Vodka in Italien.
Artem
Masha wird von Maria Castiglione von mir weggezerrt, als würde ich beißen.
Die kleine Brünette wirft mir noch einen vielsagenden Blick über die Schulter.
Sie wirkt gescheucht und ich setze ein Grinsen auf, das mehr gruselig als alles andere daherkommen soll, wobei sie ihren Schritt beschleunigt und sich wieder Masha zuwendet.
Gut so.
Wahrscheinlich redet sie meiner Verlobten jetzt ein, wie furchtbar ich bin und dass sie einen Fehler mit mir begangen hat, doch das soll mich jetzt erst einmal nicht mehr stören. Diese Falten, die sie in unser Verhältnis zueinander schlägt, werden Masha nicht überraschen und wenn doch, werde ich sie eben wieder ausbügeln.
Wenn ich möchte, kann ich sie um den Finger wickeln, immer und immer wieder.
Ihre Naivität kommt mir zugute, dennoch sollte sie das nicht bis in alle Ewigkeiten beibehalten, ansonsten bringt sie mich - und damit zwangsweise uns - noch in Schwierigkeiten.
"Komm, komm, setz dich", reißt mich Amadore aus meinen Gedanken, als die Frauen außer Hörweite am anderen Ende der Tafel Platz genommen haben und ihren Lippen nach zu urteilen bereits angeregt am Tratschen sind.
Das Funkeln in den Augen des Italieners entgeht mir nicht, aber ich bin in seinem Territorium und weiß mich zu benehmen, wenn ich muss.
Also lass ich mich ihm gegenüber nieder, lehne mich zurück und falte die Hände auf dem Schoß.
"Was möchtest du trinken? Ich habe leider vergessen, extra für dich Vodka zu besorgen." Ich verdrehe die Augen, als ich in Amadores grinsendes Gesicht blicke.
"Spar dir das. Gib mir, was du hast, den Fusel, den du mir andrehen würdest, ist noch nicht einmal an Russland vorbei gefahren." Ich erkenne genau, wie sich sein Kiefermuskel etwas anspannt.
Seine grünen Augen durchbohren mich so, wie ich es bereits aus Schulzeiten von ihm kenne.
"Willst du damit sagen, wir Italiener haben keinen guten Schnaps?"
Ich spiele mich ergebend und hebe die Hände.
"Ich will damit sagen, dass ich keinen Vodka in Italien trinke, beruhig dich und schenk ein." Unbeeindruckt hebe ich eine Braue und lasse die Hände wieder auf meinem Schoß sinken. Amadore überblickt mich noch einmal prüfend, dann streicht er sich durch sein Haar, das aussieht, als hätte er es von einem Mädchen geklaut und sich auf dem Kopf transplantieren lassen und lässt seine Schultern kreisen.
"Gut." Mit einem Wink aus seinem Handgelenk kommt das Hausmädchen von eben wieder um eine Ecke.
"Bring uns Whiskey", spuckt Amadore ihr entgegen und die Kleine kuscht.
Ich muss grinsen bei dem Gedanken, ihn in einer Situation vorzufinden, in der er vielleicht nicht mehr alles unter Kontrolle hat.
Ein Starren und Schweigen erfüllt die Distanz zwischen uns, während wir darauf warten, dass uns die bernsteinfarbene Flüssigkeit in zwei kristallene Gläser geschenkt wirkt. Dabei schnipst sich mein Gegenüber immer wieder eine Olive in den Mund und ich bedenke ihn mit einem wissenden Blick.
So wird er mich nicht einschüchtern können.
Schlussendlich greift er nach dem Glas, prostet mir zu und nippt daran, während ich es herunterkippe.
"Herzlichen Glückwunsch, übrigens", unterbricht er die Stille. "Du weißt schon, zur Hochzeit und dem Ganzen."
Er nickt mit dem Kopf in die Richtung der beiden Frauen. Ich zwinge mich, meinen Blick nicht von ihm abzuwenden.
"Du hast vergessen, uns einzuladen."
"Es war erstmal nur Standesamtlich. Keine Sorge, ich vergesse meine besten Partner doch nicht." Entgegne ich und schmunzle. Ich weiß, er riecht die Lüge, doch er hat nichts, um meine Aussagen zu dementieren.
"Da hast du dir einen ziemlich dicken Fisch geangelt. Immer in den größten Teichen und trotzdem sitzt du jetzt hier." Irgendwann schneide ich ihm sein schmieriges Grinsen aus der Fresse.
Aber bis dahin muss ich mich zusammenreißen.
Also räuspere ich mich, richte meinen Kragen und lehne meine Ellenbogen auf den Tisch vor mir, bevor ich mit gesenkter Stimme zu sprechen beginne:
"Ich nehme an, du hast von dem Attentat gehört?" Während ich mich positioniert habe, hat Amadore sich eine Zigarre angesteckt und beginnt, an ihr zu paffen. Ich erkenne dicke, unsägliche Narben an seinen Händen.
"Mhm. Was ist damit?", hakt er nach. Ich bin mir nicht sicher, ob das Desinteresse in seiner Stimme gespielt ist oder ob es ihn wirklich so wenig interessiert.
"Ein Vögelchen hat mir gezwitschert wer es war", fahre ich fort.
Amadore hebt seinen Blick und runzelt die Stirn.
"Der Ungar versucht uns Konkurrenz zu machen. Und im Gepäck hat er seine Freunde aus dem Kosovo und Polen."
Ich beobachte, wie er den Rauch in die Nachtluft hinauspustet und sich langsam zurücklehnt, wobei er beinahe nachdenklich wirkt, wenn da nicht dieses verschmitzte Funkeln in seinen Augen wäre, das sich abermals fragt, wo er seine Vorteile aus dieser Situation schöpfen könnte. Doch das habe ich bereits vor unserem Besuch abgewogen.
Schlechte Neuigkeiten, Itaker:
Es gibt keine, es gibt lediglich Nachteile für dich.
Aber das werde ich ihm nicht so offen sagen.
Natürlich nicht.
Mein Blick schwenkt nun doch kurz zu Masha.
Sie blickt Maria mit ernsthafter Miene an, die ihr ebenso ernsthaft irgendetwas zuflüstert.
Dann schweifen Mashas blaue Augen zu mir und ich fange ihren Blick ein.
So ist es gut, lass mich einfach das Zentrum deiner Aufmerksam sein.
Hör dir gar nicht an, was dir diese Schlampe erzählt.
"Das letzte Mal, als ich dich gesehen habe, hast du den Romanov-Sprössling noch für alles verantwortlich gemacht. Sogar für den Mord an seinen eigenen Eltern", stellt er fest und reißt mich damit von Masha los.
"Richtig, bis ich beobachtet habe, wie meine besten Männer in einem Routineeinsatz abgeschlachtet wurden wie die Fliegen." Entgegne ich geistesanwesend.
Amadore erlaubt es sich, leise in sich hinein zu lachen und die Wut, die in mir aufsteigt, übertrifft den Drang, mir Masha zu packen und mich von hier zu verpissen.
Lacht mich dieser Lackaffe mit seinem schmierigen Haar jetzt aus?
"Trunkenheit auf der Arbeit, nehme ich an? Ist wohl normal bei euch." Ich beiße so fest die Zähne zusammen, dass mein Kiefer schmerzt, um mir sämtliche Beleidigungen, die mir auf der Zunge liegen, zu verkneifen.
"Nein, Amadore", knurre ich stattdessen und balle meine Hand zu einer Faust.
Wieder Lacht der Hund vor mir: "Ach, mein Freund. Ich sehe das Problem. Der alte Ungar. Ein echt fieser Kerl, da gebe ich dir recht. In seinem Geschäft so alt zu werden ist schon eine Leistung. Kein Wunder, dass du dir den Rest von eurem Brachland auch noch unter den Nagel gerissen hast."
"Pass auf, dass deine Bude hier nicht bald mit Stromausfällen zu kämpfen hat, Amadore. Ich habe gehört, im Winter kann es hier ziemlich kalt werden", fahre ich ihn an und ärgere mich ein bisschen darüber, mich provozieren lassen zu haben.
"Oh, ich habe einen guten Draht zu den Saudis, mein Bester. Keine Bange. Ich war ohnehin schon lange am überlegen, ob ein Solarsystem hinten am Meer nicht eine schöne Sicherheit wäre, gegen unberechenbare Zwischenfälle mit der russischen Mafia, du verstehst." Seine Stimme klingt so ruhig, als würde er übers Wetter sprechen und ich koche gleich über, aber bevor ich etwas Dummes sagen kann, fährt Amadore schon fort.
"Scheiße, ehrlich. Der will sich eure Raffinerien krallen, gehe ich von aus. Und mit dem ist wirklich nicht so gut zu verhandeln. Ich hasse Verhandlungsgespräche ohnehin", murmelt er und klingt dabei auch nicht mehr ganz so amüsiert, was meine Schultern dazu bringt, sich wieder etwas zu senken.
Anstatt etwas zu sagen, schenke ich mir allerdings nur einen Whiskey nach und kippe mir ein weiteres Glas hinunter.
"Und wenn er sich unsere Branchen an Land ziehen will, macht er von anderen sicherlich auch keinen Halt", konkludiere ich und sehe ihn fordernd an.
"Also, wie können wir euch helfen, hm?", kommt er endlich zur Sache.
Ich atme tief aus.
Jetzt wird es heikel, denn was ich geplant habe, sollte unsere Ressourcen nicht unbedingt unangetastet lassen.
"Ich habe früh gelernt, Probleme an der Wurzel zu packen und sie am besten komplett aus der Erde zu ziehen, bevor sie noch sprießen und sich zu sehr festsetzen", beginne ich und Amadore vor mir nickt einige Male, während er wieder beginnt, sich Oliven in seinen Mund zu schaufeln. Ich presse meine Lippen aufeinander und senke meinen Blick auf den Siegelring an meinem Ringfinger, um Amadore nicht weiter zusehen zu müssen, wie er meine Worte abtut, als wären sie nichts.
Ist das ein Spiel für ihn?
"Also dachtest du dir, du machst vorgezogene Flitterwochen auf unsere Kosten in Italien und bittest uns auch gleich, dein Problem für dich zu beseitigen? Praktisch", mit einem Grinsen zieht auch er sein Glas wieder zu sich, was prompt von einer herumlaufenden Angestellten nachgefüllt wird, als hätte sie nur darauf gewartet.
Und ich warte nur darauf, ihm irgendwann meinen Ring so lange ins Gesicht zu rammen, bis seine eigene Mutter ihn nicht mehr erkennt.
"Nein, das dachte ich mir nicht. Würdest du deine Frau in so einer Situation alleine zurücklassen?"
"Deswegen habe ich sowas nicht. Aber ich brauche es ja auch nicht", spricht er selbstsicher in meine Richtung, wobei er mich mustert, als würde er mich bemitleiden.
Wieder spüre ich, wie meine Schultern sich anspannen.
Ich wusste, dass dieses Treffen nicht aus purer Partnerschaft herrührt und dass mir meine Bitten schwer von den Lippen kommen.
Allerdings habe ich mein Ego wohl etwas unterschätzt.
Mir fallen einige Antworten auf diese Worte ein, doch ich wähle die, die ich wohl normalerweise als letztes gewählt hätte:
"Und doch ist es jetzt so", spreche ich ruhig, fast schlichtend. "Und wenn wir jetzt keine Machtdemonstration äußern, werdet ihr euch ganz bald mit jemand anderem auseinandersetzen müssen, als langjährigen Bekannten. Die Jungs fackeln nicht lange, euch zu überrollen, wenn sie den gesamten Ostblock haben. Und sie sind gemächlich mit ihren Anschlägen. Sie zerbomben nacheinander auch die Lager, in denen eure Ware ebenso mit herumliegt. Und sie rücken immer näher. Also würde ich vorschlagen, dass wir uns jetzt ein bisschen zusammenreißen."
Amadore seufzt und verdreht die Augen: "Immer so ernst, Sokolov." Mit den Worten richtet er sich etwas auf, faltet die Hände auf den Tisch und nickt.
"Pass auf, ich spreche mit später mit Matteo. Morgen Abend schauen wir dann, wie wir's machen. Was sagst du?", schlägt er mit einer abartig nervigen Lässigkeit vor, die mir die Galle hochkommen lässt, doch ich nicke.
Andererseits kann ich auch darauf verzichten, dem Capo selbst die schlechten Neuigkeiten zu überbringen, dass Gefahr aus dem Osten anrollt.
Er und sein Sohn haben auch nicht das beste Verhältnis, das weiß ich.
Doch das haben wir selten zu unseren Vätern.
"Gut", bestätige ich ihm also seinen Vorschlag, während sich mein Blick schon wieder von ihm abgewandt hat.
Die Dunkelheit, die von dem Garten ausgeht und das leise Rauschen des Meeres nimmt mich für einen Moment ein, während Amadore uns ein weiteres Glas Whiskey einschenkt.
Gerade, als Amadore erneut sein Glas erheben will, entscheide ich mich dazu, langsam aufzustehen.
Er stockt und legt den Kopf leicht schief, beinahe bedrohlich, doch bleibt ruhig sitzen und betrachtet mich, als wäre ich ihm nun eine Erklärung schuldig.
Und weil ich ein guter Gast bin und außerdem etwas von ihm brauche, liefere ich ihm die Erklärung für mein abruptes Abbrechen der Situation.
"Wir sind weit gereist. Ich denke, es wäre das Beste, wenn man uns nun unser Zimmer zeigt." Beinahe verständlich nickt Matteo und steht ebenfalls auf:
"Aber sicher." Dieser verschmitzte Unterton in allem, was er sagt, hat mich schon immer zur Weißglut getrieben, doch ich werfe ihm ein überlegenes Lächeln entgegen.
Ich bin überrascht, als Masha sich bereits an meiner Seite einreiht.
Ich betrachte sie kurz.
Etwas stimmt nicht.
Aber ich kenne sie nicht gut genug, um zu sagen, ob es Müdigkeit oder etwas anderes ist.
"Beatrix zeigt euch eure Zimmer. Richtig, Bea?," das Mädchen, gekleidet in einem schwarzen Kleid mit weißem Kragen, tritt zu uns und muss sich im Vorbeigehen noch einem Griff an ihren Arsch von Amadore unterziehen. "Ihr müsst müde sein. Fühlt euch wie zu Hause."
Ich bin immer wieder erstaunt, wie seine Art schlagartig umschlägt, sobald eine Frau anwesend ist, mit der er nicht verwandt ist.
Masha lächelt schwach in seine Richtung und nickt. Ich bin ganz froh, dass sie jetzt nicht darauf eingeht.
Wer weiß, was das mit meinem Blutdruck gemacht hätte.
Und sie ist schlau genug, ihn auch nicht allzu lange anzustarren.
Stattdessen hebt sie ihren Blick zu dem Hausmädchen, Beatrix, das uns bereits hergeführt hat und nun auch wieder in die Villa hinein winkt.
"Gute Nacht, Masha", entgegnet Amadore noch mit einem Grinsen in Mashas Richtung. Demonstrativ lege ich einen Arm um ihre Hüfte und drücke etwas mehr zu, als nötig. "Danke", murmelt meine zukünftige Angetraute und lässt sich dann von mir mitziehen.
Nachdem wir durch das Gebäude geführt wurden, das eingerichtet wurde wie für einen römischen Kaiser persönlich, sind wir im zweiten Stock bei den Gästezimmern angekommen, die locker mit jedem Hotel in Neapel mithalten könnten, wenn sie nicht sogar geräumiger und hochwertiger eingerichtet sind.
"Bitte geben Sie einfach Bescheid, sollten Sie irgendetwas brauchen", verabschiedet sich das Mädchen mit gesenktem Blick und schließt die Tür hinter uns, wobei ich beobachte, wie Masha ihr stirnrunzelnd hinterher blickt, bis die sich schließende Tür ihr Blickfeld versperrt und ich muss schmunzeln.
Masha
Der Raum, in den wir geführt wurden, ist von gedimmten Lichtern an den dunkelroten Wänden erhellt.
Ein großes Bett stellt sein Herzstück dar und die Balkontüren stehen auf.
Dicke Vorhänge wehen in dem kühlen Meerwind immer wieder ins Zimmer, bis sich Artem von meinen Hüften löst, um die Flügeltüren zu schließen.
Die Stille, die dann eintritt, fühlt sich fast bedrohlich an.
Ich betrachte ihn, beobachte, wie er mich ansieht.
Sein Bartschatten ist dunkler als sonst, die Ringe unter seinen Augen ebenso.
Er löst die Knöpfe an den Ärmeln seines Hemdes, nachdem er die schwarze Weste, die er darüber trug, auf einen Hocker gelegt hat.
Das Gespräch mit Maria liegt mir immer noch wie ein Stein im Magen. Sie erzählte vom Leben einer Ehefrau einer Welt wie dieser und dass Dante ihr zweites Kind ist.
Das andere wäre wohl schon älter und in Sizilien geblieben, wo ihr Mann lebt.
"Willst du da stehenbleiben?", reißt Artem mich aus meinen Gedanken und ich schlucke. Wir sollen ernsthaft in einem Bett schlafen?
Ich versuche meine Unsicherheit zu verdrängen, als ich ihm mit einer gewagten Gegenfrage antworte, die aus reiner Unsicherheit resultiert: "Hattest du Erfolg mit deinem Gespräch?", meine Stimme klingt leise, aber nicht ängstlich. Das ist doch ein Anfang.
Ich erkenne ein schemenhaftes Lächeln in seinen Zügen als ich zum Bett gehe, da unsere Koffer davor gestellt wurden, um meinen aufzumachen.
Und als ich ihn aufmache, fällt mir schlagartig wieder ein, dass ich keine Klamotten mitgenommen habe.
In diesem kleinen Anflug aus Größenwahn in dem Bunkerschloss hat Artem sämtliches Stück Stoff in weiß aus meinem Leben verbannt - bis auf das, was ich trage.
Und während ich realisiere, vor welchem Problem ich mich gerade stehe, hat sich Artem hinter mir eingereiht: "Ist das wirklich gerade in deinem Interesse?", haucht er mir in mein Ohr.
Sein warmer Atem streift meinen Nacken, da ich mein Haar zu einem lockeren Dutt hochgebunden hatte und seine Hand wandert abermals an meine Hüfte.
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