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Kapitel 13 ~ De consequentiis

Leise raschelnd fiel die Plane zurück an ihren Platz und obwohl der eisige Wind nun nicht mehr länger durch die Öffnung in das Innere des Zeltes strömen konnte, zitterte der Erbe des mächtigsten Mannes der Welt. Denn ihm war, als wäre jegliche Wärme mit ihr aus seinem Körper gewichen. Erschöpft schloss er die Augen und massierte seine Schläfen. Sein Kopf drohte vor Schmerz zu bersten.
Er hatte das Richtige getan. Doch wieso fühlte es sich so falsch an? Natürlich hatte er geahnt, dass sie eine gewisse Schwärmerei für ihn entwickelt hatte und wenn er ganz ehrlich zu sich selbst war, dann fühlte er sich ebenfalls stark zu ihr hingezogen. Vom ersten Augenblick an hatte ihn dieses Mädchen fasziniert, obwohl er immer gewusst hatte, dass sie niemals eine gemeinsame Zukunft haben konnten. Auch wenn sie hier in Germanien die Tochter eines Stammesfürsten sein mochte, in Rom war sie nichts. Sofort flüsterte ihm eine kleine Stimme in seinem Kopf zu, dass dies nicht ganz stimmte. Sie war keine Sklavin, aber sie war trotzdem keine freigeborene, römische Bürgerin. Vor seinen geschlossenen Augen sah er die Zukunft, die er mit ihr haben könnte. Wenn er diesem Gefühl nachgab, welches er in ihrer Nähe empfand, musste er alles aufgeben. Sein Erbe, seine Stellung innerhalb der Gesellschaft, seine Zukunft im Dienste Roms. Gewiss bestand eine geringe Chance, dass sie in diesem gemeinsamen Leben fern von den erbarmungslosen Winkelzügen der Politik und den abwertenden Blicken seines Volkes glücklich werden könnten. Vaters Cousin Tiberius Gemellus war das lebende Beispiel dafür, dass der Verzicht auf Ämter, Ruhm und Macht ein geringer Preis für ein Leben an der Seite seiner großen Liebe sein konnte. Aber Britannicus kannte sich selbst gut genug, um zu wissen, dass ihm ein solches Leben niemals genügen könnte. Wie konnte er seinem kleinen Bruder Marcus eine Last aufbürden, die selbst ihm an manchen Tagen unerträglich erschien, nur weil er seine Gefühle nicht im Zaum halten konnte? Wie sollte er seinen Eltern jemals wieder in die Augen sehen können, wenn er jetzt nicht daran dachte, welche Folgen sein Handeln in Germanien für die Sicherheit seiner ganzen Familie bedeutete? Wie sollte er jemals ein guter Anführer sein, wenn er die Bedürfnisse seines Volkes nicht über seine eigenen stellen konnte? Irgendwann würde er Tyra dafür hassen, dass ihre germanische Herkunft ihn zu einem Leben am Rand der römischen Gesellschaft gezwungen hatte.
Das vertraute Rascheln von schwerem Stoff riss ihn aus seinen Gedanken. Eilig fuhr er herum. Hoffnungsvoll blickte er zum Eingang seines Zeltes und als er dort die vertrauten Gesichter seiner engsten Freunde entdeckte, durchflutete eine Welle der Enttäuschung seinen Körper. Sofort versuchte er seine Gefühle auszublenden und sich auf die Dinge zu konzentrieren, die wichtig waren.
Entspannt lehnte er sich gegen die Kante seines Schreibtisches und strich den Stoff seiner Tunika glatt, wobei er den besorgten Blick beflissen ignorierte, den Marcus und Titus flüchtig wechselten.
„Du wolltest uns sehen", meinte Marcus ruhig und Britannicus nickte ungeduldig mit sich selbst. Durch Tyras unerwarteten Besuch hatte er ganz vergessen, dass er eine kleine Einheit Soldaten anzuführen hatte.
„Wir müssen das Lager umbauen. Wir können nicht länger davon ausgehen, dass die Suever uns bei einem Angriff zur Hilfe eilen. Wir müssen uns auf alles vorbereiten und mehr Wachen allein werden nicht genügen. Wir brauchen eine ordentliche Verteidigung mit allem, was dazu gehört", erklärte Britannicus, drückte sich von der Tischkante ab, als ihm einfiel, wie spärlich er bekleidet war und schlenderte zu seiner Kleidertruhe, um sich schnell eines dieser Beinkleider anzuziehen, die zwar von römischen Soldaten in kalten Regionen getragen wurden, sich aber nicht allzu groß von den Hosen der barbarischen Völker unterschied. Unangenehm einengend waren beide Kleidungsstücke. Doch bei diesen Temperaturen konnte er keinen Wall in einer Tunika bauen.
Still beobachteten ihn seine Freunde und er war dankbar, dass sie das Offensichtliche nicht aussprachen. Den Schutz der Suever hatten sie nur deshalb verloren, weil er sich dafür entschieden hatte ihre wahre Herkunft zu offenbaren. Darüber hinaus hatte er in aller Öffentlichkeit zugegeben, wer er war. Jeder Augenblick, in dem sie sich in einer so kleinen Gruppe auf Feindesland befanden, schwebte ein Damoklesschwert über ihnen und dies lag mehr an der Tatsache, dass er der Sohn des Princeps war, als daran, dass sie auf der anderen Seite des Rheins geboren worden waren. Auch war er erleichtert, dass sie ihn nicht darauf hinwiesen, dass sie keine Legion zum Bau der Verteidigungsanlagen zur Verfügung stehen hatten. Britannicus war sich bewusst, dass dieses Mal wirklich jeder Mann sich an den Arbeiten beteiligen musste.
Gerade als er den Mund öffnete, um etwas zu sagen, ertönte das Horn. Nun, da sie ihre Identitäten nicht länger geheim halten mussten, konnten sie auch arbeiten wie Römer. Das Signal erkannte Britannicus sofort. Eine der Wachen am Eingang meldete einen unangemeldeten „Besucher" und rief den Kommandanten der Einheit zu sich. Sofort gefror Britannicus das Blut in den Adern. Ohne auf den Protest seiner Freunde zu achten, stürmte er aus seinem Zelt und eilte an den Eingang ihres provisorischen Lagers. Dabei konnte er nicht anders als am Rande seines Bewusstseins zu bemerken, wie grauenvoll ihre Verteidigungschancen im Falle eines Angriffes aussahen. Zumindest vorerst, versuchte er sich einzureden. Er würde Himmel und Hades in Bewegung versetzen, damit seine Männer bald durch ein größeres Gefühl von Sicherheit so friedlich schlafen konnten, wie das eben auf feindlichem Gebiet möglich sein konnte. Bevor er sich innerlich Vorwürfe machen konnte, weshalb er nicht schon eher mit dem Bau einer richtigen Befestigung begonnen hatte, erschienen Marcus und Titus an seiner Seite. Obwohl sie ihn nur schweigend begleiteten und ihre Schritte problemlos an sein Tempo anpassten, sorgte ihr plötzliches Auftauchen dafür, dass er sich wieder vollkommen auf die Situation konzentrieren konnte, auf die er geradewegs zusteuerte. Sofort malte sich sein Geist die verschiedensten Szenarien aus, weshalb einer seiner Männer nach ihm rufen würde. Eines war düsterer und absurder als das Vorherige. Schnell vergewisserte er sich, dass sein Schwert an seiner Hüfte hing. Doch er hatte es abgenommen und auf seinen Tisch gelegt, um sich von seinem Kampf mit dem Sachsen besser erholen zu können und so griff seine Hand ins Leere. In seinem Geist begann er sich in einer wüsten Tirade mit Wörtern zu beschimpfen, die er niemals laut äußern würde. Nicht einmal an einem solch barbarischen Ort wie diesen.
Erst als er den Eingang ihres Lagers erreichte, verstummten seine Gedanken und sein Geist klärte sich. Denn dort wartete geduldig zwischen zwei Wachen niemand anderes als der Sachse, den Britannicus eben besiegt und dennoch verschont hatte. Sobald einer seiner Männer ihn bemerkte, gab er seinem Kollegen ein Zeichen und die beiden Römer entspannten sich. Unmerklich verlangsamte Britannicus seine Schritte und richtete sich zu seiner vollen Körpergröße auf. Mit einem Mal war er nicht mehr der junge Anführer, zu dem seine Männer aufsehen konnten, sondern der erstgeborene Sohn der bedeutendsten Familie Roms. Jede Pore seines Körpers verströmte die erhabene Würde und kultivierte Freundlichkeit, die er sein Leben lang von seinem Vater zu imitieren versucht und zur Perfektion erlernt hatte. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, dass seine Freunde seinem Beispiel folgten und in die Rollen schlüpften, welche sie in Rom innehatten.
Als Britannicus die kleine Gruppe am Eingang des provisorischen Lagers erreichte, beobachtete er erleichtert, wie der Sachse sich durch seine freundliche Gelassenheit entspannte. Höflich lächelnd schritt er an den römischen Wachen vorbei und hielt dem Sachsen seinen Arm zum Gruß entgegen. Für einen flüchtigen Moment huschte ein Ausdruck von Verwirrung über das Gesicht des Sachsen, dann hob er langsam seinen Arm, als wollte er Britannicus' Hand ergreifen. Damit die freundliche Geste nicht in einen Akt der Peinlichkeit verwandelte, schloss Britannicus die Distanz zwischen ihnen und ergriff Landos Unterarm. Der Druck des Sachsen entsprach dessen Unsicherheit. Anscheinend war diese römische Begrüßungsgeste den Germanen nicht sonderlich vertraut. Rasch löste Britannicus seine Hand von Landos Arm, während der Sachse ihn stumm musterte. Für einen kurzen Augenblick zog Britannicus den Gedanken in Betracht die Wachen auf ihre Posten zurückzuschicken, damit ihre Anwesenheit den Sachsen nicht weiter verunsicherte. Doch dann ging ihm auf, dass die Wachen streng genommen ihre Posten nie verlassen hatte. Zuvorkommend und in einer Lautstärke, dass nur diejenigen ihn verstehen konnten, die sich in ihrer unmittelbaren Nähe befanden, erkundigte sich Britannicus in der Sprache der Germanen: „Kann ich etwas für Euch tun, Lando?"
„Es gibt ein paar Dinge, die ich gerne mit Euch besprechen würde", antwortete Lando leise und blickte sich vielsagend um. Verständnisvoll nickte Britannicus und bedeutete dem Sachsen ihn zu begleiten. Den kurzen Weg zu seinem Zelt verbrachten sie nicht mit Plaudern, obwohl Britannicus gern mehr über den jungen Mann erfahren hätte. Aber jedes Mal, wenn er das Wort an ihn richten wollte, erinnerte er sich wieder daran, dass er ihm den kleinen Bruder genommen hatte. Marcus und Titus folgten ihnen wie zwei Schatten.
Als Britannicus Lando in sein Zelt einlud, wand er sich innerlich vor Verlegenheit. Nur sein jahrelanges Training verhinderte, dass ein jeder ihm sein Unbehagen ansehen konnte. Interessiert musterte Lando die schlichte Einrichtung des Zeltes und Britannicus erkundigte sich, ob er seinem Gast etwas anbieten könne. Der Sachse schüttelte nur kurz den Kopf, dann blieb sein Blick vielsagend an Marcus und Titus hängen, die sich lässig an den Eingang des Zeltes gestellt hatten.
„Ihr könnt frei sprechen, wir würden lieber sterben als ihn zu verraten", versicherte Marcus ernst, bevor Britannicus überhaupt die Möglichkeit hatte zu reagieren.
„Und vermutlich würde uns Britannicus sowieso all die Dinge eures Treffens erzählen, die ihm wichtig erscheinen", fügte Titus scherzhaft hinzu. Für einen kurzen Augenblick entspannte sich Britannicus und schenkte seinen Freunden ein dankbares Lächeln. Als er gerade Lando fragen wollte, ob er weiterhin auf ein Gespräch unter vier Augen bestehen wollte, nickte der Sachse verständnisvoll. Da Britannicus den Mund bereits geöffnet hatte, bat er Lando auf einem der Stühle an seinem Schreibtisch Platz zu nehmen. Zwar hätte Britannicus gern eine Kleinigkeit zu sich genommen, aber da sein Gast weder Speis noch Trank verlangt hatte, erschien es ihm falsch sich zu Tisch zu legen. Sein Magen musste warten. So setzte er sich Lando gegenüber und nahm erleichtert wahr, dass seine Freunde zwar am Eingang des Zeltes verharrten, aber noch immer im Sichtfeld des Sachsens standen.
„Zunächst möchte ich Euch sagen - und ich hoffe sehr aufgrund meines Alters weder aufdringlich noch überheblich zu wirken, dass mich Euer Gespür für Politik zutiefst beeindruckt hat", begann der Sachse und sofort fühlte sich Britannicus noch schlechter.
„Ich zähle bereits achtzehn Sommer, weshalb mich Eure Bemerkung mehr schmeichelt als kränkt", warf Britannicus sachlich ein und in dem Moment, als er die Worte aussprach, hätte er sie am liebsten zurückgenommen. Überrascht hob Lando die Augenbrauen und für einen Augenblick breitete sich wieder Stille zwischen ihnen aus.
„Es ist schwer das Alter eines Mannes richtig zu schätzen, wenn er keinen Bart trägt", fügte Britannicus behutsam hinzu, schenkte Lando ein kleines Lächeln und nickte ihm ermutigend zu. Zaghaft erwiderte der Sachse das Lächeln und sprach weiter: „Mein Vater hat mir von Euch erzählt. Ihr habt auch ihn sehr beeindruckt und wenn ich ihm erst erzähle, was Ihr heute für mich und unseren gesamten Stamm getan habt, wird er verstehen, warum ich unbedingt mit Euch sprechen musste."
Nur dunkel konnte sich Britannicus an das Gespräch mit Frowin, dem Stammesfürsten der Sachsen, erinnern. Zu viele Stammesfürsten hatte er besucht, um über den Handel zwischen ihnen und dem Römischen Reich zu sprechen. Doch dies allein war nicht der Grund, weshalb er sich an Frowin kaum erinnern konnte. Seit ihrem Gespräch war zu viel geschehen und wenn Britannicus ehrlich zu sich selbst war, hingen all diese Dinge mit Tyra zusammen. So blieb er stumm und lauschte, wie Lando zugab, dass er ihm sein Leben verdanke. Langsam holte der Sachse einen Beutel und ein Blatt Papyrus aus seiner Jackentasche hervor und legte beides behutsam vor Britannicus auf den Tisch, als könnte beides jeden Moment in Flammen aufgehen. Überrascht entfaltete Britannicus das Stück Papyrus, doch als er die Worte entziffern wollte, musste er feststellen, dass die Nachricht verschlüsselt war. Seine Eingeweide gefroren zu Eis. Die Buchstaben waren ihm nur allzu schmerzlich vertraut. Die germanischen Sprachen besaßen, soweit er wusste, keine Schriftzeichen und diese Buchstaben gehörten seiner Muttersprache an. Ihm wäre wohler gewesen, die Nachricht wäre in verschlüsseltem Griechisch verfasst worden. Aber seine innere Stimme sagte ihm, dass die Sprache dieser Nachricht Latein war. Äußerlich vollkommen ruhig griff Britannicus nach dem Beutel, dessen schwerer Inhalt leise klirrte. Behutsam löste er den Knoten, zog die Bänder auseinander und schüttete den Inhalt des Beutels auf seinen Schreibtisch. Vor ihm ergoss sich eine Flut an silbernen und goldenen Münzen. Auf jeder Einzelnen prangte wie zum Hohn das vertraute Profil seines Vaters.
Überrascht sog Titus scharf die Luft ein, worauf Marcus ihm normalerweise einen tadelnden Blick zugeworfen hätte. Doch auch Marcus war vollkommen überrumpelt von der Bedeutung dieser Offenbarung.
„Das habe ich im Haus meines Bruders gefunden", erklärte Lando traurig. „Ich weiß nicht, von wem und warum er dieses Geld bekommen hat. Denn ich kann nicht lesen. Aber ich denke, dass Euch dies mehr nützt als mir."
Sprachlos schaute Britannicus dem Sachsen ins Gesicht und entdeckte dort nichts als vollkommene Aufrichtigkeit. Vielleicht lag ein Hauch der Schuld in seinen Augen, die Britannicus seit seinem Kampf mit Gunnar im hintersten Winkel seines Bewusstseins zu vergraben versuchte, indem er sich einreden wollte, er habe das Richtige getan und nur einem jungen Mädchen in Not geholfen. Dennoch hatte er ein Leben genommen und ein kleiner Teil von ihm bedauerte, dass es so weit hatte kommen müssen. Aber Gunnar hatte ihm keine andere Wahl gelassen. Für Britannicus war er nur ein Fremder gewesen, der eine Jungfrau schänden wollte. Als Britannicus dessen älteren Bruder nun musterte, konnte er nicht anders als sich zu fragen, ob Lando in diesem Moment der Gedanke quälte, dass er seinen Bruder nie wirklich gekannt hatte.
„Ich hoffe wirklich, dass wir gemeinsam eine neue Zeit des Friedens schaffen können", meinte Lando mit fester Stimme und erhob sich. Leise bedankte sich Britannicus, doch der Sachse winkte nur ab.
„Meine Männer erwarten mich", sagte Lando. „Ich werde niemals vergessen, was Ihr für mich getan habt, Britannicus."
Ohne ein weiteres Wort machte Lando auf dem Absatz kehrt, nickte Britannicus' Freunden zum Abschied zu und verließ das Zelt. Im nächsten Moment erschienen Marcus und Titus an seiner Seite und betrachteten eingehend, was Lando ihm gebracht hatte.
Nachdenklich fuhr Marcus mit den Fingerspitzen über die Münzen und stieß einen anerkennenden Pfiff aus.
„Wer auch immer so viel Geld an einen kleinen Germanen gezahlt hat, muss ziemlich reich sein", stellte er nüchtern fest. „Das schränkt die Anzahl der Personen, die dafür in Betracht kommen ziemlich ein."
„Nicht wirklich", widersprach Britannicus. „Solange wir nicht wissen, wofür dieses Gold verwendet werden sollte, erscheint keine der Personen in Frage zu kommen, die du im Moment vermutlich verdächtigst."
„Du hast selbst gesagt, dass dich jemand tot sehen will", warf Titus leise ein. „Das schließt deine Familie als Geldgeber aus."
Im ersten Augenblick wollte Britannicus seinen Freund anfahren, dass es sicher eine logische Erklärung für diese enorme Summe an römischem Geld gab, die sich in Gunnars Besitz befunden hatte. Doch dann musste er einsehen, dass ein Streit sinnlos war, solange sie nicht alle Fakten kannten. Britannicus hasste nichts mehr als im Dunkeln zu tappen. Frustriert fuhr er sich durchs Haar und schleuderte den Bogen Papyrus auf den Tisch. Neugierig beugten sich seine Freunde darüber.
„Sie ist verschlüsselt", sagte Britannicus rasch und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich habe keine Zeit für so was. Wir müssen das Lager befestigen, ohne dass sich die Suever von uns bedroht fühlen."
Langsam hob Titus den Papyrus auf und studierte mit gerunzelter Stirn die Buchstaben.
„Wenn du magst, kann ich versuchen den Code zu knacken", bot er nach einer Weile an. Sofort wechselten Marcus und Britannicus einen überraschten Blick, der Titus nicht verborgen blieb. Genervt beeilte er sich zu erklären: „Als Kind habe ich Tante Caenis oft stundenlang heimlich bei ihrer Arbeit beobachtet. Natürlich musste sie mich früher oder später dabei erwischen. Als es so weit war, hat sie mich weder bestraft noch an meinen Vater verraten. Sie erkannte, dass ich mich wirklich für ihre Arbeit interessiere und so hat sie mir heimlich das ein oder andere beigebracht. Geheimcodes und Verschlüsselungstechniken sowie deren Dechiffrierung liegen mir besonders gut."
Nachdenklich musterte Britannicus seinen Freund, den er schon sein ganzes Leben lang kannte und von dem er soeben feststellen musste, dass er immer noch nicht alles über ihn wusste.
„Ich würde mich sehr freuen, wenn du mir helfen würdest", gestand Britannicus und erntete von Titus ein breites Lächeln. Über diese Arbeit schien er sich wirklich zu freuen, während sie Britannicus eher lästig erschien. Mit einem Schlag schwindelte Britannicus und er war froh, dass er bereits saß. Müde schloss er die Augen, doch der Schwindel legte sich kaum.
„Du solltest dich ausruhen", merkte Marcus an und Britannicus schüttelte vehement den Kopf. Rasch widersprach er, dass sie das Lager befestigen mussten. Obwohl er die Augen immer noch geschlossen hatte, spürte er, wie sich seine Freunde mit Blicken verständigten. Natürlich wusste er, dass sie recht hatten.

Als Britannicus erwachte, registrierte er sofort, dass er zu lang geschlafen hatte. Mit einem Satz sprang er aus dem Bett, zog hastig seine Kleidung an und stürmte aus seinem Zelt. Ungeduldig lief er an den Rand des Lagers und stellte von Weitem erleichtert fest, dass seine Männer bereits mit dem Bau der Befestigungsanlagen angefangen hatten. Für einen Moment hielt er inne und war dankbar dafür, dass er sich auf seine Freunde immer verlassen konnte. Dann beschleunigte er seine Schritte und blickte sich suchend nach Marcus und Titus um. Sobald er sie inmitten der Männer gefunden hatte, steuerte er auf sie zu. Seine Freunde hatten seine Befehle nicht nur weitergegeben, sondern auch selbst befolgt und so arbeiteten sie Seite an Seite mit dem Teil seiner Männer, die für die erste Schicht des Tages eingeteilt worden waren. Beinahe stolperte Britannicus über eine Schaufel, doch niemand schien diesen Anflug von würdeloser Ungeschicklichkeit bemerkt zu haben. Dafür waren alle zu sehr in ihre Aufgaben vertieft. Schnell ergriff Britannicus die Schaufel und überlegte, an welcher Stelle er am nützlichsten sein konnte. Aber da alle Männer mit der gleichen Tätigkeit, dem Aufschichten von Erde zu einem Schutzwall, beschäftigt waren, spielte es keine Rolle, wo er aushalf, solange er sich nur an den Arbeiten beteiligte.
Wortlos glitt Britannicus neben Titus, stach mit dem Blatt seiner Schaufel in den Boden und hob eine undefinierbare Menge Erde aus, um den Wall aufzuschichten. Der Boden war härter, als er vermutet hatte.
„Solltest du dich nicht schonen?", warf Titus behutsam ein und Britannicus verdrehte nur die Augen.
„Ich kann mich schonen, wenn ich tot bin", entgegnete er, bevor er die Worte zurückhalten konnte. Im letzten Moment konnte er den Drang unterdrücken sich nach allen Seiten umzublicken. In den abergläubischen Ohren seiner Männer mussten diese Worte so klingen, als ob er das Schicksal herausfordern wollte und damit das Größte aller Übel heraufbeschwor. Schon bald bereute er sie vollkommen, als der Schmerz in seinem Oberarm bedrohlich intensiv aufloderte. Unauffällig warf er einen flüchtigen Blick auf die Stelle, an der er am Morgen verwundet worden war. Sie hatte wieder angefangen zu bluten. Doch er konnte nicht aufhören. Die Arbeit war zu wichtig und ihre Arbeitskraft zu stark begrenzt, als dass er auf seinen Körper Rücksicht nehmen konnte. Wie sollte er jemals den Respekt seiner Männer verdienen, wenn er ihnen kein Vorbild sein konnte? Aktuell war er von allen geachtet und überall beliebt, weil sein Vater die herausragendste Persönlichkeit seiner Generation war. Darauf wollte und konnte er sich nicht ausruhen. Es war allein seine Schuld, dass seine Männer dieser Gefahr ausgesetzt waren und nun musste er alles daran setzen, damit diese so gering wie möglich wurde.
Schon bald verlor er jegliches Zeitgefühl. Nun, da seine Wunde wieder aufgebrochen war, Schmerz durch seinen Körper loderte und ihm der Schweiß aus jeder Pore quoll, verstummten seine Gedanken nach und nach. Alles, was zählte, war die Schaufel in seiner Hand, die Erde unter seinen Füßen und der sich langsam herausbildende Wall. Stumm und konzentriert arbeitete Titus neben ihm.
Plötzlich legte sich eine Hand auf seine Schulter und vor Schreck wäre Britannicus beinahe die Schaufel aus den Händen geglitten. Sofort zog sich die fremde Hand von seiner Schulter zurück. Gezwungen ruhig warf er die Erde an den Wall, steckte die Schaufel in den harten Boden und drehte sich langsam um. Schweiß strömte ihm in die Augen und seine Sicht verschwamm. Hastig wischte er die Perlen mit dem Handrücken fort, um wieder klar sehen zu können. Blinzelnd erkannte er Marcus' ernste Miene. Behutsam beugte sich sein Freund vor und flüsterte ihm ins Ohr: „Ariald, Fürst der Suever, bittet um ein Gespräch mit dir."
Im ersten Moment wollte sich Britannicus wieder seiner Arbeit widmen und den Suevernfürst warten lassen. Doch dabei fühlte er sich wie ein trotziges Kind, das einem unangenehmen Gespräch mit seinen Eltern aus dem Weg gehen wollte. Er konnte Ariald nicht hinhalten, ohne den letzten Funken Wohlwollen zu verlieren, den der Mann für ihn noch empfand. Rasch unterdrückte Britannicus ein Seufzen und fügte sich nickend in sein Schicksal.
„Geh dich waschen und zieh dich um", empfahl Marcus mit einem vielsagenden Blick. „Ich übernehme für dich."
Immer noch nickend trat Britannicus aus der Reihe der Arbeiter und machte sich auf den Weg. Als er kurz darauf sein Zelt betrat, wusch er sich hastig den Schmutz von Körper und Gesicht, ehe er sich die Haare kämmte und dann mitten in der Bewegung erstarrte. In seiner Abwesenheit war seine Uniform gesäubert worden. Auf seinem Bett lag eine Garnitur Barbarenkleidung. Bevor er eine Entscheidung treffen musste, betrat ein Arzt das Zelt und bestand darauf die Wunde zu versorgen. Ohne zu Murren setzte sich Britannicus auf einen Stuhl und wartete geduldig ab, bis der Mann seine Arbeit getan hatte. Das Brennen des Desinfektionsmittels nahm er kaum wahr. In Gedanken versuchte er sich auf sein Gespräch mit Tyras Vater vorzubereiten. Es frustrierte ihn nicht zu wissen, was ihn erwarten würde.
Gerade als er den Arzt fragen wollte, welche Kleidung er ihm für das Treffen empfehlen würde, stellte Britannicus fest, dass der Arzt schon gegangen war. Mehr als je zuvor sehnte er sich nach dem Rat seiner Eltern, die in jeder Situation immer genau wussten, was man tragen, sagen oder wie man sich verhalten sollte. Innerlich unruhig schloss Britannicus die Augen und versuchte sich vorzustellen seine Eltern wären hier bei ihm. Doch er scheiterte kläglich. Er konnte ihr Bild einfach nicht heraufbeschwören, weil es ihm selbst in seinem Geist unmöglich war sich Mutter an einem anderen Ort als Rom vorzustellen. Vermutlich würde seine Mutter ihm jedoch nur das sagen, was er in den Tiefen seines Herzens bereits wusste. Dies war ein offizielles Treffen zwischen dem Stammesfürst der Suever und einem römischen Militärtribun, kein kleiner Plausch mit einem Mann, für dessen Tochter Britannicus bereits zum zweiten Mal sein Leben riskiert hatte. Dementsprechend musste Britannicus seine Rolle als Vertreter Roms einnehmen. Entschlossen verstaute er die germanische Kleidung in seiner Truhe, dann schlüpfte er in seine Uniform. Routiniert schloss er die Ösen, befestigte sein Schwert an seiner Hüfte und fuhr sich ein letztes Mal durch sein ungewohnt kurzes Haar, um es zu glätten. Auf den Helm beschloss er diesmal zu verzichten.
Vermutlich hätte er nun das Zelt verlassen und sich auf den Weg zu Ariald machen müssen. Aber irgendetwas hielt ihn zurück. Seufzend kniete er sich vor seinen Altar und flehte seinen Schutzgott Apollo um Beistand an. Doch irgendetwas stimmte nicht. Eingehend musterte er die Figuren auf seinem Altar und mit einem Schlag erkannte er, was ihn so irritiert hatte. Die Figur seines Schutzgottes stand nicht an ihrem Platz. Panisch sprang er auf und suchte die Umgebung des Altars ab. Bloß die Figur war weder dahinter gerutscht noch lag sie auf dem Boden. Wo konnte sie nur sein? Als er sich am Morgen für ein letztes Gebet vor seinem Kampf mit Lando vor seinen Altar gekniet hatte, hatte sich die kleine Bronzefigur noch an ihrer Stelle zwischen Jupiter und Mars befunden. Aber nun war sie wie vom Erdboden verschwunden.
Plötzlich schob sich eine Erinnerung in seine Gedanken und lieferte ihm eine Erklärung, mit der er nichts anzufangen wusste. Tyra hatte seinen Altar betrachtet. War es möglich, dass sie die Figur an sich genommen hatte?
Bevor sein Geist noch weiter abschweifen konnte, sprach Britannicus mit feierlichem Ernst das Gebet, erhob sich und verließ das Zelt, ohne zurückzublicken.
Als er die am Wall arbeitenden Männer erreichte, war er kurz versucht einen Blick auf den bisherigen Fortschritt der Bautätigkeiten zu werfen. Aber da er nicht wusste, wie lang Tyras Vater bereits auf ihn wartete, schritt er mit einem knappen Nicken an den Soldaten vorbei und verließ zügig das provisorische Lager. Sobald er den Schutz seiner Männer hinter sich gelassen hatte, kam er sich seltsam verletzlich vor. Noch vor wenigen Stunden hatte er keinen Gedanken daran verschwendet, ob er sich hier in ernsthafte Gefahr begab. Doch nun war alles anders. Das nächste Mal würde er Marcus und Titus bitten ihn zu begleiten. Vermutlich hätte er das Gefühl haben müssen in eine Falle zu tappen. Immerhin eilte er, der Sohn des mächtigsten Mannes seiner Welt, ungeschützt zu einem fremden Herrscher, nur weil dieser ihn um ein Gespräch gebeten hatte. Aber eine innere Stimme schien ihm zu sagen, dass dies kein Hinterhalt war, um ihn in die Gewalt der Germanen zu bringen oder gar heimtückisch zu ermorden.
Als er das Dorf der Suever betrat, verlangsamte er automatisch seine Schritte und nahm eine elegantere Körperhaltung ein. Auf dem Weg zur Hütte des Stammesfürsten ignorierte er die misstrauischen und feindseligen Blicke, die ihm jene zuwarfen, von denen er vor wenigen Tagen noch als Held bejubelt worden war. Erschreckend wie wankelmütig die Herzen der Menschen doch waren. Ob Germanen oder Römer - die Gunst des Volkes zu verlieren war ein Kinderspiel im Vergleich dazu, wenn man sie für sich gewinnen wollte.
An der Tür zur Tyras Hütte angekommen, atmete Britannicus kurz tief durch, dann klopfte er selbstbewusst gegen die Holztür. Langsam öffnete sie sich und das neugierige Gesicht eines jungen Mädchens blickte zu ihm auf. Irgendwie hatte er erwartet, dass Ariald selbst öffnen würde. In Rom hätte er auf Arialds Türöffner getroffen, der seine Ankunft im Haus meldete. Doch dieses Dorf war alles, aber ganz sicher nicht römisch. Als ob ein kleines Mädchen verhindern konnte, dass er unerlaubt die Hütte betrat.
„Dein Herr hat mich um ein Gespräch gebeten", erklärte Britannicus höflich und war erleichtert, dass man ihm seine innere Ungeduld nicht anmerken konnte. Ein Schatten des Erkennens huschte über das Gesicht des Mädchens, dann nickte sie und öffnete ihm die Tür. Mit einem dankbaren Lächeln in ihre Richtung trat Britannicus ein und entspannte sich innerlich, als er den Stammesfürsten mit einem Bierkrug in der Hand am Tisch sitzend entdeckte. Was für eine Demütigung hätte er über sich erdulden lassen müssen, wenn der Germane an einem anderen Ort auf ihn gewartet hätte. Wie hätte er seinen Freunden nur erklären sollen, dass die Suever ihn wie ein Kind von einem Ort zum Nächsten geschickt hätten.
Unauffällig schaute sich Britannicus im Inneren der Hütte um, aber er konnte keinen anderen Menschen entdecken. Somit hatte er für das Gespräch nur eine Zeugin, die im Ernstfall gewiss niemals gegen ihren Herrn aussagen würde. Einladend deutete der Stammesfürst auf den Stuhl ihm gegenüber und Britannicus zögerte nicht dieser stummen Aufforderung nachzukommen. Rasch setzte er sich und hielt dem Blick des Suevers stand, der ihn eingehend musterte. Schließlich eröffnete Ariald das Gespräch mit der Frage, ob sein Gast ebenfalls etwas trinken möchte. Mehr aus Höflichkeit denn aus Durst gab er nickend seine Zugabe. Im nächsten Moment stellte das Mädchen mit gesenktem Kopf einen vollen Humpen vor ihm ab. Dankbar lächelte er sie an und meinte aus dem Augenwinkel zu beobachten, dass sich ihre Wangen eine Spur röteten. Rasch griff Britannicus den Krug, führte ihn zum Mund und nippte behutsam an dem Getränk. Das Bier schmeckte weniger stark und bitter als das, welches er zu feierlichen Anlässen getrunken hatte. Vermutlich war es aufgrund der Uhrzeit mit Wasser verdünnt worden oder der Suever wollte vermeiden, dass ihnen der Alkohol zu schnell in den Kopf stieg und ihre Sinne vernebelte. Behutsam stellte Britannicus seinen Krug vor sich auf dem Tisch ab. Die Magd musterte ihn noch immer unauffällig.
„Du kannst gehen, Gisela", befahl Ariald ruhig. Flink wie ein Wiesel öffnete das Mädchen die Tür und verließ die Hütte. Nun war er mit dem Oberhaupt der Suever vollkommen allein. Vielleicht war es besser gar keine Zeugen zu haben als jene, die leicht zu beeinflussen waren.
„Ich nehme an, Ihr habt mich nicht hergebeten, um Euch bei einem Glas Bier Gesellschaft zu leisten", meinte Britannicus gelassen und faltete die Hände vor sich auf dem Tisch. Die Mundwinkel des Stammesfürsten zuckten unmerklich. Ob vor Belustigung oder Anerkennung oder gar Missfallen vermochte Britannicus nicht zu sagen. Dafür war die Bewegung zu flüchtig und seine Bekanntschaft mit Ariald zu kurz.
Entspannt lehnte sich der Suever auf seinem Stuhl zurück und musterte Britannicus über den Rand seines Humpens.
„Du bist ein kluger, selbstbewusster Bursche", stellte Ariald anerkennend fest und der römische Militärtribun war erleichtert, dass der Germane ihm seine innere Ungeduld nicht ansehen konnte. Wohin er auch kam, traf er auf Männer, die lieber um den heißen Brei herumredeten, als auf den Punkt zu kommen. Dann sagte der Suever etwas mehr zu sich selbst, sodass Britannicus die Worte nicht verstehen konnte. Äußerlich vollkommen gelassen wartete er darauf, dass der Stammesfürst sich wieder ganz auf ihr Gespräch konzentrierte. Schließlich wurde Arialds Miene ernst und er erkundigte sich entschieden: „Lange habe ich darüber nachgedacht, was ich tun sollte, nun da ich weiß, wer du wirklich bist. Aber ich komme einfach zu keiner anderen Lösung, als dass ich deine Seite der Geschichte hören muss, um alles verstehen zu können. Deshalb frage ich dich jetzt, weshalb du unter falschem Namen auf unsere Seite des Rheins gekommen bist und was das alles mit meiner Tochter zu tun hat. Weil du ihr geholfen hast, stehe ich in deiner Schuld und ich will wissen, wem ich mich verpflichtet fühle und ob dies nicht alles von langer Hand geplant worden ist. Damit eine Zusammenarbeit überhaupt für mich in Betracht kommen kann, erwarte ich die ganze Wahrheit von dir, Britannicus."
Mit jedem Wort intensivierte sich Arialds wachsamer Blick. Ein Teil von Britannicus wäre am liebsten aufgestanden und auf die andere Seite des Rheins geflüchtet. Aber es war nur noch eine Frage der Zeit, bis der Winter über dieses barbarische Land hereinbrechen würde und er durfte nicht nur an sich denken. Seine Männer vertrauten darauf, dass er sich ihnen als würdiger Anführer bewies und nun hatte er die Möglichkeit ihr Schicksal zu besiegeln. Alles würde er dafür tun, damit er es zum Guten wendete.
„Ich bin nicht als Feind gekommen, sondern um Frieden und Handel zwischen unseren Völkern zu sichern", begann Britannicus ruhig und ehrlich. „Alles, was ich Euch gesagt habe, ist wahr - nur mein Name und meine Herkunft waren eine Lüge, um meine Männer und mich zu schützen. Zu Beginn des Sommers habe ich auf Befehl meines Vaters den Rhein überquert und die meisten Stammesfürsten besucht, mit denen bereits Verträge bestanden oder mit denen neue geknüpft werden mussten. Meine wahre Identität habe ich nur den Oberhäuptern der Stämme offenbart und ihnen das Versprechen abgenommen, mein Geheimnis zu wahren."
„Wie ist Euch das gelungen?", unterbrach Ariald ihn neugierig und geduldig erklärte Britannicus: „Die Verträge verbessern die Preise, welche die Händler an den Grenzen des Imperiums verlangen können. Zur Sicherheit habe ich die Fürsten bestochen. Aber weil ich kaum Geld bei mir hatte, konnte ich ihnen nur einen Teil der Summe auszahlen. Den Rest werde ich nächsten Sommer schicken lassen."
Einige Herzschläge schwieg der Sueverfürst mit gerunzelter Stirn und ließ sich seine Worte durch den Kopf gehen. Langsam entspannten sich seine Gesichtszüge.
„Dass ich Eure Tochter getroffen habe, war reiner Zufall", fuhr Britannicus eindringlich fort. „Weder damals noch heute spielt es eine Rolle, wer sie ist. Sie war eine junge Frau, die meine Hilfe gebraucht hat und der ich sie nicht verwehren konnte. Außerdem habe ich drei kleine Schwestern. Allein beim Gedanke daran, dass sie eines Tages sich in einer solchen Situation wiederfinden, wird mir übel. Ich weiß, dass ich nicht immer da sein werde, um sie beschützen. Aber ich bete dafür, dass auch ihnen jemand zu Hilfe kommt, wenn sie Hilfe und Schutz brauchen."
Wieder schwieg Ariald für einen Moment, dann nickte er kurz, griff nach seinem Humpen und trank einen großen Schluck Bier. Diese Gelegenheit nutze Britannicus, um ebenfalls an diesem Gesöff zu nippen. Denn es erschien ihm sehr unhöflich, das Getränk über längere Zeit gar nicht anzurühren. Auf keinen Fall wollte er den Eindruck erwecken, dass ihm das Zeug nicht schmeckte - auch wenn es ziemlich grauenhaft war - oder gar, dass er der Gastfreundschaft des Suevers nicht vertraute. Krachend stellte Ariald den Bierkrug ab und beugte sich über die Tischplatte zu ihm herüber, ohne ihn dabei aus den Augen zu lassen. Dann verkündete er: „Ich glaube dir und ich bin bereit über euren weiteren Aufenthalt im Gebiet meines Stammes zu verhandeln. Natürlich wäre es einem Teil von mir lieber, wenn ihr eure Sachen packen und sofort von hier verschwinden könntet. Aber der Winter naht unaufhaltsam heran und ihr könntet den Rhein nicht schnell genug erreichen. Außerdem ist dies die Gelegenheit meine Schuld zu begleichen."
Erleichtert atmete Britannicus aus und lehnte sich entspannt auf seinem Stuhl zurück. Dann trank er noch einen Schluck Bier, bevor die Verhandlungen richtig begannen. Rasch stellte der Römer fest, dass ihn der Stammesfürst wie einen gleichberechtigten Partner behandelte.
Für Britannicus war zunächst wichtig, dass er mit seinen Männern in der Senke bleiben und dieses übergangsmäßige Lager verteidigungsfähig machen durfte. Ariald erklärte ihm genau, welcher Teil des Waldes nicht heilig war, damit nicht unwissentlich ein Heiligtum für den Bau einer hölzernen Schutzwand zerstört werden würde. Außerdem erlaubte der Stammesfürst den Römern in seinem Stammesgebiet zu jagen. Wichtig war ihm dabei nur, dass sie einen Teil der Beute an die Suever abgaben. Für Britannicus löste sich durch die Jagderlaubnis ein großes Problem in Luft auf. Zwar hatte er die Verpflegung seiner Männer vor Beginn ihrer Expedition sehr großzügig kalkuliert, dennoch hätten ihre Vorräte unmöglich über den ganzen Winter ausreichen können - ganz gleich wie stark sie auch rationiert worden wären.
Plötzlich wurde der Suever nervös und tippte unkontrolliert mit den Fingern gegen seinen Bierkrug.
„Wie stellst du dir den privaten Umgang deiner Männer mit meinen Leuten vor?", fragte Ariald und blickte den jungen Römer vielsagend an. Britannicus zuckte nur mit den Schultern.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen wirklichen Austausch zwischen ihnen geben kann", meinte er ruhig und als sich Arialds Starren intensivierte, fügte er erklärend hinzu: „Keiner meiner Männer spricht diese Sprache. Sofern die Suever nicht Griechisch oder Latein sprechen, ist eine wirkliche Kommunikation zwischen ihnen und meinen Männern unmöglich."
Mit gerunzelter Stirn senkte Ariald sein Haupt und starrte auf die Tischplatte. Noch immer spielten seine Hände nervös mit dem Krug. Dann atmete er tief durch, schüttelte bestimmt den Kopf, schaute Britannicus aufrichtig besorgt an und sagte beunruhigt: „Frauen, Britannicus. Ich rede von ihrem Umgang mit den Frauen dieses Stammes. Wir leben sehr weit von der Grenze entfernt, doch selbst hier haben wir Geschichten von den Dingen gehört, die sich im Westen abgespielt haben sollen. Wie wird ihr Umgang mit den Sueverinnen sein? Du hast selbst gesagt, dass eure Zeit begrenzt ist. Ich weiß nicht, was passieren würde, wenn eine unserer Frauen ein Kind von einem deiner Männer erwarten sollte oder ihr in irgendeiner anderen Form Gewalt angetan werden würde."
Im ersten Moment wollte Britannicus den Stammesfürsten sofort beschwichtigen. Die meisten Vergehen an Frauen, auf die Ariald anspielte, waren in Folge von Schlachten und Kriegen begangen worden. Es war fast unmöglich plündernde Männer zu kontrollieren. Der Blutrausch und ihr Wunsch nach Rache am Feind vernebelte ihren Geist und trieb sie zu unnennbaren Schandtaten. Sein Vater hatte ihm davon erzählt, als er in verschiedenen Berichten über dieses Wort gestolpert war. Wie sollte er leugnen, was eindeutig belegt war und sein Vater mit eigenen Augen gesehen hatte? Sein Volk mochte seit der Eroberung Griechenlands zivilisierter geworden sein, aber Krieg vermochte die dunkelsten Seiten von Menschen zum Vorschein zu bringen.
„Jeder meiner Männer hat zwei gesunde Hände", stellte er ruhig fest. „Ich werde ihnen jeglichen Umgang mit suevischen Frauen verbieten."
Wieder schüttelte Ariald entschieden den Kopf und warf sofort ein, dass der Reiz einer Sache sich nur vermehrte, wenn sie verboten wurde. Vermutlich hätte Britannicus darauf erwidern sollen, wie hart er seine Männer für die Missachtung seiner Befehle bestrafen konnte und würde. Doch dann erinnerte er sich, weshalb er von seinen Eltern nach Germanien geschickt worden war. Auch ihm war nicht erlaubt gewesen sich mit Frauen einzulassen und er hatte diese Regel gebrochen. Zwar hatte er sich dazu in einem schwachen Moment überreden lassen. Aber dennoch hatte er gegen sie aus eigenem Willen verstoßen.
Als er zu einer Antwort ansetzte, konnte er Ariald nur schwer in die Augen sehen.
„Ich werde meinen Männern klar zu verstehen geben, was für sie auf dem Spiel steht", meinte er bestimmt. „Aber ich stelle es mir immer noch schwierig vor, wie sich der Umgang unserer Leute gestalten soll, wenn sie keine gemeinsame Sprachen haben."
„Warum sprichst du unsere Sprache?", platzte es dem Stammesfürsten heraus und er schaute ihn dabei so neugierig an, dass Britannicus leichter ums Herz wurde. Nachdenklich nippte er an seinem Bier, dann antwortete er: „Mein gesamtes Leben habe ich mich darauf vorbereitet eines Tages in die Fußstapfen meines Vaters zu treten. Es ist ungewöhnlich für einen Römer eine andere Fremdsprache als Griechisch zu erlernen, das gebe ich zu. Aber all die Menschen, die - sofern die Götter dies wollen - eines Tages unter meinem Schutz stehen werden, sprechen eben nicht nur Latein und Griechisch. Ich möchte ein Princeps sein, der mit seinem Volk und seinen Verbündeten sprechen kann. Deshalb lerne ich seit Jahren neben Griechisch auch die barbarischen Sprachen wie Keltisch, Britannisch, Dakisch und Germanisch."
Beeindruckt nickte Ariald, dann schien er sich wieder an den Anlass des Gesprächs zu erinnern und versteckte seine Anerkennung hinter seinem Bierkrug. Als er ihn wieder auf dem Tisch abstellte, war er leer.
Eine Weile schwiegen sie, da keiner von ihnen das Bedürfnis verspürte die Stille mit Worten zu füllen.
„Vielleicht wäre es gut, wenn die Frauen wüssten, dass meine Männer kein Geld mit sich führen", fiel Britannicus plötzlich ein und Arialds Augenbrauen schossen augenblicklich nach oben. In seiner Miene spiegelte sich eine Mischung aus Verwirrung und Belustigung. Rasch erklärte der Jüngere: „Der beste Weg unsere Herkunft zu verschleiern, war auf unser Geld zu verzichten. Außerdem gibt es so weder Gelegenheit noch Grund zur Prostitution."
Gedankenverloren nickte der Sueverfürst und erneut breitete sich das Schweigen zwischen ihnen aus. Mit einem Mal fühlte sich Britannicus unendlich müde. Sein Arm schmerzte durch die Verletzung und die harte Arbeit des Tages. Obwohl er kaum von dem Bier getrunken hatte, wurden seine Gedanken immer träger und die Lider schwerer.
Die Hüte besaß keine Fenster. Als Lichtquellen dienten die Ritzen zwischen den Holzschindeln und die Feuerstelle. Hier drin war es für ihn unmöglich zu bestimmen, wie viel Zeit bereits vergangen war. Doch sicherlich wäre es besser nun ins Lager zurückzukehren.
Kurz warf Britannicus einen prüfenden Blick auf den Inhalt seines Kruges und wägte ab, ob er ihn leeren oder einfach stehen lassen sollte. Doch da sich kaum noch Bier im Humpen befand, entschied er sich für die erste Option. Er hatte gar nicht wahrgenommen, dass er so viel von dem Gesöff getrunken hatte.
Ariald bemerkte sofort, dass sich sein Gast zum Aufbruch vorbereitete. Ohne Hast stand er auf, strich seinen Bart glatt und schenkte Britannicus ein zufriedenes Lächeln, welches der Römer erwiderte. Langsam erhob er sich ebenfalls und schob seinen Stuhl wieder ordentlich an den Tisch zurück. Das Lächeln des Germanen wurde wärmer.
„Einen Vorschlag habe ich in Bezug auf den Umgang unserer Völker noch", sprach Ariald gut gelaunt an. Neugierig blickte Britannicus ihn an und wartete darauf, dass der Ältere fortfuhr. Ruhig schritt der Suever um den Tisch herum, bis er direkt vor dem Römer zum Stehen kam. Erst jetzt bemerkte Britannicus, dass sie beinahe gleich groß waren. Normalerweise überragte er seine Mitmenschen deutlich. Seit seinem vorletzten Wachstumsschub hatte er die Durchschnittsgrößer der erwachsenen Männer seines Volkes hinter sich gelassen. Selbst sein Vater war ungefähr einen halben Kopf kleiner als er. Doch sogar hier im barbarischen Germanien gab es nur wenige, mit denen er sich wie mit Ariald auf Augenhöhe unterhalten konnte.
Mit einem Räuspern riss der Suever ihn aus seinen Gedanken und meinte dann, dass ihm ihr Gespräch sehr gefallen hatte und er ein regelmäßig stattfindendes Treffen dieser Art sinnvoll fand. Der Römer zögerte nicht lang und schlug mit einem verschwörerischen Augenzwinkern vor: „Wir können es offiziell als wöchentliche Lagebesprechung bezeichnen."
Lachend klopfte ihm Ariald auf die Schulter, dann streckte Britannicus dem Sueverfürsten feierlich die Hand entgegen, die der Stammesfürst ohne zu Zögern ergriff. Ihr Handschlag besiegelte die Abmachung zwischen ihnen. Es war seltsam Bestimmungen auszuhandeln, die nicht in einem Vertrag festgehalten werden würden. Aber diese mündliche Absprache erschien dem Römer seltsamerweise ebenso verbindlich wie ein Schriftstück es gewesen wäre.
Als er die Behausung des Stammesfürsten verließ, waren ihm drei Dinge bewusst: Erstens war es ihm irgendwie gelungen, dass seine Männer und er trotz ihrer wahren Herkunft weiterhin auf dem Gebiet der Suever geduldet wurden. Zweitens hatte er in Ariald zumindest vorübergehend einen Verbündeten gefunden, der ihn mit Respekt begegnete, und drittens würde er sich nun öfter diesem schrecklichen Barbarengesöff ausgesetzt sehen.

Fließend gingen die Tage ineinander über und schon bald hatte Britannicus jegliches Zeitgefühl verloren. Seine Tage waren so gefüllt mit Pflichten und harter Arbeit, dass er auf den Wandel des Mondes und die kleinen Veränderungen der Natur nicht achten konnte. Zwar schrieb er jeden Abend eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Ereignisse des Tages, doch war sein Geist zu diesem Zeitpunkt bereits so ermüdet, dass er auf das Datum nicht achtete.
Oberste Priorität hatte nach wie vor die Befestigung ihres Lagers. Nachdem die Grundlage geschaffen war, fällte er mit seinen Männern die Bäume, die Ariald ihnen zugewiesen hatte. Langsam nahm die hölzerne Mauer Gestalt an und jedes Mal, wenn sich Britannicus bei Anbruch der Dunkelheit vollkommen ausgelaugt auf seine Kissen sinken ließ und in einen traumlosen Schlaf glitt, fühlte er sich ein kleines Bisschen sicherer.
Trotz der harten Arbeit heilte seine Wunde gut. Ein Umstand, den sein Arzt nicht nachvollziehen konnte. Natürlich wagte der Grieche nicht seine Gedanken laut auszusprechen, aber Britannicus konnte sie von seinem Gesicht ablesen. Vermutlich hätte er sich mehr schonen sollen. Doch dies konnte er nicht mit seinem Gewissen vereinbaren. Seine Verletzung war so gering, dass sie ihn kaum einschränkte. Sollte er da wirklich in seinem Zelt herumgammeln und die Planen anstarren, während seine Männer sich abrackerten? Wie sollte er von ihnen jemals bedingungslose Hingabe fordern, wenn er selbst nicht dazu bereit war, das Gleiche für sie zu leisten?
Natürlich hatten einige seiner Männer über die Regeln leise gemurrt, welche Britannicus gemeinsam mit Ariald ausgearbeitet hatte, als die Römer das erste Mal von ihnen hörten. Jedoch schienen sie alle die Notwendigkeit dieser Bedingungen zu verstehen und so gab es keinen, der sie nicht akzeptierte und versuchte sie zu umgehen.
Wie Britannicus bereits seit einer Weile vermutet hatte, lag dies zum Teil auch daran, dass seine Männer nicht mit den Suevern sprechen konnten. Sie hatten keine gemeinsame Sprache und auch wenn sie versuchten sich mit Gesten zu unterhalten, verstanden sie einander einfach nicht.
Auf seinen seltenen Besuchen im Germanendorf registrierte er, dass die Feindseligkeit der Einheimischen ihm gegenüber langsam nachließ. Britannicus konnte nur vermuten, dass dies an seiner Einigung mit Ariald lag. Doch er nahm deutlich wahr, dass seine Männer und er hier nur geduldet waren. Diese Menschen vertrauten ihm nicht. Zwar hatte keiner von ihnen jemals einen Römer schon einmal zu Gesicht bekommen, aber selbst hierher, einen der entlegensten Winkel Germaniens, war ihr Ruf geeilt - und er war keinesfalls gut. Hier waren sie die Monster, die Frauen schändeten, Männer abschlachteten und Kinder in ihr fernes Land verschleppten.
Manchmal hörte er, wie die Dorfbewohner über Germanicus, Drusus oder sogar über Caesar tuschelten, wenn er an ihnen vorüber schritt. Die Art, wie die Suever diese Namen nannten, erinnerte ihn daran, wie kleine Kinder Arminius wisperten - nervös und voller Angst. In diesen Momenten war ihm schleierhaft, wie er ihnen diese Vorurteile jemals nehmen sollte. Er war nicht als Eroberer zu ihnen gekommen, nicht einmal als Anführer einer großen Armee. Er war nur hier, weil er ihnen eine verloren geglaubte Tochter unversehrt und wohlbehalten wiedergebracht hatte.
Um seine Gedanken von diesem Problem abzulenken, stürzte er sich nur noch verzweifelter in seine Arbeit. Die Gunst und die Freundlichkeit der Suever mochte er verloren haben, aber das Wohlwollen seiner Männer würde er niemals verlieren.

Es war ein wunderschöner, warmer Tag. Die Sonne schien hell über sie herab und betonte die vielen Farben, in denen die Blätter der Laubbäume erstrahlten. Überall mischte sich Rot mit Orange und Gelb. Britannicus hatte nicht geahnt, dass der Herbst in Germanien so schön sein könnte. Als Kind hatte ihm seine Mutter zwar davon erzählt, aber er hatte diese atemberaubende Veränderung noch nie so deutlich gesehen. Normalerweise hatte seine Familie zu dieser Zeit des Jahres ihre Sommerresidenz bereits verlassen und widmete sich wieder den Geschäften der Ewigen Stadt. In Rom gab es wenig Laubbäume und er konnte sich nicht daran erinnern, jemals eine solch herbstliche Farbenpracht gesehen zu haben.
Die Arbeiten an der hölzernen Schutzmauer gingen überraschend gut voran. Es war erstaunlich, was so wenige Männer in so kurzer Zeit erreichen konnten, wenn sich nur jeder einbrachte. Mittlerweile spielte Britannicus sogar mit dem Gedanken richtige Latrinen anlegen zu lassen, sobald die Schutzmaßnahmen um das provisorische Lager abgeschlossen wären. Kopfschmerzen bereitete ihm nur die Frage, woher er die Rohre für die Wasserleitungen nehmen sollte. Das Wasser aus dem kleinen Bach am Rand der Senke in die von ihm gewünschte Richtung umzuleiten, war kein Problem, solange er nur Rohrleitungen für den weiteren Verlauf innerhalb des Lagers hätte.
Doch an diesem Tag war Britannicus von seinen üblichen Pflichten freigestellt. Die harte Arbeit sorgte dafür, dass seine Männer mehr Nahrung benötigten und so hatte er entschieden den heutigen Tag mit einem Drittel der Männer für die Jagd zu benutzen. Sie würden wieder ihre barbarische Kleidung tragen, um im Wald weniger aufzufallen. Titus würde mit dem Rest weiter an den Sicherheitsmaßnahmen bauen. Natürlich hätte er gern seine beiden Freunde an diesem freien Tag um sich gehabt. Aber auch wenn er seinen Männern vertraute, musste immer ein Tribun im Lager bleiben. Marcus und Titus hatten Fortuna die Entscheidung überlassen und eine Münze geworfen.
So verzog Titus auch keine Miene, als sie sich auf ihre Pferde schwingen und ihm zum Abschied ein letztes Mal zunickten. Sobald Britannicus auf dem Rücken von Tenebrae saß, fiel ein Teil der Last von ihm ab und als sie das Lager verließen, konnte er zum ersten Mal seit Wochen ein wenig freier atmen.
Weit kamen sie nicht durch den dichten Wald. Plötzlich begann Marcus' Pferd nervös zu werden. Es legte die Ohren an, tänzelte und stieg. Im letzten Moment konnte sich Marcus an den Hals des Tieres klammern, sonst hätte ihn sein Hengst abgeworfen. Verwirrt hielt Britannicus seine Stute an und beobachtete, wie Marcus versuchte sein Pferd zu beruhigen.
„Du solltest absteigen und dein Tier untersuchen", schlug er hilfsbereit vor und erntete von seinem Freund nur einen genervten Blick. Dennoch glitt Marcus vom Rücken seines Hengstes und untersuchte aufmerksam jeden Zentimeter des edlen Tieres. Schließlich stieß er einen kleinen Triumphschrei aus, worauf die Ohren seines Pferdes erneut zuckten, im nächsten Moment pflückte er etwas aus dem Fell des Hengstes und betrachtete es neugierig zwischen seinen Fingerspitzen.
„Das muss wieder eines dieser blutsaugenden Parasiten sein", meinte Marcus und rollte mit den Augen. „Diese barbarischen Wälder scheinen von ihnen gerade so zu wimmeln."
Verständnisvoll nickte Britannicus, dann schnippte Marcus das Vieh fort, schwang sich auf sein Pferd und signalisierte, dass es weitergehen konnte. Zu Beginn ihrer Expedition war es immer wieder zu solchen Situationen gekommen. Diese Biester machten viele Pferde nervös, einige sogar vollkommen wahnsinnig. Sobald der Reiter sie entfernte, schien sich das Pferd an seine jahrelange Ausbildung zu erinnern und die Reise konnte weitergehen. Marcus' Hengst gehörte zu dem Teil, der vollkommen den Verstand zu verloren schien, wenn eines dieser Viecher ihn berührte. Den Göttern sei Dank war Tenebrae weniger empfindlich. Doch auch ihr behagten die kleinen Monster nicht. Britannicus hatte gehofft, dass diese Parasiten nur im Frühjahr existierten, nachdem sie im Hochsommer von ihnen verschont geblieben waren.
Eine Weile ritten sie schweigend durch den Wald, dann hob Britannicus den Arm und gab somit stumm das Signal zum Anhalten. Wortlos deutete er auf eine interessant aussehende Tierspur. So geräuschlos wie möglich saßen sie von ihren Pferden ab und musterten die Fährte eingehend. Sie war sehr frisch, den Hufabdrücken im weichen Waldboden nach zu urteilen mussten sie von Rehen stammen.
Mit Blicken einigten sie sich darauf, dass ein Teil der Männer zurückbleiben und auf die Pferde aufpassen würde, während die Restlichen der Fährte folgen würden. Behutsam löste Britannicus einen Bogen und seinen Köcher vom Sattel seiner treuen Stute und versicherte sich, dass er mit ausreichend Pfeilen ausgestattet war. Fragend stupste Tenebrae ihn mit ihren Nüstern an. Sie wollte nicht, dass er schon wieder fortging. Beschwichtigend strich er ihr über den Hals, sofort lehnte sie sich fordernd an ihn und pustete ihm liebevoll ihren Atem ins Gesicht. Automatisch stahl sich ein wehmütiges Lächeln auf seine Lippen. Am liebsten hätte er ihr versichert, dass er schon bald wieder bei ihr sein würde. Doch dieses Versprechen konnte er ihr nicht geben. Über das Glück einer jeden Jagd entschieden allein die Götter. Wie lange diese dauern würde, konnte er nicht voraussehen.
Zum Abschied klopfte er ihr sanft gegen die Schulter, dann wandte er sich von ihr ab und fokussierte sich auf die Fährte. Seine Männer murmelten bereits leise Gebete an Artemis und Apollo. Schnell sprach Britannicus seine eigenen Gebete, wobei er sich dabei ertappte, dass sein Gebet für seinen Schutzgott inbrünstiger als für dessen Zwillingsschwester über seine Lippen kam. Nun stand der Jagd nichts mehr im Wege.

Die Götter waren ihrer Jagd gewogen gewesen. Abgesehen von ein paar aufgescheuchten Kaninchen, hatten sie drei Rehe und ein Wildschwein erlegen können. Wenn sie Hunde gehabt hätten, wäre ihre Jagd gewiss noch erfolgreicher ausgegangen. Aber Britannicus musste sich mit dem zufriedengeben, was ihm hier zur Verfügung stand und dafür war ihre Ausbeute beachtlich.
Während seine Männer die Beute auf den reiterlosen Pferden, die sie für diesen Zweck mitgenommen hatten, verstauten, nahm er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Rasch drehte er den Kopf und entdeckte einen vertrauten, hellen Schopf zwischen den Bäumen hindurchstreifen. Sie schien derart in Gedanken versunken zu sein, dass sie seine Männer und ihn gar nicht wahrnahm.
Sofort musste Britannicus daran denken, wie sie ihm von ihrer Entführung erzählt hatte. Wenn sie immer derart unaufmerksam durch den Wald streifte, war es kein Wunder, dass Gunnar sie damals überraschen konnte.
Kopfschüttelnd wandte er den Blick ab, doch sein Herz hörte nicht auf schneller zu schlagen. Sorgte er sich nur um ihre Sicherheit oder hatte ihr Anblick ihn derart aus der Fassung gebracht. In diesem Moment begegnete er Marcus' Augen, die ihn fragend musterten. Auch seinem Freund war ihre Anwesenheit nicht entgangen. In diesem Augenblick traf Britannicus eine Entscheidung, von der er nicht sicher war, ob er sie später bereuen würde. Ein einziges Mal nickte Marcus knapp und gab ihm zu verstehen, dass er ihn verstand und ihn unterstützen würde.
Doch als sich Britannicus unauffällig in seinen Sattel schwang und sich auf seinem Pferd von seinen Männern entfernte, um ihrer verträumten Gestalt durch den Wald zu folgen, spürte er noch eine Weile Marcus' besorgten Blick in seinem Rücken. Automatisch achtete Britannicus darauf, genügend Abstand zwischen dem Mädchen und sich zu lassen. Falls ihr etwas zustoßen sollte, war er nah genug, um einzugreifen. Doch falls Tenebrae sich erschreckte, war er ausreichend weit von ihr entfernt, dass sie nicht versehentlich unter die Hufe geraten konnte.
Obwohl sich seine Stute keine Mühe gab leise zu sein, bemerkte Tyra nicht, dass sie ihr nachgingen. Das Mädchen vor ihm war wirklich vollkommen in ihrer eigenen, kleinen Welt versunken und Britannicus ertappte sich dabei, wie er über die Sorglosigkeit der Stammesfürstentochter nur den Kopf schütteln konnte. Wie war es ihr nur möglich so unaufmerksam durch eben jene Gefilde zu streifen, in denen ihr wenige Wochen zuvor etwas so Entsetzliches zugestoßen war? Nachdem er als Kind erlebt hatte, wie bewaffnete Männer in sein Zuhause eingedrungen waren, war er monatelang jede Nacht schreiend aufgewacht. Noch heute überlief ihn ein Schauer des Grauens, wenn er die Stelle erblickte, an der seine Mutter ihm ihren Dolch in die Hand gedrückt hatte.
Erst Jahre später hatte sein Vater ihm erklärt, wie die Männer in die Villa gelangt waren: Schon zur Zeit des göttlichen Augustus hatten die Menschen zu Scherzen gepflegt, dass auf dem Grundstück drei Götter wohnten - Augustus selbst sowie Apollo und Vesta, denen er dort Tempel gebaut hatte. Der Apollotempel grenzte direkt an die Hauswand des Wohngebäudes an und sein werter Vorfahr hatte es sich nicht nehmen lassen, sich einen privaten Zugang zur Cella einbauen zu lassen. Eigentlich konnte die Tür nur von der Seite des Wohnhauses geöffnet werden, aber durch einen perfiden Trick hatte man sie nicht mehr vollständig schließen können. Dies war seinem Vater nicht aufgefallen und so hatten die Verschwörer eines Tages ihre Chance ergriffen, um seine gesamte Familie auszulöschen. Erst als die Tür zugemauert worden war, hatte sich Britannicus ein wenig sicherer gefühlt. Doch wie Tyra jetzt diesem so trügerischen Gefühl von Sicherheit erliegen konnte, war ihm schleierhaft.
Plötzlich wurde sie langsamer und blieb stehen. Augenblicklich stoppte er sein Pferd. Tyra hatte nicht angehalten, weil sie ihn entdeckt hatte. Vielmehr konnte sie nicht mehr weiter gehen. Direkt vor ihr schimmerte im matten spätherbstlichen Sonnenlicht das blaue Band des Flusses, der Britannicus zur Orientierung innerhalb des Waldes half. Seinem Verlauf musste er nur stromaufwärts folgen, dann würde er sein Lager erreichen.
In einer fließenden Bewegung setzte sich Tyra auf einen Stein und zog einen kleinen Gegenstand aus einer Falte ihres Kleides. Sie hatte ihm den Rücken zugewandt, weshalb er ihr Gesicht nicht sehen konnte. Doch sie musterte nicht eingehend das bronzefarbene Objekt, welches Britannicus schmerzhaft vertraut vorkam, sondern starrte nachdenklich auf die andere Seite des Flusses. Gedankenverloren spielten ihre Finger mit der kleinen Figur. Langsam glitt er aus dem Sattel und trat auf sie zu. Keine Faser ihres Körpers verriet, dass sie ihn endlich bemerkte. Entspannt lehnte er sich gegen den nächsten Baum und kam sich mit einem Mal wie ein Eindringling vor. Dabei wollte er doch nur sicherstellen, dass ihr hier draußen nichts zustieß.
„Wir nennen das evocatio", meinte er scherzhaft, um sie auf seine Anwesenheit aufmerksam zu machen. Überrascht zuckte sie zusammen und wirbelte zu ihm herum. Sofort registrierte er die roten Ränder unter ihren Augen und sein Geist vergaß den Scherz, der ihm soeben noch auf den Lippen gelegen hatte. Nun war nicht die Zeit für Späße. Denn Britannicus kannte den Ausdruck in ihren silbernen Augen. Unzählige Male hatte sein Spiegelbild ihn mit genau dieser Mischung aus Verzweiflung und Angst entgegengeblickt. Instinktiv trat er einen Schritt auf sie zu und er musste seine ganze Willenskraft dafür aufwenden gegen den Drang anzukämpfen sie in seine Arme zu schließen und diesen Ausdruck aus ihren Augen zu vertreiben. Aber sie hatte ihm mehr als deutlich gemacht, dass sie auf verschiedenen Seiten standen. Denn für sie war er nichts anderes als ein Eindringling, ein Feind und ganz sicher kein Freund oder Vertrauter, der ihr Trost spenden konnte, wenn sie diesen bitternötig zu haben schien. Selbst wenn er ganz genau wusste, wie es sich anfühlte, nicht genug zu sein.
Verständnislos blinzelte sie ihn an und legte automatisch den Kopf schief. Nervös biss sie sich auf die Unterlippe und mit einem Mal verstand er, welchen inneren Kampf sie gerade führte. Natürlich war sie zu stolz, um ihn direkt nach einem römischen Brauch zu fragen. Allerdings war sie andererseits auch viel zu neugierig, als dass sie ihn ohne eine weitere Erklärung ziehen lassen konnte. Hastig verbarg Britannicus seine Belustigung hinter seiner, wie seine Mutter diesen undurchschaubaren, höflichen Gesichtsausdruck nannte, öffentlichen Maske. Mit einem flüchtigen Wink seines Zeigefingers deutete er lässig auf die kleine Figur in ihrer bebenden Hand. Verwirrt schaute sie auf das Figürchen, als hätte sie vollkommen vergessen, dass sie diese immer noch umklammert hielt.
„Wenn wir eine Stadt belagern, bieten wir den Göttern dieser Stadt an sich uns anzuschließen und römisch zu werden. In einem Ritual rufen wir die Götter zu uns und ohne den Schutz ihrer Götter kann keine Stadt der Welt einer Belagerung standhalten. Danach errichten wir der Gottheit ein neues Zuhause in unserer Stadt", erklärte er ruhig und ignorierte ihre überraschte Miene. In der Ferne schrie ein Eichelhäher und die anderen Vögel verstummten schlagartig. Alarmiert blickte sich der Römer nach allen Seiten um, doch sie waren immer noch allein. Vermutlich war Marcus' Pferd wieder von einem dieser kleinen, blutsaugenden Kreaturen angefallen worden.
Wortlos hob Tyra die Statuette und fuchtelte unelegant damit herum. Innerlich biss Britannicus die Zähne zusammen und zwang sich ruhig zu bleiben. Sie konnte nicht wissen, wie viel ihm diese Figur bedeutete.
„Damit wirst du keinen Gott Roms hierher locken können", stellte er trocken fest, schloss mit zwei raschen Schritten zu ihr auf und streckte ihr auffordernd seine Hand entgegen. Bedeutungsschwer blickte er auf seine Figur. Wie in Trance legte sie das kleine Abbild des Gottes in seine Handfläche. Durch das Leder seiner Handschuhe spürte er nicht die Wärme, welche das Metall in ihrer Hand aufgenommen hatte. Doch als ihre Fingerspitzen unabsichtlich seine nackte Haut berührten, zuckte er unmerklich zusammen. Sofort schoss ihr Kopf nach oben und ihre silbergrauen Augen bohrten sich in die Seinen. Rasch zog er seine Hand zurück. Zum Dank nickte er ihr zu, dann drehte er sich um und schritt würdevoll zu seinem Pferd. Mühelos schwang er sich auf Tenebraes Rücken.
„Wer ist das?", fragte sie und er hielt überrascht inne. Kurz betrachtete er die kleine Apollofigur, dann kreuzten sich ihre Blicke erneut. Gedankenverloren fuhr sein behandschuhter Daumen über die gespannte Sehne des Bogens und presste sich leicht gegen die bronzene Pfeilspitze.
„Mein Schutzgott", antwortete er mit einem geheimnisvollen Lächeln, danach leitete er Tenebrae sanft zum Wenden an. Doch dann erinnerte er sich, weshalb er ihr überhaupt gefolgt war. Lässig drehte er sich zu ihr herum und meinte: „Geh nicht mehr allein in den Wald. Hier ist es für dich nicht mehr sicher."
Ihren Protest hörte er nicht mehr, denn er trieb seine Stute bereits zum Galopp an und der Wind übertönte jedes Wort von ihr. Als er seine Männer erreicht hatte, betete er stumm zu Apollo, dass er ihr beistand, bis sie ihr Dorf erreicht hatte. Mehr konnte er im Augenblick nicht für sie tun.

Wenige Tage später kniete Britannicus tief im Gebet versunken vor dem kleinen Schrein in seinem Zelt, als ihn eine Stimme aus seiner Konzentration riss. Genervt schlug er die Augen auf, sprach demonstrativ laut das Gebet zu Ende und wandte sich dann langsam seinem ungebetenen Gast zu.
Hinter ihm standen Marcus und Titus. Der Erste blickte ziemlich verlegen drein, der andere schien vor Stolz beinahe zu platzen. Vielsagend hob der Jüngere die Hand und wedelte mit einer Wachstafel herum. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Titus hatte den Code geknackt. Hastig sprang er auf die Füße, wobei sein Mantel von seinem Kopf rutschte und riss dem Freund die Notizen aus der Hand. Eilig überflog Britannicus die Schrift, doch Titus war noch nie gut ohne Sekretär ausgekommen.
Seufzend gab er die Tafel seinem Besitzer zurück. Der jüngste Tribun verdrehte nur die Augen, dann meinte er wenig bescheiden: „Der Code war sehr einfach zu entschlüsseln."
Während sein Freund begann seine Vorgehensweise zu erklären, konnte sich Britannicus im letzten Moment einen bissigen Kommentar verkneifen. Sein Freund hatte gewiss einen plausiblen Grund dafür, dass er so lange für die Entschlüsselung benötigt hatte. Zumal er selbst für die Dekodierung sogar noch mehr Zeit gebraucht oder am Ende gar keine Lösung gefunden hätte.
„Du schweifst ab, Titus", ermahnte Marcus ruhig. „Es spielt kaum eine Rolle, wie du zum Ergebnis gekommen bist. Viel wichtiger ist für uns, was du herausfinden konntest."
Früher hätte Titus beleidigt den Mund geschlossen und den Raum verlassen. Doch auch er war seit dem Beginn ihres militärischen Abenteuers erwachsener geworden. So nickte er nur verständnisvoll, warf einen kurzen Blick auf seine Sauklaue und fasste dann zusammen: „Irgendjemand hat Gunnar bezahlt, damit er einen Krieg anzettelt, während wir uns in der Nähe aufhalten. Der Auftraggeber wird nicht namentlich genannt, vielleicht sollten wir uns die Münzen noch einmal anschauen."
„Der Prägstempel ist gefälscht", unterbrach Britannicus niedergeschlagen und seine Laune verschlechterte sich zunehmend, als er den zweifelnden Blick registrierte, den sich seine Freunde gegenseitig hastig zuwarfen. Er hatte es noch nicht übers Herz gebracht sie einzuweihen, dass ihr ganzer Auftrag auf einer Fälschung beruhte. Gerade als er sich überwinden wollte, fuhr Titus unbeirrt fort und beendete das Thema vorläufig: „Zulässig können wir das nur in Rom überprüfen. Fakt ist, dass irgendein Römer dich hier in einen Krieg verwickeln wollte. Hast du eine Ahnung, wofür das gut sein soll?"
Wage zuckte er nur mit den Schultern. Was sollte er seinen Freunden auch antworten. Bisher konnte er nur Vermutungen anstellen und er wollte sie nicht beunruhigen oder gar von ihren Pflichten ablenken.
„Du weißt genau, was das bedeutet!", fuhr Marcus ihn unwirsch an. „Bei den Göttern, Britannicus! Wir sind deine Freunde! Wir kennen dich fast dein gesamtes Leben und wir wissen ganz genau, wie deine Familie funktioniert. Wenn du hier stirbst, wird dein Vater nicht eher ruhen, bis dein Tod gerächt ist und vermutlich würden deine Brüder nachkommen, sobald sie alt genug dafür sind. Wer würde davon profitieren, dass deine Mutter und deine Schwestern ganz allein in Rom bleiben?"
„Genau das ist es, was ich nicht weiß, begreifst du das denn wirklich nicht?", entgegnete Britannicus und seine Ruhe fiel schlagartig von ihm ab. Er hatte genug davon, dass seine besten Freunde sich in seiner Nähe aufführten, als ob er sie nicht ausreichend in seine Angelegenheiten einweihte. Wütend funkelten Marcus und er sich an.
Mit einem Satz sprang Titus zwischen sie und zwang sie mit seinem Körper zueinander auf Abstand. Obwohl er der Jüngste war, schien er der Einzige zu sein, der noch einen klaren Gedanken fassen konnte. Mahnend blickte er zu Marcus.
„Wenn Britannicus Geheimnisse vor uns hätte, hätte er niemals zugelassen, dass ich die Nachricht entschlüssel", gab der Flavier leise zu bedenken. „Wir wissen beide, dass er mich nicht benutzt hat. Lieber hätte er sich monatelang allein den Kopf zerbrochen als das Risiko einzugehen, dass ich zu viel erfahre, nur damit er schneller ans Ziel kommt."
Dankbar nickte Britannicus ihm zu, doch sein kleiner Triumph währte nur so lang, bis Titus sich ihm zuwandte und ihn voller Ernst anblickte.
„Du bist unser Anführer, dazu wurdest du geboren", fuhr Titus mit fester Stimme fort. „Aber niemand kann allein erfolgreich sein. Was hätte der große Augustus ohne Agrippa und Maecenas erreichen können? Wo wäre dein Vater heute, wenn ihm nicht mein Onkel und mein Vater bedingungslos unterstützt hätten? Lass uns für dich diese Freunde sein. Denn das ist unser Schicksal. Dazu wurden wir geboren."
„Ich weiß, dass ihr eher sterben würden als dich zu verraten", gestand Britannicus leise und zwang sich den Blick nicht von seinen Freunden abzuwenden. „Ich würde das Gleiche für euch tun."
Seufzend fuhr er sich durchs Haar. Dann bedeutete er den beiden sich zu setzen und er begann ihnen von den Dingen zu erzählen, die er bisher unerwähnt gelassen hatte.
Mit jedem Wort schienen seine Freunde den Ernst ihrer Lage mehr und mehr zu begreifen. Doch sie unterbrachen ihn nicht. Ab und zu wechselten sie einen besorgten Blick oder schauten verständnislos drein, dann versuchte Britannicus in seinen Ausführungen klarer zu werden. Aber dennoch hörten sie ihm einfach nur aufmerksam zu und verstanden, weshalb er ihnen keine Lösung auf dem Silbertablett servieren konnte. Zu viele Steine fehlten, um das Mosaik in seinen schillernden Farben zusammensetzen zu können.
Als er das Ende seiner Erzählung erreicht hatte, schwiegen sie eine Weile. Jeder von ihnen hing seinen eigenen Gedanken nach. Schließlich sprach Marcus die eine Überlegung aus, die sich langsam in ihren Köpfen formte: „Wer auch immer dafür gesorgt hat, dass wir hier sind, hat dies von sehr langer Hand geplant. Sein Hass auf deine Familie muss so groß sein, dass er auf dein Scheitern bereits bestens vorbereitet ist."
„Aber an eine Sache hat er nicht gedacht", warf Titus ein und auf seinen Lippen stahl sich ein selbstbewusstes Grinsen. „Dass wir bei dir sein werden, damit du hier niemals scheitern wirst."
Als Britannicus in die vertrauten Gesichter seiner besten Freunde blickte, durchflutete ihn ein nie dagewesenes Gefühl der Dankbarkeit. Denn er musste dies nicht allein durchstehen. Auf sie konnte er sich verlassen, da sie wahre Freunde waren. Sie suchten nicht seine Nähe, um zukünftig an hohe Posten zu gelangen und somit das Prestige ihrer Familien zu mehren. Sie waren bei ihm, weil er ihnen wahrhaftig am Herzen lag. In diesem Moment zählte nur ihre Freundschaft.

Schon bevor Britannicus am nächsten Morgen die Augen aufschlug, spürte er mit jeder Faser seines Körpers, dass etwas anders war. Mit einem Satz sprang er aus dem Bett, schlüpfte in seine Kleidung und stürmte aus dem warmen Zelt. Nur um dann ruckartig zu erstarren. Sein vom Schlaf noch träger Geist begriff den Anblick nicht, der sich seinen Augen bot. Wohin er auch blickte, entdeckte er nichts als Weiß.
Vor seinem Mund stieg mit jedem Atemzug weißer Rauch auf. Die Zelte, der Boden, die Baustelle - einfach alles war mit einer weißen Schicht bedeckt. Wie tausend kleine Dolche stich ihm die kalte Luft auf die nackten Stellen seiner Haut.
Blinzelnd schaute er sich um und nahm erleichtert wahr, dass Rauch von allen Feuerstellen seines Lagers aufstiegen. Automatisch zog er seinen Mantel enger um sich.
Der berühmte germanische Winter war über Nacht hereingebrochen. Natürlich hatte er bereits in Italien Bekanntschaft mit Schnee und Kälte schließen können. Dennoch erschien ihm hier alles so anders. Kälter. Bedrohlicher. Tödlicher. Selbst das Licht wirkte auf ihn unnatürlich grell.
Automatisch wanderten seine Gedanken zu seiner Familie. An Tagen wie diesen hatte er sich mit seinen Geschwistern immer in das Tablinum oder die Bibliothek zurückgezogen und ihnen Geschichten vorgelesen, bis ihre Eltern nach Hause gekommen waren. Dann hatte Mutter das Erzählen übernommen. Stundenlang saßen sie beisammen und lauschten ihrer Stimme, bis es Zeit für das Abendessen im Triclinium war.
Mit einem Mal vermisste er seine Familie furchtbar. Selbst nach dem Krach der Stadt begann er sich zu sehnen. Noch nie war er so lang und so weit von Rom fort gewesen. Hier an diesem kalten Flecken Germaniens erschien ihm sein Zuhause unendlich fern. Beinahe unwirklich. Mit gerunzelter Stirn starrte er auf die verschneite Landschaft und überlegte krampfhaft, was er als Nächstes tun sollte. Die Befestigung des Lagers war in seinen Augen abgeschlossen, den Kanal für die Wasserleitungen konnten sie aufgrund des Wetters nicht weitergraben und die letzte Jagd lag nicht lang genug zurück, als dass eine Weitere gerechtfertigt wäre. Ihre Vorräte würden sie vermutlich durch den Winter bringen.
Einer seiner Männer hatte Erfahrungen mit dem Räuchern von Fleisch und unter seiner Anleitung waren die Räucherstuben entstanden, in denen ihr Schinken nun reifte. Auch dieses wichtige Problem war bereits gelöst.
Seufzend schloss Britannicus die Augen. Im Geist sah er seine Familie vor sich. Antonia saß in einer Ecke und las in einem Buch, während Marcus und Aura die Köpfe zusammensteckten und vermutlich einen neuen Plan ausheckten. Etwas abseits von ihnen standen Drusilla und Aurelian, welche die Zwillinge neugierig beobachteten. Mutter gab vor einen Bericht zu studieren, obwohl sie in Wahrheit ein Auge auf ihre jüngsten Kinder hatte. Vater war an seinem Schreibtisch und schrieb etwas in sein Notizbuch. Dieses Bild zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht und füllte sein Herz mit Frieden. Plötzlich hob Vater den Kopf und zwinkerte ihm verschwörerisch zu.
Sofort öffnete er die Lider, machte auf dem Absatz kehrt, stürmte zurück in sein Zelt und ließ sich an seinem Schreibtisch nieder. Erst als ein frischer Bogen Papyrus vor ihm lag, hielt er inne. Es gab so viele Dinge, die er jedem einzelnen Mitglied seiner Familie sagen wollte. Kam Antonia mit seiner Abwesenheit zurecht? Wem erzählte sie nun ihre Ängste und Sorgen oder fraß sie alles in sich hinein? Aufgrund ihres geringen Altersunterschieds standen sie einander am nächsten. Hatte Marcus bereits in das Licht der Öffentlichkeit rücken müssen, um die Lücke zu füllen, die Britannicus in Rom hinterlassen hatte oder durfte sein kleiner Bruder noch ein wenig länger Kind sein? Wer dachte daran, dass Aura schneller fror? Wurde Drusilla noch auf die Schule vorbereitet oder besuchte sie diese bereits? Konnte sich Aurelian überhaupt noch an ihn erinnern oder war er nur ein fremdes Gesicht auf einem Familiengemälde? Arbeitete Mutter noch immer an ihrer Analyse der Gedichte des Horaz oder hatte sie sich anderen Schriften zugewandt? Und die Fragen an seinen Vater beschäftigten ihn Tag und Nacht. So oft sehnte sich Britannicus nach seinem Rat, dass ein einziger Brief niemals ausreichen würde.
All die Jahre war es für ihn so selbstverständlich gewesen, sich jederzeit an seine Familie wenden zu können. Denn sie waren immer für ihn da, wenn er sie brauchte. Hier im Herzen Germaniens vermisste er sie besonders und wünschte sich bei ihnen zu sein, um seine Eindrücke und Erlebnisse mit ihnen teilen zu können. Jeder seiner Briefe würde seine Familie erst im nächsten Frühsommer erreichen.
Zum ersten Mal seit Wochen spürte er aus tiefster Seele, dass ihm sein Zuhause wahrhaftig fehlte. Für den Moment gab er sich ganz diesem Gefühl hin, welches ihm so fremd und vertraut zugleich war. Denn sobald er die Sicherheit seines Zeltes verließ, musste er seine Gefühle in seiner Brust verschließen und seinen Männern das Vorbild sein, welches sie verdienten. Es war ein schöner Traum, den Tyra ihm geschenkt hatte. Der Traum von einem anderen Leben, in welchem er seiner Verantwortung und all seinen Pflichten entfliehen konnte, ohne an die Folgen seiner Entscheidung für seine Familie und sein Land zu denken. Aber es war nichts anderes als eine peinigende Illusion einer Version seiner selbst, die niemals seinem wahrem ich entsprach. Denn er war Gaius Julius Caesar Britannicus, erstgeborener Sohn des Gaius Caesar Augustus Germanicus, Enkel des Nero Claudius Germanicus, Urenkel von Marcus Agrippa, Ururenkel des großen Augustus. Er konnte Rom niemals entfliehen, denn er gehörte Rom ebenso wie ihm Rom.

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