eigentlich am Liebsten einen Kaffee, doch bei dem Gedanken daran, dass er heute schon fast zwei Liter Kaffee getrunken hatte, entschied er sich doch für ein Wasser.
"Wir haben auch vorzüglichen Wein hier." Erwähnte der Kellner beiläufig, während er sich die Getränke auf seinem Block notierte. "Ich weiß." Manuel lächelte ihn an. "Aber ich trinke nicht." Seit seinem ersten Absturz wurde ihm bereits bei dem Gedanken an Alkohol schlecht.
Der Kellner schwirrte davon und Manuel wendete sich wieder seiner Mutter zu. "Jetzt sag schon. Wen hast du getroffen?" Sie machte eine gekonnte Spannungspause und lächelte dabei breit, bevor sie antwortete. "Patrick."
Kurz war es ganz still, Manuel musste ihre Worte erst verarbeiten, bevor er sich dann die Hand vor den Mund schlug. "Den Patrick?" Sie nickte. "Ich kenne nur einen Patrick, den du auch kennst."
Manuel biss sich auf die Unterlippe. Was machte Patrick hier? Er hatte gar nicht gewusst, dass sein ehemaliger bester Freund wieder hier in Essen war.
"Was hat er gemacht?" Toll. Sein dummes Herz schlug gleich ein bisschen schneller, Manuel war sich sicher, dass sich auf seinem Hemd bald Schweißflecken bilden würden. "Was für eine Frage. Er hat eingekauft."
Manuel verdrehte seine Augen und stellte fest, dass er in seiner Hand eine Serviette zerknüllt hatte. "Ach ne. Habt ihr euch unterhalten?" Seine Mutter nickte und faltete die Hände.
"Er hat mich sofort erkannt und hat mich begrüßt. Und er hat mir geholfen, meine Einkäufe zu tragen und ins Auto zu laden." Das war nicht das, was Manuel hatte hören wollen. "Hat er was über mich gesagt?" Er fand es blöd, dass sein Herz nach all der Zeit immer noch etwas heftiger schlug. Nach allem, was zwischen ihnen passiert war, sollte es das nicht.
Das selbstgefällige Grinsen seiner Mutter machte ihn fast wahnsinnig. "Lass mich überlegen... Ja. Er hat gefragt, ob du immer noch hier wohnst. Und wie es dir geht." Manuel ging gebannt an ihren Lippen. "Was hast du ihm gesagt?" Sie lachte leise auf. "Ich habe ihm seine Adresse gegeben und ihm gesagt, dass er dich das am besten selbst fragt."
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