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„Was ist passiert, Lee?", fragt mich mein Bester Freund, sobald ich mich auf den Beifahrersitz fallen lasse. Meine Mascara ist verschmiert und meine Haare sind verklettet. Ich sehe mit großer Wahrscheinlichkeit angsteinflößend aus.
Ja genau. Was verdammt nochmal ist gerade passiert? Ich weiß es selber nicht.
„Es ist nichts passiert." Natürlich ist nicht nichts passiert! Aber momentan bringe ich es einfach nicht über mich, diese Tatsache einzugestehen. Manchmal ist es leichter die Augen vor der Wahrheit zu verschließen. Exakt das, was ich gerade tue.
Peet fährt auf die Hauptstraße und überholt die Autos auf der Überholspur. Auch wenn ich starr aus dem Fenster schaue, spüre ich seinen stechenden Blick auf mir ruhen. Er glaubt mir nicht. „Das glaube ich dir nicht."
„Es ist wirklich..."
Bevor ich den Satz beenden kann, deutet er mir mit erhobenem Finger an zu schweigen.
„Wenn du mir nochmal sagen willst, dass nichts passiert ist, bleibe ich auf der Stelle stehen und du kannst zurück zur Uni trampen. Das meine ich ernst." Sein wütender Blick wird sanfter und seine Muskeln entspannen sich. „Du kannst mit mir über alles reden."
Das weiß ich. Peter ist ein wundervoller Mensch aber aus irgendeinem Grund möchte ich nicht, dass Ella von der Sache zwischen mir und Henry erfährt. Es geht nur uns beide etwas an, was Ella wahrscheinlich nicht verstehen würde. Ich habe ihr bis heute nie etwas verheimlicht und ich möchte Peet auf keinen Fall dazu zwingen etwas vor Ella zu verschweigen. Also die Kurzfassung:
„Uhm... Ich habe mit Henry geschlafen und er ist abgehauen ohne wiederzukommen."
Stille. Peets Hände verkrampfen sich um das Lenkrad und die Knöchel treten weiß hervor. Der einzige Hinweis, wie es in seinem Inneren auszusehen scheint.
„Scheiße." Ja, scheiße. Da hat er Recht. „Ich bringe diesen Typen um. Was fällt ihm ein, dich wie ein billiges Flittchen zu behandeln?"
Dankbar, dass er nicht weiter nachhakt, entspannen sich meine angespannten Muskeln. Aus welchem Grund auch immer steigt in mir das Verlangen auf, Henry zu verteidigen. Klar, verdient hat er es nicht, aber was wenn mehr hinter seinem Verhalten steckt? Es ist dumm von mir, mich an unrealistische Hoffnungen zu klammern.
„Am Besten lassen wir ihn einfach in Ruhe, und lassen Gras über die Sache wachsen."
Peets Stimme könnte nicht zweifelnder klingeln. „Wenn du meinst." Meine Tränen vergehen und die restliche Fahrt verbringen wir schweigend.
Er bringt mich bis zur Zimmertür und hält mich dort zurück. „Wenn ich irgendetwas für dich tun kann, dann melde dich bei mir. Tag und Nacht. Verstanden?"
„Danke. Für alles. Und bitte erzähle Ella nichts." Meine Kraft, für den heutigen Tag ist eindeutig verbraucht. Ich brauche Schlaf und Schokolade. Mit einer festen Umarmung verabschieden wir uns voneinander.
Mich umgibt die ohrenbetäubende Stille meines Zimmers. Eigentlich möchte ich nichts geringeres, als bis zum nächsten Nachmittag zu schlafen und mich selber zu bemitleiden. Ich bin einfach so wütend und enttäuscht. Nichtmal von Henry, sondern von mir selbst. Wäre ich Henry nie begegnet und hätte ich mich nicht in ihn verliebt, hätte ich mir meinen Herzschmerz ersparen können.
Im Badezimmer putze ich mir im Schnelldurchlauf die Zähne. Ich lasse mich in die Kissen meines Bettes fallen und starre die Decke an. Einatmen und Ausatmen. Einatmen und Ausatmen. Dabei laufen neue Tränen über meine Wange. Das schlimmste daran ist, dass ich garnicht weiß warum ich schon wieder zu einem Brunnen mutiere. So abgefuckt es auch ist, aber er hat nie gesagt, dass er mehr als eine Nacht möchte. Klar, ich dachte das Lied würde für sich sprechen, doch anscheinend habe ich mich getäuscht. Ich sehe, wie sehr er sich verändert, alleine schon in den letzten Wochen. Noch nie hat er seine Gefühle für mich - so dachte ich jedenfalls - so offen zum Ausdruck gebracht wie heute.
Aber auf seinen wunderbaren Gefühlsausbruch ist eine absolut erschreckende Flucht gefolgt. Vor mir. Bereut er alles? Meine Gedanken kreisen vor sich hin. Aber es bringt nichts. Die Müdigkeit übermannt mich und ich gleite in einen unruhigen Schlaf.
Um die Probleme kümmere ich mich morgen.
Ich werde mich um gar nichts kümmern. Es ist Samstag Morgen und die Sonnenstrahlen brechen im mein Zimmer ein. Das Klingeln meines Handys hat mich aus dem Schlaf gerissen. Es ist gerade erst Acht Uhr. Viel zu früh um aufzustehen. Als der Anrufer zum Zweiten Mal meine Nummer wählt, schäle ich mich aus meiner Bettdecke und greife nach meinem Handy. Erbärmlicher Weise hoffe ich, dass Henry mich anruft. Fehlanzeige.
Der Name meiner Mutter lässt die Seifenblase zerplatzen. Warum ruft sie mich so früh morgens an? Wehe es gibt keinen triftigen Grund.
„Hey Mom, was ist passiert?", frage ich alarmiert.
„Guten Morgen Schatz. Nichts ist passiert. Darf ich dich nicht anrufen?"
„Hast du mal auf die Uhr geschaut? Es ist Acht Uhr morgens. Am Wochenende."
„Oh, tut mir Leid. Die Zeitverschiebung vergesse ich immer wieder." Ich höre Moms Stimme an, wie sehr es ihr Leid tut. Das macht mir wiederum ein schlechtes Gewissen. Insgeheim freue ich mich wieder mit Mom zu sprechen. Unser letztes Telefonat ist zu lange her.
„Nicht so schlimm. Ich kann mich nachher für eine paar Stunden aufs Ohr hauen", versuche ich sie zu beruhigen. Es ist typisch Mom. Sie nimmt sich alles zu Herzen, was ihr oft zum Verhängnis wird.
„Schatz, ich habe im Internet gesehen, dass du nächste Woche Montag frei hast. Dein Vater hat ein Flugangebot entdeckt. Wir dachten uns, du könntest uns besuchen kommen. Wenn du möchtest, kann dich Henry natürlich begleiten. Er ist immer willkommen. Dein Bruder kommt auch." Mit Henry nach Woodhill zu fliegen, ist im Moment das letzte, was ich möchte. Also muss eine Ausrede herhalten. Ich hingegen, kann etwas Ablenkung gebrauchen, auch wenn ich gerade erst zu Besuch war.
„Henry besucht seine Eltern in Washington, aber ich komme gerne." Meine Lüge klingt überzeugender als ich mir vorgestellt habe
„Super. Ich schicke dir die Tickets, sobald dein Vater den Sitzplatz gebucht hat.
Die nächste halbe Stunde unterhalten wir uns über den neuesten Klatsch und Tratsch. Bevor wir uns voneinander verabschieden, klären wir noch die Einzelheiten wegen des anstehenden Wochenendes. Dad hat alte Freunde zum Dinner eingeladen, die ich seit langem nicht mehr gesehen habe. Ehrlich gesagt, halte ich nicht viel von der Idee, sage aber nichts.
Ich nehme mir vor, heute in die Stadt zu fahren um letzte Besorgungen zu erledigen. Der Kühlschrank hat lange nichts Essabers mehr gesehen und dem Badezimmer steht ein Rundumputz bevor. Der Plan im Flur gibt genau an wer wann mit welchen Aufgaben dran ist. Ich bin froh in dieser Verbindung untergekommen zu sein aber ich bin trotzdem dabei, für eine eigene Wohnung zu sparen. Es soll der nächste Schritt in mein eigenständiges Leben sein. Ellas Textnachrichten übersehe ich absichtlich, denn ich habe gerade nicht die Nerven dazu Fröhlichkeit vorzuspielen, wenn ich am liebsten wieder losheulen würde.
Auf dem Rückweg halte ich an einem Starbucks an und bestelle mir einen Karamell Macchiato. Shit. Mein Vorhaben, nicht an Henry zu denken, scheitert kläglich. Ich vermisse ihn, auch wenn ich immer noch total sauer auf ihn bin. Am meisten stört mich, dass er sich nichtmal gemeldet hat um sich zu entschuldigen. Er hat mich weder angerufen noch hat er mir eine Nachricht geschrieben. Nichts. Was fällt ihm ein? Es passt einfach nicht zu dem Henry den ich kenne.
Sobald ich die Haustür hinter mir ins Schloss fallen lasse, gehe ich meinen Aufgaben nach die mir bevorstehen. Es ist ein Versuch, auf andere Gedanken zu kommen, die nichts mit Henry zu tun haben. Angefangen bei den Toiletten bis hin zum Staubsaugen, bringe ich das Haus regelrecht zum Glänzen. Zwei meiner Mitbewohner leisten mir Gesellschaft auch wenn sie nicht gerade hilfreich sind. Es ist bereits dunkel und sie reden immer noch über den heißen neuen Lehrer.
Meine Ohren Bluten.
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