Die Aufgabe [1/2]
Die Aufgabe
Die erste Woche flog nur so vorbei. Hermine traf sich weiter mit Zabini. Er stellte sich ganz geschickt an, für einen Slytherin. Sein Patronuns hatte zwar noch keine klar umrissene Gestalt, sah aber schon nicht mehr wie eine bloße Wolke aus. Auch Seamus und Ginny war es gelungen, den ihnen Anvertrauten zumindest ein Stück weit zu helfen. Ron hingegen gab sich mit Violet keine Mühe. Hämisch erzählte er, wie sie schließlich weinend Myrtes Reich verlassen hatte, wobei der Geist des Mädchens ihr schadenfroh hinterher lachte.
»Du solltest dich schämen, Ron«, tadelte Hermine.
»Was soll einem Slytherin schon ein Patronus nutzen? Hey Harry, wie steht es eigentlich mit Malfoy?«
»Ich habe ihn nicht wieder gesehen. Hat wohl auch keinen Zweck. Er packt es einfach nicht.«
»Du solltest deinen Schüler nicht so schnell aufgeben«, sagte Hermine streng.
»Wir reden hier immerhin von einem Menschen, der schon mit Voldemort an einem Tisch gesessen hat«, antwortete Harry.
»Na und, das hatte Professor Snape auch.«
»Du willst Malfoy doch nicht mit Snape vergleichen. Malfoy ist ein feiger Hund. Außerdem hatte ich den Eindruck, ihn interessiert das alles gar nicht. Als ich ihm erzählte, ich würde immer an euch denken, wenn ich meinen Patronus heraufbeschwöre, meinte er nur lapidar, er hätte keine Freunde.«
»Das stimmt wahrscheinlich auch«, mischte sich Ron ein. »Ist eigentlich nicht verwunderlich, oder?«
Hermine legte die Stirn in Falten. »Er muss sehr einsam sein.«
»Das hat er sich ganz allein selbst zuzuschreiben mit seiner arroganten Art«, sagte Ginny. »Der mit seinem Tick vom reinen Blut. Er wird es schwer haben, noch eine Frau zu finden. Die, die nur hinter seinem Namen her waren, haben zwischenzeitlich längst das Weite gesucht, da nützt ihm selbst das viele Geld nichts mehr. Die anderen fallen wegen des falschen Blutstatut durchs Rost.«
»Du bist reinblütig«, sagte Harry.
»Stimmt. Aber erstens bin ich schon vergeben und zweitens stehe ich nicht auf blond.«
»Ach nein?«, hakte Harry nach. »Und wie war das mit ...«
Doch Ginny verschloss ihm blitzschnell den Mund mit einem Kuss.
Nachdem alle Schüler am Wochenende einen Berg von Hausaufgaben bewältigt hatten, gab es am folgenden Montag in Verwandlung gleich wieder jede Menge auf. Professor McGonagall forderte dreißig Zentimeter Pergament über die Verwandlung in einen Animagus und die Konsequenzen wenn man sich nicht beim Zaubereiministerium registrieren lässt. Die Klasse stöhnte.
Fünfzehn Minuten vor Schluss ließ Professor McGonagall einen Schwarm Papierschwalben fliegen. »Auf jedem dieser Vögel steht eine Aufgabe, für deren Lösung Sie einen Monat Zeit haben. Es ist Ihnen verboten, mit ihren Mitschülern darüber zu sprechen. Einige Aufgaben werden Ihnen leicht vorkommen, andere beinahe unlösbar. Sie werden teilweise sehr persönliche Informationen beschaffen müssen. Entsprechend hoch wird die Benotung sein.«
Ein Schlenker ihres Zauberstabes veranlasste jede der Schwalben sich auf einem Pult niederzulassen.
»Sie stecken sie jetzt ein und öffnen sie erst, wenn Sie allein sind. Das gilt auch für Sie, Mr. Malfoy.«
Draco zuckte zusammen. Eigentlich hatte er nur den geknickten Flügel neu falten wollen. Er zerdrückte den Vogel in seiner Hand und stopfte ihn achtlos in die Tasche.
Dann erhob er sich. Er hatte jetzt Zauberkunst bei Professor Flitwick. Mit seinen Gedanken war er jedoch schon bei der übernächsten Stunde. Ihm war klar, dass ihn bei dem Versuch, einen Patronus heraufzubeschwören, alle anstarren würden. Draco biss die Zähne zusammen. Einige würden ihn auslachen, allen voran Potter und Weasley. Doch Kneifen kam für ihn nicht in Frage.
Missmutig schlenderte er nach Zauberkunst hinüber zu Verteidigung gegen die dunklen Künste. Wie befürchtet, ließ Professor Wyckham sich nicht viel Zeit. Gleich nach der Begrüßung wollte er die Zauberfortschritte sehen. Jeden einzelnen ließ er nach vorne kommen. Viele schafften immerhin Rauch zu erzeugen. Bei Zabini klatschte Professor Wyckham begeistert in die Hände. Man konnte verschwommen so etwas wie ein Eichhörnchen erkennen. »Miss Granger hat Ihnen geholfen, nicht wahr? Großartig, je fünf Punkte für Gryffindor und Slytherin.«
Draco presste die Lippen aufeinander. Das hatte es seines Wissens noch nie gegeben, dass zwei unterschiedliche Häuser Punkte für ein und dieselbe Sache bekamen. Hoffentlich zog Professor Wyckham ihm und Potter dann keine ab.
Als nächstes war Violet an der Reihe. Sie hatte bereits Tränen in den Augen, noch ehe sie ihren Zauberstab zog. »Expecto Patronum«, wisperte sie.
Nichts geschah. »Versuchen Sie es noch einmal«, sagte der Lehrer aufmunternd. »Nur keine Angst, niemand wird Sie auslachen. Wer es dennoch tut, verliert zehn Punkte für sein Haus.«
Draco war erleichtert. Er würde den Professor daran erinnern, sollten Weasley oder Potter die Kontrolle verlieren.
Auch Violets zweiter Versuch schlug fehl. »Wer hatte mit Ihnen geübt?«
»Ronald Weasley«, flüsterte das Mädchen.
»Mr. Weasley«, sagte Professor Wyckham streng. »Sie werden sich künftig mehr Mühe geben.«
»Was meinen Sie damit, Professor?«, fragte der Gryffindor.
»Weiterüben. Nächste Woche will ich ein besseres Ergebnis sehen.«
»Aber wenn sie es doch nicht kann«, versuchte der Rothaarige das Unvermeidbare abzuwenden.
»Das ist nicht tragisch. Aber ich muss das Gefühl haben, dass sich die Partner redlich bemüht haben. Und das, Mr. Weasley, habe ich bei Ihnen beiden nicht.«
Violet setzte sich wieder und Draco erhob sich. Das Letzte, was er wollte, war nochmals mit Potter zu üben. Also musste er wohl oder übel wenigstens so tun, als würde er sich anstrengen.
Er ging nach vorn. Für einen Moment schloss er die Augen, konzentrierte sich und sprach die Zauberformel. Erwartungsgemäß passierte nichts.
»Partner?«, fragte Professor Wyckham.
»Potter.«
»Ich weiß mittlerweile um Ihre – hm – Differenzen. Haben Sie den Eindruck, Mr. Malfoy, Mr. Potter habe sich nicht genug Mühe gegeben?«
Draco verstärkte unwillkürlich den Griff um seinen Zauberstab. »Nein Professor«, quetschte er hervor. »Es liegt nicht an Potter.« Er wagte nicht zu den Plätzen der Gryffindors hinüber zu schielen.
»Vielleicht würde es mit jemand anderem besser klappen. Wie wäre es mit Miss Granger?«
»Bloß nicht«, rutschte es Draco heraus. »Ich sagte doch schon, dass Potter keine Schuld trifft.«
»Wie Sie meinen. Jedoch sollten Sie es in Ihrem eigenen Interesse weiter verfolgen.«
Draco nickte widerwillig, nur um schnell wieder an seinen Platz zu kommen. Den restlichen Unterricht über war er in sich gekehrt und wartete nur darauf, endlich den Raum verlassen zu können.
Nach dem Abendessen saß Draco im Gemeinschaftsraum und lehnte sich aufatmend in dem breiten grünen Sessel zurück. Er warf die Feder vor sich auf den Tisch. Endlich hatte er den Aufsatz für McGonagall fertig. Draco wusste aus Erfahrung, es machte keinen Sinn, die Hausaufgaben vor sich her zu schieben. Das Wochenende war mit Lernen schon angefüllt genug, ohne sich noch zusätzlich mit den Arbeiten zu belasten. Er hatte keine Granger, die ihm unter die Arme griff, wenn er etwas nicht direkt verstand. In seinem Haus war es vielmehr so gewesen, dass Draco immer um Rat gefragt wurde.
Doch auch das hatte aufgehört. Außer Zabini sprach kaum einer mit ihm. Die meisten machten einen Bogen um den Sohn des Todessers, der einst ganz oben auf der Rangliste der Getreuen des Dunklen Lords gestanden hatte.
Draco reckte sich. Er fuhr sich mit gespreizten Fingern durch sein leuchtend blondes Haar.
»Fertig?«, fragte Zabini, der im Nebensessel saß und ihn beobachtete.
»Ja, für heute schon.«
»Hast du bereits deine Aufgabe angesehen?«, wollte Zabini wissen.
»Gut, dass du mich daran erinnerst. Habe ich glatt vergessen.«
Das hatte er tatsächlich. Draco griff in die Tasche seines Jacketts und fühlte den zerknitterten Vogel. Allerdings hatte er nicht die Absicht, ihn in Zabinis Beisein zu entfalten.
Er packte seine Sachen zusammen und ging in den leeren Schlafsaal. Dort setzte er sich auf sein Bett. Draco lehnte sich an die Kopfwand und holte die Papierschwalbe hervor. Langsam öffnete er sie. Seine Augen flogen über die beiden, in energischer Handschrift geschriebenen Zeilen. Elektrisiert richtete er sich auf. Er las die Aufgabe erneut.
Wütend knüllte Draco das Papier zusammen und warf es in eine Ecke. Was für eine beschissene Idee, nach Hogwarts zurückzukehren! Sein Ansehen würde er wahrscheinlich nicht verbessern können und jetzt sollte er auch noch dieses besserwisserische Schlammblut auskundschaften. Ihm war es vollkommen egal, wo sie ein unverwechselbares Kennzeichen auf der Haut trug. Vielleicht sollte er Grangers Wieselfreund aufsuchen und fragen, ob sie nicht die Aufgabe tauschen sollten.
Doch plötzlich kam ihm ein Gedanke. Er stellte sich Weasleys Gesicht vor, wenn Draco vor der ganzen Klasse die Lösung seiner Aufgabe präsentierte. Er grinste. Das gefiel ihm. So konnte er dem Blödbarsch eins auswischen und hatte dazu noch den Segen der Schulleiterin.
Wenn er es geschickt anstellte, würde er dabei sogar seinen alten Zauberstab zurückbekommen. Draco stand auf und versteckte das Papier im Geheimfach seines Koffers.
Hermine lachte auf, als sie den Inhalt ihrer Aufgabe las. Sie sollte einen Vortrag über Nicolas Flamel halten. Seit ihrem ersten Schuljahr wusste sie bestens über ihn Bescheid. Damals hatten sie stundenlang vergeblich die Bibliothek nach ihm abgesucht. Sogar in der verbotenen Abteilung hatte Harry gestöbert. Die meisten Schüler würde die Aufgabe daher vor ein echtes Problem stellen, wenn man nicht wusste, wo man beginnen sollte und zudem nicht die Möglichkeit hatte, sich mit jemand anderem auszutauschen.
Ron und Harry hatten natürlich versucht, etwas aus Hermine heraus zu bekommen. Eigentlich sollten die beiden sie inzwischen besser kennen. Sowenig, wie sie je bei ihr abschreiben durften, sowenig handelte sie gegen die ausdrückliche Anweisung eines Lehrers.
Egal, was für eine Aufgabe die beiden zu bewältigen hatten, Hermine wusste, sie würden bis auf den letzten Moment damit warten. Zumindest Ron würde, von Torschlusspanik gepackt, auf Hermines Mitleid hoffen und um Hilfe betteln.
Manchmal ging ihr das gehörig auf die Nerven. Schließlich war sie weder seine Babysitterin, noch seine Mutter. Doch wenn er sie dann wieder anlächelte und seine Sommersprossen dabei auf der Nase regelrecht zu tanzen schienen, verflog ihr Missmut sofort.
Hermine stand nach dem Arithmantikunterricht im Gang und wartete auf Professor Vector. Malfoy war noch im Klassenzimmer und hatte einige Fragen.
Hermine drehte der Tür den Rücken zu, setzte ihre Tasche ab und holte ein Haargummi heraus. Sie band ihre stets störrischen Locken zu einem Knoten zusammen. Plötzlich spürte sie ein Kribbeln im Nacken. Sie fuhr herum. Malfoy stand keinen halben Meter hinter ihr und starrte sie an.
Hermine war so erschrocken, dass sie zuerst keinen Ton herausbringen konnte. Dann funkelte sie Malfoy kampflustig an. »Suchst du was Bestimmtes?«
Ehe Malfoy den Mund öffnen konnte, tauchte Ron im Gang auf.
»Finger weg von meiner Freundin!«, rief er sofort.
Malfoys Blick hatte etwas Träges an sich, als er sich Ron zuwandte.
»Sonst geht's noch, was Weasley?«
»Hermine, hat er dich beleidigt?«
»Nein, er hatte noch keine Gelegenheit dazu.«
»Ob du es glaubst oder nicht, Granger, das hatte ich auch nicht vor.«
Hermine sah den Slytherin an. »Fällt mir schwer das anzunehmen.«
Malfoy zuckte mit den Achseln, schulterte seine Tasche und ging betont langsam den Gang entlang.
Hermine blickte ihm nach. Er hatte sie bestimmt nicht angestarrt, weil er sie plötzlich attraktiv fand. Vielleicht hatte es etwas mit seiner Aufgabe zu tun. Sie würde auf der Hut sein.
»Was wollte der Kerl von dir?«
»Ich weiß es nicht. Du kamst ja direkt, ich hatte keine Möglichkeit mit ihm zu sprechen.«
»Höre ich da ein Bedauern?«
»Sag mal, spinnst du? Was ist denn in dich gefahren?«
»Du hättest seinen Blick sehen sollen. Es war als wollte er dich ... wie heißt das noch bei den Muggeln, wenn sie einem in den Körper schauen?«
»Röntgen.«
»Genau so sah es aus. Ich glaube, er will was von dir.«
»Du bist ja verrückt. Malfoy wäre der letzte Mensch an dieser Schule, der sich mit mir einlassen wollte.«
»Warum hat er dich dann so fixiert?«
»Ich weiß es nicht und es ist mir auch egal.«
»Besser, ich behalte ihn im Auge«, murrte Ron.
Hermine schnappte ihre Tasche und eilte ohne ein weiteres Wort zum Gryffindorturm. Dort angekommen fiel ihr ein, dass sie vergessen hatte, Professor Vector ihre Frage zu stellen.
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