Abschied
Durch das große Haupttor betrete ich den weitläufigen Friedhof. Langsam gehe ich durch die Reihen, betrachte die Gräber links und rechts von mir. Ich lese die Namen auf den Grabsteinen und male mir aus, wie die Menschen hinter den Namen und Zahlen wohl gewesen sind. Die Blätter der Bäume rauschen leise im leichten Wind, der über den Friedhof weht. Heute lasse ich mir mehr Zeit als sonst, wenn ich dich besuchen komme. Verweile immer wieder, auf dem Weg zu deinem Grab. Du liegst genau an der Stelle, die dir immer so gut gefallen hat, wenn wir hier unseren Sonntagsspaziergang gemacht haben.
Erst nachdem ich eine halbe Stunde durch die Reihen gegangen bin, steuere ich auf den Baum zu, in dessen Schatten du begraben bist. Der rote Marmor sticht aus den anderen Gräbern heraus. Es gab viel Wirbel deswegen, doch ich konnte dir auch diesen Wunsch erfüllen. In schwarzen Buchstaben steht dein Name auf dem Stein. Liebevoll fahre ich sie nach und bilde mir ein, dir auf diese Weise besonders nahe zu sein. Ich habe einen Strauß Rosen mitgebracht. Sorgfältig arrangiere ich sie in der Vase und rieche ihren lieblichen Duft.
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„Was sind das für Blumen?" hast du mich gefragt, als du eines morgens in dem kleinen Blumenladen aufgetaucht bist, in dem ich arbeite. Ich musste lächeln, denn du hast mir einen Salbei hingehalten. Von Pflanzen hattest du absolut keine Ahnung. „Das ist Salbei. Damit kannst du deine Freundin nicht beeindrucken", antwortete ich ihm. Er schenkte mir ein scheues Lächeln. „Ich...ich wollte eigentlich dich beeindrucken." Ich wurde rot wie eine Tomate und habe dir meine Lieblingsblumen gezeigt.
Von da an kamst du jeden Tag in den Laden, hast eine davon gekauft und sie mir geschenkt. Solange, bis ich zugestimmt habe mit dir auszugehen. Wir trafen uns am Wochenende, gingen zusammen essen und haben die halbe Nacht über Gott und die Welt geredet. Schon nach zwei Treffen war mir klar, dass ich mich in dich verliebt hatte. An dem Abend hast du mich nach Hause gebracht und wir standen eng umschlungen vor meiner Haustür. Unsere Blicke waren ineinander versunken und auf einmal waren wir uns so nah, dass sich unsere Nasenspitzen berührten.
Deine Hand lag an meiner Wange und ich konnte deinen warmen Atem auf meinem Gesicht spüren. „Küss mich endlich", habe ich dich aufgefordert. Ganz sanft strichen deine Lippen über meine. Eher die Andeutung einer Berührung, als ein richtiger Kuss. Vorsichtig eroberte ich seine Lippen, strich mit der Zunge darüber. Mit einem leisen Seufzen vertiefeten wir den Kuss, du hast dich näher an mich gedrängt und ich habe die Arme um dich geschlungen. Ich wühlte meine Finger in seine Haare und würden wir nicht vor der Tür stehen, würde ich ihn mit Haut und Haaren verschlingen.
Atemlos lösen wir uns nach einer Weile voneinander. Seine Augen strahlen und seine Lippen glänzen feucht. Sanft streiche ich mit dem Daumen darüber und er knabbert daran. Schweren Herzens verabschiedet er sich gleich darauf von mir. Wir wollen es langsam angehen lassen und nichts überstürzen. Von dem Abend an sehen wir uns fast jeden Tag, sind schon bald unzertrennlich. Meine Liebe zu ihm wächst jeden Tag. Mit ihm ist alles so leicht. Wir reden, lachen, gehen spazieren, kochen zusammen und verbringen die Abende gemütlich auf dem Sofa.
Seit ich mit ihm zusammen bin, weiß ich warum es mit keinem anderen geklappt hat. Er ergänzt mich, macht mich komplett. Seine Liebe wärmt mein Herz und meine Seele. Manchmal kann ich kaum glauben, dass sich ein toller Mann wie er für mich interessiert. Doch mit jedem Wort, jedem Kuss und jeder Geste beweist er mir, dass es wirklich so ist. Wenn wir ausgehen hat er nur Augen für mich und dass, obwohl er alle Blicke auf sich zieht.
Nach einem halben Jahr Beziehung fahren wir zusammen in den Urlaub. Genießen eine Woche Sonne, Strand und Meer. Wir stehen extra früh auf, um uns am Strand beim Sonnenaufgang zu lieben. Er ist ein zärtlicher Liebhaber, der stets auf mich achtet, auch wenn es mal rauer zugeht. Ich habe immer das Gefühl, das er mich jederzeit auffangen wird. Auf dem Heimflug habe ich ihn gefragt, ob er sich vorstellen kann, mit mir zusammen zu ziehen.
Sein glückliches Lächeln war Antwort genug. Gemeinsam machten wir uns auf die Suche nach einer passenden Wohnung. Es dauert ein paar Monate bis wir eine gefunden haben, die uns beiden gefällt. Erst als wirklich alles perfekt ist, schlagen wir zu und kaufen ein wunderschönes Penthouse. Der Blick über die Dächer der Stadt ist einmalig schön. Die Wohnung hat eine Dachterrasse, auf der ich meinen grünen Daumen ausleben kann.
Mein Glück könnte nicht größer sein, doch er schafft es, das alles noch zu toppen. Als ich die Terrasse an diesem Morgen betrete kniet er vor mir und sieht mit strahlenden Augen zu mir auf. Dann hält er mir auf der flachen Hand ein kleines Kästchen hin, in dem zwei silberne Ringe liegen.
„Ich liebe Dich über alles, mein Schatz. Ich möchte mein ganzes Leben mit dir verbringen. Willst du mein Mann werden?"
Mit Tränen in den Augen knie ich mich zu ihm, umarme ihn lachend und flüstere ihm dann ein 'Ja' ins Ohr. Er schiebt mich ein Stück zurück und sieht mich forschend an. „Ich liebe Dich auch. Ja, ich will dein Mann werden."
Den restlichen Tag verbringen wir im Bett, um unsere Verlobung zu feiern. Immer wieder muss ich den glänzenden Ring ansehen, der an meinem Finger steckt.
„Du bist verrückt", wisperte ich und du hast gelacht.
Denn du wusstest genau, wie sehr ich mich darüber freuen würde. Wir hatten nur einmal darüber geredet, als wir in der Stadt beim Schaufensterbummel in einer Auslage angeschaut haben. Du hast dir gemerkt, dass ich den Mann meiner Träume gerne heiraten würde. Ein paar Tage später haben wir es unseren Eltern und Freunden erzählt.
Die Glückwünsche sind überwältigend, alle freuen sich mit uns. Wir wollen mit der Hochzeit noch warten, uns noch besser kennenlernen und unsere Liebe wachsen lassen. Jeden Tag liebe ich dich mehr, wir sind uns unglaublich nah und bald ist uns klar, dass wir nicht länger warten wollen. Nach einem halben Jahr Verlobung bestellen wir das Aufgebot. Wir verschicken die Einladungen. Ich kümmere mich um den Blumenschmuck, du dich um die Location wo wir feiern wollen. Es wird eine Hochzeit unter freiem Himmel. Es gibt in unserer Nähe ein kleines Schloss, das man für solche Feiern mieten kann und du hast es tatsächlich geschafft, dass wir dort unsere Hochzeit feiern können.
Am Morgen scheint die Sonne von einem strahlend blauen Himmel. Dein bester Freund und Trauzeuge holt uns mit einem wunderschön geschmückten Oldtimer ab und bringt uns zum Schloss. Dort nehmen mich die anderen Gäste so in Beschlag, dass ich gar nicht mitbekomme, dass du nicht mehr an meiner Seite bist. Erst als die Musik ertönt und sie mich auf den roten Teppich schieben, der zum Pavillon führt, merke ich das du nicht da bist.
Du stehst bereits vor dem Standesbeamten und wartest auf mich. Dein Lächeln überstrahlt alles. Deine Haare glänzen in der Sonne, der Anzug steht dir hervorragend. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, während ich auf dich zugehe. Ich nehme die Hand, die du mir hinstreckst und unsere Finger verschlingen sich ineinander. Die Zeremonie ist wunderschön. Der Standesbeamte findet sehr schöne Worte, um unsere Liebe zueinander zu beschreiben. Nachdem wir uns das Eheversprechen gegeben haben, stecken wir uns die Ringe an und mit einem innigen Kuss besiegeln wir unsere Ehe.
Die Feier ist ausgelassen, wir feiern bis tief in die Nacht hinein. Unsere Hochzeitsnacht wird ein Hochzeitsmorgen, da wir vor Erschöpfung sofort einschlafen, nachdem wir ins Bett gefallen sind.
„Guten Morgen, Ehemann." Grinsend drehe ich mich zu ihm um.
„Guten Morgen, Ehemann."
Glücklich lächelnd küssen wir uns und ein paar Minuten später liebt er mich langsam und innig. Danach kuscheln wir uns noch lange zusammen und genießen den ersten Tag als Ehepaar. Nach einem späten Frühstück schauen wir unsere Geschenke an und machen dann einen langen Spaziergang.
Dabei durchqueren wir wie so oft den großen Friedhof und gehen langsam durch die Reihen. Unter einem Baum bleibst du stehen, drehst dich einmal um die eigene Achse und legst dann die Hand an den Baumstamm.
„Hier möchte ich mal begraben werden. Das ist ein richtig schöner Platz."
Irritiert schaue ich dich an, aber du lachst nur und schlingst mir die Arme um den Hals. Nach einem sanften Kuss ziehst du mich weiter. Heute weiß ich, dass du damals schon krank warst und mir nichts davon gesagt hast.
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Ich tauche aus meinen Gedanken auf, Tränen laufen mir über die Wangen. Der Wind streicht mir durch die Haare, es fühlt sich an, als wären es deine Finger. Ich muss mich diesen Erinnerungen heute stellen, denn ich werde schon bald die Stadt verlassen.
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Mein geliebter Mann wusste schon an unserem Hochzeitstag, dass er krank ist und dass er unseren ersten Jahrestag wahrscheinlich nicht mehr erleben würde. Er hatte einen inoperablen Hirntumor, der schnell wuchs. Doch erst als er zusammengebrochen ist und ich ihn ins Krankenhaus bringen musste, hat er mir davon erzählt. Da es keine Therapie gab, die ihm helfen würde, durfte er wieder nach Hause. Ich habe mich liebevoll um ihn gekümmert, ihn umsorgt und alles für ihn getan, was ich konnte, um ihm das Leben zu erleichtern.
Die ersten Monate ging es ihm noch so gut, dass er aufstehen konnte. Doch schon bald wurde es immer schlimmer. Er konnte kaum noch aufstehen, musste gewaschen werden und brauchte bei allem Hilfe. Zusehen zu müssen, wie er vor meinen Augen jeden Tag ein wenig mehr starb, brach mir das Herz. Trotzdem blieb ich stark und war für ihn da. Monatelang, Tag und Nacht, jede Minute die er mich brauchte. Da er nicht im Krankenhaus sterben wollte, habe ich ihn Zuhause gepflegt.
'Es gab bald Tage, da wusstest du nicht mehr wer ich bin, hast dich gewehrt, wenn ich dich waschen und füttern wollte.'
Irgendwann war der Tumor so groß, dass er auf deinen Sehnerv drückte und dir das Augenlicht raubte. Du lagst hilflos in der Dunkelheit und ich konnte nichts tun, um dir zu helfen. Es brach mir jeden Tag aufs Neue das Herz, dich so zu sehen. Du warst immer noch der Mann, den ich über alles liebe, aber du konntest dich nicht mehr an unsere Liebe erinnern. Nicht mehr so wie noch vor ein paar Monaten. Von Tag zu Tag ging es bergab mit dir. Du wurdest immer schwächer, hast fast den ganzen Tag geschlafen. Ich musste dich wecken, um dir wenigstens etwas zu trinken einzuflößen.
Nach einem halben Jahr ging es dir so schlecht, dass ich mit dem Gedanken spielte, dich am nächsten Morgen ins Krankenhaus bringen zu lassen. Am Abend saß ich bei dir am Bett, habe dir erzählt was ich den Tag über gemacht habe. Auf einmal hast du nach meiner Hand gegriffen und sie so fest umklammert, wie du konntest. Ganz sanft habe ich sie gestreichelt und in meiner gehalten. Mit schwacher Stimme hast du zu mir gesprochen.
„Ich liebe Dich so sehr und es tut mir so leid, dass ich dich verlassen muss. Bitte werde wieder glücklich. Dass ist das einzige worum ich dich bitte. Ich werde immer in deinem Herzen sein. Aber da ist genug Platz für eine neue Liebe, wenn du um mich getrauert hast. Du musst mich gehen lassen, bitte. Ich habe keine Kraft mehr."
Weinend sinke ich auf dem Stuhl zusammen. Mir ist klar, dass ich dich gehen lassen muss, aber es tut unglaublich weh. „Ich liebe Dich auch. Du wirst immer in meinem Herzen sein."
Die ganze Nacht halte ich seine Hand in meiner, bleibe wach und nehme Abschied von meinem geliebten Mann. Am Morgen lasse ich ihn kurz alleine, weil ich ins Bad muss.
'Nachdem ich das Zimmer wieder betreten habe, weiß ich, dass du fort bist. Dein Körper liegt in unserem Bett, aber deine Seele, die dich ausgemacht hat, ist fort. Du hast mich allein gelassen, auch wenn du es nicht gerne getan hast.'
Der Tag deiner Beerdigung rauscht wie im Nebel an mir vorbei. Als am Grab unser Lied gespielt wird, breche ich fast zusammen. Ich sinke auf die Knie und grabe die Finger in die nasse Erde. Meine Freunde haben alle Hände voll damit zu tun, mich davon abzuhalten ins Grab zu springen. Alles was ich will, ist bei dir zu sein. Ich habe keine Ahnung, wie ich ohne dich weiterleben soll. Der Streit um deinen Grabstein zerrte an meinen Nerven, doch letztendlich konnte ich mich durchsetzen und du hast den roten Marmor bekommen. Jeden Tag kam ich hierher, wollte dir nahe sein. Nichts und niemand konnte mich davon abhalten.
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Doch meine Freunde meinten, ich muss wieder anfangen zu leben. Anfangs habe ich mich dagegen gewehrt, mich daheim eingesperrt, wollte niemanden sehen. Zum Glück haben sie nicht lockergelassen. Ganz langsam habe ich wieder ins Leben zurückgefunden. Schritt für Schritt habe ich wieder angefangen zu leben.
Ich stehe auf, zupfe noch einmal die Rosen zurecht, fahre deinen Namen nach und streiche über den warmen Stein. „Du wolltest immer das ich wieder glücklich werde, mein Schatz. Ich bin hier, um mich von dir zu verabschieden. In ein paar Tagen gehe ich nach Norwegen und beginne ein neues Leben. Ich werde nicht mehr so oft herkommen können, aber in meinem Herzen lebst du weiter. Für immer und ewig. Wir sehen uns wieder, irgendwann. Ich hoffe, du wartest auf der anderen Seite auf mich. Lebwohl, Engel."
Langsam drehe ich mich um und gehe durch die Reihen in Richtung Ausgang. Dieser Abschied fällt mir leichter als ich gedacht habe. Ich weiß, dass er mir nicht böse sein wird, weil ich nicht mehr so oft herkommen kann. Auf halber Strecke drehe ich mich nochmal um und schaue zurück. Ein Sonnenstrahl fällt mir ins Gesicht und ich muss trotz meiner Tränen lächeln. Auf einmal habe ich es eilig zum Tor zu kommen.
Ich schiebe es auf und sehe mich um. Ein paar Meter entfernt steht ein Mann und schaut mir entgegen. Seine Haare glänzen in der Sonne und ein Lächeln liegt auf seinen Lippen. Zwei Jahre nach dem Verlust meines Mannes konnte ich mein Herz wieder öffnen und habe mich neu verliebt. Jetzt streckt mir meine neue Liebe die Hand hin und ich nehme sie in meine. Unsere Finger verschlingen sich ineinander und ich weiß, dass ich in meinem neuen Leben angekommen bin.
Ich habe mich entschlossen, diesen OS auch in diese Sammlung aufzunehmen, weil er bis jetzt kaum Beachtung bekommen hat. Ich habe ihn mal für eine Freundin geschrieben, mit der ich leider keinen Kontakt mehr habe.
Ich hoffe, er gefällt euch.
Hugs and kisses xx
Nicky
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