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Die restliche Woche verlief normal. Am Donnerstag Abend kam Ella spontan vorbei, um eine weitere Folge Riverdale zu gucken.
Sie hatte schon immer eine heimliche Vorliebe für den Schauspieler von Archie Andrews, weshalb wir die Serie zum 5. Mal von Beginn an starteten. Ich erzählte ihr von meinem Projekt mit Henry und dass wir am Freitag zusammen auf ihrer Party aufkreuzen würden.
Ihre Reaktion fiel durchwachsen aus.
„Dieser Kerl aus meinem Geschichtskurs? Ihr seid wie Tag und Nacht, meinst du wirklich, dass du ihm helfen kannst?", fragte sie mich mit skeptischem Blick. Ich versuchte das Thema schnell zu beenden, um nicht näher drauf eingehen zu müssen.
Am Freitag Nachmittag stand Arbeit an. Zusammen mit Mrs. Hilten bin ich die Fallakten der Patienten durchgegangen. Sobald mir die Akte von Henry ins Auge fiel, musste ich den Drang unterdrücken, mir sie durchzulesen. Bevor ich später etwas bereuen würde, habe ich die Akte beiseite gepackt und mich den Restlichen gewidmet.
Gegen 8 Uhr komme ich in meinem Wohnheim an. Auf dem Weg dorthin, unterhalte ich mich kurz mit den restlichen Mitbewohnern, die sich im Wohnzimmer versammelt haben. Wenn keine Party ansteht, ist am Freitag Filmabend angesagt. Sie fragen mich, ob ich mitschauen möchte, jedoch lehne ich ab. Ich habe noch eine halbe Stunde Zeit mich zu richten bevor ich Henry abholen kommen würde.
Ich entscheide mich für ein enges, rotes Kleid, welches meine Kurven zur Geltung bringt. Meine Haare sind von Natur aus wellig, sodass ich sie nur mit Haarspray fixieren brauche. Zusammen mit meinen schwarzen Stilettos gefällt mir mein Outfit. So kann ich mich durchaus sehen lassen.
Jetzt stehe ich vor einem Wohnkomplex, Zehn Minuten von der Uni entfernt. Bevor ich nach Princeton gezogen bin habe ich mich ebenfalls nach einer eigenen Wohnung umgesehen. Die Mietpreise in Uninähe sind jedoch unnormal hoch, die ich mit meinem kleinen Nebenjob und der Unterstützung meiner Eltern, niemals bezahlen könnte.
Es ist eine schöne Gegend. Das Haus wirkt von außen neu und modern. Und teuer.
Ich schleiche mich durch die Tür und gehe die Treppen hinauf. Er hat einen Mitbewohner namens Dan, mit dem er sich die Wohnung teilt. Ich achte auf die Namensschilder der Türen. Im Zweiten Stock fällt mir der name Buckley und Silver ins Auge. Ich meine mich erinnern zu können, dass er sich vor dem Café mit dem Nachnamen Buckley vorgestellt hat. Auf gut Glück klingle ich an der Tür.
Ich höre keine Geräusche doch kurze Zeit später nehme ich ein Fluchen wahr. Es ist definitiv Henrys Stimme. Die Tür öffnet sich ein Stück und mir fehlen die Worte. Ernsthaft.
Henry steht hinter der Tür. Ein Handtuch ist um seine Hüften geknotet. Mehr nicht. Doch ich bin nicht die einzige, die wie bekloppt starrt. Seine weit geöffneten Augen mustern mich von der Schuhspitze bis zu meinem Haaransatz. Henrys Adamsapfel bewegt sich als er laut schluckt. Auch wenn mir bewusst ist, dass ich ihn anstarre, kann ich damit nicht aufhören. Klar sieht man, dass er keinen schlechten Körper hat aber das... hätte ich nicht erwartet. Er hat einen definierten Bach, gehört aber nicht zu diesen Muskelpaketen, wo ich immer Angst bekomme, zerquetscht zu werden. Seine Haut ist leicht gebräunt und ich kann die Schatten eines Tattoos erkennen. Bevor ich länger darüber nachdenken kann, räuspere ich mich und zeitgleich läuft er dunkelrot an.
„Äh... komm doch rein, ich war gerade unter der Dusche und ziehe mich schnell um. Dan ist nicht da, mache es dir gemütlich", unterbricht Henry, mit tieferer Stimme als sonst, die Stille. Ohne auf eine Antwort oder Begrüßung von mir zu warten, strebt er das Bad an und schließt die Tür hinter sich ab.
Perplex bleibe ich im Eingangsbereich stehen, meine Gedanken fliegen mir regelrecht um die Ohren. Umso öfter ich darüber nachdenke, desto mehr Sachen fallen mir an Henry auf, die im Gegensatz zu seinem schüchternen Auftreten stehen.
Etwas kitzelt mich an den Beinen und befreit mich aus der Starre. Mein Blick streift eine rote Katze mit leuchtend grünen Augen, die mich sofort an Henry erinnern. Wie passend. Sie umrundet mich und rekelt sich an meinen Beinen. Ich bücke mich nach unten und kraule den roten Kater. Ich ernte ein wohliges Schnurren als Antwort, eine indirekte Aufforderung, nicht aufzuhören.
Ich nehme die Katze auf den Arm und sehe mich in der Wohnung um.
Auch von innen ist die Wohnung modern. Der Eingangsbereich ist mit dunklen Kirschholzmöbeln ausgestattet und mit schwarzen Dekoelementen personalisiert worden.
Links befindet sich das Wohnzimmer. Ein gemütlich aussehendes schwarzes Ecksofa ist mit mehreren Kissen belegt und sieht so gemütlich aus, dass ich mich hineinwerfen möchte. Das Interessanteste ist jedoch die Küche.
Schon Zuhause in Woodhill verbrachte ich hauptsächlich meine Zeit in unserer kleinen Küche. Klein kann man Henrys Küche jedoch nicht beschreiben. In der Mitte befindet sich ein riesiger Kühlschrank mit Zwei Türen und integriertem Eiswürfelspender. Die Arbeitsfläche ist so riesig, dass man mit 6 Töpfen gleichzeitig arbeiten kann! Ich bin echt neidisch, wenn man bedenkt, wie winzig unsere Küche im Wohnheim ist, die ich mir mit fünf anderen teilen muss.
„Gefällt dir die Küche?", unterbricht Henry meine Schwärmerei.
Ich drehe mich ertappt um und stelle traurigerweise fest, dass er wieder einen dieser beigen Pullunder trägt.
„Wenn sie nicht eingebaut wäre, hätte ich sie mir geschnappt und wäre schneller geflüchtet als du Dieb sagen kannst." Er schnaubt und kommt näher. „So hast du aber nicht vor zu gehen oder?", frage ich skeptisch.
Er legt den Kopf schräg und runzelt die Stirn. „Doch, wieso nicht?" Ist das Henrys Ernst?
„Weil wir auf eine Party und nicht in eine Vorlesung gehen?!" Er antwortet mir nicht, dementsprechend rede ich weiter. „Zeig mir deinen Kleiderschrank und wir gucken, ob wir was passendes für dich zum Anziehen finden. Du machst heute deinen Ersten Schritt und wirst mit einem Mädchen flirten."
„Das kannst du nicht ernst meinen. Ich habe dir doch schon gesagt, dass das nicht meine Welt ist. Hier in meiner Wohnung fühle ich mich wohl und sicher. Alles perfekt."
„Fühlst du dich denn außerhalb deiner Wohnung nicht sicher?" frage ich, und Henry zuckt zusammen. Ich habe anscheinend ins Schwarze getroffen. Er wendet seinen Blick ab.
„Natürlich!" antwortet er eine Spur zu schnell und energisch, ohne mir in die Augen sehen zu können.
Ich lasse die Katze runter und verschränke meine Arme vor der Brust. „Ich warte."
Er dreht sich um und deutet mir an ihm zu folgen. Sein Zimmer ist - wie alles in dieser Wohnung - recht groß. Ein Boxspringbett steht mittig an der Wand und ein prall gefülltes Bücherregal nimmt den Platz rechts davon ein. Ich unterdrücke den Drang nachzuschauen, was er liest. Man erfährt häufig mehr über eine Person anhand seiner Bücher, an Stelle eines Gespräches. Ich wende mich seinem Kleiderschrank zu und öffne die linke Seite. Zum Vorschein kommen weitere langweilige Klamotten.
„Mr. Green mag eigentlich keine Fremden", unterbricht Henry die eigentlich recht angenehme Stille, woraufhin mein Herz kurz aussetzt.
„Redest du gerade von dir in dritter Person? Das ist echt komisch, lass das", antworte ich mit einem skeptischen Blick über die Schulter und wühle mich weiter durch seine Klamotten.
Er lacht. Der Boden knatscht, worauf ich mir denken kann, dass er einen Schritt auf mich zugekommen ist. „Nicht ich. Die Katze."
Bitte was? „Deine Katze heißt so, wie ich dich heimlich genannt habe? Erst der Karamell Macchiato und jetzt das? Echt schräg." Mich verängstigt diese Tatsache tatsächlich. Man sollte doch meinen, dass wir nichtmal dieselbe Luft atmen, so verschieden wie wir sind.
„Ich finde es witzig", antwortet Henry und zuckt mit den Schultern.
Ich werde im Schrank nicht fündig. Mein Vater könnte seine Klamotten tragen. Ich schließe die Tür und öffne die Zweite. Er machte ein Schritt auf mich zu und öffnet den Mund, als wolle er etwas sagen.
Aha, schon besser. Die Zweite Schrankhälfte ist gefüllt mit Hoodies, Jeans und Jacken. Sogar stylishe Sneaker.
Das verwirrt mich total. „Sind das deine Sachen?"
Henry presst die Lippen zusammen. „Ayleen, lass gut sein."
„Wieso?" Was ist daran so schlimm, mir zu sagen, ob es deine Klamotten sind oder nicht? Dass er vielleicht doch sowas wie Geschmack besitzt?
„Ja, das sind meine Sachen. Ich habe sie lange nicht mehr getragen."
Dass mehr dahinter steckt, bemerke ich sofort, aber wenn er nicht darüber reden will, akzeptiere ich die Tatsache. Ich ziehe eine blaue Jeans, einen Grauen Pullover mit teurem Markenzeichen und ein Paar Nikeschuhe aus seinem Schrank. Mir fällt auf, dass es sich bei jedem Kleidungsstück um eine Markensachen handelt. Scheint, als seien seine Eltern wohlhabender als ich gedacht habe.
„Anziehen! Jetzt!"
Henry verdreht die Augen und fährt sich mit der rechten Hand durch die Haare. „Du bist ganz schön nervig, weißt du das?"
Ich zucke mit den Schultern. „Man hat mich schon schlimmes genannt."
„Bestimmt." schnaubt er ironisch. „Du bist beliebt, siehst super aus, hast viele Freunde, bist Selbstbewusst...soll ich weiter aufzählen"
Perplex bleibt mein Mund offen stehen. Was denkt er sich dabei, so über mich zu urteilen? Als würden solche Oberflächlichkeiten mein Leben perfekt machen. Ich balle meine Hand zur Faust, damit ihm nicht doch noch ins Gesicht schreie, was mir durch den Kopf geht. Hilft leider nicht.
„Du hast doch keine Ahnung von meinem Leben. Du kennst mich nichtmal. Auch ich habe mit Problemen zu kämpfen. Ich...", entfährt es mir aus vollem Halse, bis mich Henry unterbricht. Er umfässt mein Handgelenk und senkt meinen erhobenen Zeigefinger, der drohend auf seine Brust zeigt.
„Es tut mir leid, du hast recht." Ich bin mir nicht sicher, ob er die Entschuldung ernst meint oder einfach einen Streit verhindern möchte, doch den Gedanken ignoriere ich. „Gib mir einfach die Klamotten und lass uns den Abend hinter uns bringen." Ich reiche ihm die Sachen und er verschwindet wieder im Bad. Ich nutze die Zeit um mich in seinem Zimmer umzugucken.
Sein Bücherregal ist gefüllt mit Romanen und Schätzen der Bellesterik. Ich kenne beinahe jedes seiner Bücher oder habe mindestens eine Rezension über das Buch gelesen. Mein Lieblingsbuch Stolz und Vorurteil von Jane Austen befindet sich ebenfalls im Regal. Es sieht benutzt aus, wahrscheinlich weil er es schon oft gelesen hat. Es tut mir beinahe im Herzen weh, wie geknickt die Rückseite des Buches ist.
Als ich noch jünger war dachte Hank, dass es lustig sei, all meine Buchrücken zu knicken um mich zu ärgern. Es eskalierte jeden Tag bis Mom ihn dazu verpflichtet hat jedes ruinierte Buch neu zu kaufen. Seitdem lässt er mein Bücher in Frieden. Die meisten musste ich zu Hause in Woodhill lassen, weil die Kartons sonst zu schwer gewesen wären. Stolz und Vorurteil ist eines der zurückgelassenen Bücher. Es war ein Versehen.
Ich höre wie sich die Tür hinter mir öffnet.
„Darf ich mir das Buch ausleihen? Meine Ausgabe liegt...", fange ich im Umdrehen an zu fragen und halte abrupt inne. Wow. Er sollte öfters diese Sachen anziehen. Der Hoodie Umspannt seine breiten Schultern, sodass sie hübsch zur Geltung kommen und seine Jeans sitzt ihm locker auf der Hüfte. Ich sage es irgendwie ungern, aber Henry sieht heiß aus.
Er merkt meine Musterung und wirkt nervös.
„Der Pulli ist zu eng", sagt er beinahe trotzig wie ein Kind. Süß.
„Quatsch, der steht dir super. Du solltest sowas öfter tragen. Nicht so Leger sondern...chillig. Glaube mir, so kommen wir heute Abend beide auf unsere kosten und werden Spaß haben."
„Wer sagt, dass ich Spaß haben und flirten möchte?", fragt Henry mich allen Ernstes.
„Du bist auch nur ein gutaussehender Kerl."
Darauf zieht er seine rechte Augenbraue hoch. Eine Stumme Frage. Er denkt ich würde ihn verarschen.
Ich verdrehe meine Augen „Gehörst du zu den Kerlen die Bestätigungen brauchen, wie toll sie aussehen, um ihr Ego zu pushen?"
„Nein, aber gutaussehend hat mich bis jetzt noch niemand genannt."
„Du bekommst ja auch nicht alles mit, was hinter deinem Rücken gesagt wird und in deiesen Klamotten...Überzeuge dich auf der Party selbst."
„Danke, du siehst auch gut aus." Sein Blick wandert über meine Beine, bis hin zu meinen Augen. Henrys Blick ist so intensiv, dass ich nicht wegschauen kann. Seine grünen Augen wirken eine Nuance dunkler und leuchten regelrecht. Für einen kurzen Augenblick schweift sein Blick zu meinen Lippen. Schnell wendet er seinen Blick ab und guckt auf die Ausgabe von Stolz und Vorurteil, die ich immer noch in meiner rechten Hand halte. Ich hätte schwören können, sein Gesicht rot anlaufen zu sehen.
Er räuspert sich. „Willst du dir das Buch ausleihen?" Überfordert von dem schnellen Themenwechsel, brauche ich einen Moment, um zu einer Antwort anzusetzen.
„Ja, also natürlich nur, wenn es dir nichts ausmacht. Meine Ausgabe liegt Zuhause in Woodhill."
„Ich habe das Buch Dreimal. Meine Lieblingsbücher kaufe ich mir immer öfter." Er geht auf den überfüllten Schreibtisch zu, greift nach einer neueren Ausgabe und drückt sie mir in die andere Hand. „Nimm das neuere. Du kannst es behalten. Als Dank dafür, mir zu helfen." Im Kopf gehe ich unser Gespräch durch. Ich habe in keinem Satz erwähnt, dass es mein Lieblingsbuch ist. Noch eine Gemeinsamkeit. Langsam wird es echt komisch.
„Danke. Wir sollten uns langsam auf den Weg machen."
Er guckt mir tief in die Augen, als würden unausgesprochene Worte zwischen uns liegen. „Sollten wir wohl."
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