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Das Sprichwort „Der Boden wurde einem unter den Füßen weggezogen", war für mich immer bloß das, was es war: ein Sprichwort. Doch jetzt...
Als mein Mund auf seinen trifft, stößt Henry ein undeutliches Geräusch aus und ich fange es mit meiner Zunge auf.
Es kann so viel wie: „Was zum Teufel machst du da?" heißen, oder eben auch „Mach weiter!", doch die Frage bleibt offen im Raum stehen. Selbstsicher dränge ich meinen Körper gegen seinen, bis er rücklings gegen die Lehne des Sofas stößt. Ich lasse meine Hand zu seiner Wange hinaufwanden, bis ich sie in seinem leichten Bartschatten vergrabe.
Verdammt, mach weiter. Ob er meine Gedanken hören kann, weiß ich nicht, aber er tut es. Und verdammt gut sogar.
Seine Hände gleiten zu meiner Hüfte und endlich erwidert er den Kuss. Unsere Zungen treffen stürmisch aufeinander, wodurch seine Anspannung sichtlich abfällt. Ich lehne mich ein kleines Stück nach hinten um seinen Zustand betrachten zu können. Henrys Augen sind dunkel. Sie erinnern mich an Obsidian. Diese dunklen Steine, die ein strahlend helles Licht reflektieren.
In derselben Sekunde greift er nach meiner Schulter, reißt mich wieder an sich und presst seine weichen Lippen auf meine, die sich bereits taub anfühlen. Trotz des Stoffe meines Kleides breitet sich eine Gänsehaut aus. Er vertieft den Kuss und schiebt seine Zunge hungrig in meinen Mund. Er strahlt so ein überraschendes Charisma aus, welches meine verdammten Knie weich werden lässt. Und das hatte ich hatte noch nie. Bei keinem Typen und auch in keiner anderen Situation. Darüber habe ich nur gelesen, meistens in meinen eigenen Büchern. Für einen Moment bleibt mir die Luft weg. Fest kralle ich meine Finger in seinen Hoodie um ihn näher zu ziehen. Zwischen uns ist kein Zentimeter mehr platz und ich spüre seinen Brustkorb unter meinen Händen vibrieren. Als Henry meine Unterlippe zwischen seine Zähne zieht und zubeißt, breitet sich in meinem ganzen Körper Wärme aus. Heilige scheiße. Wer hätte gedacht, dass Henry so krass gut Küssen kann? Er ist ein komplettes Überraschungspaket. Und ich liebe Überraschungen.
„Das sind schon mehr als 20 Sekunden. Wir haben es verstanden", ruft Pen und reißt uns aus unserer eigenen gemeinsamen Welt. Ich lehne mich zurück, ohne meinen Blick von Henry abzuwenden. Sein eigener Blick ist unergründlich. Ich räuspere mich und tue so, als wäre nichts vorgefallen.
Ich zwinkere ihm zu. „Gern geschehen Mr. Green."
Ich setze mich zurück auf meinen eigentlichen Platz. Die Blicke der Anderen sind so amüsant, dass man sie auf Fotos festhalten müsste.
Das Spiel geht weiter, jedoch passiert nichts spannendes. Meine Gedanken kreisen immer noch um diesen Kuss. Was war das?
Gegen halb Zehn war das Haus üppig gefüllt und ich mache mich mit Henry auf den Weg in die Küche um Alkohol zu besorgen. Er Folgt mir, sagt jedoch nichts.
„Hast du die Blicke der anderen gesehen? Die lassen dich für heute Abend in Ruhe", versuche ich die Situation aufzulockern.
„Mhh...", brummt Henry als Erwiderung.
Die Küche ist überfüllt. Überall stehen Studenten dicht aneinander und streiten sich um die letzten tropfen Bier. Die Meisten sind schon relativ betrunken.
Ruckartig bleibt Henry stehen, als wäre er augenblicklich festgefroren. Sein ganze Körper zittert und eine dünne Schweißschicht bildet sich auf seiner Stirn. Seine Augen zucken hektisch hin und her. Ich höre wie sich seine Atmung beschleunigt, er jedoch trotzdem kaum Luft bekommt.
Ich packe seinen Arm und versuche die Benommenheit abzuschütteln.
„Hey, Was ist los?", frage ich ihn. Keine Reaktion. Eine schreckliche Vorahnung trifft mich. Die Symptome kenne ich von mir selbst, daher weiß ich auch, wie ich handeln muss. Ich ziehe ihn hinter mir her in die Toilette, den einzigen ruhigen Ort in diesem beschissenen Haus.
Sein Körper zittert noch heftiger als zuvor.
„Nein... nicht, nein, nein..." murmelt er. Verzweiflung macht sich in mir breit. Ich verschließe die Tür hinter uns und hocke mich neben Henry auf den Boden. Mit meiner Nähe scheint er kein Problem zu haben. Mit der einen Hand umfasse ich seine Wange, mit der Anderen sein Kinn und hebe seinen Kopf, damit er mich ansieht.
Seine Augen weiten sich. Tränen liegen in ihnen. Ich sehe seinen inneren Kampf, sie unterdrücken zu wollen.
„Schhh. Alles gut. Tief Einatmen. Hast du mich gehört?" Ich dachte schon, nicht zu ihm durchgedrungen zu sein, bis er schwach nickt.
„Ich mache es mit dir zusammen. Also. Einatmen. Ausatmen. Einatmen...", einige Minuten sitzen wir genau so da. Ich schlinge einen Arm um ihn, damit ich ihm Halt geben kann. Sein Herzschlag ist immer noch viel zu schnell, als dass es gesund sein kann.
„Ich weiß nicht, was die Situation ausgelöst hat, aber denke genau an das Gegenteil. Stelle dir vor, du bist in deinem Zimmer. Neben dir liegt Mr. Green und schnurrt. Du bist alleine und ansonsten ist alles still. Dein Herzschlag schlägt langsam, angepasst an deine Atmung" Die nächste 10 Minuten flüstere ich ihm ohne Pause beruhigende Worte zu. Er hat mir erzählt, seine Wohnung sei der Ort an dem er sich sicher fühlt, also versuche ich ihn mental dort hinzubringen.
Sein verkrampfter Oberkörper fällt leicht in sich zusammen, es ist ein Anzeichen der Beruhigung. Mittlerweile versperren wir die Toilette seit 20 Minuten aber das ist mir egal. Mein Kleid ist von seinen Tränen durchnässt. Für einige Minuten ist es still. Nur die leise Musik der Feier dringt zu uns durch.
„Danke." Henrys stimme klingt rau und gebrochen. Sein Flüstern wird von meinem Körper gedämpft.
„Ist doch selbstverständlich."
„Ist es nicht. Du hast mir heute ziemlich oft geholfen", rechtfertigt er sich.
Ich schnaube und traue mich nicht, mich zu bewegen.
„Die Tatsache, dass ich Grund für deinen Zustand bin, überwiegt meiner Meinung nach alle anderen Heldentaten", erwidere ich.
„Du bist nicht Schuld. Können wir einfach von hier verschwinden?"
„Natürlich. Komm." Ich stehe auf um Henry meine Hand entgegen zu strecken. Er guckt mich vom Boden aus mit geröteten Augen an. Sein Anblick verursacht einen Stich in meinem Magen. „Lass uns gehen. Halte dich einfach dicht hinter mir." Er greift nach meiner Hand und setzt sich auf. Ich öffne die Badezimmertür ohne seine Hand loszulassen. Nachher werde ich ihn näher befragen aber jetzt geht es darum, ihn aus diesem verdammten Haus zu bringen.
Ohne eine Verabschiedung laufen wir nach draußen. Der Weg verläuft überwiegend schweigend. Im Auto schalte ich das Radio leise an, um die Stille zu dämpfen. Eine Zeit lang sagt keine von uns beiden etwas. Der Motor ist noch aus.
„Das war eine Panikattacke, stimmt's?", frage ich leise.
Seine Antwort ist nur der Hauch eines Flüsterns. „Ja." Henry legt den Kopf schief und blickt mir in die Augen. „Es tut mir leid, dass ich deinen Abend versaut habe."
„Ist das dein ernst? Du hattest einen Anfall und entschuldigst dich bei mir?" Ich atme hörbar ein. „Möchtest du mir verraten, was da drinnen passiert ist?" Er verspannt sich „Ich dränge dich zu nichts Henry. Aber manchmal tut es einem selber gut, sein Leid anderen anzuvertrauen. Wie heißt es so schön? Geteiltes leid ist halbes Leid."
Ich merke an seiner geknickten Körperhaltung, dass ich zu ihm durchgedrungen bin.
„Ich leide schon seit beinahe 7 Jahren an Panikattacken." Ich warte, damit er weiterspricht. „Ich halte es zwischen so vielen Menschen nicht aus. Ich leide unter Agoraphobie. Ich bekomme Platzangst." Er starrt auf seine Fingerknöchel, die weiß hervortreten. „Ich bekomme Panik. Es fühlt sich von allem einfach zu viel an. Am Tag ziehe ich mich in meiner Wohnung zurück. Dan weiß von meinen Problemen. Dinge wie joggen gehen, mache ich Nachts, weil ich wegen meiner Albträume nicht schlafen kann." Der Blick mit dem er mich betrachtet sieht gebrochen und verzweifelt aus. „Jetzt weißt du, was für ein Freak ich bin."
Bei seinen Worten dreht sich mein Magen um. Panikattacken entstehen nicht von heute auf Morgen. Sie werden durch schreckliche Erlebnisse ausgelöst.
„Du bist kein Freak, Henry. Wir sind uns ähnlicher als mir lieb ist, denn ich habe den ganzen Scheiß auch hinter mir."
Ruckartig hebt er den Kopf und schaut mich mit diesem Intensiven Blick an, der mich das Atmen vergessen lässt.
„Wie meinst du das?"
Ella ist die Einzige, die von meiner Vergangenheit bescheid weiß. So ungern, wie ich über dieses Thema rede, bin ich es ihm in gewisser Weise schuldig, nachdem er mir so viel von sich preisgegeben hat.
„Ich hatte auch eine Zeit lang mit Panikattacken zu kämpfen. Mein ganzer Alltag hat sich nach ihnen gerichtet. Auch heute passieren noch Rückschläge aber im Großen und Ganzen habe ich sie besiegt."
Ungläubig guckt er zu mir runter.
„Wie?", ist das einzige Wort, das er zustande bekommt.
„Es hört sich dumm an, aber ich habe mir nie professionelle Hilfe geholt. Meine Freundin Ella weiß über meine Vergangenheit in Woodhill bescheid, wir sind dort zusammen aufgewachsen. Sie studiert Psychologie und ist gut in dem was sie tut. Sie hat mir geholfen."
Henry seufzt. „Ich habe mir auch nie Hilfe geholt."
„Du bist doch bei Mrs. Hilten in Behandlung", stelle ich fest, doch mir dämmert, was er gleich sagen wird.
„Sie weiß nichts von den Panikattacken", bestätigt Henry meine Vorahnung.
„Warum?"
„Mir ist es unangenehm. Ich komme auch so relativ gut im Alltag zurecht. Ich möchte meinen Eltern nicht noch mehr Sorgen bereiten. Ich bin in Behandlung, um meine Albräume in Griff zu bekommen und all den damit Verbundenen Scheiß"
Ich harke nicht weiter nach.
„Wie fühlt es sich an?", frage ich ihn mit verschwitzten Händen.
„Wie fühlt sich was an?
„Deine Attacken." Er überlegt eine Weile und ich lasse ihm die Zeit, die er braucht.
„Es fühlt sich an wie... als würde ich Feuer einatmen."
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