Im Geheimgang [1/3]
Im Geheimgang
Sie fielen. Das Licht aus Hermines Zauberstab beleuchtete gemauerte Wände. Spinnweben tauchten aus der Dunkelheit auf, nur um sogleich wieder darin zu verschwinden. Draco hielt einen Arm weiterhin um Hermine geschlungen, die sich panisch an ihn klammerte. Die freie Rechte mit dem Zauberstab streckte er aus. Ein blauer Blitz schoss in die Schwärze unter ihnen und einen Sekundenbruchteil später wurde ihr Sturz durch ein großes Luftkissen aufgefangen.
Keuchend rappelten sie sich auf. Draco ließ das Polster verschwinden und seinen Zauberstab ebenfalls aufleuchten. Hermine schaute ihn aus großen Augen an. »Das war gut.«
Draco lächelte überheblich. Die beiden sahen sich um. Sie standen auf dem Boden eines Ganges. In ihrem Rücken befand sich eine Wand und in etwa drei Metern Höhe sahen sie im Licht ihrer Stäbe die Rückwand des Schrankes, die sich wieder geschlossen hatte.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Hermine ratlos.
Draco starrte in den Gang, der sich vor ihnen auftat. Er war nicht einmal mannshoch und höchstens einen Meter breit. Draco verspürte wenig Lust, ihn in gebeugter Haltung entlang zu wandern.
Er lehnte sich an die Wand und verschränkte die Hände vor sich. »Los, Granger, Räuberleiter. Ich hebe dich hoch, vielleicht kannst du dich bei den beiden da oben irgendwie bemerkbar machen.«
Hermine trat in seine Hände. Sich an der Wand abstützend stieg sie schließlich auf seine Schultern.
Draco hörte, wie sie mit der Faust gegen die Rückseite des Schrankes hämmerte. »Ron, hallo Ron. Ich bin es, Hermine. Wir sind hier unten. Öffne den Schrank.«
»Und?«, keuchte Draco, dem bereits die Schultern schmerzten.
»Ich verstehe jedes Wort, was die beiden sagen, aber ich glaube, mich können sie nicht hören«, antwortete sie ein wenig mutlos.
»Dann mach dich bemerkbar. Wozu bist du eine Hexe?«
»Bombarda maxima!«, rief Hermine.
Es gab einen Knall und Hermine rutschte von Dracos Schultern. Er fing sie auf und ließ sie langsam an sich entlang zu Boden gleiten. Ein Blick nach oben zeigte den beiden, dass sich nichts getan hatte.
»Werden wohl etliche komplizierte Schutzzauber über der Geheimtür liegen«, mutmaßte Draco. »Da kommen wir nicht weiter.«
»Also durch den Gang«, sagte Hermine und klang genauso bedrückt, wie Draco sich fühlte.
Er glaubte sich verpflichtet, voran zu gehen. Also zog er den Kopf ein, hob den Zauberstab mit der leuchtenden Spitze und betrat den Tunnel. Draco hörte, wie Hermine ihm folgte.
Der Boden war mit einer dicken Staubschicht bedeckt, auf der die charakteristischen Pfoten- und Schwanzabdrücke von Ratten zu sehen waren. Spinnweben hingen von der Decke hinab und vereinzelt waren Steine aus den Wänden in den Gang gepurzelt und verengten ihn zusätzlich. In den Löchern, die sie in den Seiten hinterlassen hatten, huschte und krabbelte es, wenn Draco das Licht darauf hielt.
»Meinst du, es gibt hier Skorpione?«, fragte Hermine vorsichtig.
»Mir sind in England noch keine begegnet«, gab Draco zurück, wagte aber nicht, genauer in die Ritzen zu schauen. Es war ihm ziemlich egal, was da kräuchte und fleuchte, Hauptsache, es griff sie nicht an.
Der Gang schien sanft, aber stetig nach unten zu führen. Plötzlich erreichten sie eine Gabelung. »Links oder rechts, Granger? Breiter Weg nach oben, oder schmaler nach unten?«
Hermine quetschte sich neben ihn. Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum. »In Märchen führt der offenbar leichtere meist ins Verderben.«
»Bei euch Muggeln vielleicht. Jedenfalls bedeutet der rechte Weg noch mehr Rückenschmerzen und außerdem führt er tiefer hinab. Ich bin dafür, wir nehmen den linken«, sagte Draco, bemüht, seiner Stimme einen forschen Klang zu geben.
»Vielleicht sollten wir uns trennen«, meinte Hermine zaghaft.
»Das halte ich für keine gute Idee. Wer weiß, was in der Dunkelheit noch auf uns lauert. Da sollten wir lieber zu zweit sein.«
Draco hätte nie im Leben zugegeben, dass er sich wesentlich sicherer mit der schlagkräftigen Hermine an seiner Seite fühlte.
»Na schön, nehmen wir also den linken.« Hermine trat an die Gabelung heran und ritzte mit ihrem Zauberstab einen Pfeil in die Mauer, der in die Richtung zeigte, die sie einschlagen wollten.
Draco nickte zufrieden und sie setzten ihren Weg fort. Der Gang stieg leicht an, nur um hinter einer Kurve steil abzufallen. Die beiden blieben stehen und sahen einander im diffusen Licht in die Augen.
»Egal, lass uns trotzdem weitergehen«, meinte Hermine nach einem kurzen Zögern.
Nachdem sie dem Weg ungefähr eine Viertelstunde bergab gefolgt waren, gabelte er sich abermals.
»Wir sollten die Richtung beibehalten«, sagte Draco.
Hermine kennzeichnete die Wand erneut. Sie leuchtete kurz in den Gang, der nach rechts führte. An der Wand, im hinteren Bereich des Lichtkegels schien eine Art Rauch aufzusteigen. Ein Geräusch ertönte, das Draco an ein Fauchen erinnerte. Hastig packte er Hermine am Ärmel und zog sie nach links.
Der Weg wurde nun so breit, dass sie bequem nebeneinander her gehen konnten, ohne sich zu berühren. Er führte nunmehr geradeaus. An der Ecke einer Biegung lag etwas Weißes auf dem Boden. Als die beiden näher kamen, fasste Hermine Draco bei der Hand und blieb stehen.
»Bei Merlin, siehst du, was ich sehe?«, wisperte sie tonlos.
Draco schluckte. Auch er hatte erkannt, was da im Licht aufgetaucht war; ein skelettierter Fuß. Er drückte Hermines Hand und hielt sie fest.
»Komm«, sagte er rau. »Der tut uns nichts mehr.«
Der ehemalige Besitzer des Fußes, oder besser, das was von ihm übrig war, lehnte hinter der Biegung an der Wand. Das Skelett war fragmenthaft mit Hemd, Hose und den Resten eines schwarzen Umhanges bekleidet, dessen Wappen man jedoch nicht mehr erkennen konnte.
Der linke Arm fehlte, ebenso der Schädel. Das rechte Bein war in unnatürlichem Winkel vom Körper weggesteckt. Die Fingerknochen der rechten Hand hielten einen Säbel umklammert, dessen Klinge verrostet war.
Hermine stöhnte und wandte sich ab. Draco ließ sie los, kniete neben dem Toten nieder und löste mit angewidertem Gesichtsausdruck die Waffe aus dessen Hand.
»Wenn du nichts dagegen hast, du brauchst sie ja nicht mehr«, versuchte er zu scherzen.
Das brachte ihm einen Stoß in die Rippen ein. »Lass die dummen Witze«, sagte Hermine.
Draco zog eine Augenbraue hoch, schwieg jedoch. Drei Schritte weiter stießen sie auf den eingedrückten Schädel.
»Sieht aus, als hätte jemand, oder besser etwas, darauf herumgekaut. Schau Granger, zu beiden Seiten des Schädels sind Bissspuren zu sehen.«
»Ich beiß dich gleich, Malfoy, wenn du jetzt nicht weiterkommst«, drohte Hermine.
Draco zuckte die Achseln. Er gab sich weit selbstsicherer, als er tatsächlich war. Auch ihn hatte das Gerippe erschreckt.
Den fehlenden Arm fanden sie etwa fünf Meter hinter dem abgetrennten Kopf. Ohne ihm weitere Beachtung zu schenken, wollten sie an ihm vorbei gehen, als Hermine Draco zurückhielt. Sie deutete auf den Ring, der an einem Finger steckte. »Wir sollten ihn mitnehmen«, sagte sie leise. »Vielleicht will seine Familie nach all den Jahren etwas über seinen Verbleib erfahren.«
Draco kniete sich abermals nieder und nahm den Ring an sich. Er war aus Silber und stark angelaufen. Entfernt glich er dem, den er selbst am Finger trug. Allerdings war die Schlange wesentlich gröber gearbeitet.
»Eins ist klar, ein Gryffindor war das jedenfalls nicht.« Draco steckte den Ring ein. »Vorwärts, lass uns endlich von hier verschwinden. Ich habe ein ganz komisches Gefühl im Bauch.«
Doch schon wenige Meter weiter blieb er erneut stehen. Er hob den Kopf. »Sag mal, riechst du das auch?«
Hermine schnupperte. »Ich spüre frische Luft und - Wasser.«
»Es stinkt nach Fisch, Granger«, sagte Draco unwirsch.
Der Weg machte erneut eine Biegung und dahinter verharrten beide in ehrfürchtigem Staunen. Sie standen in einer riesigen Höhle am Ufer eines Sees. Das Wasser war glatt und dunkel. An der linken Seite führte der Weg am Ufer entlang. Rechts von ihnen war ein kleiner, mit Quarzsand bedeckter Vorsprung. Nah an der Felswand befand sich ein Nest aus Binsen und in ihm lagen drei Eier, die etwa die Größe von Straußeneiern hatten.
»Es muss sich um einen Ausläufer des schwarzen Sees handeln«, mutmaßte Hermine.
»Mich würde brennend interessieren, was da in den Eiern ausgebrütet wird«, sagte Draco und schlich vorsichtig an das Nest heran. Der Sand unter seinen Füßen knirschte.
Aus einem Ei waren Geräusche zu hören. Es knackte. Draco winkte Hermine heran. »Komm her, das musst du dir ansehen.«
»Lass uns weitergehen, bitte«, antwortete sie, näherte sich aber dem Nest.
Das Knacken wurde lauter. Durch die Eierschale zog sich ein Riss und dann erschien ein winziges Loch. Etwas, das wie ein kleiner schwarzer Schnabel aussah, versuchte sich den Weg in die Freiheit zu bahnen. Ein zweiter Schnabel kam dem ersten zu Hilfe und dann noch ein dritter.
»Merkwürdig, ob da mehr als ein Tier drin ist?«, fragte Draco.
Auch Hermine beugte sich jetzt fasziniert über das Gelege. »So etwas habe ich noch nie gesehen«, wisperte sie.
Das oder die Wesen kämpften immer noch um den Weg hinaus. Plötzlich sprang die Schale der Länge nach auf. Draco und Hermine prallten zurück.
Vor ihnen lag etwas, das aussah wie eine Minischlange mit zahlreichen Köpfen. Das Tier gab ein fiependes Geräusch von sich.
»Wir sollten jetzt wirklich abhauen, Malfoy.«
Draco nickte, immer noch schwankend zwischen Faszination und Abscheu. »Ich glaube, ich weiß, was unserem Zauberer da hinten den Gar ausgemacht hat. Was meinst du, Granger?«
Da sie nicht antwortete, sah er zur Seite. Hermine stand neben ihm und starrte kreidebleich auf das Wasser.
Wie in Zeitlupe drehte Draco sich um. Vor ihm türmte sich der Leib einer riesigen Seeschlange auf. Die grüne Schuppenhaut glitzerte, die gelben Augen ihrer vielen Köpfe fixierten sie, die Rachen waren weit aufgerissen und zeigten zwei Reihen spitz zulaufender Zähne.
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