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Nach einer langen Dusche föhne ich in rekordgeschwindigkeit meine Haare und knote sie zu einem unordentlichen Dutt zusammen. Auf dem Weg ins Wohnzimmer mache ich einen Abstecher in die Küche und wärme in der abgenutzten Mikrowelle eine Verpackung Fertignudeln auf, welche in Ellas Augen die reinste Sünde sind.
Am Tresen sitzen meine Mitbewohner. Sie unterhalten sich angeregt über die anstehenden Footballspiele, die am Wochenende stattfinden. Bevor einer von ihnen auf die Idee kommt, mich zum Bleiben zu überreden, verschwinde ich in meine eigenen Vier Wänden. Mit meiner Tasse Kaffe setze ich mich aufs Sofa.
Die Stille die mich umgibt tut gut. Keine lauten Bässe irgendeiner Musik und keine Leute die ein Gespräch anfangen wollen, nur um mich ins Bett zu bekommen. Das Gerücht, ich sei leichte Beute, hat mich bisher nicht gestört. Sollen die Leute doch denken was sie wollen. Aber mittlerweile habe ich ein Problem damit, dass ich nur dafür bekannt bin.
Mein Handy vibriert. Es zeigt den eingehenden Anruf von Mom an. Ich drücke auf annehmen und die Gesichter meiner Eltern und das meines Bruders erscheint auf dem kleinen Display. Auch wenn ich Mom schon etliche Male erklärt habe, dass sie mich auf meinem Laptop anrufen soll, damit ich nicht auf das kleine Handydisplay starren muss, wählt sie immer meine Handynummer.
„Hallo Schatz", dringt die liebevolle Stimme meines Vaters in mein Ohr und ich merke, wie sehr ich sie vermisst habe zu hören. „Wie geht es dir? Du siehst so erwachsen aus!"
„Hey Leute, mir gehts gut. Ich muss in ein paar Tagen einen Essay abgeben und bin deshalb ein bisschen gestresst. Gibt es was neues bei euch?" Mein Blick schweift zu meinem älteren Bruder. „Mensch Hank, du verwandelst dich ja in Hulk!"
Das ist nichtmal übertrieben. Er war schon immer eine Sportskanone, aber jedes Mal, wenn ich ihn nach längerer Zeit wiedersehe, wirkt er 10 Kilo schwerer. Er studiert Sportwissenschaften und ist Captain einer Footballmannschaft. Er gehört zu der Sorte Mensch, die sich von Proteinshakes und diesen abartigen Riegel ernähren, um Muskelmasse aufzubauen.
„Hey Lee, freut mich auch dich zu sehen", antwortet er und zwinkert mir zu. Meinen Versuch ihn aufzuziehen, lässt er umkommentiert.
Mom nutzt den Moment um zu Wort zu kommen. „Bei uns ist alles wie beim Alten. Wir sind in 5 Tagen zum Geburtstag von Amber eingeladen. Sie wird Sechzig."
Amber ist unsere Nachbarin und lebt zusammen mit ihrem Mann David in einem alten Bauernhaus. Früher, als ich noch kleiner war, verbrachte ich oft die Nachmittage in ihrem Garten und half ihr bei der Arbeit. Als Belohnung gab es immer Süßigkeiten und für Süßigkeiten tuen Kinder bekanntlich alles.
„Sie hat auch dich eingeladen."
Beim Gedanken nach Hause zu fahren und zufälligerweise auf alte Klassenkameraden zu treffen, dreht sich mein Magen um. Ich zwinge mir einen reumütigen Gesichtsausdruck auf.
„Das ist sehr nett von ihr aber ich komme hier leider nicht weg. Ich muss für die nächsten Klausuren lernen." Ich mag es nicht meine Familie anzulügen aber in diesem Fall ist es definitiv das kleinere Übel. „Aber richtet ihr gerne meine Glückwünsche aus."
Sie scheinen nichts von meinem inneren Konflikt mitzubekommen.
„Das machen wir, Schatz. Wie geht es Ella?" fragt mich Dad, und ich sehe, wie Hank leicht zusammenzuckt. Komisch. Anscheinend lässt ihn Ella immer noch nicht kalt.
„Ihr geht es soweit gut. Sie arbeitet gerade an einem Fotoprojekt über das Leben am Campus." Ellas größte Leidenschaft war schon immer das Fotografieren. Zu ihrem Zwölften Geburtstag hat sie ihre Erste eigene Spiegelreflexkamera bekommen, die sie seitdem nicht mehr aus der Hand legt. Ich habe nach einiger Zeit aufgehört zu zählen wie oft ich für ihre Fotos Modell stehen musste, doch auch ich profitiere von ihrem Hobby, indem Ella für Nachschub meines Instagram Accounts sorgt. Sie spielt mit Licht und Schatten und lässt jedes simple Foto wie ein Meisterwerk aussehen.
„Sag Ella, sie soll mir ihr Endprodukt schicken, ich möchte die Fotos unbedingt sehen", murmelt mein Bruder durch das Kissen hindurch. Verwundert sehe ich ihn an.
„Ihr habt noch Kontakt?" Davon hat mir Ella gar nichts erzählt. Es scheint, als wäre ihm das Thema unangenehm und er wirk nervös.
Hank. Nervös. Mit seinem Ego und Selbstbewusstsein, das ganz Amerika einnehmen könnte, habe ich ihn noch nie wegen eines Mädchens nervös gesehen. Er hat genau wie ich den glauben an die Liebe aufgegeben und schläft sich durchs leben. Auch wenn es bei ihm daran liegt, dass er sich nicht binden möchte und bei mir an fehlendem Vertrauen, sind wir uns ähnlicher als wir manchmal wahrhaben wollen. Ich habe ihn trotzdem lieb, er ist schließlich mein witziger, verrückter, großer Bruder.
„Naja nicht wirklich aber ähm..." Hat er gerade ähm gesagt? Es passieren noch Wunder.
Das piepen meiner Mikrowelle rettet ihn und ich schäle mich aus der Decke.
„Darüber reden wir noch Hank. Glaub nicht, dass du mir so leicht davonkommst." Mit erhobenem Zeigefinger und einem drohendem Blick stehe ich auf, um mein Mac&Chees zu holen. Im Hintergrund höre ich wie die Stimmen meiner Familie aufgeregt diskutieren. Mit einer dampfenden Portion Nudeln kehre ich zurück und ihre Stimmen verstummen.
Misstrauisch ziehe ich eine Augenbraue hoch.
„Sollte ich etwas wissen?"
Mom kaut auf ihrer Unterlippe. Das tut sie immer wenn sie nervös ist.
„Ich bin heute beim Einkaufen Kolder begegnet." Bei der Erwähnung seines Namens, spüre ich einen Stich in meinem Bauch. Mein Ex. „Er war nicht alleine. Nicki war bei ihm und sie sahen sehr vertraut miteinander aus. Wir wollten, dass du es von uns erfährst und nicht durch das Gerede in der Stadt, wenn du zum Geburtstag Heim kommst."
Mein Körper scheint in einer Art Starre zu sein. Meine Gabel verharrt auf halbem Weg zum Mund und mein Magen dreht sich gleich Zweimal um. Wie auf Knopfdruck vergesse ich meinen Hunger und mir kommt beinahe alles wieder hoch. Nicki war neben Ella meine einzige Freundin. Wir haben uns während eines Schulprojekts kennengelernt und uns sofort super verstanden. Die nächsten Monate sind wir drei zu Freundinnen zusammengewachsen. Nachdem ich die Beziehung mit Kolder beendet habe und schließlich mit Ella nach Princeton gegangen bin, hat sie den Kontakt abgebrochen. Anfangs habe ich versucht noch von unserer Freundschaft zu retten, was zu retten ist, aber sie hat weder Ella noch mir geantwortet. Jetzt zu erfahren, dass sie anscheinend mit Kolder zusammen ist, verletzt mich mehr als es sollte. Mich so zu hintergehen, habe ich selbst ihr nicht zugetraut. Dass ich Mom versprochen habe, an ihrem Geburtstag vorbei zu kommen, verschlimmert die ganze Situation nur noch mehr.
„Ayleen Liebling. Alles in Ordnung?", fragt mich Mom besorgt und Hank murmelt ihr etwas zu, was sich wie "Natürlich nicht Mom" anhört.
Nein ist es nicht!
„Natürlich. Alles gut. Es ist schon lange her." Die Zweite Lüge an diesem Abend. Sie sollen sich keine Sorgen um mich machen, schließlich bin ich hierher gekommen um selbstständig zu werden. Mom weiß, dass ich lüge. Ihr Blick sagt mehr als Worte es könnten. Eine unangenehme Stille breitet sich aus, einzig das Ticken meiner Küchenuhr ist zu hören.
Ich hole tief Luft und gucke von meiner Schüssel hoch. „Wirklich. Es geht mir gut."
Die nächste halbe Stunde reden wir über Dads Job und Hank erzählt mir von seinem Leben an der Uni. Ich höre nur teilweise zu, da mich der Gedanke an Kolder nicht in Ruhe lässt. Ich liebe ihn nicht mehr. Mir ist ist aufgefallen, dass ich fast zu schnell über ihn hinweg war. Trotzdem bin ich nicht weniger verletzt.
Nachdem wir uns verabschiedet haben und ich Mom zum 5. Mal versprochen habe, dass ich zurecht komme wechsle ich zu Ellas Chat. Ihr Profilbild zeigt uns beide Arm in Arm auf einer Party, während wir uns glücklich anlachen.
Ich: Lust ins Bonfire zu gehen?
Das Bonfire ist eine Disco in der Innenstadt von Princeton. Ich brauche Ablenkung und das Bonfire scheint mir perfekt dafür. Ella antwortet mir schon nach wenigen Sekunden.
Ella: Wir haben Montag, Schätzchen.
Ella: Aber wenn du dich abreagieren musst, bin ich dabei.
Dies ist einer der Gründe warum ich sie so liebe. Sie versteht mich ohne näheres sagen zu müssen.
Ich: Danke Ella du bist ein Schatz <3
Ich: In 30 Minuten beim Auto.
Ich renne ins Badezimmer und ziehe mir ein bildschönes Kleid an.
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