Leere Augen | Teil 2 - Jakobs Geschichte
Jakobs PoV
Jeden Tag sah ich Tom mit einem Lächeln auf dem Gesicht durch die Schule laufen.
Jeden Tag strahlte er mich an. Als ob er direkt in meine Seele schauen könnte.
Jeden Tag. Ohne Ausnahme.
Dann kamen wir zusammen und somit gab es zwei Jungen, die mit einem glücklichen Ausdruck durch die Schule liefen.
Doch ein einziger Tag veränderte alles.
Mein Name ist Jakob und dies ist meine Geschichte.
***
Als ich neu an die Schule kam, ist mir Tom sofort aufgefallen. Nervös stand ich vor der voll besetzten Klassse und konnte vor Aufregung kaum einen richtigen Satz herausbringen. Ich würde aber auch wirklich viel gefragt, unter anderem wo ich herkomme, ob ich die Ferien hier verbracht habe und wie viel ich schon von der Stadt gesehen habe. Es freute mich zwar, dass meine neuen Mitschüler scheinbar so viel Interesse an meinem Leben zeigten, aber dies trug nicht dazu bei, meine Nervosität abzulegen.
Bei den ganzen Fragen gab es nur einen einzigen Schüler, der ruhig in seiner Ecke saß und mich mit einer neugierigen Mine beobachtete. Als ich diesen ansah, fielen mir sogleich seine blauen Augen auf, die mich schon seit dem ersten Moment faszinierten.
Irgendwann meinte dann der Lehrer, dass ich mich hinsetzen sollte, damit er mit dem Unterricht beginnen konnte. Ich sag ihn daraufhin fragend an, denn ich wusste nicht, wohin ich mich setzen sollte.
,,Setz dich einfach auf irgendeinen freien Platz.", sagte mein neuer Lehrer nur
Ich ließ meinen Blick einmal durch den Raum schweifen.
Sollte ich oder lieber doch nicht?
Sollte ich es riskieren und dann die ganze Zeit nervös neben ihm sitzen oder ist es besser, ihn von Weitem zu beobachten?
Aber wenn ich es nicht riskieren würde, würde ich es ganz bestimmt bereuen.
Ach, scheiß drauf.
Zielgerade lief ich zu seiner Bank und lächelte ihn kurz an, bevor ich mich neben ihm niederließ.
Dies war meine Chance, ihn näher kennenzulernen.
***
Näher kennenlernen? Von wegen. Ich war in seiner Nähe so nervös, dass die Partnerarbeiten zu den peinlichsten Erlebnissen gehörten. Ich musste mich gefühlt hundert Mal räuspern, bevor ich einen halbwegs anständigen deutschen Satz hinbekommen habe und manchmal war ich so tief in Gedanken versunken, dass er seine Worte öfter wiederholen musste.
Einmal ist es mir sogar passiert, dass ich vor Nervosität mit dem Hefter meine Flasche umgestoßen habe, die nur halb zugedreht auf der Bank stand und alles verteilte sich natürlich auf unserer Bank. Ein kleiner Schwall landete auch auf Toms T-Shirt. Vor lauter Hektik fing ich dann an, den Tisch mit Taschentüchern trocken zu wischen, bis ich neben mir ein Lachen hörte.
Lachte Tom mich etwa gerade aus?
Leicht unsicher sah ich ihm in die Augen und konnte Belustigung darin erkennen.
Ja, ich weiß, das ich ein Meister darin bin, mich in unangenehme Situationen zu bringen.
,,Das ist doch nicht schlimm, sowas passiert doch jedem einmal.", war Toms Reaktion. ,,Ich bin dir nicht böse, weil du mich nass gemacht hast, aber als Entschädigung kannst du mir ein Eis spendieren."
,,Meinst du das ernst?", fragte ich ihn ungläubig und er erwiderte darauf nur: ,,Ja natürlich, ich freue mich schon. Heute Nachmittag nach dem Unterricht hast du doch noch Zeit, bevor dein Bus kommt, oder? Da können wir ja gleich zusammen gehen."
Er ließ mir gar keine Zeit zum Antworten, sondern stürzte gleich daraufhin zur Tür hinaus, um sich wahrscheinlich auf der Toilette mit Handtüchern trocken zu machen.
Also hatte ich heute Nachmittag ein Date mit Tom.
Ein Date mit Tom. Allein dieser Gedanke ließ mein Herz höher schlagen und es kribbelte angenehm in meinem Magen.
Noch nie habe ich mich so sehr auf den Unterrichtsschluss gefreut wie heute.
***
Das Treffen lief echt super. In meinen Augen war es der perfekte Nachmittag. Wir haben viel geredet, gelacht und selbst meine Nervosität hielt sich in Grenzen. Und das Beste war, dass er mich am Ende sogar geküsst hat!
Okay, es war nur ein kurzer Kuss auf die Wange, aber trotzdem habe ich seine Lippen gespürt. Und Himmel, waren die weich!
Ein paar Tage später sagte Tommy zu mir, dass ihm das Treffen genauso sehr gefallen hat, wie mir und dass wir das unbedingt wiederholen müssten.
Also trafen wir uns in den darauffolgenden Wochen ein paar Mal am Nachmittag nach dem Unterricht und immer hat er sich mit einem Wangenkuss bei mir verabschiedet.
Bis auf das letzte inoffizielle "Date". Ich konnte es einfach nicht mehr ertragen, dass ich seine weichen Lippen nie auf meinen spüren konnte und deswegen habe ich im rechtzeitigen Moment den Kopf so gedreht, dass seine Lippen auf meinen landeten. Spontan legte ich meine Hände um seinen Nacken und er tat das gleiche bei mir, sodass wir in aller Ruhe den Kuss vertiefen konnten. Einmal glaubte ich kurz, er hätte in den Kuss hinein gestöhnt, aber das habe ich mir wahrscheinlich nur eingebildet.
Nach einer Weile ließen wir wegen Luftmangels voneinander ab.
,,Ich liebe dich.", rutschte es mir anschließend noch heraus.
Oh Gott, was habe ich getan? Ich traute mich gar nicht, nach oben in Toms Gesicht zu blicken, bis er ein ,,Ich liebe dich auch.", erwiderte.
,,Sind wir da jetzt zusammen?", brachte ich nur hervor. Ich und meine peinlichen Fragen. Tommy konnte nur lachen.
,,Natürlich, aber eigentlich fragt man das doch nicht. Ich habe schon lange auf diesen Moment gewartet, um dir zu sagen, dass ich dich liebe. Ich liebe dich, Jakob."
Passiert mir das gerade wirklich? Der tollste, hübscheste, süßeste Junge auf Erden macht mir eine Liebeserklärung. Bitte lass diesen Tag nie enden.
Ein paar Minuten später jedoch kam leider mein Bus und ich musste mich von meinem Tommy verabschieden.
Er beteuerte mir noch einmal, wie sehr er mich liebt und küsste mich nochmal. Da ich aber nicht gehen wollte, gab er mir noch einen kurzen Kuss auf die Nasenspitze und schob mich in Richtung Bus.
Aber morgen sehe ich ihn endlich wieder.
***
Wie es in jeder Liebesgeschichte so ist, wärt auch unser Glück nicht lange.
Etwa ein halbes Jahr verging, bis mein Tommy mit großen Schmerzen ins Krankenhaus eingeliefert wurde.
Die schlechte Nachricht erreichte uns ein paar Tage später.
Diagnose Hirnrumor.
Diese zwei Worte warfen uns alle aus der Bahn und mich ganz besonders. Ich werde meinen liebenswerten, süßen, unglaublich tollem Tommy verlieren!
Wie soll es ohne ihn denn weitergehen?
Ich traue mich gar nicht, einen Gedanken an ,,danach" zu verschwenden, weil alleine das schon unendlich schmerzt.
Lieber genieße ich jede Minute mit ihm zusammen, damit ich hinterher nichts bereue.
***
Die Heilungschancen standen extrem schlecht, wie es der behandelte Arzt schon vorausgesagt hat. Aber wir haben die Hoffnung nie verliert.
Wir wurden von dem Arzt vorgewarnt, dass er nur noch ein knappes halbes Jahr zu leben hat, aber dass es dann so schnell geht, hätte keiner von uns gedacht. Tommy wusste, dass es mein Wunsch war, das er in meinen Armen stirbt. Aber der Tod kommt ja meist unerwartet.
Und Tommy bildete da keine Ausnahme.
***
Der Anruf erreichte mich kurz nach Mitternacht. Schon als ich seine Mum am Telefon weinen hörte, wusste ich Bescheid.
Ich ließ den Hörer fallen und brach im selben Augenblick zusammen. Ich ließ mich einfach auf die kalten Fliesen fallen und weinte. Ich weinte so lange, bis mir vom Liegen die Knochen weh taten, bis meine Augen brannten und ich keine Kraft mehr hatte.
Ich sah auf die Uhr. Zwei Stunden waren vergangen. Seit knapp zwei Stunden war mein Tommy tot.
Oh mein geliebter Tommy, warum musstest ausgerechnet du gehen?
Warum müssten immer die besten Menschen zuerst von der Erde gehen?
Das Leben ist manchmal so ungerecht.
Langsam richtete ich mich auf, nahm die Schlüssel von der Kommode und fuhr zu Tommys Haus.
Ich klingelte und seine Eltern machten mir die Tür auf. Sie hatten ebenfalls rote, angeschwollen Augen und sahen genauso fertig aus wie ich.
Ich umarmte beide kurz und ging hinauf in sein Zimmer, wo mir sein angenehm vertrauter Duft entgegenschlug.
Ich sah mich um und nahm sofort sein Bettt in Angriff, wo ich mich drauflegte und in seine Decke einkuschelte.
Sein vertrauter Duft umhüllte mich und sofort stiegen mir wieder die Tränen in die Augen. Ich vermisse ihn so sehr.
Plötzlich fiel mir etwas dem Augenwinkel auf.
Da - unter dem Kopfkissen - lugte eine kleine kleine karierte Ecke hervor.
Langsam streckte ich den Arm heraus und zog es es unter dem Kopfkissen hervor.
Es war ein kleiner Brief, höchstwahrscheinlich von Tommy.
Bei diesem Gedanken kamen mir wieder die Tränen, sodass ich blinzeln musste, um überhaupt etwas lesen zu können.
Mein geliebter Jakob,
erinnerst du dich noch an deinen allerersten Tag an unserer Schule?
Ich denke jeden Tag an diesen Moment...
A/N (Im nächsten Kapitel findet ihr den kompletten Abschiedsbrief)
Ach Tommy, wie könnte ich jemals den Tag vergessen, an dem ich dich zum ersten Mal gesehen habe?
Mir geht es genau so wie dir, denn ich muss auch dauernd daran denken.
Für mich war es einer der besten Augenblicke in meinem Leben
Wie sehr ich mir wünschte, dass ich dir dies sagen könnte.
***
Als ich den Brief zu Ende gelesen habe, musste ich wieder richtig anfangen zu weinen.
Oh mein lieber süßer Tommy, warum hat ausgerechnet dich der Krebs getroffen?
Das werde ich wohl nie verstehen...
Ich presste den Brief ganz nah an meine Brust, weil Tommy immer in meinem Herzen bleiben wird. Er war meine erste große Liebe und wird es auch für immer bleiben. Noch einmal atmete ich tief seinen Duft ein, bevor ich schweren Herzens aufstand und hinunter zu seinen Eltern ging.
***
Den Brief bewahrte ich seitdem auf meinem Nachtschrank unter einem Bild von uns beiden auf, damit er immer ganz nah bei mir ist.
Trotzdem hatte sich etwas verändert. Das spüre ich seit dem Anruf von seinen Eltern.
Ich werde nie mehr der alte sein können.
Ich kann es einfach nicht.
Und ich glaube, das ist auch gut so.
Langsam schloß ich die Augen und atmete ein paar Mal tief ein und aus.
Dann öffnete ich meine Augen wieder, doch die Glanz ist verschwunden.
Wahrscheinlich für eine ganz lange Zeit.
Wahrscheinlich für immer.
Ich liebe dich so sehr, mein Tommy. Du wirst für immer ein Teil von mir sein.
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