Willst du frei sein?
Ich gehe noch einige Schritte mit Jin und dann setze ich ihn in einer vermeintlich geschützten Ecke ab. Ich selbst lasse mich zu ihm sinken und schiebe dann meinen Finger in das große Loch der Jeans, welches über meinem Knie ragt. Ich reiße den Stoff weiter auf und atme erschrocken ein, als ich die Ursache des Schmerzes endlich identifizieren kann. Nein... nein das darf nicht sein!
Dort steht in großen Buchstaben 'HOPE' quer über meinem Oberschenkel geschrieben. Nein, nicht geschrieben. Es wurde in akkurater Feinarbeit säuberlich in mein Bein geschnitten. Dort fehlen Hautstreifen... das sind offene Wunden... das... Ich schlucke schwer und ich spüre deutlich wie mir die Tränen unaufhaltsam über die Wangen laufen. Das hier ist ein Alptraum. Ein fürchterlicher Alptraum und ich will endlich aufwachen...
Die pure Verzweiflung macht sich in meinem Körper breit. Die Angst hält mich in ihren eisernen Klauen gefangen, während meine Gedanken schier durchdrehen. Alleine die Vorstellung, dass Hope mir diese Buchstaben in die Haut geritzt haben könnte, lässt mich an der ganzen Welt zweifeln. Ich kann das einfach nicht glauben. Ich will das auch nicht wahrhaben, aber noch deutlicher kann man es mir doch auch nicht machen, oder? Hope hat mich bei unserem letzten Treffen sogar gefragt, ob er mir ein kleines Cutting verpassen dürfe, doch das habe ich vehement abgelehnt. Er wusste also ganz genau, dass ich das hier nicht gewollt hätte.
Langsam beginne ich meinen Kopf zu schütteln, während ich immer noch auf die Wunden starre. Tränen laufen mir über die Wangen, da ich sie einfach nicht zurückhalten kann und ich presse meine Lippen fest aufeinander. Meine Hände ballen sich zu Fäusten, während mein Körper vor Wut und Angst zittert.
Stück für Stück sickert die Erkenntnis in mein Bewusstsein und lässt mich nur noch verzweifelter werden. Mein Körper spannt sich an und dann verlässt ein klägliches Wimmern meine Kehle. Bitter schluchze ich auf, presse mir die Hand vor den Mund und ziehe meine Beine enger an meinen Körper, um die ich meinen anderen Arm fest geschlungen habe. Der Schmerz ist mir egal. Ich sehe einfach nur, wie mir mein Leben durch die Finger gleitet, wie ich den Halt in der Realität verliere und gänzlich in diese Hölle abrutsche. Dieses Cutting reißt ein riesiges Loch in meine Brust. Ich habe einen Fehler gemacht. Ich habe einen riesigen Fehler begangen, als ich diesen Mann in mein Leben gelassen habe.
Es ist unverkennbar. So deutlich. So klar und doch knabbern Zweifeln an mir. Hope hat sich immer die größte Mühe gegeben mich auf Händen zu tragen. Mir jeden Wunsch zu erfüllen und er hat sich mir hingegeben, so wie ich mich ihm hingegeben habe. Er hat meine Entscheidungen respektiert – immer. Warum soll er jetzt dagegen vorgehen? Gegen seine Prinzipien, wenn diese wirklich der Wahrheit entsprochen haben. Natürlich ist Hope nicht immer ehrlich zu mir gewesen. Weder mit seinem Alter, noch mit seinem Beruf, seiner Herkunft... Ich kenne diesen Mann immer noch nicht wirklich. Ich weiß nur, dass er wohl zwei Brüder hat,... dass er ein hartes Leben gehabt haben muss... und ich weiß, dass irgendetwas mit ihm nicht ganz richtig ist.
Es hat diese wenigen Momente gegeben, wo ich es in seinen Augen gesehen habe. Der Ausdruck in ihnen ist manchmal unglaublich leer gewesen, als wäre er einen Augenblick überhaupt nicht mehr bei mir, sondern ganz wo anders. Oft habe ich dabei das Gefühl gehabt, dass ich eine fremde Welt für ihn bin. Eine Welt in der er nicht leben darf. Eine Welt, die er sich sehnlichst wünscht und sie dann doch nicht zu 100% betreten kann. Wieder kommt mir dabei der Gedanke, dass Hope eine gespaltene Persönlichkeit hat. Etwas, das ihn von mir fernhält. Zu oft ist Hope für mehrere Monate verschwunden und hat sich nicht bei mir gemeldet. Immer hat er danach meine Nähe gesucht und dabei so getan, als wäre er nie weggewesen.
Was ist also, wenn Hope zwar der Grund für meine Misere ist, der Auslöser und die Übeltäter diejenigen sind, die nicht bereit sind Hope ein normales Leben leben zu lassen? Aber ist Hope dann nicht immer noch schuld daran, dass ich diesen Scheiß hier durchmachen muss? Dass ich jetzt mit seinem Namen auf meinem Oberschenkel leben muss? Alleine diese Pein ist unerträglich, weswegen ich die Gedanken beiseiteschiebe und langsam meine krampfhafte Haltung löse. Mein Blick fällt auf Jin, welcher kraftlos zur Seite gesackt ist und seine Augen geschlossen hält. Er sieht furchtbar fertig aus und es gibt nichts, was ich dagegen tun kann.
Langsam rapple ich mich auf, halte mich an der Wand fest und taste mich voran. Wenn wir eben in der Kühlkammer gewesen waren, dann müssen wir hier doch bestimmt in der Vorratskammer sein, wenn man an einen ganz normalen Aufbau eines Restaurants oder einer Mensa denkt. Zwar stehen hier überall Kisten herum, die einem den Weg versperren, aber letztendlich kann ich nach einigen Minuten die Regale ausmachen in denen tatsächlich Vorräte lagern. Ich arbeite mich weiter vor und finde sogar Wasserflaschen. Ein erleichterter Laut verlässt dabei meine Kehle. Ich nehme das ganze Paket mit gut 20 Flaschen mit und gehe zu Jin zurück. Ich lasse mich vor ihm auf dem Boden sinken, befreie die Flaschen aus ihrer Plastikummantelung und öffne eine davon, die ich Jin an die Lippen halte. Er blinzelt verwirrt und beginnt dann zu trinken. Zufrieden halte ich die Flasche und mit dem Rest des Inhaltes versuche ich sein Gesicht von Blut und Dreck zu befreien, nachdem ich meine Hände auch gereinigt habe.
Jin sieht wenig später deutlich frischer aus, weswegen ich noch eine Flasche öffne und damit beginne seine Handgelenke vorsichtig zu reinigen. Dabei gehe ich sehr vorsichtig und sorgsam vor. Die Schürfwunden sind an manchen Stellen wirklich tief, aber mittlerweile halbwegs geschlossen. Es hat auch aufgehört zu bluten. Während ich ihn vorsichtig sauber mache, fällt mir an seinem linken Arm die lange Narbe auf, die von seinem Handgelenk bis zu seiner Ellenbeuge reicht. Schwer schlucke ich, sehe zu ihm auf und dann wieder auf die Narbe. Ich spüre deutlich, wie er seinen Arm zurückziehen will, doch ich halte ihn weiterhin fest.
An seinem Handgelenk fühle ich eine leichte Erhebung und sehe zu Jin auf. Ich versuche einen Blick in seine Augen zu erhaschen, doch er weicht mir aus und letztendlich entzieht er mir auch seinen Arm, den er fest gegen seine Brust presst.
Fahrig streiche ich mir durch mein Haar, setze die angefangene Flasche an meine Lippen und leere sie in einem Zug. Ich kann sein Verhalten irgendwie verstehen, aber irgendwie auch nicht. Natürlich ist es einem peinlich einen Selbstmordversuch zu zeigen, aber das was da unter seiner Haut ist... Ich bin mir nicht sicher, aber wenn ich raten müsste, würde ich einen Chip oder so etwas vermuten. Das Narbengewebe sieht sehr sauber und schon sehr gut verheilt aus, also wurde das scheinbar professionell gemacht.
Oder Hope...
Sollte das wirklich die Handschrift des Arztes tragen? Das war doch Blödsinn... oder nicht? Unsicherheit macht sich in mir breit und erneut werde ich den Gedanken nicht los, dass ich vor viereinhalb Jahren einen riesigen Fehler begangen habe. Schwer schlucke ich, atme tief durch und greife dann nach einer neuen Flasche um Jin weiter sauber zu machen. Zum Schluss kümmere ich mich um seine Füße, die einfach nur dreckig sind. Hope würden sich die Fußnägel aufrollen, wenn er diese Füße zu Gesicht bekäme. Ich schüttle den Kopf, rutsche neben Jin und reinige dann meine eigene Wunde. Leise zische ich auf und beiße mir auf die Unterlippe. Es brennt wie die Hölle und am liebsten würde ich einfach meine Fingernägel in mein Fleisch bohren und den Rest Haut auch noch abziehen.
„Verdammt...", fluche ich leise, kneife die Augen fest zusammen und versuche den Schmerz wegzuatmen. Wie hat sich Hope das nur freiwillig antun können? Achja... Schmerz war ihm ein Fremdwort. Wie sehr ich mir gerade diesen Defekt wünsche. Einfach keinen Schmerz spüren zu können. Doch leider habe ich ihn nicht und spüre den Schmerz verdammt deutlich. Das Brennen ist einfach nur abartig.
„Es geht vorbei... denk einfach nicht mehr daran, dann ist es erträglicher..." Leise dringen die Worte an mein Ohr. Heiser und leicht abgehackt. Mein Blick ruckt zu Jin, welchen ich argwöhnisch mustere. Seit wann redet er? Und vor allem woher will er das wissen? Scheinbar kann er meine Gedanken lesen, denn im nächsten Moment hebt er seinen Pulli an und zeigt mir die rechteckige Stelle in seiner Haut, die einfach fehlt, als ob ihm dort jemand die Haut abgezogen hätte und zusätzlich war ebenfalls das Wort 'Hope' eingeritzt worden. Ich schlucke schwer, sehe weg und starre auf den Boden.
Wenig später spüre ich eine Hand auf meiner Schulter, die diese leicht drückt, bevor sie einfach wieder von mir runterfällt. Ich sehe erneut zu ihm und halte ihm dann eine neue Flasche Wasser hin, die er dankend entgegennimmt. Ich lächle kurz, nehme mir dann selbst eine neue, die ich mir über den Kopf schütte, um mein Gesicht sauber zu machen. Danach fühle ich mich etwas besser. Ich leere den Rest der Flasche mit zwei großen Zügen und lege die leere Flasche beiseite. Erschöpft lasse ich mich wieder gegen die Wand sinken und sehe wieder zu Jin, der langsam und vorsichtig ein paar Schlucke aus seiner Flasche nimmt.
„Erinnerst du dich an mich, Jin?", frage ich neugierig, weil ich immer noch glaube, dass er keine Ahnung hat wer ich bin. Wirklich überrascht bin ich darüber nicht, weil ich damals noch ein Teenager gewesen bin und wirklich groß und muskulös geworden bin. Das Kopfschütteln des anderen ist eindeutig, weswegen ich leicht traurig den Kopf senke und den Mund verziehe, denn gekränkt bin ich trotzdem irgendwie.
„Erinnerst du dich an den Jahrmarkt, wo du deiner Freundin einen Antrag gemacht hast?", frage ich weiter, nachdem ich wieder meinen Blick gehoben habe. Dabei bemerke ich, wie Jin bei meinen Worten merklich zusammengezuckt ist. Ein Zittern hat von seinem Körper Besitz ergriffen und sein Blick liegt leer auf mir. Wieder schießt mir die Frage durch den Kopf was mit diesem Mann passiert ist? Warum seine Augen so leer sind und warum er so reagiert, wenn ich von seiner Freundin spreche. Doch im nächsten Augenblick sehe ich die Träne, die über seine Wange rollt. Ein Glitzern geht durch seine teilnahmslosen Blick und ich glaube etwas Leben in ihnen erkennen zu können, denn er nickt leicht.
„Justin... nein Jungkook... Oh verdammt..." Endlich sehe ich das Erkennen in seinen Augen. Die Erkenntnis, dass wir uns kennen. Dass wir uns nicht zum ersten Mal im Leben sehen und dann schlägt er sich eine Hand vor den Mund. Mehr Tränen laufen über seine Wangen und er versucht ein Schluchzen zu unterdrücken, doch er schafft es nicht. Ich lächle sanft und ziehe ihn dann in eine liebevolle Umarmung. Es schmerzt mich ihn so zu sehen. So als wäre sein ganzes Leben in sich zusammengebrochen. Nun sitzen wir beide in demselben Boot und wahrscheinlich erfahre ich die gleichen Grausamkeiten wie Jin, der diese schon länger zu ertragen scheint.
„Wie lange bist du schon hier, Jin?", frage ich ihn leise, doch eine Antwort bleibt er mir schuldig, da er immer noch am Schluchzen und Heulen ist. Er weint sich an meiner Schulter aus und ich lasse ihn. Ich streichele ihm liebevoll den Rücken und versuche ihm etwas Halt zu geben, während ich mich bemühe zu verarbeiten, dass ein Entkommen aus dieser Hölle wohl unmöglich ist. Wenn Jin es seit längerer Zeit schon nicht schafft hier herauszukommen, wie soll ich es dann schaffen? Aber jetzt sind wir zu zweit, vielleicht haben wir so ja doch eine Chance.
„Lass uns versuchen von diesem Ort zu entkommen, Jin." Leise, aber fest spreche ich diese Worte aus, nachdem sich Jin langsam wieder beruhigt zu haben scheint. Ich löse mich von ihm und lege meine Hand an seine Wange, während ich ihm fest in die verheulten Augen sehe. Er nickt leicht, greift nach meiner Hand und das lässt mich lächeln. Gemeinsam werden wir es schaffen, doch jetzt brauche ich erst einmal etwas Klarheit.
„Weißt du wer das vorhin gewesen ist? Diese Gestalt, die dich geküsst hat... Sie hat mit dir gesprochen oder? Kennst du sie?", frage ich ihn daher, da mir das am meisten Sorge bereitet. Wenn ich wirklich Halluzinationen habe, dann kann die Flucht ein unmögliches Unterfangen werden. Alleine der Gedanke an dieses Wesen jagt mir einen unangenehmen Schauer über den Rücken und als Jin dann auch noch vage nickt, japse ich erschrocken nach Luft. Ich habe mir dieses Wesen also nicht eingebildet. Es ist wirklich da gewesen und hat uns wie ein verfickter Dementor geküsst und uns die Seele ausgesaugt – gut hat es nicht. Aber es hat sich verdammt noch mal so angefühlt. Resigniert seufzend lasse ich mich zurück auf meinen Hintern sinken und starre Löcher in die Luft. Das muss ich erst einmal verarbeiten, denn welcher verdammte Mensch besaß so eine Fratze, die mich auch noch so dreist angelächelt hat. Ich erschaudere erneut, schüttle mich und dann kommt mir schon wieder die Galle hoch. Das ist gar nicht gut.
Ruckartig erhebe ich mich, keuche leicht vor Schmerz und fasse mir an die Brust. Ich kann es gerade so verhindern, dass ich mich übergebe, schlucke den Rest Galle wieder hinunter und verziehe das Gesicht. Das ist einfach so ekelhaft. Kurz fahre ich mir mit meiner Hand über das Gesicht und sehe dann zu Jin, der seinen Blick gesenkt hält und auf seine Finger starrt. Er spielt nervös mit ihnen, was in mir den Gedanken aufkommen lässt, dass er noch viel mehr weiß. Ich mustere ihn eine ganze Weile stumm, hocke mich dann langsam wieder zu ihm und lege meine Hand um sein Kinn. Ich hebe seinen Kopf an und suche seinen Blick.
„Was verschweigst du mir, Jin? Hat die Person irgendetwas zu dir gesagt? Rede mit mir Jin. Bitte rede mit mir, ich will hier nicht sterben", bringe ich hervor, wobei meine Worte immer verzweifelter werden. Jins Blick huscht durch die Gegend und schafft es nicht einen Punkt zu fixieren. Stattdessen versucht er mir weiter auszuweichen. Er legt sogar seine Hand an mein Handgelenk und will meine Hand von seinem Kinn wegdrücken, doch das lasse ich nicht zu. Ich bin körperlich in einer deutlich besseren Verfassung als er. Ich sehe und spüre deutlich wie er heftig schluckt, bevor er seine Hand wieder sinken lässt.
„Mir... ich... ich kann nicht..." Leises Gemurmel dringt an mein Ohr, wobei ich mir wirklich nicht sicher bin, ob ich es richtig verstanden habe. Er spricht so unglaublich leise und so gebrochen, dass man sich anstrengen muss ihn zu verstehen. Trotzdem seufze ich schwer, lasse von seinem Kinn ab und sinke zurück gegen die Wand. Ich strecke meine Beine aus und starre auf die vier Buchstaben, die mir in leuchtendem Rot entgegenstarren.
HOPE
Was für ein krankes Spiel wird hier eigentlich gespielt? Haben die Buchstaben vielleicht gar nichts mit dem Arzt zu tun, sondern einfach nur mit der Hoffnung, die sie mir immer wieder geben und dann wieder grausam entreißen? Ich bin so verwirrt, so maßlos überfordert. Es macht mich verrückt und Jin scheint auch keine große Hilfe zu sein. Vor allem, weil er wahrscheinlich so schwach ist, dass er nicht einmal selbständig laufen kann. Das darf doch einfach alles nicht wahr sein.
Im nächsten Moment packt mich eine Welle der Panik. Was ist, wenn sie mir nicht nur diese eine Verletzung oder Markierung oder was auch immer zugefügt haben? Sofort beginne ich meinen Körper nach weiteren Verletzungen, oder Einstichstellen abzusuchen. Ich horche in mich, versuche herauszufinden, ob meinem Körper sonst noch etwas fehlt, außer den andauernden Kopfschmerzen und der Übelkeit, die mich immer wieder überkommt. Ich bin gründlich, schiebe dabei sogar meine Kleidung von meinem Körper, nur um dann an meinem Fußgelenk einen Fremdkörper zu finden, der da ganz sicher nicht hingehört. Ich taste ihn ab, spüre dass er aus Metall ist, doch eine Öffnung kann ich nicht finden.
Langsam flammt erneut Panik in mir auf. Mein Körper wird von einem verräterischen Zittern erfasst, während ich versuche diesen Ring von meinem Fußgelenk zu bekommen, doch nichts funktioniert. Sind wir hier bei Battle Royal oder was? Ich will einfach nur noch hier weg, doch das bleibt ein Wunsch. Stattdessen spüre ich nun Jins Hand wieder auf meiner Schulter, die im nächsten Moment aber erneut von meinem Körper herunterrutscht. Sofort sehe ich zu ihm, sehe auf seine Fußgelenke, doch ich kann keinen Metallring erkennen. Dann sehe ich ihm ins Gesicht und er beginnt leicht mit dem Kopf zu schütteln. Was soll das? Mein Ausdruck wird wütend und ich balle meine Hand zur Faust, während Jin seine Hand hebt in der ich einen Chip vermute.
„Sie wissen immer wo wir uns aufhalten... und wie es uns geht. Das wir sterben, werden sie nicht zulassen... wir werden solange hierbleiben, bis sie uns leid sind... Bis sie keine Lust mehr haben zu spielen..." Ist der Kerl verrückt geworden? Fassungslos starre ich ihn an und muss erst einmal verarbeiten was er mir preisgegeben hat.
Verstecken wäre also zwecklos, sie würden uns überall finden, egal in was für eine kleine Ritze ich krabbeln würde um mich zu verstecken. Sie alleine würden entscheiden, wann sie sich Zeit für uns nehmen. Das ist grausam! Das ist beängstigend! Das ist die Hölle!
Selbstmord wäre aussichtslos, was das Ganze nur noch schlimmer machen würde, wenn es keinen Ausweg gäbe. Keine Möglichkeit diesem Labyrinth und dieser Folter zu entkommen, die mich noch verschont hat. Aber bin ich der Folter wirklich noch nicht zum Opfer gefallen? Bei einem Blick auf meinen Oberschenkel wird mir schon wieder schlecht.
Sie wollen mit uns spielen, bis sie uns leid sind. Was soll das denn heißen? Spielen? Wollen sie uns jagen? Uns einengen? Einkesseln? Foltern? Vergewaltigen? Verstümmeln? Mir dreht sich der Magen nun gänzlich um und ich übergebe mich unkontrolliert direkt neben mir. Angewidert verziehe ich das Gesicht, spüre die heißen Tränen, die mir über mein Gesicht laufen. Wie soll man in solch einer Situation noch Hoffnung haben? Jin hat sie gerade mit seinen so emotionslosen Worten zerstört und alleine sein Anblick lässt einen nichts Gutes vermuten.
„Ist... ist das dein Ernst?", frage ich zögernd, nachdem ich mich langsam wieder beruhigt habe. Ob man allerdings wirklich von ruhig sprechen kann, wage ich gerade zu bezweifeln, denn mein Körper zittert immer noch wie verrückt. Mir ist schlecht und mein Kopf dröhnt unaufhörlich. Die Angst schnürt mir die Kehle zu und ich weiß nicht mehr was ich tun soll. Jin nickt, tippt sich gegen sein Handgelenk und streicht sich dann über die Narbe. Er hatte es also versucht und wurde aufgehalten.
„Also willst du hier warten, bis sie zurückkommen und ihre kranken Fantasien an dir ausleben?" Mir kommt erneut die Galle hoch, vor allem bei dem Gedanken wie ich Jin vorgefunden habe. Das ist ein Alptraum. Das ist krank... und Jin zuckt mit den Schultern und nimmt es einfach hin. Das darf doch alles nicht wahr sein. Da habe ich ihm extra seine Wunden versorgt, etwas zu trinken für uns gefunden und dann will dieser Kerl sich einfach wieder in die Arme dieser kranken Psychopathen werfen, nur weil es so aussieht als gäbe es kein Entkommen? Fahrig streiche ich mir erneut mit der Hand über mein Gesicht, nur um dann auf meinen rechten Handrücken zu starren.
„Ich werde einen Ausweg finden. Ich werde dieses Metallband los und ich werde diese Hölle überleben!", sage ich fest, nachdem ich aufgestanden bin und meine Hände fest in meine Hüften gestemmt habe. Dabei sehe ich den Mann vor mir eisern an und lasse keine Zweifel aufkommen. Gerade ist es mir scheißegal, dass mir irgendein Wichser 'Hope' ins Bein geritzt hat und ich wahrscheinlich nicht mehr alle Tassen beisammen habe oder eben unter Drogeneinfluss stehe. Dafür habe ich zwar keine Indizien gefunden, aber das alleine würde erklären, warum meine Wahrnehmung ab und an so verzerrt ist.
Fest entschlossen greife ich nach einer verschlossenen Flasche und schiebe sie mir in die Hosentasche, bevor ich loslaufe und mir langsam aber sicher einen Weg durch das Labyrinth suche, welches sich vor mir erstreckt und mich fürchterlich erschauern lässt.
„Ich werde das schaffen... Ich werde das schaffen und dann werde ich wieder frei sein!", spreche ich mir selbst Mut zu, schlage mir dabei mehrmals die Hände auf die Wangen und zwinge mich zur Ruhe. Ich darf nur nicht durchdrehen. Ich darf mich nicht selbst verlieren. Ich muss nur weiter an die Hoffnung glauben, die mir Kraft gibt. Nur einen Funken. Nur ein klitzekleiner Funke muss reichen...
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