3. Spitze und Stehkragen
Jimmys Lächeln strahlte mir entgegen, als er uns erblickte.
Mein Engel hatte ihre Hände zu ihm emporgestreckt und ihre glitzernden Augen hatten sich an Jimmys Hackennase festgesetzt.
„Da freut sich ja jemand mich zu seh-", fing er schmunzelnd an, wurde aber durch Angels freudigen Schrei: „Kehsee!", unterbrochen. Er drehte sich verletzt weg, wobei ihm eine dicke Haarlocke ins Gesicht fiel. Er versuchte enttäuscht auszusehen, doch sein breites grässlich hässliches Lächeln verriet ihn.
„Worauf wartete ihr noch?", fragte er dann amüsiert, als er ins Haus marschierte, „Die Kekse warten auf euch."
Mit einem Grinsen äffte ich ihn nach. „Das habe ich gesehen", sagte er, als er schon längst im Inneren verschwunden war.
Angel kicherte vergnügt und schüttelte dabei heftig den Kopf. Ich strich ihr über den Kopf und lachte mit ihr. Ja, es war unmöglich, dass er mich gesehen hatte.
„Angi, er kennt mich einfach viel zu gut."
Ich schob sie über die Schwelle und die Tür ging mit einem Rumsen zu.
Wie Immer empfing mich der Geruch nach Zitrone und der zarte Hauch von Vanille. Der Anblick des kaputten Klaviers, welches nicht mehr alle Tasten besaß, begrüßte mich, wie der alte Schrank und die zerflederte braune Wandtapete. Wie immer.
„Wer nicht kommt zur rechten Zeit, der muss Essen was übrig bleibt", schrie Jimmy.
Angels Kopf fuhr ruckartig zu mir herum.
Eine Aufforderung mich verdammt nochmal zu beeilen.
-----
Das flackernde Licht der Kerze strich über Jimmys Kinn und zeichnete dünne Striche auf seine rechte Wangenseite.
„Angi schläft tief und fest", flüsterte ich, wobei meine Stimme, die über uns liegende Stille wie ein Messer zerschnitt. Ich bereute schon fast, etwas gesagt zu haben.
Seine bloßen Blicke lagen auf mir, als ich mich auf die abgewetzte Bank setzte. Schweigend fing ich an zu essen, oder eher die Kartoffeln auf meinem Teller wahllos herumzuschieben. „Val."
Ich hob meinen Blick.
„Es ist okay", meinte er, ein zartes Lächeln umspielte seine Lippen.
Ich schüttelte langsam den Kopf.
Seine Haut war blass, sein Lächeln müde, seine Augenringe unübersehbar.
„Nein, Jimmy. Ich will nicht... Ich will nicht, dass du das noch länger für uns tust!"
Seine treuen Augen blickten liebevoll zu mir. Sie schauten, als könnte er mich nicht verstehen.
Ich ertrug es nicht mehr, starrte hilfesuchend aus dem neben uns liegenden Fenster. Es war klein, doch es ließ dieses Zimmer etwas größer wirken und einem wohler fühlen.
Jimmys warme Hand legte sich um meine. Ein seltsamer Anblick, da meine Hand größer als seine war.
„So schlimm ist es gar nicht."
Wie als wollte er mich davon überzeugen, nickte er kräftig mit schräg gehaltenem Kopf. Ich entzog ihm meine Hand.
„Tu nicht so, Jimmy. Ich sehe doch wie du aussiehst! Du bist komplett überarbeitet!"
Meine brauen Haare streiften den Tisch, als ich mich aufgebracht erhob.
Das Holz knarrte hart, als Jimmy es mir gleichtat.
„Val, trotzdem überlebt ihr nur gerade noch so!" Sein Adamsapfel hüpfte schwer, als er realisierte, dass er mich soeben angeschrien hatte.
Das hatte er noch nie getan.
Es ging ihm nicht gut. Nur wegen mir.
Er hob seine Hände, wollte auf mich zugehen, doch stoppte, als er mir ins Gesicht blickte. Was auch immer er dort sah, er blieb regungslos stehen.
Die braune zerlöcherte Jacke fand seinen Platz auf meinen Schultern. Leicht, aber sogleich auch schwer wie ein nasser Lappen hang es auf mir.
„Geh nicht. Geh nicht dahin." Seine Stimme war nur noch ein Flüstern. Ein raues Wehen, was mich zur Tür begleitete. Meine Hand, die sich auf den Türknauf gelegt hatte, erstarrte.
Ich schluckte schwer und versuchte diesen Kloß aus meinem Hals herauszubekommen, unmöglich. Als würde ihn jemand dort gefangen halten.
Nie hatte ich mich so sehr dafür gehasst, ihm den Rücken zuzudrehen. Ohne ein letztes Wort, verließ ich seine Wohnung. Leise. Als wäre ich ein Einbrecher, die nun in die dunkle Nacht flüchtete.
Ich wusste, dass ich meine Entscheidung nicht bereuen würde. Ich war mir sicher.
-----
Das Banner leuchtete rosarot und versenkte mir die Augen. Mit geballten Händen betrat ich das Bordell. Geballt, weil ich sie so daran hinderte zu zittern.
Ein schwarzer Kronleuchter, welches trübes Licht spendete und blutrote Sessel, die sich an einem schwarzen Läufer entlangschlängelten, drängten sich in mein Sichtfeld. Weiße Rosen befanden sich in kupferfarbenen Vasen, die an den künstlerisch verzierten Wänden hangen. Dieser Geruch nach Blumen, der in der Luft hing, verhedderte sich in meiner Nase und verdrängte meine Sorgen.
„Hallo Süße", sprach mich eine quietschende Stimme von der Seite her an.
„Wie kann ich Ihnen-", ich unterbrach sie: „Ich möchte arbeiten."
Mein Blick schnellte nun zu dem großen Mädchen mit den weitaufgerissenen Augen.
Sie streckte mir ihre operierten Brüste entgegen, als sie sich vorlehnte, um mich zu mustern.
Die Blondine öffnete ihren Mund, um etwas zu sagen, da kam ich ihr zuvor. „Ich möchte sofort anfangen."
Eine Weile tat sie nichts, außer mir boshaft ins Gesicht zu blicken. Dann nickte sie, begleitet mit einem wütenden Schnauben. „Warte hier", schallte mir ihre hohe Stimme entgegen, als sie sich von mir abwandte und durch einen von mir unbemerkten Vorhang schritt.
Sofort erklang ihre Stimme: „Ein Mädchen will hier arbeiten, Zoe."
„Wer ist sie?"
„Woher soll ich das Wissen, aber sie schaut gut aus." Ich konnte mir vorstellen, wie die blonde eingeschüchtert mit ihren Schultern zuckte.
Plötzlich wurde der Vorhang zur Seite gerissen und zum Vorschein kam eine ältere Frau, die einen hohen Zopf trug und in einem violetten Schlafgewand gehüllt war.
Ihre langen Finger umschlossen grazil den Vorhang, während ihre zu Schlitzen gezogenen Augen auf meine trafen.
Schwarze Fingernägel waren auf einmal dicht vor mir und umfassten mein Gesicht. Ehe ich reagieren konnte, bohrten sich die spitzen Pranken schon in meine Haut. Grob wurde ich zu ihr gezogen, wobei mein Beine gegen die hölzerne Theke prallte. Autsch.
Sie beäugte mich mit solch einen intensiven Blick, dass ich mich abwenden wollte, doch ich tat es nicht. Das wäre ein Zeichen von Schwäche. Ich verharrte. Bewegungslos. Ihre olivfarbenen Augen fingen an freudig zu glitzern. „Du bist es", hauchte sie mir entgegen.
Keine Regung meinerseits.
Sie ließ mich augenverdrehend los. „Stur, wie damals." Ihre schwarzen Lippen hatten bei dieser Erkenntnis ein halbes Lächeln gebildet.
Sofort schaffte ich Abstand zwischen uns und bewegte mein steifes und nun schmerzendes Kinn.
„War das nötig, Zoe?", murmelte ich wütend. Ihr violetter Pyjama flatterte, als sie sich ruckartig zu mir drehte.
„Du willst also arbeiten!"
Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Ich ließ meine Hand sinken, um sie mit meinem Blick, der nur ein ‚Ja' verlangte, zu beäugen. Interessiert legte sie ihren Kopf schräg. „So, so", ihre Stimme war schmeichelnd, wie man es von einer Prostituierten erwartete,
„Wie kommt's?"
„Obwohl, erzähl es mir nicht", winkte sie gleich darauf ab.
Ich hätte ihr sowieso nicht geantwortet.
„Heute ist dein Probetag", sie lächelte, klatschte vorfreudig in ihre Hände, wie ein Kind, „Jetzt gleich wirst du tanzen!"
Die Blonde, die das Geschehen beobachtet hatte, stemmte nun ihre Hände in die Hüfte und meldete sich beinahe sorgenvoll zu Wort: „Aber Zoe, ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Heute sind doch so viele hochrangige Böcke anwesend!"
Zoe lächelte, wie es ein Teufel tun würde und zuckte resigniert mit den Schultern.
„Komm, Valerie." Schlangenartig schritt sie auf den Vorhang zu, stoppte kurz, um zu mir zurückzublicken. Ich konnte ihre Worte schon anhand dieses Blickes, den sie mir schenkte, erraten. Ich wünschte, ich hätte mir meine Ohren zugehalten.
„Es tut mir leid, was deiner Mutter zugestoßen ist", ihre Stimme war bemitleidend. In ihren Augen stand es.
„Wenn du sie nicht beeindruckst, bist du raus", war ihre nächste Äußerung.
„Sicher", erwiderte ich ungerührt. Dieses Wort begleitet mich durch die bilderbehangenen Flure.
Im Umkleideraum angekommen, erblickte ich ein schwarzes Ballett-Trikot mit Spitze und Stehkragen. Sanft, fast schon bewundernswert strichen meine Hände über den dünnen Stoff. So zart, als könnte ich ihn mit einem Ruck zerreißen. „Hey Liebes", sofort zog ich meine Hände zurück, als hätte ich mich daran verbrannt, „Deine Mutter hätte nicht gewollt, dass du dein Talent vor die Hunde wirfst."
Für eine bessere Vorstellungskraft:
Mein Hals schnürte sich zusammen, während ihre zartgliedrigen Finger auf meiner Schulter platznahmen. Sie wagte es erneut von ihr zu sprechen! „Das kannst du nicht wissen", ich stockte, fühlte mich in dieser Atempause verdammt schwach, „Sie ist tot."
Ihre Augen waren wässrig und ihr Gesicht blass, als sie brummte: „Das weiß ich nur zu gut. Sie war meine Freundin!" Zoe drehte mir schweratmend ihren Rücken zu und flüsterte so leise, dass ich sie fast nicht verstand: „Ich hätte nicht gedacht, dass du das Angebot nach so langer Zeit annimmst."
Ich ging in die Kabine, schirmte mich von Ihren Blicken ab, ehe ich schluckend brummte:
„Ich auch nicht."
Mir wurde bewusst, dass ich mich ziemlich geschwächt fühlte. Am liebsten wollte ich verschwinden. Mich einfach in Luft auflösen. Doch Versagen war keine Option für mich. Ich schloss meine Augen, als ich meine Sachen von meinem Körper schälte und gleich darauf das Trikot über meinen Kopf zog. Das Gefühl der Geborgenheit verleibte sich mir ein und einen winzigen Moment lang, erlaubte ich es mir in den Spiegel zu schauen. Mich so zu sehen, erinnerte mich an alte Zeiten. Zeiten, die ich schon längst als vergessen geglaubt hatte.
Ich nickte mir zu und trat aus dem kleinen Raum, wo mir Zoe schon mit einer Hand rosarote Spitzenschuhe entgegenhielt. Die andere umgriff eine Zigarette. „Mach mich stolz, Valerie."
Mit diesem Satz stolzierte sie davon. Nur noch der Qualm ihrer Kippe hing wie ein gesponnenes Netz im Flur, inmitten dieser ich.
————————————————————
Tut mir leid für das unspektakuläre Kapitel :( Das nächste wird besser :)
+Kekse oder Nutella?
+Welche Dinge findet ihr an Jungs verdammt heiß? Innerlich und Äußerlich. :):)
Schreibt sie mir bitte. #eindringlichesbetteln
Ich werde sie mit einbauen. ^^
-Ary
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro